Brasilien: Große Unsicherheit für EM-Anleger hält an – Öl-Konzern Petrobras mitten neuer Turbulenzen            

London (8.6.18) – Die turbulente Situation in Brasilien lässt Emerging Markets-Anleger weiterhin angespannt auf die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas blicken. „Nachdem Pedro Parente sich gezwungen sah, als Chef des halbstaatlichen Öl-Konzerns Petrobras zurückzutreten, wächst bei Investoren die Unsicherheit bezüglich der Zukunft des Unternehmens“, sagt Uday Patnaik, Head of Emerging Market Debt bei Legal & General Investment Management. „Es gibt die Befürchtung, dass die Regierung ihren Einfluss auf Petrobras wieder ausbauen wird. Bedenkt man die Krisen, die die Verflechtung von Regierung und Unternehmen in der Vergangenheit bereits ausgelöst hat, verursacht die Aussicht bei einigen Anlegern Sorgenfalten.“

Korruption und Geldwäsche

Vor zwei Jahren hatte Parente den CEO-Posten des Öl-Konzerns übernommen, nachdem ein Korruptionsskandal, in den auch Petrobras verwickelt war, Brasilien in Aufruhr versetzte und zahlreiche hochrangige Politiker zu Fall brachte. Am Beginn des Skandals standen Vorwürfe, dass Petrobras-Mitarbeiter Bestechungen von Baufirmen entgegengenommen hätten, die im Gegenzug überbezahlte Verträge erhielten. Der Skandal nahm neue Ausmaße an, nachdem Anschuldigungen laut wurden, dass auch Regierungsmitglieder Bestechungsgelder erhielten und Petrobras zusätzlich dazu nutzten, Politiker und Parteien zu schmieren. Ex-Präsident Lula da Silva wurde zu einer zwölfjährigen Haftstrafe wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Seine Nachfolgerin Dilma Rousseff stolperte, als ehemaliges Vorstandsmitglied des Staatskonzerns, ebenfalls über diese Anschuldigungen und auch dem amtierenden Präsidenten Michel Temer wird Korruption vorgeworfen.

Petrobras sollte in der Folge unabhängiger von Einflussnahmen der Regierung werden. „Als Parente die Führung von Petrobas übernahm, hat er sich größere Unabhängigkeit, insbesondere bei der Preissetzung, zusagen lassen“, erklärt Patnaik. Zuvor habe die Regierung über das Unternehmen regelmäßig Einfluss auf die Preispolitik von Diesel und Benzin genommen. „Pedro Parente hat den Preis an den Markt angepasst. In den zwei Jahren unter seiner Führung hat sich das Unternehmen konsolidiert und steht deutlich solider da. Zentral für diese Verbesserung war insbesondere die Autonomie von der Regierung. Im Mai zahlte das Unternehmen erstmals seit vier Jahren wieder eine Dividende.“ Diese positive Entwicklung sieht Patnaik nun in Gefahr.

Staatlicher Einfluss wird wachsen

Als weltweit die Ölpreise anstiegen und Petrobras die Preise ebenfalls erhöhte, streikten landesweit für mehrere Tage LKW-Fahrer aus Protest gegen die hohen Diesel-Kosten. „Da Brasilien von dem Transport auf der Straße abhängig ist, hat der mehrtägige Streik das Land lahmgelegt.“ In Supermärkten blieben die Regale leer, Flugzeuge mussten aus Kerosinmangel am Boden bleiben und Fabriken mussten die Produktion einstellen. „Im Zuge dieser Turbulenzen ist Parente zurückgetreten“, erklärt Patnaik. „Außerdem hat Präsident Temer aktu eine Senkung und Regulierung der Ölpreise versprochen. Das deutet daraufhin, dass der Einfluss der Regierung auf das Unternehmen künftig wieder steigen wird.“ Die positive Entwicklung, die das Unternehmen zuletzt nahm, werde möglicherweise umgekehrt, sorgten sich die Anleger. „Kritisch ist insbesondere der Punkt der Preispolitik. Wenn die Ölpreise in Brasilien wieder vom Marktpreis entkoppelt werden, und danach sieht es derzeit aus, wäre Petrobras einmal mehr das ‚Sparschwein‘ der Regierung.“

Zudem herrsche derzeit Wahlkampf in Brasilien, im Oktober wird ein neuer Präsident gewählt. „Gerade jetzt besteht das Risiko, dass einzelne Politiker oder die Regierung Petrobras gebrauchen, um populistische Maßnahmen, wie einen künstlich günstigen Ölpreis, umzusetzen, um sich Wählerstimmen zu sichern.“ Für das Unternehmen würde dies eine erneute Verschärfung der ohnehin schweren Verschuldung bedeuten, die Anleger abschrecken dürfte. Zwischenzeitlich übernimmt der ehemalige Chief Financial Officer von Petrobras, Ivan Monteiro, die Unternehmensführung. „Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen, da Monteiro die Unabhängigkeits-Forderung von Parente unterstützt.“ Allerdings sei es mehr als fraglich, ob Monteiro den Posten oder seine Linie beibehalten könne, da der politische Druck enorm sein dürfte. „Seit Beginn des Trucker-Streiks hat der Petrobras-Kurs knapp 43 Prozent eingebüßt.“

Insgesamt sei die Situation in Brasilien unsicher. „Das Land muss seinen Reformprozess dringend weiter führen“, sagt Patnaik. „Besonders die Reform des Rentensystems ist essentiell, um die negative Schuldendynamik zu stabilisieren, da die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP weiter steigt.“ Präsident Temer habe die in der Bevölkerung unbeliebte Rentenreform allerdings gestoppt, um seine Chancen auf Wiederwahl zu erhöhen. Der Ausgang der Präsidentschaftswahl erhöhe die Unsicherheit bei Anlegern zusätzlich. „Wir bevorzugen derzeit bei Brasilien eine untergewichtete Position gegenüber einem Overweight bei Argentinien.“