Commerzbank:
EZB – Hut ab!
Von Dr. Jörg Krämer, Commerzbank-Chefvolkswirt
Frankfurt/Main (16.3.23) – Hut ab! Die EZB hat sich von den Marktturbulenzen nicht davon abbringen lassen, ihre Leitzinsen wie im Februar angekündigt um 50 Basispunkte zu erhöhen. Diese Investition in ihre Glaubwürdigkeit ist notwendig, weil die Inflationsrisiken nach wie vor ausgeprägt sind. Die EZB dürfte ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten nach unserer Meinung weiter bis auf 3,5% (bisher: 4,0%) anheben, wohingegen die Märkte keine weiteren Zinserhöhungen erwarten.
Die EZB hatte zwar auf ihrer Februar-Sitzung Zinserhöhungen um 50 Basispunkte angekündigt. Aber mit Blick auf die Marktturbulenzen war es nicht selbstverständlich, dass die EZB das tatsächlich tun würde – und laut Präsidentin Lagarde sogar mit einer großen Mehrheit. Dagegen hatte der Markt heute morgen eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte nicht mehr eingepreist.
Statt das Zinserhöhungstempo zu drosseln, hat die EZB in ihrem Kommuniqué die starken Eigenkapital- und Liquiditätspositionen der Euroraum-Banken betont; für den Fall der Fälle hat sie rasche Liquiditätshilfen in Aussicht gestellt. Sie bekämpft die beiden Probleme Preisstabilität und Finanzstabilität also mit zwei getrennten Instrumenten, um einen Zielkonflikt zu vermeiden. Für diesen Kurs gibt es auch gute Gründe. Schließlich hat sich an dem tiefsitzenden Inflationsproblem bislang nichts geändert, zumal sich der Lohnanstieg zuletzt deutlich beschleunigt hat. Das zeigen auch die neuen Projektionen der EZB (Tabelle). Sie hat ihre Prognose für die Kerninflation in diesem Jahr von 4,2 auf 4,6% erhöht und erwartet für das Ende des Prognosehorizonts mit 2,2% noch immer eine Rate über ihrem Inflationsziel, auch wenn sie ihre Prognose etwas gesenkt hat.
Zinserhöhungsprozess geht weiter, …
Wie es nach der heutigen Zinsentscheidung weitergeht, wird stark davon abhängen, ob die Marktturbulenzen abebben oder nicht. Letztlich haben die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden bisher entschieden reagiert. So haben die US-Behörden die Einlagen sogar über die gesetzliche Obergrenze von 250.000 Dollar hinaus garantiert und ihren Banken Finanzierungslinien angeboten und dabei Anleihen ohne Bewertungsabschläge als Sicherheiten akzeptiert.
Es ist klar, dass niemand ein zweites Lehman riskieren will, also ein ungeordnetes Ausscheiden einer Bank, was im Herbst 2008 zu einem globalen Unsicherheitsschock und einer tiefen Rezession führte. Alles in allem erwarten wir, dass die Marktturbulenzen in den kommenden Monaten schrittweise abebben werden. Deshalb dürfte sich die EZB weiter vor allem auf das Inflationsproblem konzentrieren.
… aber nicht mehr bis auf 4,0%
Alles in allem erwarten wir, dass der EZB-Einlagensatz weiter steigen wird. Wir teilen nicht die Meinung des Marktes, der für die kommenden Monate keine Zinserhöhungen mehr erwartet. Allerdings prognostizieren wir für den Zinshöhepunkt nicht mehr 4,0%. Denn die gegenwärtigen Marktturbulenzen könnten aus Sicht der EZB-Ratsmitglieder die Kreditvergabe der Banken dämpfen – und damit auch das Wachstum und letztlich die Inflation. Wir erwarten jetzt für den Sommer einen Zinshöhepunkt von 3,5%, wobei die EZB ihre Leitzinsen auf den kommenden beiden Sitzungen um jeweils 25 Basispunkte erhöhen dürfte.
Tabelle 1 – EZB sieht nun für 2023 höhere Kerninflation |
Commerzbank-Einschätzung zu den Projektionen der EZB-Experten im März; in Klammern: EZB-Dezember-Projektion; Wachstums- und Inflationsraten in Prozent |
Quelle: EZB, Commerzbank-Research |