Ernst & Young EY:
Jedes dritte Industrieunternehmen plant Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland
Hamburg (1.11.24) – Deutsche Industrieunternehmen wollen ins Ausland expandieren: 45 Prozent der Unternehmen planen, neue Standorte außerhalb Deutschlands zu errichten. In Deutschland soll hingegen kaum neu investiert werden: Gerade einmal 13 Prozent wollen neue Standorte in Deutschland aufbauen. Mit der Expansion ins Ausland ist häufig auch die Verlagerung von Arbeitsplätzen verbunden: Immerhin 29 Prozent der Unternehmen werden voraussichtlich Arbeitsplätze von Deutschland ins Ausland verlagern. Dass Arbeitsplätze aus dem Ausland zurück nach Deutschland verlagert werden, kommt hingegen sehr selten vor: Gerade einmal vier Prozent der befragten Industrieunternehmen planen einen solchen Schritt.
Unterm Strich werden nach Einschätzung von 63 Prozent der Manager in den kommenden Jahren Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen – was angesichts der sehr kritischen Beurteilung der Aussichten am Standort Deutschland wenig verwunderlich ist. So bewerten insgesamt 84 Prozent der Befragten die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland negativ, davon 23 Prozent sogar sehr negativ. Und nur 48 Prozent rechnen mit einer Verbesserung der Wirtschaftslage in den kommenden fünf Jahren – etwa genau so viele (49 Prozent) erwarten keine Verbesserung.
Das sind Ergebnisse der aktuellen EY Studie „Wirtschaftsstandort Deutschland 2024“. Für die Studie wurden Top-Manager von 115 deutschen Industrieunternehmen telefonisch interviewt. Die Befragung fand im September 2024 statt.
„Die deutsche Industrie sendet Alarmsignale“, sagt Jan Brorhilker, Managing Partner des Geschäftsbereichs Assurance von EY in Deutschland. „Angesichts düsterer Konjunkturaussichten auf dem Heimatmarkt orientieren sich viele Unternehmen ins Ausland, um dort von besseren Rahmenbedingungen zu profitieren. Für den Standort Deutschland heißt das: Weniger Umsatz, weniger Arbeitsplätze, weniger Investitionen.“
Zu den schwachen Konjunkturaussichten kommen regulatorische und politische Hürden in Deutschland: Der Hauptgrund für das schwache Wirtschaftswachstum in Deutschland ist aus Sicht der befragten Industriemanager die deutsche Bürokratie: 70 Prozent bezeichnen bürokratische Vorgaben als eines der drei wichtigsten Hindernisse für eine wirtschaftliche Erholung. Politische Fehlentscheidungen werden von knapp jedem zweiten Industriemanager (49 Prozent) als Wachstumskiller bezeichnet, eine ineffiziente Verwaltung von immerhin gut jedem vierten (26 Prozent).
Brorhilker: „Die Industrie erstickt in einem Dschungel von Vorschriften und Reporting-Vorgaben. Und neue industriepolitische Vorhaben der Bundesregierung sind nicht immer hilfreich: Denn vieles, was in Berlin beispielweise in Sachen Dekarbonisierung und Wärmewende entschieden wird, ist gut gemeint. Weil aber längst nicht alle Verwaltungen an einem Strang ziehen und weil in den Ländern, Kreisen und Gemeinden oft qualifizierte Fachkräfte fehlen, herrscht vor Ort Unklarheit und Unkenntnis, so dass sich Genehmigungsverfahren oft unendlich lang hinziehen. Wer in Deutschland neu investieren will, sollte viel Zeit und Geduld mitbringen. Das führt viel zu oft dazu, dass die Unternehmen dahin gehen, wo ihnen schnell und unbürokratisch geholfen wird: ins Ausland. Wir brauchen dringend eine neue Willkommenskultur für Industrieunternehmen.“
Brorhilker fordert daher: „Hier sollte die Politik daher ansetzen: Entrümpeln von Vorschriften, Beschleunigung von Genehmigungen. Es braucht nicht große Industriepolitische Entwürfe, es braucht Schnelligkeit, Pragmatismus und Unternehmerfreundlichkeit.“
Wachstumsbremse Fachkräftemangel besteht weiterhin
Ebenfalls eine große Rolle spielt aus Sicht der Industrie der Fachkräftemangel: 57 Prozent bezeichnen das Fehlen von ausreichend qualifizierten Mitarbeitern als wichtige Wachstumsbremse. Dass die Beschäftigten nicht leistungsbereit genug sind, sagen hingegen nur 13 Prozent der Manager. Auch ein hoher Krankenstand ist offenbar kein Kernproblem am Standort Deutschland: Nur sechs Prozent der Befragten bezeichnen eine hohe Zahl von Krankmeldungen als einen der Hauptgründe für die aktuelle Schwäche der deutschen Wirtschaft. Ebenso würde eine Lockerung des Kündigungsschutzes das Problem nicht lösen: Nur sechs Prozent sehen in den bestehenden Kündigungsschutzregeln ein wichtiges Wachstumshemmnis.
„Es ist keineswegs so, dass die Beschäftigten in Deutschland nicht motiviert und leistungsbereit sind. Das Problem liegt vielmehr darin, dass die Qualifikationen, die von den Unternehmen gesucht werden, immer weniger zur Verfügung stehen. Wichtig wäre es daher, das Bildungs- und Ausbildungssystem verstärkt auf den tatsächlichen Bedarf der Unternehmen auszurichten. Das heißt: Es muss dringend ein stärkeres Gewicht auf die sogenannten MINT-Fächer gelegt werden“, fordert Brorhilker.