WSI:

Armut ist Risiko für Demokratie –

Indizien für Zunahme der

Einkommensungleichheit in der Krise

Düsseldorf (2.11.23) – Die Einkommen in Deutschland sind heute sehr ungleich verteilt, wenn man die Entwicklung seit Ende der 1990er Jahre vergleicht. Zudem gibt es Indizien dafür, dass die Einkommensungleichheit während der Coronajahre erneut gestiegen ist und 2022 fast auf diesem Höchststand verharrte. Auch die Armutsquote liegt mit 16,7 Prozent 2022 spürbar höher als vor Beginn der Pandemie, gegenüber 2021 ist sie geringfügig gesunken. Insbesondere dauerhafte Armut (mindestens fünf Jahre in Folge) hat die gesellschaftliche Teilhabe schon vor der jüngsten Teuerungswelle stark eingeschränkt: Dauerhaft Arme müssen etwa deutlich häufiger auf Güter des alltäglichen Lebens wie neue Kleidung oder Schuhe verzichten, sie können seltener angemessen heizen. Und sie machen sich zudem deutlich häufiger Sorgen um ihre Gesundheit und sind mit ihrem Leben unzufriedener. Auch das Gefühl, anerkannt und wertgeschätzt zu werden und das Vertrauen in demokratische und staatliche Institutionen hängen stark mit dem Einkommen zusammen. Arme empfinden weitaus häufiger als Menschen mit mehr Geld, „dass andere auf mich herabsehen“, wobei das Problem unter Menschen in dauerhafter Armut noch weitaus ausgeprägter ist als bei temporärer Armut: Fast jede*r Vierte unter den dauerhaft Armen sagt, von anderen geringgeschätzt zu werden. Mit materiellen Einschränkungen und dem Gefühl geringer Anerkennung geht bei vielen Betroffenen eine erhebliche Distanz zu zentralen staatlichen und politischen Institutionen einher: Mehr als die Hälfte der Armen hat nur wenig Vertrauen in Parteien und Politiker*innen. Rund ein Drittel vertraut dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

„Wenn sich Menschen gesellschaftlich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und das Vertrauen in das politische System verlieren, dann leidet darunter auch die Demokratie“, ordnen die Studienautor*innen Dr. Jan Brülle und Dr. Dorothee Spannagel ihre Befunde ein. „Wir sehen in Befragungen, dass Menschen mit niedrigen Einkommen von weiter wachsenden finanziellen Belastungen berichten – das geht bis in diesen Sommer hinein. Der Verteilungsbericht macht deutlich, welche Folgen das haben kann“, ergänzt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Gleichzeitig reichen Sorgen über die soziale Ungleichheit weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus: Für 44 Prozent der Erwerbspersonen, die wir im Juli befragt haben, war das ein großes Thema. Mehr und wirksameres politisches Engagement gegen Armut und Ungleichheit ist ein wesentlicher Ansatz, um die Gesellschaft zusammen- und funktionsfähig zu halten, gerade in Zeiten großer Veränderungen und der Herausforderung durch Populisten.“

Im Verteilungsbericht werten die WSI-Fachleute Brülle und Spannagel die aktuellsten vorliegenden Daten aus zwei repräsentativen Befragungen aus: Erstens aus dem Mikrozensus, für den jährlich etwa 800.000 Personen befragt werden. Die neueste Befragungswelle liefert – noch vorläufige – Daten für 2022. Zweitens aus dem sozio-oekonomischen-Panel (SOEP), für das rund 15.000 Haushalte jedes Jahr interviewt werden, und das aktuell bis 2021 reicht.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Ungleichheit der Einkommen: Indizien für Zunahme in der Krise trotz Datenschwierigkeiten

Wie gleich oder ungleich die Einkommen verteilt sind, lässt sich über zwei statistische Maße ermitteln, die in der Wissenschaft häufig verwendet werden: Den so genannten Gini-Koeffizienten und das Einkommensquintilsverhältnis.

