Die Deutsche Bundesbank feiert Anfang August d. J. ihr 60-jähriges Jubiläum! Das Motto: Seit 1957 sorgt die Notenbank für stabiles Geld in Deutschland und Europa.

www.geldanlagen-nachrichten.de liefert in den kommenden Monaten eine ausgedehnte Serie zum Thema deutsches Geld und Geldpolitik von der Nachkriegszeit über die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark 1948 bis zum Euro von Heute.

Von Christoph Wehnelt

 

Nr. 14

  Drama der europäischen Geldpolitik II

Der Nachschlag:

Geldpolitische Souveränität zurückgewonnen

 

 

Kommentar zum Zinssenkungsbeschluss des Zentralbankrates am 14. September 1992 in der Sendung „Wirtschaft aktuell“ des HR 1 – Nach Bandaufnahme

Das währungspolitisch höchst turbulente Wochenende hat folgendes hervorbracht: Zinssenkungen am kurzen und am langen Ende. Zumindest wird der Lombardsatz von 9,75 Prozent auf 9,50 Prozent reduziert und der Diskontsatz von 8,75 Prozent auf 8,25 Prozent heruntergeschraubt. Das ganze gilt vom 15. September an. Dabei kommt der Lombardsatz-Absenkung die größere Bedeutung zu, obwohl sie nur – ganz offiziell – um 0,25 Prozent ausgefallen ist. Damit das kurzfristige Geld auf den Geldmärkten aber etwas stärker verbilligt wird, wird die Bundesbank ein zinsgünstiges Wertpapierpensionsgeschäft als so genannten Mengentender anbieten zu einem Festzinssatz von 9,2 Prozent. Damit werden die Geldmarktzinsen insgesamt von 9,75 Prozent auf 9,2 Prozent herunter geschleust, zumindest für’s erste.

 

Tatsächlich hat die Bundesbank die Obergrenze für den kurzen Geldzins mit dem Lombardsatz auf 9,50 Prozent festgeschrieben. Wenn also die Märkte den billigen Mengentender von 9,2 Prozent einfach unreflektiert verdauen und danach zur Tagesordnung übergehen mit möglicherweise einer steigenden Zinstendenz, werden sie sehr schnell wieder am Lombardsatz angelangt sein.

 

Genau an diesem Punkt wird dann die Bundesbank ihre uneingeschränkte geldpolitische Souveränität wieder zurück gewonnen haben. Die halbprozentige Absenkung des Diskontsatzes hat zunächst keine große Bedeutung für die Kreditmärkte. Sie putzt aber das Zinsangebot für das europäische Fenster etwas mit heraus. Eben habe ich schon das Thema geldpolitische Souveränität angesprochen. Es ist unübersehbar, dass derzeit auf der Währungsbühne ein Drama der Geldpolitiker aufgeführt wird.

 

Dabei ist seit langem klar, dass die europäischen Nachbarstaaten kaum etwas Anderes im Sinn haben, als der Bundesbank die Geldsouveränität mit allen Mitteln abzuringen, sie möglichst schachmatt zu setzen, ihr zumindest die Vorherrschaft in der europäischen Geldwirtschaft zu nehmen. Die größte Volkswirtschaft hat in langen Jahrzehnten die tragfähigste Währung aufgebaut, und mit der Zeit kam es zu einem europäischen Zuordnungssystem der Währungen – EWS genannt, in dem die Deutsche Mark die Nr.1 wurde, und alles Übrige läuft unter „ferner liefen“. Neben Dollar und Yen ist die D-Mark jetzt international die einzige ernst zu nehmende Währung. Wenn der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank zusammentritt und sich an seinen langen, ovalen Tisch setzt, stehen bildlich gesprochen elf Katzentische daneben und zwar die der Direktorien der Notenbanken der übrigen elf EG-Mitglieder, und irgendwo in einer fernen Ecke hat selbst das amerikanische Notenbanksystem Fed noch ein Stehpult.

 

Schon vor einer Woche hat sich in England ein Aufstand abgezeichnet, ein Aufstand jener, die sich von der Deutschen Bundesbank bevormundet fühlen und zu sehr unter den von den Deutschen auch für Europa diktierten hohen Zinsen leiden.

 

Am Wochenende brach die Krise vollends auf. Die währungspolitischen Zuchtmeister für ein stabiles Geld in Deutschland wurden nicht nur überstimmt, sondern gezwungen, diese heutige Zinssenkung durchzuführen. Die Bundesbank hat in ihrer Geldsouveränität  Schaden genommen. Bonn hat Frankfurt im Stich gelassen. Es ist noch offen, welche Konsequenzen langfristig daraus zu ziehen sein werden. Aber auch die Deutschen konnten bei dem europäischen Schlagabtausch den EWS-Freunden Blessuren zu fügen, an der jene noch lange herumlaborieren werden. Deutschland hat den EWS-Mitgliedern eine Neuanpassung der Wechselkurse abgetrotzt und damit nachhaltig bewiesen, dass wir uns noch nicht in einem Festkurssystem befinden, wie es Maastricht vorsieht. Dieses Realignment ist für die Politik der Bundesbank von unschätzbarem Wert. Bedauerlich nur, dass das Realignment allein in Bezug auf die Lira erfolgte und nicht auch Peseten, Escudos und Pfund mit einschloss.

 

Insofern bleibt Sprengkraft im Europäischen Währungssystem, die auch irgendwann verpufft. Beide Seiten, Deutschland wie der Rest Europas, haben am vergangenen Wochenende in der Schlacht ums Geld hohe Verluste erlitten. Es könnte sein, dass Deutschland für sich die größeren Vorteile sichern konnte: Denn es war immer erklärte Ansicht und Strategie des Zentralbankrates und auch Bonns, dass noch längst nicht alles auf die Europäische Währungsunion hin fest zementiert ist, dass alles im Fluss ist und im Fluss bleiben muss. Das haben die Deutschen jetzt vorexerzieren können. Nicht schlecht, aber es tat weh.

 

Götterdämmerung

 

Die Bundesbank ist in Bedrängnis geraten. Für die Olympier des deutschen Geldes könnte sogar schon die Götterdämmerung angebrochen sein, meinen nicht wenige Beobachter. So hatte kürzlich Finanzminister Waigel eine Zinssenkung angekündigt und desavouierte damit die nach Gesetz und Verfassungsintentionen unabhängige Zentralbank.

 

Schon vorher hatte der französische Staatspräsident die künftigen Heroen der Europäischen Zentralbank zu währungstechnischen Erfüllungsgehilfen degradiert und damit durchaus auch die Bundesbanker gemeint, die zumindest dahin gebracht werden müssten. Die Peinlichkeiten hatten ihre Fortsetzung in der jüngsten Pressekonferenz, als Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger nach Aufforderung britischer Fernsehleute, seine Erklärungen in englischer Sprache fürs britische Publikum wiederholte.  Ein ähnliches Verlangen hatte Präsident Karl Klasen ebenfalls auf einer Pressekonferenz in der Bundesbank glattweg abgelehnt. Regierungen sollten im eigenen Land bei offiziellen Anlässen die eigene Sprache sprechen, auch eine Geldregierung.

