Euro-Wegweiser: Für eine Weltwährung kann der Euro nur eine extrem kurze Geschichte vorweisen. Ihm wird aber eine große Zukunft vorhergesagt. Warten wir es ab. Europa hängt dran. Sein deutsches historisches Fundament hat bis zu 1000-jährige Wurzeln. – Und jetzt sollen über diesen Amboss auch noch die Etats der EU-Staaten geschmiedet werden. Einer zahle des Nachbarn Schulden. Das kann zum Untergang der EU führen. In seinem Buch „10 Jahre Euro. Wie er wurde, was er ist“ beschäftigt sich Christoph Wehnelt mit der Vergangenheit, aber immer mit Blick auf die Zukunft und warnt. – 14. Teil

 

Tietmeyer zurück in Frankfurt – 13.6.1990

Bedacht mit viel Lob kehrte heute Hans Tietmeyer an sei- nen Schreibtisch bei der Bundesbank zurück und nahm erstmals wieder als Direktoriumsmitglied an der routi- nemäßigen Zentralbankratssitzung teil. Auf Wunsch des Bundeskanzlers und mit Zustimmung des Zentralbankra- tes hatte Tietmeyer als Chefunterhändler die Bundesrepub- lik in den Verhandlungen mit der DDR vertreten. Helmut Kohl und Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl sprachen Tietmeyer, so hat es Regierungssprecher Hans Klein ausge- drückt, ihren Dank für seine Arbeit und sein großes per- sönliches Engagement aus. Tietmeyer habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Verhandlungen über den Staats- vertrag in ungewöhnlich kurzer Zeit erfolgreich abge- schlossen werden konnten.

Am großen, ovalen Tisch im Sitzungszimmer der Deut- schen Bundesbank traf Tietmeyer heute auch seinen wichtigsten Gesprächs- und Vertragspartner aus den DDR- Verhandlungen wieder, nämlich den DDR-Finanzminister Walter Romberg, der erstmals an einer Sitzung des Zentral- bankrates teilnehmen durfte. Auch dies ein Ergebnis des deutsch-deutschen Währungsvertrages.

Klar, dass im Mittelpunkt der Sitzung die deutsche Währungsunion stand, deren Vorbereitungen bei der Bun- desbank auf Hochtouren laufen. Am 1. Juli übernimmt die Bundesbank die Währungshoheit auf dem Gebiet der DDR, obwohl es weiterhin eine Ostberliner Regierung gibt. Damit wird die Währungsspaltung aus dem Jahr 1948 – Ein- führung der D-Mark im Westen, die die harte Phase der deutschen Teilung einleitete, nach 40 Jahren und zehn Tagen beendet.

Für den Umtauschkurs hatte die Bundesregierung ein Ver- hältnis von 1:1 festgelegt. Die Bundesbank war da zurück- haltender. Sie schlug hinsichtlich der Bestandsgrößen ein Verhältnis von 1:2 vor. Hinsichtlich der Stromgrößen machte sie keinen eigenen Vorschlag. Präsident Tietmeyer und Vizepräsident Schlesinger erklärten sich schließlich mit einem Umtauschkurs von 1:1,81 einverstanden.

  1. 6. 1990

Die belgische Regierung hat ihre Währung, den belg. Franc, jetzt fest an die Deutsche Mark gekettet, als ob es eine Währung wäre. So hat es Premierminister Wilfried Martens im belgischen Fernsehen ausgedrückt. Diese formelle Anbin- dung hat eine hohe politische Bedeutung. Bisher hatten sich nur die Niederlande und Österreich zu so einem geldpoli- tisch weit reichenden Beschluss durchringen können. Sie haben seit Jahren schon ihre Währungen parallel zur D-Mark gesteuert. Seit Jahrzehnten gilt zum Beispiel für den österreichischen Schilling ein Umtauschkurs von 7:1 zur Mark. Auch die Schweiz orientiert sich an der D-Mark.

 

Sogar das kommunistische Jugoslawien hat dahingehende Anstrengungen unternommen und natürlich sind die meis- ten Währungen der EG-Länder über das Europäische Währungssystem – EWS – mit der Leitwährung D-Mark verwoben.

Zwischen den EWS-Währungen gibt es jedoch üblicher- weise Kursbandbreiten von 2,25 Prozent nach oben und nach unten, sodass also Schwankungen von 4,5 Prozent möglich sind. Alle drei Benelux-Länder wollen aber künftig darauf verzichten, ebenso wie Österreich. Sie tun so, als ob es eine einzige Währung wäre mit der D-Mark. Zwar haben die anderen unverändert ihr angestammtes Geld in der Tasche, aber der Außenwert zur D-Mark soll sich nicht ändern. Zum erweiterten D-Mark-Block können aber durchaus auch die Schweiz und alle übrigen EWS-Währun- gen, letztlich alle Währungen Europas gezählt werden, denn wenn die Bundesbank wichtige geldpolitische Entscheidun- gen trifft, z. B. die Zinsen erhöht, müssen alle reagieren, wenn dies auch manchmal unter Stöhnen geschieht. Das Stöhnen kann dann auch in einer Neufestsetzung der Umtauschkurse ausarten, wenn die 4,5 prozentige Band- breite nicht mehr ausreichen sollte.