Der „Gini“ reicht theoretisch von null bis eins: Beim Wert null hätten alle Menschen in Deutschland das gleiche Einkommen, bei eins würde das gesamte Einkommen im Land auf eine einzige Person entfallen. Diese Bandbreite macht deutlich, dass auch vermeintlich kleine Änderungen des Koeffizienten erhebliche Bedeutung haben. So lag der Gini-Wert nach dem Mikrozensus 1999 bei 0,26, 2010 hingegen deutlich höher bei 0,29. Gerade in der ersten Hälfte der 2000er Jahre gab es einen erheblichen Zuwachs der Einkommensungleichheit in Deutschland – auch im internationalen Vergleich.

Zur Ermittlung des Einkommensquintilsverhältnis werden die Einkommen der Bevölkerung nach der Höhe sortiert und fünf gleich große Gruppen gebildet. Verglichen wird dann das Einkommen des obersten Fünftels mit dem des unteren.

Nach dem deutlich Anstieg und einigen Schwankungen in den 2000er Jahren, blieb der Gini nach den Mikrozensusdaten während der 2010er Jahre relativ stabil auf dem erhöhten Niveau. Bis einschließlich 2019 betrug er 0,29. 2020 stieg der Wert auf 0,30. Ein direkter Vergleich zwischen den beiden Jahren ist nur sehr eingeschränkt aussagefähig, weil auf 2020 die Stichprobenziehung und die Erhebungsmethode des Mikrozensus aktualisiert wurden und es im ersten Corona-Jahr einige Erhebungsprobleme gab.

Allerdings ist es auch 2021 und 2022 beim höheren Gini-Wert von 0,30 geblieben. Und parallel hat sich das Einkommensquintilsverhältnis stärker auseinanderentwickelt: Von 2010 bis 2019 lag das Einkommen im obersten Fünftel meist 4,3 mal so hoch wie das im untersten. Dieser Wert ist 2020 auf 4,5 gestiegen, er lag 2021 beim 4,7-fachen und 2022 bei 4,6. Das sei „bei aller gebotenen Vorsicht in Anbetracht der Einschränkungen in der Vergleichbarkeit der Daten ein Hinweis darauf, dass die Einkommensungleichheit gestiegen ist“, schreiben die Forschenden (siehe auch Tabelle 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten).

Armut lange gewachsen, zuletzt geringfügiger Rückgang

Eindeutig zugenommen hat die Einkommensarmut. Als arm definieren die WSI-Fachleute gemäß der üblichen wissenschaftlichen Definition Menschen, deren bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Sehr arm (Fachbegriff: „strenge Armut“) sind Personen, die nicht einmal 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für einen Singlehaushalt entspricht das maximal 1200 bzw. 1000 Euro im Monat.

Schon in den 2010er Jahren stieg die Armutsquote mit gelegentlichen jährlichen Schwankungen im Trend spürbar an, und die Entwicklung hat sich fortgesetzt, zeigt der Verteilungsbericht: Im Jahr 2022 lebten 16,7 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, 10,1 Prozent sogar in strenger Armut. 2010 lagen die beiden Quoten noch bei 14,5 bzw. 7,7 Prozent (Abbildung 1 in der pdf-Version). Überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind Arbeitslose, Minijobber*innen, Ostdeutsche, Frauen, Alleinerziehende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Singles und Menschen, deren Schulabschluss maximal einem Hauptschulabschluss entspricht.

Interessant ist, dass der Anteil der Armen in der Corona-Krise weiter stieg, von 2021 auf 2022 aber geringfügig sank (von 16,9 auf 16,7 Prozent). Eine mögliche Interpretation für diesen Rückgang ist nach Analyse von Brülle und Spannagel, „dass er im Zusammenhang mit den Entlastungsmaßnahmen steht, welche die Politik im Jahr 2022 auf den Weg gebracht hat – unter anderem Zuschläge zu den Leistungen für Grundsicherungsempfänger*innen.“ Auch wenn die Anti-Krisen-Politik der Bundesregierung nach Beginn von Ukraine-Krieg und Energiepreisexplosion die oberen Einkommensschichten in absoluten Zahlen mindestens ähnlich stark entlastete, leistete sie damit möglicherweise einen kleinen Beitrag zur Armutsbekämpfung.