 

Sind wir jetzt mit unseren Währungshütern am Ende?  Hat Deutschland endgültig den Kampf um eine vernünftige europäische Geldpolitik verloren? Ist die Wacht am Main nicht mehr Turm in der Schlacht um die stabile D-Mark und eine unabhängige Euro-Zentralbank? Durchaus nicht. Die Bundesbank sieht derzeit zwar nicht überall glänzend aus, aber sie hat abermals ihre langfristige, auf Stabilität ausgerichtete Geldpolitik auf einen für das europäische Währungssystem strategischen Punkt gebracht. Sie hat mit dem Zinsköder im Zusammenhang mit der Lira-Abwertung eine Bresche in den Wust des EWS geschlagen und damit dafür gesorgt, dass die Stunde der Wahrheit kommen konnte.

 

Jahrelang haben die meisten EWS-Mitglieder die Notwendigkeit von Neuanpassungen der Währungen einfach geleugnet und sich als Ersatz den Popanz ECU aufgebaut. ECU war die Lüge der Währungsleute im Westen, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, dass es in Europa um die D-Mark geht und dies aus vielen Gründen. Die Bundesbank hat immer davor gewarnt, sich jetzt schon allzu bequem auf die Europäische Währungsunion einzurichten. Neuanpassungen, sogenannte Realignments müssten noch solange sein, wie es unterschiedliche Trends in den Volkswirtschaften gebe, zum Ausgleich unterschiedlicher Inflationsraten.

 

In Finnland nahm der Abwertungslauf jetzt seinen Anfang, dann folgte Schweden. Es wehrt sich zurzeit mit extrem hohen Zinsen von 75 Prozent gegen die Spekulation. Der große Paukenschlag war die Lira (Abwertung 3,5 Prozent). Es wird ein noch größerer mit dem Briten-Pfund folgen und Peseta wie Escudo dürften hinterher kleckern. Das ist kein Chaos, sondern das ganze Gegenteil davon. Nach der Aktion herrschen nur wenig realistischere Wechselkurse und man kann für den Aufbau einer Europäischen Währungsunion voll durchatmen.

 

Das verflixte 14. Realignment

 

Es kam so, wie es kommen musste. Nur engstirnige Politiker, eifersüchtige Europäer, währungspolitische Gesundbeter und einfältige Geldhändler konnten glauben, dass das gegenwärtige EWS so ganz unbeschadet in den Geldfrieden von Maastricht hinüber segeln würde. Das EWS, von Kanzler Helmut Schmidt und dem damaligen französischen Präsidenten Giscard d’Estaign so jovial und europafreundlich entworfen, hatte von Anfang an einen Fehler nämlich, dass in freien Märkten bei unterschiedlich sich entfaltenden Volkswirtschaften und divergierenden Teuerungsraten ausschließlich die Wechselkurse festgeschrieben wurden. Die Deutschen hatten da immer Vorbehalte, dennoch bewährte sich das EWS mit gelegentlichen Interventionen erstaunlicherweise recht gut. Die europäischen Staaten haben daraus viele Vorteile über lange Zeiträume gezogen, dass streckenweise die Wechselkurse friedlich im Gänsemarsch parallel laufen konnten, manchmal mit einem kleinen Wackelgang in den festgelegten Bandbreiten von wenigen Prozentpunkten.

 

Die Probleme entstanden erst dann, als einzelne Staaten, mal Frankreich, mal Italien, mal Belgien oder England, mal alle zusammen außer Tritt gerieten, mit ihren Nachbarn nicht mehr mithalten konnten, sich aber aus irgendwelchen politischen Gründen über Wochen und Monate, sogar Jahre einfach weigerten, die ökonomischen Realitäten anzuerkennen und eine Neufestsetzung der Wechselkurse aus Prestigegründen ablehnten.

 

So wurden in den vergangenen 13 Jahren die im  Verlauf notwendigen 12 Wechselkursanpassungen jedes Mal zu einer harten außenpolitischen Auseinandersetzung unter den Freunden in Europa. Schlimme Wortgefechte waren das Mindeste. Nach der 12. Wechselkursanpassung vor fünfeinhalb Jahren gefror das europäische Geldsystem. Es wurde nahezu einzementiert. Der Vertrag von Maastricht übergoss dann noch alles mit einer europäischen Zuckersoße, garniert mit der Parole: Noli me tangere! Einige Zeit glaubten viele Europäer an das Idyll. Dann schlug es allerdings 13 und nach dem Paukenschlag vom vergangenen Wochenende sofort 14, nämlich gestern, am 16. September (92).

Die 13. Kursanpassung war ein äußerst notwendiges aber vertracktes geldpolitisches Ränkespiel, das die Devisenmärkte angezettelt, die Finanzminister aber nur fehlerhaft abgewickelt haben.  Die Bundesbank ging mit der Brechstange ans System. Sie lockte mit einer Zinssenkung, zwang Italien mit Hilfe der anderen EG-Freunde zur Abwertung von 3,5 Prozent, ließ manchen Europäer kurze Zeit in der Sonne der Aufwertung schwelgen (alle anderen werteten um 3,5 Prozent auf), wohlwissend, dass der immer noch schiefe Turm des europäischen Währungsgebäudes dann zusammenklappen würde, wenn sich die Spekulation nicht nur auf Italien sondern flugs auch auf die anderen Schwachwährungen wie Pfund Sterling und Peseta stürzt. Das aber war gestern und heute zu erleben gewesen. Etwas nachgeholfen hat ein Interview Schlesingers, in dem er ausführte, dass die Probleme noch nicht endgültig gelöst seien. Da hatte er wohl Recht. Damit siegte zwar die Ökonomie über die Politik aber London steht Kopf. Nach riesigen Reserveverlusten von mehr als 10 Milliarden Dollar an einem Tag allein bei der Old Lady erklärten England und  Italien den Austritt aus dem EWS.

 

Für die europäischen Nachbarn gibt es leider den schlechten Beigeschmack, dass Deutschland abermals Europa seine Stärke bewiesen und die Abwertungsländer Italien, Spanien und insbesondere England ins Abseits gedrückt hat, dass die Bundesbank gegen den Rest der Welt obsiegte. Fraglich, wie die Franzosen auf das Geldspektakel dieser Woche reagieren. Fraglich wie sie sich bei ihrem Maastricht-Referendum davon beeinflussen lassen? Zwar waren die Lira-Abwertung und die Zinssenkung der Bundesrepublik vom letzten Wochenende auch als Schützenhilfe für das Ja des französischen Bürgers zu Maastricht gedacht gewesen, doch könnte der heutige Peseten- und Pfund-Krach von den Franzosen auch als gleißende deutsche Machtpolitik missverstanden werden.

