Forum Fairer Handel:  Solidarisch durch die Krise – Entschlossen in die Zukunft

Berlin (14.7.21) – Nach über einer Dekade im Aufwind ist der Umsatz mit fairen Produkten in Deutschland infolge der Corona-Pandemie erstmalig zurückgegangen. Doch die Fair-Handels-Bewegung ist es gewohnt, gegen den Strom zu schwimmen. „Fair-Handels-Unternehmen wollen mit ihren Handelspartnern durch die Krise kommen, nicht auf deren Kosten“, erklärt Matthias Fiedler, Geschäftsführer des Forum Fairer Handel (FFH). „Dass die deutschen Supermärkte und Discounter in der Corona-Krise Rekordgewinne eingefahren haben, verdeutlicht, woran das System krankt“, kritisiert Fiedler anlässlich der Jahrespressekonferenz des FFH. „Viele der Menschen, die uns ernähren, kämpfen täglich um ihr Überleben, weil sie Preise akzeptieren müssen, die nicht einmal die Produktionskosten decken“, erklärt Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des FFH. Deswegen fordert das FFH anlässlich seiner Jahrespressekonferenz in Berlin ein Verbot von Dumpingpreisen für Lebensmittel. Das wäre ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen, zukunftsfähigen Wirtschaft. Was die wirtschaftliche Entwicklung des Fairen Handels in Deutschland betrifft, gibt die aktuelle Verbraucher*innenbefragung zum Fairen Handel Anlass zu Optimismus: Denn immer mehr Menschen in Deutschland greifen zu fairen Produkten.

Umsatzentwicklungen im Corona-Jahr 2020

Im Geschäftsjahr 2020 gaben die Verbraucher*innen in Deutschland 1,8 Milliarden Euro für Produkte aus Fairem Handel aus. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einem Umsatzrückgang von 2,9 %. Im Durchschnitt gaben die Verbraucher*innen in Deutschland pro Kopf 21,63 Euro für faire Lebensmittel und Handwerksprodukte aus. 78 % des Umsatzes wurden mit fairen Lebensmitteln generiert, alleine 30 % davon mit Kaffee.

Die anerkannten Fair-Handels-Unternehmen vertrieben im vergangenen Jahr fair gehandelte Waren im Wert von 207 Millionen Euro (- 8,4 %). Dieser Rückgang hängt vor allem mit geringeren Verkäufen in den Weltläden infolge von Lockdowns sowie Umsatzeinbrüchen im Außer-Haus-Bereich zusammen.

In den Weltläden, den Fachgeschäften des Fairen Handels, wurden Waren im Wert von 72 Millionen Euro verkauft (- 13,3 %). Die Einbußen gegenüber dem Vorjahr sind vor allem mit Ladenschließungen und leeren Innenstädten infolge der Pandemie zu erklären. Insgesamt sind die Weltläden als wichtige Pfeiler des 100 % Fairen Handels jedoch gut durch die Krise gekommen – Geschäftsaufgaben ließen sich verhindern.

Wie auch in den Vorjahren wurde der größte Teil des Umsatzes mit Fairtrade-gesiegelten Produkten generiert (1,45 Milliarden, – 3,2 %). Diese Produkte sind häufiger in Supermärkten und auch Discountern verfügbar, was die geringeren Umsatzrückgänge erklärt. Hingegen setzte der „Faire Handel im Norden“ 2020 seinen Erfolgskurs fort. Der Umsatz mit fair gehandelten Produkte aus Europa belief sich auf 136 Millionen Euro, was einem Plus von 13 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. „Im Fairen Handel stehen immer Menschen und Umwelt vor dem Profit. Das hat sich natürlich auch in Krisenzeiten nicht geändert“, erklärt Matthias Fiedler. „Und so sind Fair-Handels-Akteure 2020 an die wirtschaftliche Schmerzgrenze gegangen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Dass unser derzeitiges Wirtschaftssystem dies nicht honoriert, sondern menschenrechtliche Sorgfalt und nachhaltiges Wirtschaften zum strukturellen Nachteil werden lässt, ist ein Skandal, der durch die Corona-Krise nochmal deutlicher hervortritt“, kritisiert Fiedler.

 

Licht und Schatten – fair und konventionell: Blick auf einzelne Produkte

In Folge von Lockdowns und Homeoffice wurde in Deutschland 2020 mehr Fair Trade Kaffee zuhause getrunken. Im Geschäftsjahr 2020 ist der Absatz von fair gehandeltem Kaffee im Vergleich zum Vorjahr auf 27.394 Tonnen gestiegen (+ 4,6 %). Der Marktanteil von Kaffee aus Fairem Handel liegt weiterhin bei über 6 %.

