IMK:
Nur gut ein Viertel findet aktuelle CO2-Bepreisung akzeptabel
Bessere Information und Kompensation nötig
Düsseldorf (20.8.24) – Nur eine Minderheit der Menschen in Deutschland findet die CO2-Bepreisung in den Bereichen Verkehr und Wärme in der aktuellen Form akzeptabel: Sieben Prozent nennen den Preis, mit dem Anreize zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen gesetzt werden sollen, für ihren Haushalt „sehr akzeptabel“ und 19 Prozent „eher akzeptabel“. Weitere 21 Prozent sind bei der Bewertung unentschieden. Dagegen lehnt eine Mehrheit die CO2-Bepreisung dezidiert als für sich „eher inakzeptabel“ (21 Prozent) oder „sehr inakzeptabel“ (32 Prozent) ab (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Das ergibt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis einer repräsentativen Befragung.* Dabei zeigen sich deutliche Zusammenhänge mit der Lebenssituation der Befragten: Die Akzeptanz sinkt bzw. steigt mit dem Einkommen. Und: Wer sich große Sorgen um die wirtschaftliche Situation macht, lehnt den CO2-Preis häufiger ab als Menschen ohne finanzielle Sorgen. Landbewohner*innen sind skeptischer als Städter*innen, das beeinflusst auch die Akzeptanzwerte in den unterschiedlichen Bundesländern. In den Stadtstaaten Hamburg (43 Prozent Akzeptanz) und in Berlin (32 Prozent) ist die Zustimmung noch am höchsten. In den ostdeutschen Flächenländern findet der CO2-Preis besonders wenig Unterstützung, auch im Saarland und in Niedersachsen sind die Werte relativ gering .
Bundesweit fühlen sich rund drei Viertel der Befragten schlecht oder gar nicht über die CO2-Bepreisung informiert. Gleichzeitig überschätzen die meisten Befragten ihre aktuelle finanzielle Belastung durch den CO2-Preis drastisch, während sie die absehbare Kostenentwicklung in den kommenden Jahren unterschätzen, wenn ein unbegrenzter Marktmechanismus die bislang recht moderate politische Preissetzung ablöst und zu deutlich höheren Kosten führen dürfte (detaillierte Daten unten). Die Studienautor*innen Dr. Jan Behringer, Lukas Endres und Maike Korsinnek halten deshalb kurzfristig bessere Informationen zur CO2-Bepreisung für einen Weg, die Akzeptanz zu erhöhen. Um den Rückhalt in der Bevölkerung auch bei künftig deutlich steigenden CO2-Preisen zu sichern, sollte zudem zeitnah ein Kompensationsmechanismus eingeführt werden. Dieser sollte nach Analyse des IMK insbesondere untere und mittlere Einkommensgruppen entlasten, weil diese einen höheren Anteil ihres Einkommens für Mobilität und Heizenergie aufwenden müssen und daher stärker belastet sind.
Auch hinsichtlich der Präferenzen der Menschen zur Verwendung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung liefert die IMK-Studie Anhaltspunkte: Die Befragten, die bei dieser Frage entscheiden konnten, ob und in welchem Umfang sie die Einnahmen aus dem CO2-Preis auf einem oder mehreren Wegen zurückverteilen würden, favorisieren in erster Linie, die Einnahmen als direkte Zahlungen an die Haushalte zurückzugeben, und zwar teilweise als pauschale Pro-Kopf-Zahlung und teilweise mit einem Schwerpunkt bei Haushalten mit niedrigeren Einkommen oder besonderer Betroffenheit durch den CO2-Preis (siehe Abbildung 3). Eine soziale Staffelung nach Einkommen präferieren Anhänger*innen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke überdurchschnittlich stark, zeigt eine differenzierte Auswertung nach politischen Präferenzen (Abbildung 4 in der pdf-Version). Grünen-Wähler*innen sind auch mehr als andere dafür, einen wesentlichen Teil der Einnahmen in einen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur mit Klimaschutz-Effekt zu investieren, etwa in den öffentlichen Nahverkehr, die Bahn oder ein Ladenetz. Befragte, die Union, FDP oder AfD zuneigen, plädieren hingegen stärker für Rückzahlungen pauschal pro Kopf an die Bürger*innen. Sie sind zudem eher dafür, mit einem Teil der Einnahmen die Einkommensteuer zu senken – obwohl das insbesondere Haushalten mit niedrigeren Einkommen wenig bringt.