 

 

Kraniche, Tross und Hoheitszeichen

 

Zu den für mich großen Naturereignissen des Herbstes 1992 gehört die Entdeckung eines mächtigen Kranichzuges mit gewiss 200 und mehr Vögeln, die sich über Eschborn, direkt über unserem Haus am Ritterhof von mittlerer Höhe – 200 bis 300 m – in große Höhen über die heran ziehenden Kumuluswolken hinaus nach oben schraubten. In freier Wildbahn hatte ich noch niemals Kraniche gesehen. (Die Freude wurde doppelt als ich im folgenden Frühjahr gut drei Dutzend Tiere wieder in nördlicher Richtung fliegend erkannte.)

 

Nicht im Zeichen des Kranichs (Deutsche Lufthansa) sondern mit einer Regierungsmaschine flog ich zwischenzeitlich (Ende Sept.92) gen Westen. Das Bundesfinanzministerium hatte für seinen Minister einen Tross für die Weltwährungstagung in Washington zusammengestellt, einen Tross bestehend aus hohen Beamten, einigen Bundestagsabgeordneten, anderen Politikern und zwei Dutzend Journalisten. So konnte ich mit der Luftwaffe in einer mit Hoheitszeichen dekorierten (allerdings schon sehr betagten) Boeing 707 in Begleitung von Theo Waigel nach Amerikas Hauptstadt fliegen. Es war noch ein Finanzminister dabei, nämlich Edgar Meister aus Mainz als Emissär des Bundesrates.

 

Der Flug ging ab vom Köln-Bonner Flughafen Wahn – militärischer Teil. Bescheidenste Abfertigungsbaracke, bescheidener Flieger, ganz gutes Essen. Sich meist schlecht benehmende Kollegen, die rauchend, furzend und quasselnd die acht Flugstunden totschlugen, waren die überwiegend unschönen Begleiterscheinungen des Transfers zum IWF. Der staatstragende Blick auf die Tragflächen mit dem Militär- Kreuz und die Anwesenheit der Minister machten vieles wieder wett. Waigel verließ auch mal sein Separee, um mit uns zu diskutieren über Wechselkurse, Zinsen und Quotenerhöhung (Kapitalerhöhung) beim Internationalen Währungsfonds.

 

Der im Ganzen nicht schlechte Service der Luftwaffen-Mannschaft war nicht so gut, dass mein Gepäck vor mir, zumindest gleichzeitig mit mir im Hotel Washington Hilton angekommen wäre. In Schlamperkleidung ohne Krawatte, mit offenen Klocks an den Füßen schrieb ich mich ins Hotel ein. So hatte ich wenigstens den elektronischen Türschlüssel und konnte mein Zimmer (ohne alles) beziehen. Nicht verzichten wollte ich auf die abendliche Kreuzfahrt mit dem Mississippi-Dampfer „Cherry Blossom“ auf dem Potomac. Die traditionelle Einladung der Commerzbank. Hops in den Zubringerbus und hops aufs Schiff an der Anlegestelle bei der Torpedo-Fabrik in Alexandria. Herrliche Garnelen wurden aufgetischt und guter kalifornischer Wein. Nach meiner inneren Uhr wurde es langsam drei Uhr nachts. Die Müdigkeit übermannte mich und ich pennte auf dem Oberdeck.

 

  1. Reich mit Raketenpanzern

 

Die Bundesbank und ihre Helden werden mehr und mehr zu Sündenböcken abgestempelt, mitschuldig an der schlaffen Konjunktur in Deutschland, verantwortlich für die Währungskrise in Europa. Dabei machen die Notenbanker in Frankfurt nichts anderes als Dienst nach Vorschrift: Stabilitätspolitik im Sinne des Bundesbankgesetzes. Das ist auch im Sinne des Maastricht-Vertrages, der eine Stabilitätsgemeinschaft vorsieht. Und daraus resultiert der ganze Schlamassel. Bedeutung gewinnt der Dienst nach Vorschrift durch die Kraft der deutschen Volkswirtschaft, die die Bundesbank mit ihrer jahrzehntelangen Stabilitätspolitik mit aufgepäppelt und durch die Wiedervereinigung und dem damit verbundenen angeblichen oder tatsächlichen Machtzuwachs für das gesamte Land, das nun schon wiederholt mit der Bezeichnung 4. Reich diffamiert wurde.

 

Wenn alle diese Ingredienzien zusammengeschüttet und durchgerührt werden, entsteht unter der Lupe der deutschen Gewerkschaften ein Bild der Bundesbank als Konjunktur fressendes Ungeheuer. Im Zerrspiegel der britischen Presse rollt da ein geldpolitischer Raketenpanzer an, der mit seinen Währungs- und ZinsKanonaden Europa unterdrückt, ganz im Sinner deutscher Machtpolitik der 30er und 40er Jahre. Die Briten beherrschen dieses Thema ganz exzellent und wollen damit von den offensichtlichen Defiziten ihrer eigenen Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Industriepolitik ablenken. Sie begreifen sich als Zielscheibe der Bundesbank-Strategie, die es nun geschafft habe. Das Pfund Sterling aus dem Währungsverbund heraus zu schießen, ebenso wie die Lira. In hohem Maße handelt es sich hier aber um Phantasieprodukte.

 

Die Probleme mit dem Pfund Sterling sind einzig und allein hausgemacht. Das begann schon mit dem zu hohen Einstiegskurs fürs Pfund ins EWS vor zwei Jahren und reicht bis zur miserablen Produktivität der britischen Industrie, die die Währungs mit herunterriss. Im Falle der Lira geht es um die Jahrzehntelange Misswirtschaft in Italien, die abermals zur Abwertung zwang. Dazu kommen Eifersüchteleien, die Deutschen hätten den Franzosen bei der Stützung des Franc mehr geholfen als den Briten beim Pfund. Alles Nonsens, obwohl in den Entscheidgungen der Bundesbank die Befriedigung des französischen Prestigedenkens sicherlich Vorrang hat vor dem imperialen Auftreten der Briten.

 

Das EWS, das kürzlich gesprengt wurde, kann nur funktionieren, wenn – wie im Vertrag vorgesehen, regelmäßige Kursanpassungen der Währungen erfolgen, so sie notwendig sind. Das haben die Europäer dem Währungsclub verweigert. Die Deutschen hatten die Last zu tragen, bis der Devisenstrom unerträglich wurde und die Bundesbank mit der Brechstange ran ging.

 

Das Management einer Weltwährung wie der D-Mark hat seine eigenen Gesetze und als Basis das Bundesbank-Gesetz und die vielen internationalen Abmachungen, so sie nicht von anderen gestört werden oder nicht bindend sind. Das verteufelte an der Stabilitätspolitik ist, dass sie das Beste meint, das Optimale erreicht und doch von immer mehr Leuten verabscheut wird. (Übrigens auch ein Trend in der Gesellschaft, die sich immer weniger am Riehmen reißen will.)