Parallel schwankte der Anteil der Menschen, die mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben und damit in der Sozialstatistik als „einkommensreich“ gelten, zuletzt um einen Anteil von acht Prozent aller Haushalte, mit eher sinkender Tendenz. Allerdings zeigt sich dabei kein klarer Trend, so Spannagel und Brülle.

Schon vor Teuerungswelle konnten sich fünf Prozent der dauerhaft Armen keine neuen Schuhe leisten

Die SOEP-Daten für 2021, die die Forschenden analysieren, machen anschaulich, dass Armut selbst in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht selten mit deutlichen alltäglichen Entbehrungen verbunden ist – und dass Arme und Reiche bei Sorgen, Lebenszufriedenheit und Blick auf ihre Umwelt oft in zwei Welten leben.

Bereits im Jahr vor der großen Teuerungswelle war neue Kleidung unerschwinglich für 17 Prozent der Menschen, die „dauerhaft“, also über fünf oder mehr Jahre, unter der Armutsgrenze lebten. Unter den Menschen, die 2021 arm waren, aber nicht in durchgehend in allen vier Jahren zuvor („temporäre Armut“), konnten sich gut acht Prozent keine neuen Anziehsachen leisten. Knapp 59 Prozent der dauerhaft und gut 34 Prozent der temporär Armen hatten keinerlei finanzielle Rücklagen.

Die Zahlen zeigten, dass einerseits auch vorübergehende Armut nicht selten zum Verzicht auf grundlegende Gebrauchsgüter zwingt. Andererseits machten sie deutlich, wie stark die alltäglichen Probleme wachsen, wenn sich Armut verfestigt, so Brülle und Spannagel. Immerhin mehr als vier Prozent der dauerhaft Armen fehlte schon im Jahr vor der Energiepreisexplosion das Geld, die Wohnung angemessen zu heizen, fünf Prozent konnten nicht einmal neue Schuhe kaufen (Abbildung 2). Bei temporär Armen lag dieser Anteil bei einem Prozent bzw. darunter.

Arme machen sich viel mehr Sorgen um ihre wirtschaftliche Situation, die Zukunft – und die Gesundheit

Wenig überraschend, prägt sich der eingeschränkte materielle Spielraum dauerhaft armer Menschen auch darin aus, dass sie sich überdurchschnittlich oft große Sorgen um ihre eigene wirtschaftliche Situation machen: Knapp 31 Prozent tun das, und damit fast doppelt so viele wie unter den temporär Armen und gut dreimal so viele wie unter Menschen mit mittleren Einkommen. Unter den einkommensreichen Personen in der Stichprobe äußern nicht einmal drei Prozent solche Sorgen – eine enorme Differenz zu den Armen, aber auch ein erheblicher Unterschied zu mittleren Gruppen. Bei den Sorgen um die eigene Altersversorgung zeigt sich ein ähnliches Muster auf etwas höherem Niveau in allen Gruppen. Auch die allgemeine Lebenszufriedenheit steigt mit dem Einkommen, wobei sich erneut einkommensreiche und vor allem dauerhaft arme Menschen an den beiden Enden der Skala stärker von der Mittelschicht absetzen.