Für die Untersuchung wurden im Rahmen einer repräsentativen Quotenstichprobe rund 4800 Erwachsene im Januar und Februar 2024 online befragt. Unmittelbar zuvor, Anfang 2024, wurde der CO2-Preis von 30 auf 45 Euro pro Tonne CO2 erhöht. Das waren, als Reaktion auf das Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, fünf Euro mehr als zuvor von der Bundesregierung angekündigt. Die Bepreisung des Treibhausgases CO2 gilt bei zahlreichen Ökonom*innen als besonders effektives Instrument im Kampf gegen die Erderhitzung, insbesondere, wenn sich die Preise am Markt bilden. Das soll im Europäischen Emissionshandelssystem ab 2027 auch für die Bereiche Verkehr und Wärme geschehen. Viele Expert*innen erwarten dann einen raschen Anstieg des CO2-Preises auf 200 Euro und mehr pro Tonne, weil das mit den internationalen Klimazielen vereinbare CO2-Budget entsprechend knapp ist. Dementsprechend dürften dann auch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung stark steigen, die bislang in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen. So prognostiziert das Umweltbundesamt für den Zeitraum von 2027 bis 2032 bei einem durchschnittlichen Preis von 200 Euro pro Tonne CO2 ein Aufkommen von insgesamt knapp 240 Milliarden Euro. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung war ursprünglich zur Entlastung die Auszahlung eines Klimageldes an die Bevölkerung vorgesehen. Allerdings könnte eine solche Auszahlung nun womöglich erst 2027, also in der nächsten Legislaturperiode, kommen.
Eine mangelnde soziale Flankierung berge „die Gefahr, dass die Umsetzung der Klimapolitik von großen Teilen der Bevölkerung als ungerecht empfunden wird und die gesellschaftliche Akzeptanz der CO2-Bepreisung schwindet“, warnen die IMK-Forschenden Behringer, Endres und Korsinnek. „Bereits 2023 verdeutlichte die politische Kontroverse um die Reform des Gebäudeenergiegesetzes, in Folge derer es zu einer deutlichen Abschwächung des Gesetzes kam, dass fehlendes Vertrauen in die soziale Ausgewogenheit politischer Maßnahmen zum Hindernis für die Klimapolitik werden kann.“ Weitere Indizien dafür sehen sie in den Befragungsdaten: Im Vergleich zu früheren Studien fällt die Akzeptanz der CO2-Bepreisung etwas geringer aus. Als Gründe dafür führen die Forschenden, neben methodischen Unterschieden, unter anderem den stärker als erwartet gestiegenen CO2-Preis an sowie die politischen Auseinandersetzungen um den Klimaschutz.
„Die Umfrageergebnisse unterstreichen erneut, dass die Dekarbonisierung alleine über eine CO2-Bepreisung aus sozialen und politischen Gründen nicht erfolgreich sein kann“, ordnet Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des IMK, die Ergebnisse ein. „Auch ein Klimageld ist kein Allheilmittel“, so Dullien. Vielmehr brauche man einen Instrumentenmix, der zusätzlich zum Klimageld beispielsweise auch öffentliche Investitionen unter anderem in öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie Wärmenetze enthält, um die finanziellen Belastungen insbesondere von Haushalten im ländlichen Raum in der Klimawende zu begrenzen.