 

Heute (2.10.92) hat der Zentralbankrat auf seiner Sitzung in Schwerin die Chance, sich unbeliebter zu machen, nämlich wenn er keine Zinssenkung beschließt. Beschließt er niedrigere Zinsen, wird er tragischerweise auch nicht beliebter. Diese Tragik macht ihn jedoch frei: Er tut das, was er für das Beste hält, für Deutschland und Europa.

 

Schlüsselfigur Hans Tietmeyer

Die verbriefte Unabhängigkeit der Bundesbank ist eine Sache, die Achtung der Regierenden vor dieser Unabhängigkeit eine andere. Gut, wenn beides zusammenfallt, noch besser, wenn darüber hinaus ein freundliches Einvernehmen der Bundesbankspitze und der Bonner Regierung gibt, keinen Filz, sondern ein Ein vernehmen über die großen politischen Linien. Nur so können die gegenwärtigen politischen Schwierigkeiten innerhalb Europas im Zusammenhnag mit den Maastrichter Verträgen und dem EWS gemeistert werden.

 

Schlüsselfigur für die politisch angemessene und notwendige Kooperation von Regierung und Nationalbank ist Bundesbank-Vize, Hans Tietmeyer, und zwar deshalb, weil Tietmeyer der Vertraute von Kanzler Kohl ist – aus früheren Zeiten, als er noch Finanzstaatssekretär in Bonn und Sherpa für Kohl war, und aus den Zeiten der deutschen Wirtschafts- und Währungsunion, die Tietmeyer für den Kanzler vertraglich entworfen und zusammengefasst hat. Tietmeyer tritt immer wieder öffentlich auf. Er redet gut, manchmal charmant, immer inhaltsreich, vielfach aus dem Nähkästchen eines seit Anfang 1990 existierenden „Fliegenden Währungskabinetts“, dem neben dem Kanzler, Finanzminister Theo Waigel, Finanzstaatssekretär Horst Köhler und eben Tietmeyer angehören. Er sprach in Gravenbruch bei Frankfurt (5.10.).

 

Sicherlich gibt er bei diesen Gelegenheiten nicht alle Tricks preis, die er mit Kohl, Waigel und Köhler bespricht, aber das Grundgerüst ist dasselbe. Besondere Bedeutung hat das Kanzler-Briefing Tietmeyers gerade in diesen Tagen der Vorbereitung auf den Sondergipfel der EG-Regierungschefs in Birmingham. Der Birmingham-Gipfel soll nach dem Dänemark-Nein und dem knappen „Ja“ der Franzosen zu Maastricht sowie den Turbulenzen im EWS Europa wieder vom Kopf auf die Beine stellen. In der britischen Industriestadt wollen die Europa-Chefs wieder sicheren Boden unter die Füße bekommen.Da wird es aber auch nicht ohne Hinterhalt, Finten und Tricks abgehen.

 

Die Spanier rücken dort z. B. mit ganz neuen Vorstellungen über das Europäische Währungssystem an. Auch Briten Brüsseler Behörden haben so etwas im Gepäck. Stichworte dafür sind „flexiblere Bankbreiten“ für die Währungen im EWS-Kursrahmen und ein gemeinsamer „Währungspool“. Der spanische Wirtschaftsminister Carlos Solchaga schlägt dreierlei Maßnahmen vor, um das „Vertrauen in den EWS-Wechselkursmechanismus wieder herzustellen“.

 

Erstens: Eine Überprüfung des bestehenden Leitkurssystems.

Zweitens: Eine Zusammenlegung von Zentralbankreserven, die gemeinsam verwaltet werden, zur Verteidigung der EWS-Paritäten.

Drittens: Eine allgemeine Vereinbarung über Zinssenkungen in Europa.

 

Käme Spanien damit durch, hätten die europäischen Nachbarn einen perfekten Coup gegen die Bundesrepublik gelandet. Aus deutschen Währungsreserven würden die Defizite aus den Währungsturbulenzen der anderen bezahlt. Die Bundesbank wird dann auch noch zur Zinssenkung zitiert und das EWS-Leitkurssystem insgesamt umgebaut, so dass alle Länder kräftig mitregieren können, nur die Bundesbank nichts mehr zu sagen hat. Das wäre insgesamt noch viel schlimmer als die krasseste Auslegung der Maastrichter-Verträge für die Zeit nach 1999.

 

Hans Tietmeyer hat in Gravenbruch klar gestellt, dass aus alledem nichts wird. Das reinigende Gewitter des Währungskrachs könnte nur zum Ergebnis haben, dass endlich die EWS-Statuten wieder richtig angewendet werden, meinte er. Außerdem würde in Birmingham am EWS nicht geändert, weil die EG-Finanzminister nicht dabei seien. Drittes basiert ein Großteil der EWS-Abmachungen auaf Verträgen unter den Notenbanken. Tietmeyer mahnte auch die in Maastricht vereinbarte Unabhängigkeit der anderen europäischen Zentralbanken an, zum Beispiel in Frankreich. Nur auf dieser Basis könnte eine unabhängige Europäische Zentralbank errichtet werden.

 

 

Krieg der Worte: Zwischen V2-Rakete und Pfundkurs

 

Birmingham bedeutete für die deutsche Delegation ein heißes Pflaster, denn Großbritannien befindet sich mit Deutschland seit einiger Zeit im Krieg, den die britischen Massenmedien vom Zaun gebrochen haben. Beim Besuch der britischen Königin in Dresden flogen Eier (mindestens zwei), wenige skandierten „niemals vergessen“ und meinten damit das britische Bombardement auf Dresden 1945. Richtig betrachtet gehörten diese Szenen zu den Rückzugsgefechten. Der Waffenstillstand war bereits manifestiert durch eine tiefe Verbeugung des Bundesbankpräsidenten, Porf. Dr. mult. Helmut Schlesinger. Denn die „Antwort auf die aktuelle Frage, ob das Ei zuerst gekommen sei oder der Bundesbankpräsident ist im britischen Fernsehen und in den Zeitungen des Landes jetzt unwiderlegbar dokumentiert: Schlesinger war zu erst da.“

 

FAZ-Korrespondent Bernhard Heimrich kabelte weiter aus London, der Hauptstadt des perfiden Albions: „Alle haben das Bild gesehen, jenen tiefen Diener, den man von den im Umgang mit Königlichen Hoheiten der Insel ungeübten Bewohnern des Kontinents erwarten durfte. Im Inselreich bleibt der Mann, vor allem der Edelmann, selbst im Angesicht des Monarchen stehen, als hätte er einen preußischen Ladestock verschluckt, und beugt nur einmal nachdrücklich den Kopf; von Weitem sieht es eigentlich nur aus wie ein Nicken. Alle haben das Bild gesehen, mehrmals im Fernsehen und erst recht in den bunten Zeitungen mit ihrer Triumphierenden Begleitmelodie. Allein das Foto von diesem Diener macht den dritten Staatsbesuch Elisabeths zu einem Erfolg. Es wischt für einen Augenblick die Erfahrungen der Demütigung durch die „Bundesbank“ weg.“

 

Um die journalistische Ausgewogenheit nicht mit Füßen zu treten, bemüht sich der Chronist nun unter Verwendung des Fachblättchens MedienKritik (26.10.92) alle Seiten zu Wort kommen zu lassen. Der Tatbestand als solcher ist längst klar: Die Briten haben durch geldpolitische Hybris mit dem folgenden Austritt aus dem EWS

den Pfundkurs in den Keller gefahren. Nun aber hat der Medienkritiker KF das Wort:

Britische Medien – Antideutsche Kommentare lagen unter der Gürtellinie.