Unterschiedliche Positionen in der Einkommensverteilung spiegeln sich sogar in Lebensbereichen wider, die auf den ersten Blick wenig mit dem Geld zu tun haben. Das zeigt sich deutlich in der Dimension der Gesundheit: Mehr als jede*r Dritte dauerhaft Arme macht sich große Sorgen um die eigene Gesundheit und nicht einmal 20 Prozent geben an, sich in diesem Bereich keine Sorgen zu machen. Immerhin noch über 27 Prozent der Menschen in temporärer Armut machen sich große Sorgen, während nur 24 Prozent in diesem Bereich sorgenfrei sind. In den mittleren und höheren Einkommensgruppen nehmen die Sorgen dann sukzessive ab – unter den Einkommensreichen ist weniger als jede*r Zehnte sehr über die eigene Gesundheit besorgt.

Erleben von Geringschätzung: Bei dauerhaft Armen sieben Mal so häufig wie unter Einkommensreichen

Mit Hilfe der SOEP-Daten können die WSI-Forschenden noch genauer ausleuchten, in welchem Maße Ungleichheit auch in der alltäglichen Interaktion mit anderen Menschen spürbar wird. Denn je nach Einkommen zeigen sich deutliche Unterschiede in Bezug auf das Erleben von Wertschätzung beziehungsweise Geringschätzung. Gut 24 Prozent der dauerhaft Armen geben an, dass andere auf sie herabsehen. Dagegen nehmen das weniger als 14 Prozent der temporär Armen, 8 Prozent der Personen mit mittleren Einkommen und kaum mehr als 3 Prozent der Einkommensreichen so wahr (Abbildung 3 in der pdf-Version). Einkommensreiche Menschen unterscheiden sich zudem in ihrem Erleben von Wertschätzung stark vom Rest der Gesellschaft: Fast 48 Prozent von ihnen geben an, dass andere oft zu ihnen aufsehen. Unter den dauerhaft Armen nehmen das nur 28 Prozent so wahr, in den anderen beiden Gruppen sind es 33 Prozent bzw. 35 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass sich viele Menschen überwiegend in einem ähnlichen sozialen Umfeld „unter ihresgleichen“ bewegen, was die Unterschiede noch akzentuiert.

Ob Bundestag oder Rechtssystem: Arme äußern dreimal so häufig Distanz gegenüber Institutionen wie Wohlhabende

„Solche Unterschiede im Erleben von Anerkennung und Missachtung können eine Entfremdung unterer Einkommensklassen von der Gesellschaft, aber auch vom politischen System begünstigen“, warnen Brülle und Spannagel. Tatsächlich zeigt sich eine deutliche Korrelation zwischen Einkommenshöhe und geringem Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen. Unter den Einkommensreichen gibt es nur wenige – deutlich unter zehn Prozent – die der Polizei oder dem Rechtssystem nicht oder wenig vertrauen. Unter den dauerhaft Armen sind es hingegen knapp 22 Prozent (Polizei) beziehungsweise fast 37 Prozent (Rechtssystem; siehe auch Abbildung 4).

Distanz gegenüber demokratischen Institutionen folgt, auf deutlich höherem Niveau, dem gleichen Muster: Ein geringes Vertrauen in den Bundestag äußern knapp 19 Prozent der Einkommensreichen, fast 30 Prozent der Personen mit mittleren Einkommen und gut 40 beziehungsweise gut 47 Prozent der temporär bzw. dauerhaft Armen. Gegenüber Politiker*innen äußert sogar eine Mehrheit eine erhebliche Distanz: Gut 58 der dauerhaft und fast 54 Prozent der temporär Armen sprechen von geringem Vertrauen, auch gegenüber Parteien tun das 56 bzw. knapp 54 Prozent. Allerdings äußert in beiden Fällen knapp die Hälfte der Menschen mit mittleren Einkommen ebenfalls erhebliche Skepsis. Nur unter den Einkommensreichen erwecken Parteien und Politiker*innen bei einer soliden Mehrheit von rund 63 Prozent größeres oder großes Vertrauen.