Die D-Mark ist der Anker für das europäische Geldsys- tem. Das wird auch noch viele Jahre so bleiben müssen. Die EG-Staaten sind noch längst nicht soweit, echte Souverä- nitätsrechte an eine Zentralregierung abzugeben, die sich wiederum eine unabhängige und effektiv arbeitende Noten- bank leisten könnte. Solange aber diese Institution fehlt, kann es nur mit der Bundesbank an der Spitze ein gut funk- tionierendes anti-inflationär wirkendes europäisches Geld- system geben. Die Bundesbank hat das Zeug dazu, sie ist dafür gerüstet.

Ostberlin, 27. 6. 90

Die bundesdeutschen Großbanken setzen in der DDR zum Endspurt für die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion an. Heute stellte die Deutsche Bank im Ostberliner Palast- hotel ihre Aktivitäten in der DDR vor. Die Dresdner Bank wird am Freitag in Halle an der Saale mit ihrer Öffentlich- keitsarbeit abermals aktiv und die Commerzbank am Sams- tag am selben Ort.

Kleine Eifersüchteleien werden dabei zwischen den beiden Großbanken deutlich. Commerzbankchef Walter Seipp hatte für seinen Empfang in Halle, den Hallenser Hans-Diet- rich Genscher eingeladen. Das wiederum konnte der Dresd- ner Bank-Chef, Wolfgang Röller, so nicht im Raume stehen lassen, schließlich war Röller vor Jahrzehnten in dieselbe Schule wie Bundesaußenminister Genscher gegangen. Röller musste also Genscher zum gemeinsamen Schulbesuch und zum Empfang zeitlich vor der Commerzbank haben mit dem Ergebnis, dass am Freitag in Halle Genscher mit Röller und am Samstag Genscher mit Seipp auftritt. (Die FDP-Parteikasse freut sich schon über die Zuwendungen von beiden Bankbossen.)

Die Deutsche Bank steht selbstredend haushoch über sol- chem Prestige-Kram. Der quirlige Röller wollte aber auch der großen Konkurrenz ein Schnippchen schlagen. Schon gestern ließ er bekannt geben, mit welchem Filialaufgebot sein Haus, die Dresdner, in der DDR auftritt. Der Start war konkurrenzlos früh – schon am 2. Januar 1990 in der Gründungsstadt Insgesamt verfügt die Röller-Bank über 72 Filialen gemeinsam mit der DDR-Kreditbank und 35 eigene Niederlassungen, zusammen 107 Filialen. Diese 107 sind ganz offensichtlich weniger als die 140 Filialen der Deutschen Bank. So kann man aber mit einem Wolfgang Röller nicht umspringen. Was die Dresdner Bank heute nicht hat, will sie innerhalb von anderthalb Jahren verein- nahmen. So ließ Röller schon gestern verkünden, dass sein Haus bis Ende 1991 über 150 Filialen auf dem Gebiet der DDR verfügen werde.

Das für die DDR zuständige Vorstandsmitglied der Deut- schen Bank, Georg Krupp, sah sich schließlich auf der heuti- gen Pressekonferenz in Ostberlin veranlasst, noch eins draufzusetzen: „Unsere Absicht ist es, in den nächsten zwei bis drei Jahren das Filialnetz auf dem Gebiet der DDR durch Neugründung von zusätzlichen 100 Geschäftsstellen zu komplettieren, zusammen sind es dann 250. Die Deutsche Bank kann es nicht lassen, überall die Größte zu sein.

Daneben machen sich die 50 Filialen der Commerzbank recht bescheiden aus. Aber Commerzbank-Chef, Walter Seipp, ist es zufrieden. Er hat vor Monaten schon erklärt, dass sein Haus eines Tages wieder ihre alte Position auf den Kreditmärkten zwischen Elbe und Oder einnehmen werde. Sie war zu Reichszeiten das weitest verbreitete Bankinstitut in Mitteldeutschland. Wenn das beim Start in die Wäh- rungsunion nicht sofort wieder klappt, muss das kein Bein- bruch sein. Dann braucht man eben etwas länger, um die alte Marktstellung zurückzuerobern. Eines ist aber heute schon sicher: Vom Bahnhof Friedrichstraße, von der S-Bahn- brücke, die sich über den Vereinigungsverkehr wölbt, grüßen bereits die überdimensionalen Lettern der Commerz- bank auf den durchströmenden Weltstadtverkehr.

Die Banken starten in die Währungsunion von der ersten Stunde an. Sie öffnen die Schalter am Sonntag, 1. Juli, um     9 Uhr und halten den Publikumsverkehr bis um 21 Uhr auf- recht. Manche Filialen öffnen sogar schon um 0 Uhr. Über 40 Bankinstitute, fast 200 Sparkassen und etliche Kreditge- nossenschaften treten dann in der DDR in Wettbewerb. Alle verbindet ein großer Gedanke: Goldgräberstimmung für eine goldene Zukunft in der neuen Welt.

Die Deutsche Bank ist über ihre Tochtergesellschaft Deut- sche Bank Kreditbank von Anfang an mit 8500 Mitarbei- tern aus der ehemaligen Staatsbank und 300 aus West- deutschland importierten, in der Wolle gefärbten Deutschbankern dabei. Und damit die Kundenwerbung – gerade bei den Ossis unter den Akquisiteuren – besonders geschmiert läuft, wurde ein Mitarbeiter-Wettbewerb ins Leben gerufen. „Reisen können da gewonnen werden ins Blaue bis ins tropische Hawaii“, beteuerte Vorstand Krupp heute am grünen Strand der Spree.