 

Stark gestört war das deutsch-britische Verhältnis, als Königin Elisabeth II. vor einigen Tagen Deutschland besuchte. Ausglöst wurde der ‚war of words’ (so Premier John Major) durch den Einsturz des Wechselkurses des britischen Pfund Sterling vor allem gegenüber der D-Mark nach dem Pfund-Ausstieg aus dem EWS. Nicht zuletzt die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank machte die Briten, an der Spitze ihr Schatzkanzler Norman Lamont, dafür verantwortlich. …….

 

Unzulässige Verknüpfung

 

Doch waren die Währungsturbulenzen nur der Auslöser; der ‚Krieg um Worte’ ging viel weiter als nur um wirtschaftliche Fragen, auf beiden Seiten behandelten die Medien das Thema ausführlich.

 

In GB hatte der EWS-Austritt dabei zu zahlreichen antideutschen Kommentaren, vor allem in der Massenpresse, geführt. So titelte beispielsweise der „Evening Standard“ am 28. September einen Leitartikel „V2s und das EWS“ und kommentierte: Nach einigen Berichten sind wir praktisch wieder im Krieg mit Deutschland. Unser Rückzug aus dem EWS, gefolgt von Deutschlands neuer Umarmung Frankreichs, beschwört ultimative Visionen – Wiederaufrüstung und Vaters Armee – Und danach ging es in diesem Leitartikel nur noch um die letztlich abgesagte Feier zum 50. Jahrestag der ersten V2-Rakete in Peenemünde ohne einen weiteren Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang zum EWS-Austritt. Und im „Observer“ hieß es, dass nach der abgesagten V2-Feier der „Bundesbankpräsident, Helmut Schlesinger, am letzten Mittwoch (hohe Devisenabflüsse aus England) seine eigene Rakete gegen Großbritannien abfeuerte“.

 

Aber auch andere Zeitungen wie „Financial Times“ oder „The Times“ berichteten über den Zusammenhang von V2 und EWS – ob mit der nötigen Distanz sei dahingestellt. So brachte die „Financial Times“ (29. Sept.) von David Marsh auf Seite 3 eine große Geschichte über die abgesagte V2-Feier: „Kritiker in Britannien – mit Belgien Ziel der meisten V2-Angriffe 1944/1945 – werfen ein, dass die Zeremonie unnötigerweise wieder Kriegserinnerungen weckte. Das öffentliche Interesse, das dem Gedenken entgegengebracht wurde, fügte sich zu dem deutsch-britischen Unwohlsein, das schon durch die Bitterkeit von Britanniens herabwürdigenden Ausstieg aus dem Wechselkursmechnismus vor zwei Wochen geschürt wurde. Britannien Regenbogenpresse hat der Geschichte über die geplante V2-Feier große Aufmerksamkeit in den letzten zwei Wochen geschenkt.“

 

Derselbe David March, Ressortleiter Europa der „Financial Times“, zog aber auch zweifelhafte Verbindungen zwischen der deutschen Vergangenheit und Gegenwart. Auch wenn seine Verbindungslinie zwischen Wehrmacht und Bundesbank nicht in direktem Zusammenhang mit V2 und EWS stand, so fiel ein indirekter Kontext auf. In der „Zeit“ (25. Sept.) schrieb Marsh über die Bundesbank – eine Essenz seines Buches „Die Bundesbank – Geschäfte mit der Macht“: Dreißig Jahre später lacht keiner mehr. Die Bundesbank hat die Wehrmacht als bekannteste und gefürchteste Institution Deutschlands abgelöst … Die Ratschläge der Bank finden enste und aufmerksame Zuhörer an den Tischen der Mächtigen, und ihr Arm reicht weit. Als Hüterin der D-Mark, diese beispielhaften Währung, die zum Symbol des deutschen Nachkriegsaufschwungs geworden ist, herrscht die Bundesbank über ein größeres Gebiet Europas als irgendein deutsches Reich der Geschichte.“

 

Auch „The Times“ nahm am 16. September die Bundesbank aufs Korn. Auf der ersten Seite kniete ein verzerrter Premier John Major mit Riesenkopf nieder, der auf die Dienste eines fürchterlich hässlichen Henkers wartete, der nicht nur ein übergroßes Beil in der Hand hielt, sondern auf dessen kräftigen, teutonischen Körper das Wort ‚Bundesbank’ stand. Die Botschaft dürfte eindeutig gewesen sein. Und unter dem Titel „Warum so scheußlich zu den Deutschen sein?“ kommentierte Bryan Appleyard (30. Sept.): „Wir brauchen Feinde, um uns zu überzeugen, dass wir noch leben. Wir brauchen Feinde, um zu tadeln, zu bestrafen oder um uns etwas zu tun zu geben ……. Norman Lamont braucht die Bundesbank.“

 

Ein letztes Beispiel. Im „Daily Telegraph“ (26.9.) von Robin Gedye wurde ebenfalls auf den Zusammenhang verwiesen: „Aber es gibt eine allgemeine Verlegenheit darüber, dass die Feier zum 50. Geburtstag zeitlich zusammenfällt mit dem gegenwärtigen Austausch von verbalen Raketen zwischen deutschen und britischen Politikern über die Mitwirkung der Bundesbank an der aktuellen Währungskrise in der EG.“

 

Zeit-Schreiber Helmut Schmidt: Schaden durch Gedankenlosigkeit

Altkanzler und „Zeit“-Herausgeber Helmut Schmidt hatten den „schroffen Klimasturz“ zum Anlass genommen, gleichzeitig in der „Zeit“ (9. Okt.) und der „Financial Times“ (9. Okt.) zu kommentieren. Schmidt kritisierte in beiden Zeitungen die Medien (hier aus der FT). „Es ist an der Zeit, dass die britische Regierung und die Bank von England – genauso wie die Zeitungen in beiden Ländern – des politischen Schadens gewahr werden, der sich aus Gedankenlosigkeit auf beiden Seiten ergeben hat.“ Analysiere man die „britische Gedankenlosigkeit“, so vermengten vor allem die Massenmedien zwei Dinge: die deutsche Vergangenheit und die aktuelle Währungspolitik. Schmidt ermahnte aber auch in beiden Zeitungen die Deutsche Bundesbank zu mehr Fingerspitzengefühl: „Währungspolitik ist immer zugleich Außenpolitik.“

 

Neben allen Gereiztheiten – auf beiden Seiten des Kanals übrigens – darf man die Vermengung von deutsche Vergangenheit und Gegenwart nicht unterschätzen, denn dass die V2-Feier in keinem Zusammenhang mit der EWS-Krise steht, steht wohl außer Frage. In der FAZ (14. Okt) versuchte aber Bundesaußenminister Klauskinkel die Wogen wieder zu glätten und „die Ausbrüche der britischen Presse nicht überzubewerten“. Man solle „die antideutsche ‚Eruption’ in der britischen Massenpresse nicht zu wichtig nehmen“.

