DVFA: Methodische Schwächen des
Konzepts „natürlicher Zins“ kritisiert
Frankfurt/Main (8.3.19) – Die DVFA, der Verband der Investment Professionals in Deutschland, sieht mit Sorge, dass die von der EZB initiierte Debatte um die Höhe des sogenannten natürlichen Zinses den Weg bereiten könnte für eine Erweiterung des geldpolitischen Orientierungsrahmens. „Ein theoretisches Konstrukt mit solch vielen methodischen Schwächen darf nicht zur Begründung werden für weitere unkonventionelle Maßnahmen der EZB“, so die Stellungnahme der im Dezember letzten Jahres gegründeten Kommission „Geldpolitik“.
Die Experten kritisieren vor allem, dass mit einem nicht genau zu definierenden Referenzmaßstab – der natürliche Zins r* kann nicht gemessen oder berechnet werden, sondern wird geschätzt – beurteilt werden soll, ob Geldpolitik restriktiv oder expansiv wirke. Gleichwohl würden Zentralbanken weltweit mit diesem Konzept argumentieren – und sei es nur ex post. Damit erhalte diese vermeintlich akademische Betrachtung geldpolitische Relevanz.
Zwar ist auch nach Ansicht der Kommissionsmitglieder unbestritten, dass r* in den letzten Jahren und sogar Jahrzehnten tendenziell gesunken ist. Grund seien ein geringeres Trendwachstum und demografische Faktoren. Die Kommission Geldpolitik der DVFA warnt jedoch davor, aus diesen Beobachtungen die geldpolitische Schlüsse zu ziehen. Zu den methodischen Schwächen komme hinzu, dass der Geldpolitik gar nicht der Instrumentenkasten zur Verfügung stehe, um die relevanten Marktzinsen auf das Niveau von r* zu bringen. Die klassische Zinspolitik einer Notenbank sei nicht dazu geeignet, risikobehaftete Zinssätze mit einer mittleren bis längeren Laufzeit zu steuern. Es wären somit außerordentliche Maßnahmen wie Anleihe- oder sogar Aktienkäufe erforderlich, um die Finanzierungskonditionen der Wirtschaft an r* auszurichten. Damit verstärke sich der ohnehin bereits zu beobachtende Effekt, dass der Zins, also der Preis des Geldes, seine Allokationsfunktion verliert.
Dr. Jan Holthusen, Berichterstatter der DVFA Kommission Geldpolitik und Leiter Fixed Income Research der DZ BANK: „Hierin liegt die eigentliche Gefahr dieser Debatte. Sie ist dazu geeignet, den Weg zu bereiten für eine Orientierung der Geldpolitik an einem fragwürdigen theoretischen Konzept – mit der Konsequenz einer dauerhaften Erweiterung des EZB-Instrumentariums um Assetkäufe und einer Verstetigung des Nullzinses. Ein Konzept mit derart vielen und gravierenden methodischen Schwächen und Ungenauigkeiten ist jedoch als Kompass für die Geldpolitik abzulehnen.“
Zur Stellungnahme:
Stellungnahme der DVFA Kommission Geldpolitik
DVFA Kommission Geldpolitik: Die Kommission wurde im Dezember 2018 gegründet und beschäftigt sich mit Fragestellungen rund um die Normalisierung der Geldpolitik. Sie wird geleitet von DVFA Vorstandsmitglied Ulrike Groschopp, Head of Clearing Strategy and Initiatives bei der Deutsche Börse AG, und besteht derzeit aus folgenden Mitgliedern:
- Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW
- Dr. Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement von Union Investment
- Dr. Jan Holthusen, Leiter des Zins- und Anleihenresearch bei der DZ BANK
- Prof. Dr. Markus Kerber, TU Berlin
- Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors (AllianzGI)
- Dr. Hans-Peter Rathjens, Senior Strategist bei AllianzGI
- Harald Schmidt, Geschäftsführer APUS CAPITAL