Die Studienergebnisse im Detail:
Akzeptanz korreliert mit Einkommenshöhe und finanziellen Sorgen
In keiner Einkommensgruppe befürwortet eine Mehrheit der Befragten die aktuelle CO2-Bepreisung, gleichwohl zeigen sich deutliche Unterschiede: Unter den Befragten mit einem relativ hohen monatlichen Haushaltseinkommen von mehr als 4500 Euro netto finden immerhin 35 Prozent den CO2-Preis für den eigenen Haushalt „sehr akzeptabel“ oder „eher akzeptabel“, weitere 18 Prozent äußern sich unentschieden. Mit fallendem Einkommen sinkt die Zustimmung schrittweise weiter. In der Gruppe mit Haushaltsnettoeinkommen unter 2000 Euro monatlich akzeptieren lediglich 20 Prozent den CO2-Preis in seiner aktuellen Form, weitere 23 Prozent sind unentschieden (siehe Abbildung 5 in der pdf-Version; Link unten). Besonders verbreitet ist die vehemente Ablehnung unter Befragten mit niedrigeren Einkommen: 36 Prozent beurteilen sie als „sehr inakzeptabel“ für sich. „In der sinkenden Zustimmung zeigt sich die regressive Wirkung der CO2-Bepreisung“, schreiben die Forschenden dazu.
Ähnlich, und noch stärker ausgeprägt, ist der Zusammenhang zwischen geringer Akzeptanz und wirtschaftlichen Sorgen: Befragte, die sich Sorgen machen um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, um ihre persönliche finanzielle Situation oder um die Entwicklung der Lebenshaltungskosten, finden die CO2-Bepreisung weitaus seltener akzeptabel als Personen ohne wirtschaftliche Sorgen (Abbildung 6).
Am meisten Akzeptanz in Hamburg und Berlin, am wenigsten in den ostdeutschen Flächenländern
Der Zusammenhang zwischen Einkommen, wirtschaftlichen Sorgen und Akzeptanz spielt auch bei regionalen Unterschieden eine Rolle, die ein Vergleich der Bundesländer zeigt. Die Akzeptanz der CO2-Bepreisung ist in den ostdeutschen Flächenländern am niedrigsten, wo auch besonders viele Befragte wirtschaftliche Sorgen äußern (Abbildung 2). In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen geben jeweils rund 60 Prozent an, der CO2-Preis sei für sie nicht akzeptabel, in Sachsen-Anhalt liegt der Anteil sogar bei 70 Prozent. Nahe an den Werten der ostdeutschen Länder liegt das Saarland, ebenfalls eine Region mit wirtschaftlichen Problemen. Dort ist die Akzeptanz des CO2-Preises ebenfalls sehr niedrig, vehemente Ablehnung allerdings etwas seltener als im Osten.
Als weiteren Faktor für eine hohe Ablehnung identifizieren die IMK-Forschenden die Siedlungsstruktur, die in den östlichen Bundesländern stärker ländlich geprägt ist als im Westen. Auf dem Land leben mehr Menschen in älteren Eigenheimen mit größerem Sanierungsbedarf und sind stärker auf das Auto angewiesen, wohingegen Stadtbewohner*innen stärker von Umweltbelastungen betroffen sind, aber beispielsweise auch besser den öffentlichen Nahverkehr als Mobilitätsalternative nutzen können.
Ein gewisser Stadt-Land-Gegensatz dürfte auch dazu beitragen, dass Bayern trotz vergleichsweise hoher Einkommen im Landesdurchschnitt bei der Akzeptanz im unteren Mittelfeld liegt: Einerseits ist die Quote der Befragten, die den CO2-Preis für akzeptabel halten, mit rund 26 Prozent fast auf dem Niveau der übrigen westlichen Flächenländer. Andererseits ist der Anteil derer, die ihn „sehr inakzeptabel“ nennen, mit gut einem Drittel im West-Ländervergleich hoch. Ähnlich ist das Muster in Rheinland-Pfalz. Das Mittelfeld in Puncto Akzeptanz bilden Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und, mit etwas Abstand, Niedersachsen.
Dass Siedlungsstrukturen eine Rolle spielen, unterstreicht auch die vergleichsweise verbreitete Akzeptanz in Hamburg und Berlin. Die beiden Stadtstaaten führen die Bundesländerliste an. Bremen liegt zwar weiter hinten, allerdings ist in dem kleinen Stadtstaat die Zahl der Befragten gering. Möglichweise spielt hier auch das niedrige Einkommen vieler Haushalte eine größere Rolle.