 

 

  1. Oktober 1992 aus der Sicht des Peenemünder Museums

 

Seit Herbst 1991 liefen – allerdings im begrenzten lokalen Rahmen Peenemündes – Planungen zum 50. Jahrestag des ersten Starts einer Rakete in den Weltraum. Hieran sollte am 3. Oktober im Peenemünder Museum gedacht werden, das in den ersten anderthalb Jahren seines Bestehens 240.000 Besucher verbuchte. Im Frühjahr 1992 übernahmen die Bundesregierung sowie die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie gemeinsam die Federführung der Planungen. Ein nicht zu unterschätzendes Motiv  für diese Feier waren Marketing- und Werbeaspekte der beteiligten Industriezweige.

 

Proteste vor allem aus dem englischsprachigen Raum kamen bereits im Sommer 1992 auf. Sie bemängelten, dass das Objekt der Feierlichkeiten, das Aggregat 4 (V 2), als Waffe konzipiert worden war und durch seinen Einsatz und Produktion tausende Menschen starben. Dieser Gesichtpunkt – so die Kritik – werde in der Veranstaltungsplanung nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Nachdem diese eher verhaltenen Proteste von den Verantwortlichen ignoriert wurden, eskalierte der international ausgetragene Streit. Die Feier wurde Ende September 1992 abgesagt. In diesem Zusammenhang trat der für die Luft- und Raumfahrt verantwortliche Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Erich Riedl, zurück.

 

Bemerkenswert ist, dass es ein Dokument aus dem Jahre 1971 gibt, einen Brief Wernher v. Brauns an ein Mitglied der „Interessengemeinschaft Ehemaliger Peenemünder“, in dem er den schon damals aufgetauchten Vorschlag, anlässlich des 30. Jahrestages 1972 eine Gedenkfeier zu veranstalten, recht scharf zurück weist: „…dass ich die Idee einer Feier des 30. Jahrestages des ersten Starts der V2 als Sonderveranstaltung der ‚Ehemaligen Peenemünder’ nicht fuer eine gute Loesung halte. Angesichts der militaerischen und politischen Verknuepfung der damaligen Entwicklung koennte eine solche Feier in der Oeffentlichkeit und bei den Massenmedien sehr schnell eine unangenehme Reaktion ausloesen. Ich glaube, dies aus meiner eigenen Erfahrung besser beurteilen zu koennen.“

 

 

 

 

Europa den Europäern

Der französische Publizist Gerard Mermet hat ein hochinteressantes Europa-Nachschlagewerk zusammengestellt, in dem er sich jedoch einen fast unverzeihlichen Fehler leistet. Er schreibt nichts über Währungen und Geld. In seinem Buch: Die Europäer – Länder, Leute, Leidenschaften vergisst er die Leidenschaft der Geldpolitik, die gerade in den letzten Jahren zu den hitzigsten Auseinandersetzungen geführt hat. Dennoch gibt das dtv-Sachbuch nützliche Hinweise auf die Entwicklung des Alten Kontinents, auf die bunte Völkerfamilie zwischen Mittelmeer und Arktis.

 

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Vatikanstaat die relativ größte Armee in Europa unterhält – mehr als zehn Prozent der Staatsbürger stehen dort unter Waffen. Oder: Weltmeister im Teetrinken sind nicht Briten sonden die Iren. Dafür haben es die Deutschen mit Bier und Würstchen. Die Franzosen aber schlucken am meisten Alkohol und konsumieren dabei die größte Vielfalt von Käsesorten. ( De Gaulle soll einmal gesagt haben: Ein Volk, das 350 Käsesorten herstellt, kann nicht regiert werden.)

 

Vier Jahrhunderte nach Kopernikus und Galilei glauben immerhin noch zwölf Prozent der Europäer – also sund 40 Millionen Menschen, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Und dies obwohl der Papst vor wenigen Tagen diesen Aberglauben ganz offiziell aus der Welt geschafft hat. Europa hat immer noch viel mit Glauben zu tun.

Das avisierte politische Gebilde, die Europäische Union, flößt heute kaum jemandem noch Hoffnung ein, weil niemand mit Liebe dahinter steht.

 

Europa den Europäern könnte der Schlachtruf heißen, leider gibt es zu wenige davon. Sicherlich: Die Iren haben sich per Votum für Europa entschieden, ebenso die Franzosen, wenn auch knapp. Die Dänen waren dagegen. Und der britische Premier, John Major, gibt sich derzeit alle Mühe, das Vertragwerk durch’s Unterhaus zu pauken. Kurz vorher hatte Major allerdings den EG-Vizepräsidenten, Martin Bangemann, gemßregelt, der gesagt hatte, dass Maastricht den Durchbruch zu einem europäischen Bundesstaat darstelle. Töricht und falsch sei dies, meinte Major.

 

Abgesehen davon, dass sich die Briten eine Ausstiegsklausel haben reservieren lassen, interpretieren sie von vorneherein jene Verträge anders als die Deutschen. Die Franzosen kochen ebenfalls ihre eigene Europa-Bouillabaisse. Niederländer und Italiener machen kaum anders. Vor dem EG-Gipfel in Edinburg, der Anfang Dezember noch einmal die Europa-Kräfte zusammenfassen soll, ist eine europäische Sprachverwirrung eingetreten. Der Turmbau von Maastricht kommt nicht weiter, erodiert sogar. Da festgit auch der darüber gegossene Lock des sogenannten Subsidiaritätsprinzip nicht mehr, worunter sowieso jeder etwas anderes versteht.

 

Bleibt das Europa-Geld, das doch alle wollen – ausgenommen die Deutschen. Die ausländischen Europäer wollen es, weil damit die deutsche Geldsouveränität gestürzt und die von der Bundesbank ausgehende sogenannte Zinsknechtschaft abgeschafft werden kann. Was das Euro-Geld angeht, hat jetzt Finanzminister Waigel einige wichtige Hinweise gegeben. Bis 1999 bleibt alles beim Alten. Mit Beginn der Endstufe der Währungsunion am 1. Januar 99 werde zunächst eine gemeinsame Währung mit einem festen Wechselkurs neben die nationalen Währungen treten. Bezogen auf die Zwölfer-Gemeinschaft gibt es dann zwölf nationale Währungen und als 13. eine gemeinsame Euro-Währung.

 

Dieser ECU-Euro-Franken – oder so ähnlich – wird in seinem Wert unverrückbar zu den anderen Währungen sein. Gleichzeitig haben die nationalen Währungen, D-Mark, Franc, Pfund etc. immer noch ein längeres eigenständiges Leben. „Vorausgesetzt, dass die Währungsunion überhaupt kommt“, muss hier der ehemalige Bundesbankpräsident Pöhl zitiert werden.