Erstmalig seit 1999 verzeichen Fairtrade-gesiegelte Bananen in 2020 einen Absatzverlust

(- 14 %). Dieser ist vornehmlich auf den extremen Preiskampf der großen Discounter zurückzuführen. Die soziale, ökologische und ökonomische Rechnung für diesen Unterbietungswettlauf bezahlen die Bananen-Produzent*innen im Globalen Süden.

Positiv hat sich der Absatz fairer Schokolade in Deutschland entwickelt: 4.598 Tonnen wurden 2020 verkauft, was einem Absatzplus von über 32 % entspricht. Diese Entwicklung ist umso erfreulicher, da die Bedingungen im konventionellen Kakaosektor – den langjährigen Lippenkenntnissen der Industrie zum Trotz – bitter sind. Insbesondere auf westafrikanischen Kakaofarmen ist ausbeuterische Kinderarbeit nach wie vor weit verbreitet. Um die Kinderarbeit im konventionellen Kakaosektor abzuschaffen, braucht es flächendeckende Strategien zur Erzielung von existenzsichernden Einkommen für Kakaohaushalte. Im Fairen Handel wird dies sehr ernst genommen. So hat Fairtrade International Ende 2019 seinen Kakaopreis angehoben und einen Fairtrade Living Income Reference Price für Kakao berechnet. Fair-Handels-Unternehmen gehen häufig noch einen Schritt darüber hinaus.

 

Dumpingpreise zügig verbieten

Obwohl auf dem konventionellen Kaffee-, Bananen- und Kakaomarkt Milliardenerträge erwirtschaftet werden, sind die Einkommen der Erzeuger*innen nicht existenzsichernd. Daraus folgen in vielen Fällen Hungerlöhne und schlechte Arbeitsbedingungen von angestellten Arbeiter*innen auf den Feldern sowie ausbeuterische Kinderarbeit. Um existenzsichernde Einkommen und Löhne am Anfang von Agrarlieferketten zu ermöglichen, muss dringend die Preisfrage adressiert werden. Hierbei darf die unterschiedliche Machtverteilung in globalen Lieferketten nicht übersehen werden. Denn durch ihre Vormachtstellung können Unternehmen am Ende vieler Lieferketten Liefer- und Markteintrittskonditionen sowie Preise diktieren. Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich“, welches im Mai 2021 verabschiedet wurde, wurden einige der gravierendsten unlauteren Handelspraktiken entlang globaler Lieferketten im Agrar- und Lebensmittelhandel verboten. Das ist ein Fortschritt, doch was fehlt, ist u. a. ein Verbot von Dumpingpreisen. „Immerhin hat der Bundestag beschlossen, ein gesetzliches Verbot des Einkaufs von Lebensmitteln unterhalb der Produktionskosten zu prüfen. Die neue Bundesregierung sollte diese Prüfung nun zügig durchführen und ein Verbot schnellstmöglich umsetzen, um den regelmäßigen Preiskämpfen der großen Lebensmitteleinzelhändler entgegenzuwirken“, fordert Andrea Fütterer im Namen des FFH. Laut der aktuellen Verbraucher*innenbefragung zum Fairen Handel befürworten 77,5 % der Menschen in Deutschland ein Verbot von Preisen, die nicht die Produktionskosten decken.

 

Entschlossen in die Zukunft

„Das jüngst verabschiedete Lieferkettengesetz und das Verbot von unlauteren Handelspraktiken sind erste Schritte auf dem Weg zu einem Handel, der Arbeits- und Menschenrechte schützt“, betont Andrea Fütterer. „Auch wenn beide Gesetze dringend nachgebessert werden müssen, bestätigen und bestärken sie das politische Engagement der Fair-Handels-Bewegung“, so Fütterer weiter. „Der Faire Handel hat in Folge der Pandemie einen wirtschaftlichen Dämpfer erhalten, er geht jedoch politisch stärker und entschiedener daraus hervor“, betont Fütterer. Die aktuelle Verbraucher*innenbefragung zum Fairen Handel zeigt, dass die politischen Forderungen des FFH für eine faire sozial-ökologische Transformation insgesamt große Zustimmung genießen. So spricht sich eine Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen dafür aus, mächtige Unternehmen zu regulieren, wenn diese Lieferanten zunehmend unter Druck setzen und Preise drücken (85,4 %). Doch auch, was die wirtschaftliche Zukunft des Fairen Handels in Deutschland betrifft, gibt die Verbraucher*innenbefragung Grund zur Zuversicht: Inzwischen kaufen 71 % der Befragten fair gehandelte Produkte (2018 waren es 69 %). Seit der ersten Erhebung in 2009 hat sich der Anteil der Menschen, die zu fairen Produkte greifen, stetig erhöht.

 

Service

Die Broschüre „Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel 2021“, das Factsheet „Auf einen Blick: Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel“ sowie Infografiken zur honorarfreien Verwendung stehen Ihnen am 14.07. ab ca. 10:30 Uhr unter www.forum-fairer-handel.de/presse als Download zur Verfügung.