 

Gutes Geld ist geprägte Freiheit

  1. Juli 1990

Zur deutsch-deutschen Zeitenwende sprach ich im „Frank- furter Gespräch“ mit dem Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, Markus Lusser, und dem Vorsitzenden des Verbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenbaufir- men, Hans-Jürgen Zechlin. Zwei ganz wesentliche Aussagen habe ich notiert. Lusser:

„Ich glaube, dass Deutschland und damit auch Europa auf gutem Wege sind. Ich glaube allerdings auch, dass es zunächst noch einige Probleme zu lösen gibt. Der wichtigste und entscheidende Moment ist sicher die deutsch-deutsche Währungsunion. Wir haben damit eine echte Währungs- union. Die D-Mark ist die Währung auch der DDR. Ich erinnere mich da an ein Wort eines russischen Dichters, es muss Dostojewski gewesen sein, der einmal gesagt hat: Gutes Geld ist geprägte Freiheit. Ich glaube, man muss es positiv vor allem unter diesem Blickwinkel würdigen.

Es gibt natürlich in Europa Ängste wegen eines größeren Deutschlands, die geschichtlich begründet sind. Ich glaube aber, diese Ängste sind heute nicht mehr berechtigt. Ich glaube, dass Europa wirtschaftlich von diesem größeren Deutschland profitieren wird und ich glaube, dass Europa politisch profitieren wird, weil das einige Deutschland der Normalfall ist und das, was wir vorher hatten, war nicht das Normale und war eigentlich viel gefährlicher als die Rück- kehr zur Normalität.“

Der Maschinenbauer Zechlin hat den Aspekt des „Unter- nehmertums“ in der DDR herausgegriffen: „Die erste Überra- schung war eine negative. Die Betriebe, die man vorfindet, sind schlechter als man erwartet hat. Man hat vorher nur die Vor- zeigebetriebe, das Beste vom Besten gesehen. Nachdem die Grenze offen ist, sieht man, dass die Struktur in den Betrieben schlechter ist. Das ist aber gar nicht so wichtig wie eigentlich die positive Überraschung. Man hatte zunächst nämlich ange- nommen, dass es nach 40 oder 50 Jahren Kommandowirt- schaft keine echten innovativen, motivierten Unternehmer mehr gibt. Und wir stellen zu unserer großen Freude fest, dass es ganz außerordentlich gut motivierte, engagierte Arbeits- kräfte gibt, aber eben auch noch echte Unternehmer. Und wenn ich das in einem Bild sagen darf, dann so: Es vollzieht sich dort das, was wir aus dem Wald kennen. Die neuen jun- gen Bäume, die nachwachsen, bringen mehr Wachstum als die großen alten Bäume, die nicht mehr so viel Vitalität haben. Insofern sind wir durchaus optimistisch.“

Weltwirtschaftsgipfel Houston

Treffen der Staats- und Regierungschefs vom 9. bis 11. Juli 1990

Geburt eines weißen Elefanten des Friedens

 „Auf Gipfeln wurden noch nie Elefanten geboren“, tönte Bundeskanzler Helmut Kohl während der Pressekonferenz beim Gipfel in Houston. Da aber hatte er eher die Themen wie Umweltschutz und Russlandhilfe im Sinn. Tatsächlich gebar der Weltwirtschaftsgipfel in Texas eine ganze neue Ära. Hier wurde die Wiedervereinigung Deutschlands unumkehrbar gemacht. Kohl verhalten beginnend: „Der jetzt zu Ende gegangene Gipfel hat sich durch seine beson- ders freundschaftliche Atmosphäre und Arbeitsintensität ausgezeichnet. Für uns – wie für die anderen europäischen Teilnehmer – war es die 3. Gipfelbegegnung innerhalb von zwei Wochen: Nach dem Europäischen Rat in Dublin folgte der Nato-Gipfel in London und jetzt der Wirtschaftsgipfel in Houston.“ Dann holte der Kanzler in seiner Emotion stark auf: „Die Teilnehmer aller drei Gipfeltreffen unterstützten nachdrücklich den Prozess der Einigung Deutschlands, spre- chen sich für ein geeintes und freies Europa aus und unter- stützen die tief greifenden historischen Veränderungen in Osteuropa und der Sowjetunion.“ Schließlich kam der glückliche Kanzler mit seiner Seelenlage voll zum Zuge: „ Noch in diesem Jahr wird der lange gehegte Wunsch meines Volkes in Erfüllung gehen, in Einheit und Freiheit zusam- menzuleben. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die Sympathie und die nachhaltige politische Unterstüt- zung bedanken, die wir Deutschen auf dem Weg zur Einheit von unseren Freunden und Partnern erfahren haben.“

Politische Erklärung: Die Demokratie festigen

Wir, die Staats- und Regierungschefs unserer sieben Länder (USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Deutschland, Frank- reich, Italien) und die Vertreter der Europäischen Gemein- schaft zollen den Männern und Frauen in der ganzen Welt unseren Respekt, deren Mut und Weisheit die historischen Fortschritte der Demokratie, deren Zeugen wir im letzten Jahr wurden, ausgelöst und herbeigeführt haben. Am Beginn des letzten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts, das nach unserer Vorstellung ein Jahrzehnt der Demokratie sein sollte, unterstreichen wir erneut unsere Entschlossenheit, die Stärkung der Demokratie, der Menschenrechte, des wirt- schaftlichen Wiederaufbaus und der wirtschaftlichen Ent- wicklung durch marktorientierte Volkswirtschaften zu unterstützen. Wir unterstreichen die gute Gelegenheit, die dieses Forum Vertretern aus Europa, Japan und Nordame- rika zur Erörterung der schwierigen Herausforderungen der kommenden Jahre bietet.