 

Wenn die Europäer weder einen Bundesstaat wollen, wie ihn Bangemann angedacht hat, noch einen D-Mark-Staat, wie er real existiert, wollen sie doch einen mit Kultur angereicherten Nachtwächterstaat nicht missen, hat Gerard Mermet herausgefunden. Wo lebt der Europäer mit höchstem Lustgewinn? Er arbeitet mit Maximalgehalt in Luxemburg, zahlt in Spanien die niedrigsten Steuern, wohnt des Klimas wegen in einem englischen Landhaus in Portugal und wählt in Erwartung der höchsten Lebenserwartung seinen Alterssitz in Frankreich.

 

Österreich ante portas

 

Wenn Frankfurt nicht schon eine so großartige Spitze im Direktorium der Bundesbank vorweisen könnte, sollte man sich bemühen, die Präsidentin der österreichischen Nationalbank als Managerin in der D-Mark-Geldpolitik anzuheuern. Maria Schaumayer hat feinen Witz, hohe sachkenntnis, große politische, finanztechnische und wirtschaftspolitische Erfahrung. Darüber hinaus ist sei eine glühende Verfechterin der europäischen Währungsintegration und freut sich außerdem, im Windschatten der D-Mark ihre hausgemachte Schilling-Geldpolitik treiben zu können.

 

Der Schilling hängt wie eine Klette an der D-Mark. Ein Blick auf die Wechselkursentwicklung der letzten 20 Jahre zeigt, so referierte Präsidentin Schaumayer in der Frankfurter Landeszentralbank, dass sich das Wertverhältnis zwischen dem Schilling und der D-Mark über diesen Zeitraum nur wenig, seit 1981 überhaupt nur minimal geändert hat. Musste der Österreicher 1981 im Durchschnitt für 100 Mark 704, 77 Schilling bezahlen, bekam er 1991 denselben Fremdwährungsbetrag für 703,77 Schilling – eine Differenz von kaum mehr als 0,15 Prozent und das zugunsten der österreichischen Währung.

 

Im Hause der Landeszentralbank in der Frankfurter Taunusanlage, wo in verschiednen Etagen die künstlerische Ausgestaltung dem Thema „Faust“ gewidmet ist, fallen der gebildeten Dame im Zusammenhang mit der Europäischen Währungseinheit – ECU – klare Parallelen zu Goethes Faust II ein, in dem von der Schaffung riesiger Mengen wertlosen Papiergeldes die Rede ist. Eine Bindung des Schilling an den seit 1979 bestehenden offiziellen ECU, eine Option, die der österreichischen Nationalbank EG-politisch wiederhold empfohlen wurde, hätte es der Wiener Institution weit weniger gut ermöglicht, den gesetzlichen Auftrag der Außenstabilität des Schilling zu erfüllen.

 

Seit 1979 hat der ECU, so Maria Schaumayer, gegenüber der D-Mark immerhin über 20 Prozent an Wert verloren. Außerdem wäre eine Bin dung des Schilling an die ECU weniger transparent. „Wer kennt denn wirklich die genaue Zusammensetzung des ECU-Korbes“, fragte die Gelddame? Auch die Absicherungsfunktion im Außenhandel könne nicht in demselben Ausmaß wie durch die D-Mark-Bindung erreicht werden, da – wenn überhaupt – nur ein minimaler Teil des österreichischen Außenhandels in ECU fakturiert wird. Dass die Alpenrepublik daneben den Status eines „Sonstigen Halters“ offizieller ECU innehat, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Maria Schaumayer wörtlich: „Es gab Zeiten, wo wir darauf schon stolzer waren.“

 

Die Nationalbankspräsidentin geißelte die Regelungswut der Brüsseler Behörden, die vor der Mindstgröße von Äpfeln und der Krümmung der Gurken nicht halt mache. So sehr man sonst in der EG den Marktkräften verpflichtet sei, habe man bei der Erstellung derartiger Normen wohl übersehen, dass nicht die Vorschrift sondern die Marktakzeptanz über Erfolg und Misserfolg eines Produktes entscheidet. „Nicht die Kommissare sondern die Konsumenten entscheiden über die Akzeptanz einer Ware“, betonte die streitbare Dame. Lauterer Wettbewerb und Ungefährlichkeit sollten daher als wesenhafte Kriterien für den Marktzugang genügen. Der Reest der Regelungen wäre Subsidiarität.

 

Damit in Europa nicht noch mehr schief gehe, forderte die Nationalbankspräsidentin die baldige Aufnahme Österreichs in die EG. Möglichst bald wolle die Alpenrepublik an der künftigen Ausgestaltung Europas, und zwar von innen heraus, mitwirken. Dies gilt besonders für die Wirtschafts- und Währungsunion und die Verfassung der Europäischen Zentralbank. Eine Teilnahme dieses zwar kleinen aber äußerst zuverlässigen Partners  dürfte durchaus auch im Sinne anderer, ebenfalls währungspolitischer Stabilität verpflichteter Staaten sein, meinte die Geldchefin. Ganz klar, dass Deutschland an der Mitarbeit dieses geldpolitisch so sicheren Kantonisten sehr interessiert ist.

 

 

Geldgilde mit europäischem Kulturbeitrag

 

 

Am 27. Oktober (92) bringt die Deutsche Bundesbank die letzten drei Banknoten der neuen Serie in Umlauf. Es sind dies die 5-Mark-,  500-Mark- und die 1000er Scheine. Sie tragen die Conterfeis der Schriftstellerin und Goethe-Korrespondentin (Briefwechsel mit einem Kinde) Bettina von Arnim – 5 Mark, der Malerin Maria Sybilla Merian (Reise nach Surinam) – 500 Mark – und der Brüder Grimm (Deutsches Wörterbuch/Märchen). Seit einiger Zeit kursieren bereits folgende Noten: 10 DM/Carl Friedrich Gaus (Mathematiker), 20 DM/Annette von Droste-Hülshoff, 50 DM/ Balthasar Neumann (Barock-Baumeister), 100 DM/Clara Schumann (Musikerin) und 200 DM/Paul Ehrlich (Mediziner).

 

Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Serie vorgelegt wurde, erklärte er: „Bettina ist die Schönste der vier Banknotendamen. Abgesehen von dem hübschen Mädchengesicht bringt der neue grünlichgelbe 5-Mark-Schein eine patriotische Variante. Auf der Rückseite erscheint das Brandenburger Tor in seiner ganzen klassischen Schönheit. Der Bundesadler mit der Umschrift „Deutsche Bundesbank“ prangt zwar an nämlicher Stelle wie auf allen anderen neuen Geldscheinen. Eingeprägt auf der rechten Seite des Brandenburger Tores könnte der Triumphbogen des Friedens fast als Portal der Notenbank interpretiert werden.