Politik gegen Armut und soziale Spaltung

Die Verteilungsfachleute Brülle und Spannagel ordnen die Befunde als Indiziensammlung ein, die in eine beunruhigende Richtung deutet: „Auch wenn die gesellschaftlichen Auswirkungen der vergangenen Krisen in ihrer Breite noch gar nicht abzuschätzen sind, deutet vieles darauf hin, dass sie die soziale Spaltung in Deutschland vertieft haben.“ Dabei erkennen sie durchaus Erfolge im Krisenmanagement der Politik an: „Die Bundesregierung hat versucht, den Armen zu helfen und insgesamt drei Entlastungspakete geschnürt. All diese Maßnahmen haben gewirkt und Haushalte mit niedrigen Einkommen nachweislich entlastet. Aber sie waren eben nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein und haben an den strukturellen Ursachen der wachsenden Ungleichheiten nichts geändert“, schreiben die Forschenden. Um gegenzusteuern, heben sie mehrere Maßnahmen hervor:

  1. Anhebung der Grundsicherung auf ein armutsfestes Niveau: Die Regelsätze der sozialen Grundsicherung müssen nach Analyse der Verteilungsexpert*innen so weit angehoben werden, dass sie Einkommensarmut tatsächlich verhindern. Das sei beim Einstieg ins Bürgergeld nicht passiert. Die von der Bundesregierung angekündigte Kindergrundsicherung setze zwar „ein positives Signal, wenn sie tatsächlich zu einer einfacheren Inanspruchnahme der Leistungen für Familien mit niedrigen Haushaltseinkommen führt. Inwiefern sie aber tatsächlich zur Reduzierung von Armut beitragen kann, hängt auch hier davon ab, ob die Höhe der Leistungen auf ein armutsfestes Niveau angepasst wird.“
  2. Bessere Löhne durch höheren Mindestlohn, Stärkung der Tarifbindung und Qualifizierung: Um Armut trotz Arbeit zu reduzieren, empfehlen Brülle und Spannagel einen Mix aus höherer Entlohnung und einer besseren Erwerbsbeteiligung, gerade von Menschen mit geringen formalen Qualifikationen. Dazu zählen sie eine zügige stärkere Erhöhung des Mindestlohns als die 41 Cent, die die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission für den Jahresbeginn 2024 durchgesetzt haben. Als weiteren wichtigen Ansatz gegen Niedriglöhne nennen sie eine Stärkung der Tarifbindung. Komplementär plädieren sie für deutlich mehr „einzelfallorientierte Weiterqualifikationsmaßnahmen“ und einen weiteren Ausbau der Kinderbetreuung.

3. Reiche und Superreiche stärker an Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen: Seit Mitte der 1990er Jahre wurden reiche Haushalte systematisch steuerlich entlastet, analysieren die Forschenden. „Zuletzt war es die Reform der Erbschaftssteuer im Jahr 2016, die es zahlreichen Superreichen ermöglicht, erhebliche Betriebsvermögen zu vererben, ohne dass darauf nennenswert Steuern entfallen.“ Die Lasten, die sich aus den aktuellen Krisen ergeben, müssten aber auch von den „starken Schultern“ mitgetragen werden, und das insbesondere über eine deutlich stärkere steuerliche Beteiligung. Als Ansätze nennen Brülle und Spannagel, den Spitzensteuersatz wieder anzuheben, eine progressive Vermögenssteuer wiedereinzuführen und die Schlupflöcher in der Erbschaftssteuer zu schließen. Dabei müsse es bei der Vermögens- wie auch der Erbschaftssteuer hohe Steuerfreibeträge geben, betonen die Studienautor*innen. „Es geht nicht darum, die Steuern für die Mitte der Gesellschaft zu erhöhen; es sind die Reichen und Reichsten dieser Gesellschaft, die einen größeren Beitrag zu unserem Gemeinwohl leisten müssen.“ Solche Maßnahmen „erhöhen die Legitimitätsbasis unserer Demokratie, indem sie die Lasten der Krisen gerechter verteilen – ein entscheidender Baustein dafür, das Vertrauen in unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wieder zu stärken.“