Universität Hohenheim:

Größte Geschäfts-Risiken sind Geopolitik,

Inflation und Cyber-Vorfälle

Stuttgart (17.5.23) – DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen kommunizieren in ihren Risikoberichten am häufigsten geopolitische Entwicklungen (83 %), Inflation (79 %) und Cyber-Vorfälle (79 %) als Risiken für ihr Geschäft. Die Vorstandsvorsitzenden konzentrieren sich in ihren Vorworten auf Geopolitik, Inflation und die Energiekrise – Risiken im eigenen Einflussbereich wie Cyber-Angriffe bleiben bei ihnen weitgehend außen vor. 78 % der Unternehmen nehmen in ihren Geschäftsberichten eine systematische quantitative Risikobewertung vor, 21 % liefern lediglich qualitative Beschreibungen. Das ergab eine Studie von Kommunikationswissenschaftler:innen der Universität Hohenheim in Stuttgart und der Kommunikationsberatung Crunchtime Communications. Studie im Detail


Die börsennotierten Unternehmen in Deutschland thematisieren in ihren Geschäftsberichten in erster Linie externe Risiken wie Geopolitik und Inflation. Das zeigt sich insbesondere in den Vorstandsvorworten: Die Vorstände sprechen vor allem Umfeldfaktoren als Risiken an und gehen deutlich seltener auf Risiken ein, die näher am eigenen Einflussbereich liegen. Das gilt allen voran für Cyber-Vorfälle, die lediglich in zwei von 151 Vorstandsbriefen erwähnt werden.

Auf die externen Faktoren Geopolitik (34 %), Inflation (23 %) und Energiekrise (21 %) gehen Vorstände hingegen wesentlich häufiger direkt ein. Das geht aus einer aktuellen Studie der Universität Hohenheim und der Kommunikationsberatung Crunchtime Communications hervor. Für die Studie wurden die Vorstandsvorworte und Risikoberichte aus den Geschäftsberichten von 151 der 160 in DAX, MDAX und SDAX gelisteten Unternehmen analysiert.

Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim interpretiert die Ergebnisse: „Lange Zeit profitierten deutsche Unternehmen von der Globalisierung. Jetzt zeigt sich die Kehrseite der Medaille: Geopolitische Entwicklungen sind das am häufigsten genannte Risiko für das eigene Geschäft. Damit verbunden sind Risiken wie Produktions- und Lieferengpässe. Dass geopolitische Aspekte auch die Risiko-Agenda der Unternehmen prägen, war angesichts der zahlreichen politischen Konflikte zu erwarten – angefangen beim Ukraine-Krieg über den US-Handelsstreit mit China bis hin zum Konflikt zwischen China und Taiwan.“

Bemerkenswert sei der starke Fokus auf externe und politische Risikofaktoren in den Geschäftsberichten dennoch: „Die zwei Top-Risiken Geopolitik und Inflation aus dem Crunchtime Risikomonitor waren noch im Januar im Allianz Risk Barometer, für das unter anderem CEOs und Risikomanager befragt wurden, nicht einmal in den deutschen Top 10 vertreten.“

Vorstandsvorsitzende erwähnen Cyber-Vorfälle trotz hoher Aktualität kaum
 

Johannes Fischer, geschäftsführender Gesellschafter von Crunchtime und Lehrbeauftragter an der Universität Hohenheim: „Mit dem starken Fokus auf Geopolitik und Inflation vermitteln Unternehmen den Eindruck, dass sie vor allem Risiken fernab des eigenen Einfluss- und Verantwortungsbereichs ausgesetzt sind. Gerade die Vorstände sind sehr zurückhaltend, Risiken im unmittelbaren eigenen Umfeld zu benennen. Dass nur zwei CEOs der DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen im Vorstandsbrief auf das allgegenwärtige Cyber-Risiko eingehen, ist zumindest auf den ersten Blick überraschend. Denn statistisch gesehen werden jährlich rund 50 % der Unternehmen Opfer von Cyber-Angriffen, die ein erhebliches Risiko für Reputation und Geschäft darstellen.“

In den Risikoberichten gehen immerhin 79 % der untersuchten Unternehmen auf Cyber-Vorfälle ein, womit das Cyber-Risiko nur knapp hinter geopolitischen Entwicklungen (83 %) und gleichauf mit der Inflation (79 %) liegt.

