VDMA:
Frankfurt/Main (10.12.24) – Schwere See und noch keine ruhigeren Gewässer in Sicht: Der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland erwartet auch im kommenden Jahr einen Produktionsrückgang, und erstmals seit vielen Jahren droht in der Branche wieder ein – wenn auch leichter – Stellenabbau. Um den Standort Deutschland und Europa zu stärken, fordert der VDMA daher eine deutliche Kehrtwende der Politik. „Wir erleben eine Welt, die von Verunsicherung geprägt ist: aufgrund von Kriegen, von handelspolitischen Grabenkämpfen und von Wahlerfolgen extremistischer Parteien und Kandidaten mit ihren Parolen, die unsere freiheitlich-marktwirtschaftliche Grundordnung destabilisieren oder sogar zerstören wollen“, sagte VDMA-Präsident Bertram Kawlath auf der Jahrespressekonferenz des Verbands in Frankfurt.
„Umso mehr brauchen wir endlich wieder eine klare und verlässliche Wirtschaftspolitik, die Unternehmen Vertrauen und Freiräume schenkt und ihnen die Flexibilität gibt, erfolgreich im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Schluss mit der Überregulierung, Schluss mit engen technologischen Vorgaben und auch Schluss mit der viel zu hohen Kostenbelastung am Standort Deutschland“, forderte er.
Produktionsminus von 7 Prozent in den ersten zehn Monaten
Die Produktion im Maschinen- und Anlagenbau ist in den ersten zehn Monaten nach teils vorläufigen Zahlen um 6,8 Prozent gesunken. „Für das Gesamtjahr 2024 rechnen wir unverändert mit einem Produktionsminus von real 8 Prozent zum Vorjahr“, sagte der VDMA-Präsident. Im kommenden Jahr dürften sinkende Zinsen nicht nur dem Konsum, sondern auch der globalen Investitionsbereitschaft zugutekommen und eine konjunkturelle Erholung einleiten. Doch ein fulminanter Aufschwung der Weltkonjunktur ist nicht zu erwarten. „Zentrale Belastungsfaktoren wie Kriege und Protektionismus sowie Strukturbrüche bleiben uns erhalten. Wir müssen also weiterhin mit viel Gegenwind rechnen und bestätigen daher unsere Prognose, wonach der Maschinen- und Anlagenbau 2025 ein reales Produktionsminus von 2 Prozent verbuchen wird“, sagte Kawlath.
Kleine und mittlere Betriebe überproportional von Bürokratie betroffen
Der VDMA-Präsident forderte insbesondere die künftige Bundesregierung auf, den industriellen Mittelstand nicht weiter zu schwächen, sondern dringend benötigte Freiräume zu geben. „Die Bundesregierung muss vor allem Bürokratie abbauen und für Kostenentlastungen sorgen!“, forderte er. Das bedeute:
- Entlastung von Berichtspflichten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die davon überproportional betroffen sind. Beispiele sind das Lieferkettengesetz und viele Nachhaltigkeitsberichte.
- Eine weitere Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, auch auf kommunaler und Landesebene.
- Die Steuerlast für Unternehmen von jetzt durchschnittlich knapp 30 Prozent auf 25 Prozent bringen – was immer noch über dem OECD-Durchschnitt von 23 Prozent läge.
- Die degressive Abschreibung zur Regel machen.
- Die Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen zeitnah, unbefristet und nicht gedeckelt ermöglichen.