Kurzfristige Kosten werden über-, mittelfristige unterschätzt
Auch je nachdem, wie gut sich die Befragten über das System der CO2-Bepreisung informiert fühlen, variiert die Akzeptanz. Sie reicht von 16 Prozent unter Personen, die sich gar nicht informiert fühlen bis zu 46 Prozent bei Menschen, die sich sehr gut informiert fühlen. Diese Gruppe ist aber sehr klein. Generell geben mehr als drei Viertel aller Befragten an, sie fühlten sich „weniger gut“ oder „gar nicht“ informiert (Siehe Abb. 7 und 5 in der Studie; Link unten).
Der geringe Informationsgrad spiegelt sich auch darin wider, dass die Menschen in Deutschland nach der IMK-Studie weder von der aktuellen noch von der künftigen finanziellen Belastung durch den CO2-Preis eine realistische Vorstellung haben. So schätzen die Befragten, dass ihnen durch den aktuellen Preis von 45 Euro im Jahr Kosten von 396 Euro entstehen. Die tatsächlichen durchschnittlichen Kosten pro Haushalt, die die IMK-Forschenden aus typisierten Verbrauchsmustern für Heizenergie und Kraftstoffe errechnen, liegen indes nicht einmal halb so hoch, bei 192 Euro. Dabei überschätzen Befragte aus den neuen Bundesländern die Belastung noch stärker als Befragte aus dem Westen.
Die zu erwartenden künftigen Kosten nach Einführung des Marktmechanismus werden dagegen deutlich unterschätzt. Bei einem durchschnittlichen Preis von 200 Euro pro Tonne CO2, den Expert*innen nach 2027 für realistisch halten, errechnen Behringer, Endres und Korsinnek reale Kosten von 853 Euro pro Jahr im Haushaltsdurchschnitt. Die Befragten erwarten hingegen 564 Euro. Auch hier rechnen Menschen aus Ostdeutschland mit höheren Kosten, weshalb sie bei der mittelfristigen Entwicklung näher an der realistischen Belastung liegen als Westdeutsche (Abbildung 6 in der Studie).
Präferenzen für den Ausgleichsmechanismus
Im letzten Teil der Befragung konnten die Befragten angeben, wofür die Einnahmen aus dem CO2-Preis ihrer Meinung nach ausgegeben werden sollten. Dabei hatten sie die Möglichkeit, 100 Prozentpunkte auf eine oder mehrere von sieben Kategorien aufzuteilen. Zur Auswahl standen unterschiedliche Modelle von direkten Rückzahlungen an die Privathaushalte, eine Senkung der Einkommensteuer, mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (z.B. ÖPNV, Schiene, Fernwärmenetz, E-Ladeinfrastruktur), Förderung von privaten Investitionen (z.B. Kaufprämie für Elektrofahrzeuge und energetische Gebäudesanierung) und die Förderung der Industrie zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
Im Mittel aller Antworten sollen knapp zwei Drittel der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bevölkerung rückerstattet werden (Abb. 3 im Anhang). Knapp die Hälfte des Gesamtvolumens wollen die Befragten dabei über direkte Rückzahlungen an die Haushalte verteilen: Rund 22 Prozent der Einnahmen sollen über einen einheitlichen Pro-Kopf-Betrag an die gesamte Bevölkerung gezahlt werden. Mit rund 17 Prozent der Einnahmen sollen zudem gezielt einkommensschwache Haushalte entlastet werden und weitere acht Prozent sollen an Haushalte fließen, die besonders stark von der CO2-Bepreisung betroffen sind. Für eine indirekte Rückzahlung über eine Senkung der Einkommensteuer sollen rund 16 Prozent der Mittel verwendet werden. Dass ein großer Teil der Einnahmen an die Haushalte zurückerstattet werden soll, ist Konsens bei den Befragten. Je nach politischer Einstellung, die auf Basis von Wahlpräferenzen gemessen wurde, gibt es aber die oben bereits beschriebenen Unterschiede bei der Gewichtung.
Zudem sprachen sich die Befragten im Mittel dafür aus, einen Teil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung insbesondere zur Finanzierung öffentlicher Klimaschutzinvestitionen einzusetzen. Demnach sollen rund 18 Prozent der Einnahmen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur ausgegeben werden. Für die Förderung von privaten Investitionen sowie Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (z.B. Strompreiskompensation) sollen nach dem Willen der Befragten jeweils knapp zehn Prozent der Einnahmen eingesetzt werden.