 

Europa steht an der Schwelle eines neuen Zeitalters und damit in einem tief greifenden und historischen Wandel, der den Kontinent erfasst hat. Die Londoner Erklärung „Das Nordatlantische Bündnis im Wandel“ schafft eine neue Grundlage für Zusammenarbeit zwischen früheren Gegnern beim Aufbau eines stabilen, sicheren und friedlichen Europas. Wir sind entschlossen, jede sich bietende Chance zu nutzen, um ein geeintes und freies Europa zu schaffen, und wir würdi- gen den Beitrag der Europäischen Gemeinschaft hierzu.

Wir begrüßen die Vereinigung Deutschlands, die ein sicht- barer Ausdruck des unveräußerlichen Rechtes der Men- schen auf Selbstbestimmung ist und einen wesentlichen Bei- trag zur Stabilität in Europa leistet. Wir begrüßen ein geeintes und demokratisches Deutschland, das uneinge- schränkte Souveränität besitzt und keinen diskriminieren- den Beschränkungen unterliegt. Die deutsche Wirtschafts- und Währungs- und Sozialunion wird zu einem verbesserten und inflationsfreien globalen Wachstum sowie zu einem Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte beitragen. Dieser Prozess wird positive wirtschaftliche Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa fördern.

Wir begrüßen die Ablösung repressiver Regime in Mittel- und Osteuropa durch vom Volk frei gewählte Regierungen. Wir begrüßen die Einführung der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheiten, die das Fundament eines demokratischen Staates bilden. Wir fordern Rumänien angesichts der jüngs- ten Ereignisse mit Nachdruck auf, sich den positiven Ent- wicklungen anzuschließen, die sich in anderen Staaten Mit- tel- und Osteuropas vollziehen.

Wir begrüßen die Absicht der Sowjetunion, ihr politisches System zunehmend zu demokratisieren, sowie die sowjeti- schen Ansätze, die Wirtschaft des Landes nach marktwirt- schaftlichen Grundsätzen zu reformieren. Wir sind zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bei ihren Bemühun- gen um die Schaffung einer offenen Gesellschaft, einer plu- ralistischen Demokratie und einer marktorientierten Volks- wirtschaft bereit. Solche Veränderungen werden die Sowjetunion in die Lage versetzen, ihren Pflichten in der Völkergemeinschaft nachzukommen, die auf diesen Grundsätzen beruht. Es ermutigt uns, dass es Anzeichen für einen konstruktiven Dialog zwischen der sowjetischen Regierung und den baltischen Staaten gibt, und fordern alle Seiten nachdrücklich auf, diesen Dialog in einem demokra- tischen Geiste fortzuführen.

Habt Ihr schon gejubelt?

 

Rückflug. Als der Tross der Journalisten schon in der Regie- rungsmaschine Platz genommen hatte, kam Kanzler-Berater Teltschik: „Habt ihr schon gejubelt? Ist was zu trinken da. Hier ist es so warm.“ Hemdsärmelig drückten dann die Minister Klein, Waigel und Haussmann in die Kabine. Nach einiger Zeit kommt der Gewinner des Gipfels, Kohl. Applaus. Der Flugkapitän in Majorsrang gratuliert dem Kanzler, macht Meldung über die Flugroute und die voraus- sichtliche Ankunftszeit in Köln Wahn. Wir diskutieren mit dem Sieger von Houston über den Konferenzverlauf, 10 000 m über dem Atlantik.

Für mich ist auch der Verbleib der Europäischen Zentral- bank wichtig. „Herr Bundeskanzler, wo wird die EZB domi- zilieren?“ „Frankfurt wird der Sitz sein. Das haben die EG- Partner verstanden. Bisher hatte Deutschland keinerlei Forderungen für irgendeine EG-Behörde gestellt. Jetzt ist es soweit.“

Bundesbank entwickelt Doppelstrategie

 

Das Direktorium der Deutschen Bundesbank hechelte auf sei- ner heutigen Sitzung (22. 8. 90) die neuen Vorschläge der EG- Kommission zur Weiterentwicklung der Europäischen Währungsunion durch. Morgen wird sich der Zentralbankrat damit befassen und die Marschrichtung für die künftigen Gespräche und Verhandlungen festlegen. Dabei wird eine Doppelstrategie verfolgt. Erstens müssen die Interessen der Bundesbank gegenüber den Vorstellungen der Bundesregie- rung durchgesetzt werden, besser: gewahrt bleiben. Gemein- sam wird dann die deutsche Position für die kommenden Ver- handlungen auf europäischer Ebene fixiert. Zur Doppel- strategie der Nationalbank gehört aber auch ein intensiver Gedankenaustausch mit den übrigen Notenbanken Europas, nicht nur der EG sondern auch der Schweiz und Österreichs. Das Erfolgsmodell Bundesbank hat längst überall auf unserem Kontinent nicht nur Bewunderer sondern auch Nachahmer gefunden. So gibt es gemeinsame Interessenla- gen der europäischen Zentralbanken gegenüber den Regie- rungen und der EG-Kommission. Das hat sich schon sehr segensreich in der europaweiten Diskussion zur Entwick- lung des gemeinsamen Währungssystems ausgewirkt. Der Konsens heißt: stabiles Geld.

