PwC: Deutsche Banken riskieren die Industrialisierung des Kreditgeschäfts zu verpassen

Frankfurt/Main (8.11.19) – PwC hat mehr als 40 der größten Banken in der DACH-Region befragt, wie weit sie ihr Kreditgeschäft industrialisiert haben / Ergebnis: Die Branche kommt gerade mal auf einen Durchschnittswert von 40 Prozent / Frappierend ist dabei die Diskrepanz zwischen den besten Banken und den schlechtesten / Das heißt: Gängige Verfahren wie die „digitale Antragsstrecke“ oder „Robotic Process Automation“ werden vielerorts noch gar nicht eingesetzt / PwC-Experte Rederer: „Im aktuellen Zinsumfeld sind Prozesskosten Wettbewerbsfaktor Nummer eins – und viele Banken verlieren den Anschluss.“

 

Viele hiesige Banken agieren in ihrem wichtigsten Geschäftsfeld, dem

Kreditgeschäft, nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das geht aus einer

Studie hervor, für die die Beratungsgesellschaft PwC mehr als 40 der

150 größten Banken aus der DACH-Region befragt hat, wie weit sie mit

der Industrialisierung ihres Kreditgeschäfts vorangekommen sind.

Dabei zeigt sich: Im Retail-Segment erreichten die Institute gerade

mal einen durchschnittlichen Industrialisierungsgrad von 48 Prozent.

Im Firmenkundenbereich waren es sogar nur 31 Prozent.

 

Große Unterschiede im Industrialisierungs-Grad

 

„Die Industrialisierung des Kreditgeschäfts ist heutzutage ein

entscheidender Erfolgsfaktor für praktisch jede Bank. Das gilt umso

mehr, als die Zinsen auf Jahre hinaus niedrig bleiben werden – die

Margen also dauerhaft unter Druck stehen und die Kosten damit der

entscheidende Faktor werden“, sagt Tomas Rederer, Partner „Digital

Operations“ im Bereich Financial Services Consulting bei PwC. Vor

diesem Hintergrund sei gerade die enorme Spreizung zwischen den

Banken frappierend: „Im Privatkundengeschäft kam das beste

untersuchte Institut auf einen Industrialisierungsgrad von 87

Prozent, was ganz hervorragend ist. Dagegen erreichten viele andere

Banken gerade mal Werte zwischen 10 und 30 Prozent, bei einer waren

es sogar nur 11 Prozent. Im Firmenkundengeschäft ist die Spreizung

ähnlich.“, so Rederer. „Ob solche Institute dauerhaft am Markt

bestehen können, muss ernsthaft befürchtet werden.“

 

Das Fokus-Thema für die nächsten zwei Jahre heißt „Automatisierung“

 

Konkret befragte PwC die Banken nach rund 80 Hebeln, anhand derer

sich der Stand der Industrialisierung im Firmen- und

Privatkundengeschäft quantifizieren lässt. Dazu zählen Tools wie die

„Elektronische Kreditakte“ oder die „digitale Antragsstrecke“ ebenso

wie neue Technologien (Beispiel: „Robotic Process Automation“) oder

die sogenannte „XS2A“-Schnittstelle für den automatisierten Zugriff

auf Kundenkonten bei anderen Banken. Somit hätte eine Bank bei 100

Prozent alle möglichen Hebel vollständig umgesetzt. Dies ist jedoch

selten sinnvoll. Nicht jeder Hebel passt zu jedem Geschäftsmodell

oder ist im Einzelfall ökonomisch vorteilhaft. Daher ist der

Zielkorridor niedriger.

 

Um festzustellen, auf welche Industrialisierungsfelder sich die

Branche besonders fokussiert, ordnete PwC die rund 80 Hebel überdies

vier Kategorien zu. Nämlich 1. Automatisierung (z.B. Robotics oder

künstliche Intelligenz), 2. Organisation (z.B. Arbeitsteilung oder

Spezialisierung), 3. Standardisierung (z.B. Prozess-Straßen) und 4.

Steuerung & Controlling (z.B. Auslastung-Optimierung). Dabei kam

heraus: In den beiden zurückliegenden Jahren haben sich die Banken in

der DACH-Region vor allem auf die „Standardisierung“ konzentriert (84

Prozent Retail, 71 Prozent Firmenkunden). Dagegen steht in den

kommenden beiden Jahren das Thema „Automatisierung“ im Fokus (96

Prozent Retail, 89 Prozent Firmenkunden), gefolgt von Steuerung &

Controlling (80 Prozent Retail, 71 Prozent Firmenkunden).

 

„Das Zeitalter der Kreditmanufakturen ist definitiv vorbei“

 

„Die vielleicht wichtigste Erkenntnis unserer Studie ist, dass es im

Kreditgeschäft nicht nur um Digitalisierung geht – sondern dass die

Banken die Herausforderungen, die vor ihnen liegen, viel umfassender

angehen müssen“, sagt PwC-Experte Rederer. „Die industrielle Logik,

wie wir sie zum Beispiel aus der Automobilindustrie kennen, erfasst

momentan auch das Kreditgewerbe. Leider gibt es hierzulande zu viele

Banken, die auf diese Entwicklung unzureichend eingestellt sind – und

hoffen, sie könnten das Kreditgeschäft insbesondere im

Firmenkundengeschäft immer noch betreiben wie eine Manufaktur.“ Dass

es sich dabei um einen Irrglauben handelt ist Rederer überzeugt:

„Wenn wir uns die Vorreiter unter den untersuchten Instituten

anschauen, dann sehen wir dort nicht mehr viel Handarbeit.

Stattdessen schalten die ersten Banken voll-digitale

Baufinanzierungen live, agile IT-Strukturen ersetzen die Legacy-IT

und das Thema Auslagerung gewinnt wieder an Fahrt, auch in Richtung

Fintechs.“ Das bedeute nicht, dass jede Bank nach einem maximalen

Industrialisierungsgrad streben muss. Aber, so Rederer: „Noch sind

die Abstände aufholbar, da auch führende Institute oft noch keine

optimale Kombination der Hebel gefunden haben. Schon bald wird der

Abstand aber zu groß sein. Insbesondere, was die Erfahrung in der

Industrialisierung ganzer Organisationen angeht,“ so Rederer.