 

Aber so schön zeigt sich weder die Bundesbank in Frankfurt noch gar eine mögliche Europäische Zentralbank. Und was hätte diese schon auf dem Rücken der Bettina verloren? Ursprünglich sollte dort auch nicht das Langhans’sche Bauwerk platziert werden, sondern irgendetwas aus dem Nähkästchen Bettinas, vielleicht auch ein Goethe-Brief, nicht nur die Namen von einer eiligst aus dem Schreibsekretär heraus gezerrten, unerledigten Korrespondenz der Romantikerin. Stilvoller als das offene Kuvert daneben wäre ein verschlossenes gewesen, um die Phantasie anzuregen, wer da wohl was der schönen Frau nahe bringen wollte, jedoch ungelesen und damit unerhört blieb.

 

Damit wären auch Design und Philosophie der Geldscheinserie ungebrochen geblieben: Vorne eine deutsche Geistesgröße, ein Forscher oder Künstler, eine Schriftstellerin oder Malerin und auf der Rückseite ein Symbol aus dessen oder deren Welt. Die deutsche Herkunft dieser Geldgilde sollte in ihrem europäischen Kulturbeitrag nicht untergehen aber verschwimmen. Da platzte in die neue Geldserie die Wiedervereinigung Deutschlands hinein. Das Brandenburger Tor wurde wieder geöffnet, zugänglich und durchlässig gemacht. Und weil wir so arm an vorzeigbaren Symbolen sind, musste Bettina gleichsam als Tatoo ihren schönen Rücken dafür hergeben, damit Deutsches auf der D-Mark rüber kommt.

 

Es könnte aber auch sein, es wäre sogar das Wahrscheinlichste, dass die Bundesbanker auf dem neuen Fünf-Mark-Schein mit List festhalten wollten, dass im Grunde allein sie mit der Wucht ihrer D-Mark das Brandenburger Tor aufgestoßen haben. Daher wohl auch der Adler rechts oben. Ein wahrlich interessanter Geldschein, den man sich hinter den Spiegel klemmen sollte. Er wahrt nicht nur den Schein des realen Geldes sondern ist tatsächlich unbezahlbar. Unbezahlbar auch die offizielle Erklärung der Bundesbank zum Geldschein der Romantik. Sie lautet: „Auf der Rückseite verweist eine Abbildung des Brandenburger Tores auf die Stadt, in der Bettina von Arnim überwiegend lebte und auf die Zeit, die sie prägte.

 

Geldwäsche in Luxemburg

 

Wolfgang Kartte hatte damals als Präsident des Bundeskartellamtes öfters bedauert, dass seine Kanonen nur bis Aachen reichen, dass sein Amt keinen Einfluss oder auch Zwang auf wettbewerbsrechtlich bedenkliche Vorgänge in Europa, die auch nach Deutschland hinein strahlen, ausüben könne. Die Bundesbank steht demgegenüber weit komfortabler da. Ihre Geschosse reichen weit über Deutschland hinaus und werden sogar noch in Washington und Tokio registriert. Weite Teile Europas fühlen sich von den Währungshütern am Main nieder gemacht, so läuft denn die Kampagne der Entmachtung der Bundesbank schon einige Zeit.

 

Die Bundesbanker vermeiden es, von Macht zu sprechen, von der Macht, die Ihnen per Gesetz zugeschrieben wurde. Sie sprechen von großen Aufgaben ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik und von dem Konsens mit der breiten deutschen Öffentlichkeit, die allergisch gegen Teuerung und schleichender Inflation sei. Johann Wilhelm Gaddum, Kollege von Schlesinger, positionierte sich und die Bundesbank jetzt vor dem Verband der Auslandsbanken in Frankfurt. Er sagte: Dies als Macht zu interpretieren, lässt außer Acht, dass der Gesetzgeber den Status der Bank bestimmt und letztlich beherrscht. Wenn er hierbei den öffentlichen Konsens beachtet, ist er und damit die Bank so basisdemokratisch legitimiert wie nur möglich.

 

Peter W. Schlüter von der Auslandsabteilung der Bundesbank – er gehört zu den grauen Eminenzen der Geldregierung – interpretiert diese Politik wie folgt: Die Ziele der europäischen Integration sind nicht die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile auf Kosten der Nachbarn, sondern eine gemeinsame Teilhabe an der Wirtschfaftsausweitung. Nicht die Instabilisierung, sondern die Stabilisierung und Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen, nicht die Abschottung gegenüber Drittländern sondern offene, wettbewerbsorientierte Märkte.

 

Aber auch eine gewaltfreie Politik und gerade diese ist eben, wie Max Weber es einmal ausgedrückt hat: das langsame Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Ein besonders dickes Brett für Deutschland dürfte derzeit Luxemburg darstellen. Ds Thema heißt Zinsabschlagsteuer und Kapitalabflüsse. Gaddum: Was wir beobachten sind nicht Kapitalabflüsse endgültiger Art oder eine Abkehr von der D-Mark, sondern so etwas wie „Recycling“ oder „Geldwäsche“.  Gaddum stellte das böse Wort „Geldwäsche“ in den Mittelpunkt.

 

Inländer schlüpfen steuerlich in das Gewand des steuerfreien Ausländers. Sie legen D-Mark offenbar in größerem Umfang in ausländische, in DM-Anleihen investierende Fonds an, deren Erträge nicht von der Steuer erfasst werden. Dabei geht es um hohe zweistellige Milliarden-Beträge und es ist noch kein Ende der Steuerflucht abzusehen. Den Slogan kennt man: Luxemburg hat die schönsten Anlagen. Doch mancher möchte da zum Taubenvergiten in den Park gehen.

 

Gaddum bedeuerte vor den Auslandsbankern (die das dicke Geld mit den deutschen Steuerflüchtlingen machen), dass seine Bundesbank-Kanonen ebenso wie die des Aufsichtsamtes für das Kreditwesen in diesem Falle auch nur bis Aachen reichen, besser gesagt Trier, wo die Außenstelle der Bundesbank genau jene D-Markscheine wieder einsammeln muss, die die Deutschen kofferweise ins Großherzogtum schleppen und die Luxemburger Banken lastwagenweise wieder nach Deutschland schaffen.

 

Der Bundesbanker setzte das Dickbrettbohren fort mit der Bemerkung: Das Ganze ist ein Schulbeispiel dafür wie wichtig eine zumindest EG-weite Harmonisierung von Steuerbemessungsgrundlagen, Steuersätzen und Steuererfassungstechniken ist. Dann wurde Gaddum letztlich doch bissig, als er betonte: Der Autonomie der Gesetzgeber – gemeint sind die Luxemburger – sind in einer offenen Weltwirtschaft Grenzen gesetzt, die nicht ungestraft überschritten werden. Ganz schön deftig. Beihilfe zur Geldwäsche ist verpönt. Luxemburg muss irgendwann einlenken.

 

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Wehnelts Privatbücherei:

10 Jahre Euro – Wie er wurde, was er ist

Hoechst – Untergang des deutschen Weltkonzerns

Der PreußenClan (Familiensaga)