Bei den Brüsseler Behörden, die lange schon von einer europäischen Zentralregierung träumen, natürlich nach ihrem nicht gerade demokratischen Muster, haben sich eher die Fiskalisten der romanischen Tradition breit gemacht. Sie wollen die Geldpolitik möglichst straff an die Kandare neh- men. Der ehemalige französische Wirtschafts- und Finanz- minister und heutige EG-Präsident, Jacques Delors, war einer der harten Verfechter dieser Staatsraison gewesen. Einige Läuterungen fanden bei ihm in den letzten Jahren jedoch statt. Dennoch müssen die mannigfaltigen und regen Brüsseler Vorstöße in den aktuellen Währungsangelegenhei- ten immer kritisch betrachtet werden, denn in den Römi- schen Verträgen steht kein Passus über die Übertragung von Notenbankaktivitäten auf die Brüsseler EG-Institutionen. Das hat sich erst in jüngerer Zeit geändert und leider wird man davon auch nicht mehr herunterkommen. Schließlich befinden wir uns bereits in der ersten Phase des sogenannten Delors-Plans zum Aufbau einer Wirtschafts- und Währungs- union in Europa.

Jetzt hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft eine schnellere Gangart hin zur Währungsunion empfohlen. Schon am 1. Januar 1993 soll die EG-Zentralbank ihre Arbeit aufnehmen. Damit einhergehen soll die Abtretung der geldpolitischen Souveränität von den einzelnen Staaten auf diese Institution. Immerhin soll das Verbot einer monetären Finanzierung staatlicher Defizite festgeschrieben werden. Die Notenpresse zur Staatsfinanzierung darf also weder auf der Ebene der Mitgliedsstaaten in Gang gesetzt werden noch auf der Ebene der EG. Ganz generell, so heißt es in dem jüngsten Brüsseler Papier, das Anfang September in Rom von den EG-Finanzministern abgesegnet werden soll, ganz generell soll der Grundsatz verankert werden, dass übermäßige Haushaltsdefizite zu vermeiden sind.

Den Brüsseler Finanzakrobaten schwebt vor, dass dem- nächst nicht nur das Pfund Sterling in den Wechselkursme- chanismus des EWS aufgenommen wird, sondern auch der Portugal-Escudo und die Griechen-Drachme. In der zweiten Phase der Geldunion werden die Finanz- und Wirtschaftspo- litiken der einzelnen Länder angepasst. Danach folgt die Aufbauphase der EG-Zentralbank. Später gibt es das ein- heitliche Geld, das ECU heißen soll.

Es ist klar, dass Europa jetzt die Dividende einfahren will, die sich die Behörden in Brüssel und die Nachbarstaaten durch die freundliche Aufnahme der DDR und die deutsche Vereinigung verdient zu haben glauben (obwohl der große europäische Umbau in diesem Punkte allein durch die USA, die Sowjetunion und Deutschland arrangiert worden ist!). Deutschland wird auch an Europa-Freundlichkeit und Ent- gegenkommen nichts zu wünschen übrig lassen. Bonn ist nach allen Seiten offen. Auch die in Frankfurt versammelten Zentralbankräte werden sich von ihrer konzilianten Seite zeigen. Sie dürften sich auf die Formel einigen: 1. Europa braucht stabiles Geld; 2. Stabiles Geld kann nur eine in geld- politischen Dingen weisungsunabhänige Zentralbank dar- stellen – siehe Bundesbank-Gesetz. 3. Solange diese unab- hängige EG-Zentralbank nicht etabliert ist, muss die Bundesbank in Verantwortung für das Europäische Wäh- rungssystem und einer harten D-Mark als Anker voll funk- tionsfähig bleiben. 4. Der parallele Aufbau einer EG-Zent- ralbank in Frankfurt steht dem nicht entgegen. 5. Um die EG-Währungsunion überhaupt voranzubringen, sollte mit jenen Staaten begonnen werden, die den Stabilitätserforder- nissen von Anfang an entsprechen.


Wetterleuchten im Herbst 1990

Schlesinger: Von St. Martin das Teilen lernen

Auch Geldpolitiker haben zuweilen ihre besinnlichen An- wandlungen. Dabei rutscht ihnen unversehens treu katholi- sches Glaubensgut in die geldpolitische Predigt. Als sich der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Prof. Helmut Schlesinger, im Club Frankfurter Wirtschaftsjouranalisten so richtig wohlfühlte, erinnerte er an das hochherzige Teilen des römischen Legionärs Martinus mit irgendeinem Alten an der Straße. Damals ging es immerhin um die Hälfte sei- nes Besitzes, nämlich um den Mantel, den St. Martin zu- gunsten des Mitmenschen durchtrennte. Ähnlich hochher- zige Gesten würde der Bundesbank-Vize gerne von den alten Bundesländern und den Kommunen in Westdeutschland zugunsten der neuen Länder und ihrer Bevölkerung sehen. Schlesinger beklagte vehement die Ausgabenfreudigkeit der westdeutschen Gebietskörperschaften und ihren mangelnden Opferwillen für das Gebiet der ehemaligen DDR. Die west- deutschen Länder dürften nicht glauben, dass sie alleine mit den vereinbarten Zinszahlungen für den Fonds der deutschen Einheit davonkämen. Es werde mehr verlangt von den Län- dern und Zusätzliches von den Gemeinden meinte Schlesin- ger. Es könne auch mehr geleistet werden, wenn man die Aus- gaben-Expansion von Ländern und Kommunen beobachte. Dann wurde Schlesinger direkt: „Ich bin noch nicht in allen Frankfurter Museen gewesen, die so in den vergangenen 10 Jahren eröffnet wurden, und dennoch plant Frankfurt einen weiteren Musen-Tempel.“ Kunstfreund Schlesinger ist nach seinen Beteuerungen auch noch nicht in allen Theatern dieser Stadt gewesen und dennoch würden weitere neben der Wiedererrichtung des Schauspielhauses geplant.

