SAFE-Direktor Jan Krahnen: „Eine effektive grüne Finanzierungspolitik muss flexibel bei Richtung und Tempo sein“

Frankfurt/Main (22.7.21) – Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am 8. Juli 2021 eine neue geldpolitische Strategie verabschiedet, die auch für die aktuelle geldpolitische Entscheidung der EZB eine bedeutende Rolle spielt. Jan Pieter Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung – SAFE – äußert sich dazu wie folgt: „Die EZB hat vergangene Woche das Ergebnis einer fast einjährigen strategischen Überprüfung veröffentlicht und dabei zwei politische Schlussfolgerungen hervorgehoben. Erstens legt sie ein klares numerisches Inflationsziel von zwei Prozent fest und löst damit die Mehrdeutigkeit auf, die das bisherige ‚leicht unter zwei Prozent‘-Ziel erzeugt. Weniger Mehrdeutigkeit ist gut, weil es nicht nur die Konsensbildung im EZB-Rat erleichtern dürfte. Marktkommentatoren haben das neue Ziel auch deshalb begrüßt, weil es die Erwartungsbildung der Investoren in der Eurozone erleichtert.

Der Beifall fällt weniger stark aus, wenn es um das zweite Ziel geht, das in der strategischen Überprüfung der EZB genannt wird: die Umsetzung der Geldpolitik so anzupassen, dass das Klimarisiko, das für die Europäische Kommission von hoher Bedeutung ist, in ihren Instrumenten und Maßnahmen angemessen berücksichtigt wird.

Die Debatte wird sich entlang zweier Dimensionen abspielen: der politischen Legitimität der Verwendung eines grünen Selektionsfilters für Vermögenswerte und der angemessenen Gestaltung einer grünen Finanzierungspolitik. Die erste Dimension ist verfassungsrechtlicher Natur, denn sie betrifft das Mandat der EZB, das in Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt ist: Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, ist das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) gehalten, die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU zu unterstützen.

Die Klassifizierung von Vermögenswerten ist fehlerhaft

Der wohl umstrittenste Teil der überarbeiteten EZB-Strategie bezieht sich auf die Art und Weise, wie klimarisikobezogene Maßnahmen mit der normalen Umsetzung der Geldpolitik verwoben werden. Die verschiedenen Programme zum Ankauf von Vermögenswerten, die die EZB in den vergangenen Jahren begonnen hat, insbesondere das Pandemie-Notfallankaufprogramm („Pandemic Emergency Purchase Programme“, PEPP), das sich an Unternehmenspapiere richtet, werden direkt betroffen sein. Offenbar plant die EZB, ihre Programme zum Ankauf von Vermögenswerten in Richtung klassifizierter grüner Wertpapiere auszurichten, wobei ‚grüne‘ Vermögenswerte übergewichtet und ‚braune‘ untergewichtet werden sollen. Dies würde, so die Hoffnung, die Refinanzierungskosten für klassifizierte ‚braune‘ Unternehmen erhöhen, was sie auf dem Markt weniger wettbewerbsfähig macht.

Die Klassifizierung von Vermögenswerten, wie sie von der EZB gegenwärtig verwendet wird, und in ähnlicher Weise auch das Taxonomie-Schema der Europäischen Kommission, ist aber unvollständig und daher fehlerhaft – und bedarf einer konzeptionellen Überarbeitung. Der Kardinalfehler bezieht sich auf die Klassifizierungsmethode selbst, die den Grünanteil mit der Veränderung des Grünanteils verwechselt. Letztere kann man als ‚delta-grün‘ bezeichnen, also als das Ausmaß, in dem sich die Umweltfreundlichkeit einer unternehmerischen oder öffentlichen Aktivität über einen bestimmten Zeitraum verändert. Delta-Grün ist positiv, wenn bspw. die Veränderungen in Richtung mehr Kohlenstoffneutralität oder geringeres Klimarisiko gehen.

Das Fazit ist, dass eine effektive grüne Finanzierungspolitik ‚farbenblind‘ sein muss in dem Sinne, dass das Augenmerk einzig auf Richtung und Geschwindigkeit der Veränderung liegt, sich die Entscheidungen also auf delta-grün konzentrieren. Eine Umorientierung der Geldpolitik von grün zu delta-grün hat weitreichende Implikationen für Portfolioinvestitionen, für die Förderungswürdigkeit von Vermögenswerten und insbesondere für die zugrunde liegenden Offenlegungspflichten. Es besteht die dringende Notwendigkeit, das Grün-Niveau auf Unternehmensebene regelmäßig zu messen, um delta-grün zu quantifizieren.

Mit den entsprechenden Transparenzanforderungen kann delta-grün regelmäßig und auf Unternehmensebene offengelegt werden. Nur dann werden vorausschauende Vertragsgestaltungen es der Finanzindustrie auch ermöglichen, eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu spielen.“