Arbeitsmarkt muss dringend flexibilisiert werden
Ebenso wichtig ist es, den inzwischen viel zu starren Arbeitsmarkt wieder zu flexibilisieren und den Bedürfnissen des industriellen Mittelstands anzupassen, betonte Kawlath. Denn auch am Maschinen- und Anlagenbau, mit gut 1 Million Beschäftigten immer noch der größte industrielle Arbeitgeber im Land, geht die anhaltende Rezession nicht spurlos vorbei. Laut einer aktuellen Umfrage unter gut 500 Mitgliedsfirmen rechnen 61 Prozent der Befragten mit einem Stellenabbau in den kommenden 12 Monaten und nur 20 Prozent mit Stellenaufbau. „Insbesondere große Unternehmen sind pessimistisch“, sagte der VDMA-Präsident. Nur im Nachwuchsbereich gebe es unverändert mehr Betriebe, die Stellen aufbauen wollen, als solche, die einen Abbau planen. „Unterm Strich rechnen wir mit einem leichten Stellenabbau im nächsten Jahr“, bilanzierte Kawlath. Daher seien auch auf dem Arbeitsmarkt nun rasch tiefgreifende Reformen nötig. Diese umfassen:
- Die Sozialversicherung auf die originären Aufgaben begrenzen – weg von versicherungsfremden Leistungen, längere Wochen-, und Lebensarbeitszeiten sowie Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes,
- Beschäftigung insgesamt anreizen, Beschäftigung im Rentenalter erleichtern,
- eine vollständige Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials durch Bildung und Weiterbildung,
- eine zielgenaue, qualifikationsorientierte Fachkräftezuwanderung unter Zuhilfenahme von Zeitarbeitsfirmen.
EU-Binnenmarkt mit ambitionierter Initiative stärken
Eine politische Kehrtwende erwartet der Maschinen- und Anlagenbau aber nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von der neuen EU-Kommission. „Vieles von dem, was unsere Betriebe belastet, kommt aus Brüssel – zum Teil von einer deutschen Regierung eingebracht. Es scheint zwar so, dass die EU jetzt umschwenken will. Die neue Kommission ist den ersten Schritt gegangen und hat die Stärkung der europäischen Industrie zu ihrer Top-Priorität gemacht. Jetzt wollen wir aber auch Ergebnisse sehen“, forderte der VDMA-Präsident.
Dazu zählen:
- Ein ernsthafter Bürokratieabbau, der die angekündigte Vereinfachung des EU-Regulierungsrahmens sofort mit konkreten Maßnahmen umsetzt. Dabei muss insbesondere die Gesetzgebung der vergangenen Legislatur neu auf den Prüfstand kommen.
- Zugang zu Märkten in gleichgesinnten Regionen sichern, die Europas exportorientierte Industrie dringend benötigt. Das endlich in Sichtweite gekommene Abkommen mit den Mercosur-Staaten darf nicht im Europäischen Rat oder Parlament scheitern und es müssen weitere Abkommen folgen.
- EU-Binnenmarkt stärken durch eine ambitionierte Initiative zum Abbau der Hindernisse. Zudem braucht es eine Innovationsstrategie, um die im Draghi-Bericht aufgezeigte Innovationslücke zu den USA und China zu schließen.
Umfrage: Drei von vier Unternehmen wollen US-Geschäft ausweiten
Mit dem Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump im Januar 2025 muss sich auch der Maschinen- und Anlagenbau im US-Geschäft auf neue Turbulenzen einstellen. „Die Ära Trump 2.0 wird mit einiger Sicherheit disruptiver als die erste Amtszeit. Wir sind auf mehr Störungen vorbereitet, glauben aber, dass der US-Markt nach wie vor Chancen für uns bieten wird“, sagte Kawlath.
Er berief sich dabei auch auf eine aktuelle VDMA-Umfrage unter 560 Mitgliedsfirmen:
- Demnach wollen die meisten Unternehmen (72 Prozent) ihr USA-Geschäft ausweiten beziehungsweise ein solches aufnehmen. Dabei ausschlaggebend sind insbesondere drei Gründe: Marktgröße (89 Prozent), wachsender Markt (72 Prozent), Nähe zum Kunden (61 Prozent).
- Rund die Hälfte (51 Prozent) der Unternehmen, die eine Intensivierung ihres USA-Geschäfts planen, möchte dies in Form von Produktion oder Montage tun.