Schlesinger erkennt darin eklatante Akte der öffentlichen Verschwendung. Er bezog seine Kritik nicht nur auf Frank- furt. Die Freie Reichsstadt diente ihm allein als Demonstra- tions-Objekt. Die Ausgabenpläne der Gemeinden sehen nach Schlesinger in den Jahren 1990 und 91 Mehraufwen- dungen von jeweils 8 Prozent vor. Und die Länderetats wüchsen nicht sonderlich geringer.

Kurz bevor die Martinsgans auf die Tische der Wessis flat- tert, forderte Schlesinger zur Zurückhaltung auf: sparen, sparen, teilen, teilen. Der Bundesregierung in Bonn empfahl er ebenfalls strikte Sparsamkeit. Es müssen die Ausgaben gezügelt, Subventionen gestrichen und zusätzliche Geldquel- len erschlossen werden, und zwar über Privatisierungen, damit die riesigen Kapitaltransfers zugunsten der Ostländer einigermaßen vernünftig finanziert werden können. Aus konjunkturpolitischen Gründen, aber auch aus finanzerzie- herischen Erwägungen sprach sich der Bundesbank-Vize gegen Steuererhöhungen aus. Steuererhöhungen würden die Konjunktur abdrosseln und harte Sparmaßnahmen in den Staatshaushalten vereiteln. Es dürfe in Deutschland durch eine langjährige Ausgabenflut nicht so weit kommen wie in den Vereinigten Staaten oder Italien. Dann nämlich würden Regierung und Bundesbank kaum noch über finanz- und geldpolitische Spielräume verfügen mit den entsprechend negativen Auswirkungen auf eine aktive Finanz- und Wirt- schaftspolitik.

Im laufenden Jahr kann die Bundesbank auch nicht son- derlich zur Entlastung des Bonner Staatshaushaltes beitra- gen, da der rapide abgewertete Dollar den Bundesbankge- winn zusammenschrumpfen lässt. Gegenüber der Dollar- bewertung im vergangenen Jahr von gut 1,58 macht die Abwertung 1990 nahzu 10 Pfennig aus, sodass der Bundes- bankgewinn um vier bis 5 Milliarden Mark geringer aus- fällt. Das heißt, dass Bonn aus Frankfurt für 1990 besten- falls die 7 Milliarden Mark erhalten kann, die der Finanzminister bereits in den Haushalt 1991 eingestellt hat. Für den Abbau der Verschuldung des Bundes bleibt da nichts mehr übrig.

Margret Thatcher packt ein

 

Maggie Thatcher, die jetzt als Premierministerin von Groß- britannien den Rückzug antritt, gehörte nicht nur in der europäischen Politik zu den markantesten Erscheinungen der vergangenen 20 Jahre, sondern es verbindet sich mit ihrem Namen auch eine ganz bestimmte Art der Wirt- schaftspolitik, aber auch der Innenpolitik: Thatcherism genannt. Das war die Methode, mit der die Eiserne Lady vor etwa einem Dutzend Jahren begonnen hat, die durch Streiks und Ständewirtschaft zugrunde gerichtete britische Ökono- mie wieder aufzumöbeln.

Margret Thatcher hat die alten Zöpfe des englischen Zunftwesens rigoros abgeschnitten und sich damit tatsäch- lich als Revolutionärin erwiesen. Der Europa-Politiker und deutsche Professor, der in London großen Einfluss hatte, der Life Peer Baron Ralf Dahrendorf of Clare Market stuft die Thatcher-Revolution auf allen Ebenen der Verwaltung bis hinein in das ständische Anwaltssystem ähnlich gewaltig ein wie Cromwells glorreiche Revolution. Mit diesen Aufräum- arbeiten hat die konservative Revolutionärin mehr geleistet als sämtliche Labour-Regierungen vor ihr. Denn auch Labour hat sich stets mit der britischen Tradition arrangiert, wenn diese Partei erst einmal an der Macht war.

Margret Thatcher hat auch nicht davor Halt gemacht, die Behördenstrukturen der großen Städte zu zerschlagen. Lon- don hat seit einiger Zeit keine Zentralverwaltung mehr, son- dern nur noch Bezirke. So hat die konservative Premier- ministerin Machtzentren der Opposition zerstört. Der Falkland-Krieg und die ausgesprochene Abneigung gegenü- ber der deutschen Vereinigung (Warum haben wir eigentlich den Krieg gewonnen, wenn das nun passiert?) sind wichtige Teilaspekte ihrer Außenpolitik. Insbesondere ist es aber ihre neoliberalistische Wirtschaftspolitik gewesen, die die Öko- nomie auf den britischen Inseln seit Beginn der 80er-Jahre angekurbelt hat, und die damals sogar in der Bundesrepu- blik als vorbildlich hingestellt wurde.

