Ernst & Young EY:

Die wertvollsten Konzerne der Welt haben sieben Billionen US-Dollar an Börsenwert verloren

Stuttgart (29.12.22) – An den Weltbörsen ging es im Jahr 2022 für die meisten Top-Konzerne abwärts. Allein die 100 aktuell höchstbewerteten Unternehmen verloren im Jahresverlauf insgesamt 7,2 Billionen US-Dollar an Marktkapitalisierung. Ihr Wert sank im Verlauf des vergangenen Jahres um 20 Prozent auf 28,6 Billionen US-Dollar. Besonders betroffen waren Technologiekonzerne, deren Börsenwert insgesamt um 33 Prozent einbrach. Allein die Top US-Konzerne Tesla, Apple, Meta, Microsoft, Alphabet und Amazon verloren zusammen 4,6 Billionen US-Dollar an Wert. Aber auch Konsumgüterhersteller und Telekommunikationsunternehmen verzeichneten mit 29 bzw. 27 Prozent kräftige Wertverluste.

Insgesamt schrumpfte der Börsenwert von 69 der 100 Unternehmen – entsprechend schafften immerhin 31 Konzerne einen Wertzuwachs. Aufwärts ging es vor allem für Energiekonzerne (plus 12 Prozent) und Industrieunternehmen (plus zehn Prozent).

Trotz der hohen Kursverluste der US-Digitalkonzerne: An der Dominanz der USA an den Weltbörsen hat sich insgesamt nichts geändert. Die Zahl der US-amerikanischen Unternehmen, die sich zur Jahresmitte unter den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt platzieren können, liegt bei 61 (Vorjahr: 62). Und von den zehn höchstbewerteten Unternehmen der Welt haben neun ihren Hauptsitz in den USA. Das wertvollste Unternehmen der Welt ist zum Jahresende 2022 das gleiche wie vor einem Jahr: Apple.

Europäische Unternehmen schaffen es derzeit nicht unter die weltweiten Top 10. Und von den 100 wertvollsten Unternehmen haben nur 15 ihren Hauptsitz in Europa – 19 stammen aus Asien. Das wertvollste europäische Unternehmen ist aktuell der französische Luxuskonzern LVMH auf Rang 15.

Deutschland ist zum Jahresende 2022 nicht im Top-100-Ranking vertreten: Der höchstbewertete deutsche Konzern ist der Software-Anbieter SAP mit einem Börsenwert von 121 Milliarden US-Dollar Rang 106. Dahinter schaffen es Siemens, die Deutsche Telekom und der Börsenneuling Porsche auf die Plätze 116, 130 und 145. Zudem belegt der im DAX gelistete Industriegasekonzern Linde, der seit der Fusion mit Praxair seinen Hauptsitz in Irland hat, Rang 59 im weltweiten Ranking.

Das sind Ergebnisse einer Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die die Marktkapitalisierung der am höchsten bewerteten Unternehmen weltweit halbjährlich untersucht. Stichtag für die vorliegende Analyse ist der 27.12.2022 (Börsenschluss).

„Der starke Anstieg der Zinsen, der Krieg in der Ukraine und die weltweit steigenden Energiepreise – all diese Entwicklungen haben Spuren an den Weltbörsen hinterlassen. Gleichzeitig hat sich in Bezug auf den Technologiesektor, der in der Pandemie massiv an Wert gewonnen hatte, Ernüchterung breit gemacht“ stellt Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY, fest. Dementsprechend gerieten zuletzt vor allem hoch bewertete Wachstumsunternehmen unter Druck – die Zahl der Tech-Konzerne im Top-100-Ranking ist im Jahresverlauf von 28 auf 21 gesunken.