- US-Importzölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent auf alle Importe hätten dabei einen starken (49 Prozent) oder sehr starken Einfluss (19 Prozent) auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen
„Wir müssen damit rechnen, dass Amerikas Konfrontation mit China in der zweiten Amtszeit von Donald Trump verschärft wird. Wir sehen hier einen harten Wettbewerb um die Vormachtstellung in der Welt, den China bis 2049 zu seinen Gunsten entschieden haben möchte. Auf diesen Schlagabtausch müssen sich die Maschinenbaufirmen in Deutschland und Europa unbedingt vorbereiten“, mahnte Kawlath. Allerdings: „Um die Reindustrialisierung Amerikas voranzutreiben, wird das Land weiterhin wichtige Investitionsgüter aus Europa und Asien benötigen. Langfristig sehen wir darin eine Chance“, ergänzte er.
China und der Handel: Auf Einhaltung von WTO-Regeln beharren
Mit Blick auf China erwartet den Maschinen- und Anlagenbau eine zunehmend verschärfte Konkurrenz – auch auf Drittmärkten. Gestützt wird dies auch durch staatliche Eingriffe, die den Wettbewerb verzerren. „Generell bieten chinesische Unternehmen in vielen Sektoren ihre Produkte zu nicht nachvollziehbaren Preisen an. Mit unserer Wettbewerbsstudie zu China vom Juli 2024 haben wir belegt, dass es in China zahlreiche Subventionierungen der Maschinenbauunternehmen auf allen Ebenen gibt. Hier fordern wir ganz klar, dass die deutsche und europäische Politik nicht lockerlässt und auf Einhaltung der WTO-Regeln beharrt. Das heißt auch, dass chinesischen Wettbewerbsverstößen mit WTO-konformen Maßnahmen begegnet werden sollte“, betonte der VDMA-Präsident.
Die aggressive Handels- und Wettbewerbspolitik Chinas bedeute für die deutsche Industrie, dass eine De-Risking Strategie essenziell für den zukünftigen Geschäftserfolg wird. Deutsche und europäische Maschinenbauunternehmen bewerten Risiken aufgrund der aktuellen geopolitischen Gegebenheiten und Erfahrungen derzeit neu. Eine Blaupause für alle könne es dabei nicht geben, da der Maschinen- und Anlagenbau sehr unterschiedlich strukturiert ist und verschiedenste Geschäftsmodelle verfolgt, erläuterte Kawlath. „Es muss aber hinterfragt werden, inwieweit ein reines Exportmodell aus Deutschland beziehungsweise Europa heraus nach China noch tragen kann. In vielen Fällen wird das wohl nicht mehr reichen, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens auf dem chinesischen Markt zu sichern“, warnte er.
Klimaschutz: Globaler Markt für Emissionsminderungen bietet Chancen
Auch wenn die Regierungskrisen in Europa und die Kriege in der Ukraine und in Nahost derzeit das politische Geschehen bestimmen – „die große Herausforderung, den Klimawandel in den Griff zu bekommen stellt sich mit unveränderter Dringlichkeit“, betonte der VDMA-Präsident. „Die Klima-Transformation ist und bleibt eine globale Schicksalsfrage – und bietet eine große Chance für den Maschinen- und vor allem Anlagenbau.“
Kawlath lobte dabei den Beschluss auf der gerade abgelaufenen Weltklimakonferenz (COP29) in Baku, die Grundlage für einen globalen Markt für Emissionsminderungen zu schaffen. Dies habe das Potential, den Klimaschutz weltweit kostengünstiger zu machen und Technologien schneller global auszurollen. „Das System braucht aber noch viel Arbeit. Deshalb auch hier unser klarer Appell: die neue Bundesregierung und die neue EU-Kommission müssen Klimaschutz und Energiewende vereinfachen und marktlicher organisieren“, sagte der VDMA-Präsident. „Globale Chancen zu nutzen und Wertschöpfung in Deutschland und Europa aufzubauen und zu halten, funktioniert aber nur, wenn man die EU nicht zum globalen Maßstab macht. Wir brauchen pragmatische Herangehensweisen und Lösungen auf allen Ebenen.“