„Man kann aus der Zurückhaltung im Vorstandsvorwort nicht unbedingt ableiten, dass das enorme Schadenspotenzial von Cyber-Krisen nicht gesehen wird. Vorstände versuchen, sich in der öffentlichen Positionierung nicht zu stark mit Krisenthemen im unmittelbaren Unternehmensumfeld in Verbindung zu bringen. Gerade bei Cyber-Krisen ist auch jenseits der Geschäftsberichterstattung häufig eine starke kommunikative Zurückhaltung zu beobachten, was eine enorme Dunkelziffer zur Folge hat. Dies geht leider zulasten der dringend notwendigen Sensibilisierung von Führungskräften und Mitarbeitenden, die mit der stärkste Hebel für die Krisenprävention ist“, sagt Johannes Fischer.

Auch andere unternehmensnahe Risiken sind vergleichsweise selten Thema: In den Risikoberichten rangieren Wettbewerbsdruck (45 %), verändertes Kundenverhalten (45 %) und Fachkräftemangel (42 %) auf den Plätzen 9 bis 11. In den Vorstandsvorworten gehen 6 % auf verändertes Kundenverhalten und 3 % auf den Fachkräftemangel als Risiken ein, Wettbewerbsdruck ist gar kein Vorstandsthema.

 
Klimawandel wird von vielen Unternehmen nicht als Risiko kommuniziert
 
Nur gut jedes zweite Unternehmen (51 %) nennt in seinem Risikobericht den Klimawandel als Risiko. Damit liegt der Klimawandel als Unternehmensrisiko auf Rang 7 und nur knapp vor der Corona-Pandemie bzw. der Sorge vor neuen Pandemien (50 %). Im Vorstandsvorwort spielt der Klimawandel als Unternehmens- bzw. Geschäftsrisiko so gut wie keine Rolle (1 %).

„Viele Unternehmen nennen den Klimawandel nicht als Risiko für das eigene Unternehmen bzw. ihr Geschäft. Damit unterscheidet sich die kommunizierte Risiko-Agenda der Unternehmen stark von der politischen und gesellschaftlichen Debatte. Im diesjährigen Global Risks Report des Weltwirtschaftsforums sind immerhin fünf der zehn größten Risiken umweltbezogen“, gibt Prof. Dr. Frank Brettschneider zu bedenken. „Es wäre für die Unternehmen ratsam, sich auch in ihren Risikoberichten stärker mit dem Thema Klimawandel auseinanderzusetzen und darzulegen, wie sie sich auf ihn vorbereiten. Ihre Stakeholder werden das erwarten.“

Energie, Handel und Maschinenbau sehen am meisten Risiken
 

Energie, Handel und Maschinenbau weisen im Branchenvergleich die höchste Risikosensibilität auf. Für die drei Branchen stellen geopolitische Entwicklungen (> 90 %), Lieferengpässe (> 80 %) und die Inflation (> 75 %) die Top-Risiken im Risikobericht dar. Unternehmen aus der Finanzbranche greifen in ihren Risikoberichten hingegen die wenigsten Risiken auf.

Transparenzunterschiede in der Risikobewertung
 
78 % der Unternehmen nutzen ihre Geschäftsberichte für eine systematische quantitative Risikobewertung. 21 % der Unternehmen beschreiben ihre Risiken nur qualitativ im Fließtext. Zwei der untersuchten Unternehmen weisen keinen eigenständigen Risikobericht aus.

„Viele Unternehmen gehen allenfalls am Rande darauf ein, wie sie mit den Geschäftsrisiken umgehen und sich auf potenzielle Krisen vorbereiten. So entsteht der Eindruck, dass die Risikokommunikation in den Geschäftsberichten eher als zu erfüllende Pflicht betrachtet wird und weniger als Instrument, um Vertrauen bei den Stakeholdern zu schaffen. Die Risikoberichte wären eine gute Chance zu zeigen, dass ein Unternehmen Risiken aktiv begegnet und auch für den Ernstfall gewappnet ist“, meint Johannes Fischer.