Nach der Wachstumseuphorie der mittleren und späten 80er-Jahre herrscht unter den Briten jetzt aber wieder Katerstimmung. Löhne und Preise heizen sich gegenseitig auf und steigen mit jährlichen Raten von mehr als zehn Prozent, die Zinsen liegen bei 15 Prozent. Im Wettbewerb der Systeme unterlag eder Tatcherism der von Deutschen geprägten sozialen Marktwirtschaft.

Ihre typisch britische und damit anti-europäische Haltung und der Separatismus in der Währungs- und Geldpolitik haben Großbritannien schwer geschadet. Der kürzliche Bei- tritt zum Europäischen Währungssystem mit seinem Wech- selkursmechanismus, dem nun auch das Pfund Sterling unterworfen ist, hat die Lage nicht bessern können. Das braucht mehr Zeit. Margret Thatcher lehnte bis zuletzt die Gründung einer Europäischen Währungsunion und die Errichtung einer Europäischen Zentralbank ab. Sie wollte einen derart hohen Souveränitätsverzicht nicht leisten. Mit dem Abgang der Eisernen Lady hat die britische Innen- und Außenpolitik, insbesondere aber die Europapolitik eine Vielzahl von Chancen mehr erhalten.

Visionen für einen blühenden Finanzplatz Frankfurt

Die deutsche Finanzwelt werkelt ganz emsig an der Weiter- entwicklung des Finanzplatzes Frankfurt, an der Verbesse- rung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Beson- ders tut sich der Präsident der Landeszentralbank in Hessen, Karl Thomas, hervor. Seitdem Thomas den Chef-Sessel in der Frankfurter Taunusanlage eingenommen hat, scheint sein Ziel zu sein, den Finanzplatz Frankfurt ebenso perfekt auszustaffieren, wie es dem Bau und dem Enterieur der neuen Landeszentralbank zukommt. Goethe, Faust und die lieben kleinen Währungsgeister. An der D-Mark hängt, zur D-Mark drängt Europa, ach wir Armen.

Was dort die Architekten im Geiste des Frankfurter Groß- meisters vorgegeben haben, wollen nun die Finanzstrategen ebenso perfekt nachempfinden. Bildlich gesprochen geht es um die komfortable Ausstaffierung der Finanzmarkthallen für das gemeinsame Europa. Thomas: „In Osteuropa suchen die Staaten marktwirtschaftliche Reformen durchzusetzen und eigene Finanzsysteme aufzubauen, während Westeu- ropa zu einer Wirtschafts- und Währungsunion verschmel- zen soll. Und Deutschland liegt an der Schnittstelle dieser Strömungen. Damit rückt der Frankfurter Finanzplatz, bis- her eher in westeuropäischer Randlage, in das gesamteuro- paische Zentrum.“

Abgesehen von der geografischen Beschreibung des in den Mittelpunkt Europas Rückens, weiß die Landeszentralbank noch von einem anderen unverwechselbaren Vorteil der Mainmetropole zu berichten. „Die internationale Rolle der D-Mark ist für Auslandsbanken“, so schreibt Thomas im Finanzbericht seines Hauses, „ein maßgeblicher Beweg- grund, sich in Frankfurt niederzulassen. Die Teilnahme an D-Mark-Geschäften an Ort und Stelle unterscheidet Frank- furt von anderen Plätzen. Darunter auch vom Hauptkonkurrenten London, wo Auslandsbanken ihren Sitz vorwie- gend zu dem Zweck genommen haben, Fremdwährungsge- schäfte, z. B. in US-Dollar, D-Mark oder Yen zu betreiben.“ Für die Hessische Landeszentralbank ist es unbestritten, dass die geplante Herstellung einer Währungsunion mit einer einheitlichen Währung in Zukunft zu dem letztlich entscheidenden Kriterium für die Standortwahl der großen Finanzhäuser der Welt machen wird. Die energischen Bemühungen beim Ausbau der Marktorganisation in Frank- furt tragen dem Rechnung. Um es auf den Punkt zu bringen: Durch die jetzt mit Nachdruck betriebene Ansiedlung der Europäischen Zentralbank mit dem Namen „Bank von Europa“ in Frankfurt wird die Schlacht um die Spitzenstel- lung der Weltfinanzmärkte entschieden. Bleiben das europäische Gemeinwesen sowie die europäischen Finanz- und Geldpolitiker auch nach der Bildung einer europäischen politischen Union einigermaßen intakt, dann wird die Bank von Europa eine größere Bedeutung haben als das amerika- nische Federal Reserve System oder die Bank von Japan. Unbestritten bleibt, dass unter diesen drei Notenbanken über viele Jahrzehnte die Geldpolitik der Welt alleine ausge- macht wird. Große Perspektiven ergeben sich also für den Wirtschaftsraum Rhein-Main, wenn die Euro-Zentralbank hier angesiedelt wird.

Im Zinsmanagement hat sich der Finanzplatz Frankfurt zusätzlich ein unverwechselbares und schlagkräftiges Instru- ment geschaffen, das den bis vor Kurzem noch bestehenden Wettbewerbsvorteil Londons wettmacht. Fibor ist erfolgreich gegen Libor angetreten. Das seit dem 1. Juli 90 angewandte Verfahren zur Ermittlung der „Frankfurt Interbank Offered Rate“ (Fibor) hat sich in der Praxis bewährt, schreibt die Lan- deszentralbank. Der Dreimonats-Zinssatz unter Banken konnte nun an den Londoner Zinssatz „Libor“ angepasst werden. Nun findet der Frankfurter Banken-Zinssatz auch bei internationalen Investoren hohe Anerkennung.