Aber nicht nur die großen Tech-Konzerne, auch und gerade klassische Industriekonzerne stünden derzeit vor enormen Herausforderungen, betont Ahlers: „Zwar sprudeln derzeit die Gewinne bei vielen Unternehmen noch. Aber wir steuern zumindest in Europa auf eine Rezession zu, die konjunkturelle Unsicherheit ist enorm.“ Während die Unternehmen auf die Kostenbremse treten, müssen viele Verbraucher angesichts der hohen Inflation ihre Konsumausgaben reduzieren. „Die Menschen müssen sparen – das kommende Jahr wird aller Voraussicht nach schwierig werden, selbst wenn die Rezession nicht so hart werden dürfte wie von vielen befürchtet.“

Europa fällt zurück

Die Bedeutung Europas an den Weltbörsen ist seit Jahren rückläufig – und auch das vergangene Jahr brachte keine Trendwende. Vor der Finanzkrise – Ende 2007 – kamen noch 46 der 100 wertvollsten Unternehmen der Welt aus Europa, derzeit sind es nur noch 15. Besonders das Gewicht Deutschlands ist gesunken: Zum Jahresende 2007 fanden sich noch sieben deutsche Unternehmen unter den Top 100, Ende 2021 waren es noch zwei Unternehmen, aktuell schafft es kein einziges deutsches Unternehmen unter die Top 100.

„Angesichts der nach wie vor erheblichen Bedeutung deutscher Unternehmen für die Weltwirtschaft ist Deutschland an den Weltbörsen klar unterrepräsentiert“, kommentiert Ahlers. „Aber an den Börsen zählen nicht die Erfolge der Vergangenheit, sondern Zukunftsperspektiven. Und da – das müssen wir selbstkritisch feststellen – sind wir bislang den Beweis schuldig geblieben, dass Deutschland die Weltwirtschaft der Zukunft entscheidend mitgestalten wird und auch in der digitalen Wirtschaft von morgen ein wichtiges Wort mitzureden hat. Wir erleben fundamentale Umwälzungen – wobei die Regeln derzeit von amerikanischen und asiatischen IT-Konzernen gemacht werden und der Eindruck entsteht, dass Europa nur von der Seitenlinie aus zuschaut.“

Viele europäische Unternehmen befänden sich mit ihren Geschäftsmodellen inmitten tiefgreifender Transformationsprozesse, nur ganz wenige deutsche und europäische Jungunternehmen schafften es an die Weltspitze. Das sei gerade in den USA anders, so Ahlers – auch weil dort die Finanzierungssituation nicht zuletzt für junge Unternehmen deutlich besser sei: „Der Kapitalmarkt in Europa ist nach wie vor stark fragmentiert, während es in den USA ein breiteres Angebot an günstigen und flexiblen Finanzierungsquellen gibt. Einheitliche Kapitalmarktregeln in Europa wären ein wichtiger Schritt.“

Ahlers sieht zudem ein Problem in der nach wie vor schwach ausgeprägten Gründerkultur in Deutschland: „Deutschland bringt zu wenige junge Unternehmen mit einer echten Wachstumsstory hervor, die es bis in die internationale Top-Liga schaffen. Wir haben in Deutschland keine so stark ausgeprägte Gründerkultur wie beispielsweise in den USA, wo relativ junge Unternehmen binnen kurzer Zeit an die Spitze stürmen. Nach wie vor gehen Top-Ingenieure in Deutschland eher zu den etablierten Großkonzernen, als selbst ein Unternehmen zu gründen“. Ahlers verweist auch auf das hohe gesellschaftliche Ansehen des Unternehmertums sowie bessere Finanzierungsbedingungen für Jungunternehmen sowohl in den USA als auch in Asien: „Gerade in den USA ist es jungen Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten viel besser gelungen, völlig neue Konzepte und Geschäftsmodelle zu entwickeln und damit neue Branchen zu erobern – diese Unternehmermentalität zahlt sich jetzt aus.“ Zudem leide Deutschland und ganz Europa überdurchschnittlich stark unter der aktuellen geopolitischen Zuspitzung und dem massiven Anstieg der Energiepreise, so Ahlers: „Die aktuellen Rahmenbedingungen sind für die europäischen Volkswirtschaften besonders ungünstig. In den USA können Industrieunternehmen derzeit deutlich günstiger produzieren, der Krieg ist für sie weit weg, eine Gaskrise muss dort niemand fürchten. Derzeit spricht also wenig dafür, dass wir im kommenden Jahr eine Renaissance Deutschlands und Europas an den Weltbörsen sehen werden.“