Rom – Schlappe für Delors

 

Der Herbst 90 hat für den EG-Präsidenten, Jacques Delors, eine politische Schlappe gebracht, von der er sich so schnell kaum erholen dürfte. In Rom wurden Delors’ Währungs- pläne zerschlagen. Es war auch der falsche Weg gewesen, den Brüssel in den vergangenen Wochen verfolgt hat. Von der EG-Kommission wurde zuviel Druck in Richtung einer baldigen Einführung der Europäischen Währungsunion aus- geübt, wohl auch mit dem Hintergedanken, die Deutschen müssten als Gegenleistung für EG-Freundlichkeiten bei der Vereinigung ihre harte Haltung aufgeben, weich werden für eine weichere Geldpolitik.

Nach Delors’ Vorstellungen, die von den Romanen in der EG unterstützt wurden, sollte die Währungsunion nun in einen zeitlich festen Rahmen gepresst werden, damit mög- lichst bald das Europa des Geldes unabänderliche Wirklich- keit wird. Brüssel nannte den 1. Januar 1993, an dem der Einstieg in die sogenannte 2. Stufe des Delorsplans vorge- nommen werden sollte. Ein Kompromissvorschlag enthielt die Jahreszahl 1994 mit der Perspektive, dass etwa zur Jahr- tausendwende eine einheitliche europäische Währung mit dem Namen ECU entstehen sollte. Für die Deutschen ist die D-Mark aber auch im 3. Jahrtausend noch gutes Geld.

Die deutsche Seite und mit ihr die meisten Hartwährungs- länder des europäischen Kontinents konnten den römischen Geldplänen nicht zustimmen. Ganz abgesehen von Großbri- tannien, das neuerdings wieder entschiedener als vorher eine separate eigenständige Linie fährt, ganz einfach auch des- halb, weil die Probleme auf der Insel eher größer als kleiner geworden sind. Man denke nur an die Teuerung von zehn Prozent derzeit. Nach früheren Bekundungen hätte das Pfund Sterling am vergangenen Wochenende in den Wech- selkursverbund des EWS eintreten sollen. Nichts ist passiert. Die Briten waren schlichtweg nicht in der Lage dazu. Nun wird auf den November verwiesen.

Obwohl es sich in Rom nur um ein informelles Treffen der EG-Finanzminister gehandelt hat, bei dem insbesondere Bundesbankpräsident Pöhl die Vorstellungen der übrigen EG-Zentralbankchefs den Ministern erläuterte, hat die Kon- ferenz zu einer klaren Justierung der europäischen Wäh- rungspolitik geführt. Niemand sollte jetzt noch Zweifel daran haben, dass die Bundesrepublik die Verantwortung für die europäische Leitwährung D-Mark weiter sehr ernst nimmt und dieses Instrument nicht zu opfern bereit ist, solange es keine gleichwertige europäische Institution gibt wie die Bundesbank für Deutschland. Es bleibt also bei der eindeutigen Dominanz des D-Mark-Blocks.

Dabei spielen die deutschen Finanz- und Geldpolitiker kein falsches Spiel nach dem Motto: Wir akzeptieren keine Europäische Zentralbank, weil sie nicht funktionsfähig wäre, und sie ist nicht funktionsfähig, weil die Deutschen sie nicht akzeptieren.

Machtpolitik ist die eine Seite, die sicherlich auch von Deutschland betrieben wird. Dennoch sollte nicht an dem ernst gemeinten Engagement der Deutschen gezweifelt wer- den, auch in der Währungspolitik. Das robuste Auftreten von Finanzminister Waigel in Rom ist nur daher verständ- lich, weil mit der Zeit zu offenkundig das Interesse anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der EG-Behörden in Brüssel zutage getreten war, eher auf die alsbaldige Demolierung des D-Mark-Blocks hinzuwirken als auf den Aufbau eines stabilen Fundaments für ein europä- isches Zentralbanksystem, ein Zentralbanksystem, in dem die Teuerung durch eine klar formulierte und unabhängige Geldpolitik ebenso gebändigt bleibt, wie in der Bundes- republik. Die Bundesbank hat über Jahrzehnte gelernt, wie man der Teuerung in Deutschland am besten an den Kragen gehen kann. Sie war damit auch Zuchtmeisterin für die anderen europäischen Volkswirtschaften.

Es kann aber doch nicht sein, dass in wenigen Jahren irgendeine europäische Behörde für das europäische Geld verantwortlich zeichnet, die nicht mit einem ausreichenden Instrumentarium ausstaffiert ist. Wer keine Souveränitäts- rechte an eine Euro-Zentralbank und eine gemeinsame Euro- Finanzpolitik abgeben will, darf nicht erwarten, dass die Bun- desrepublik die Bundesbank aus dem Obligo entlässt, die D-Mark opfert für einen flauen ECU. Das muss als durchaus verantwortungsvolle Haltung gegenüber Europa gewertet werden, wenn sie den Deutschen auch eine Vormachtstellung im alten Kontinent verschafft. Die EG-Freunde mögen dies als peinliche Zwickmühle empfinden. Sie müssen aber auf die Dauer ihre Steine wirklich anders setzen, nämlich auf dieAuf- gabe von einzelstaatlichen Souveränitätsrechten, damit ein souveränes Europa entstehen kann.

Auf dem EG-Gipfel in Rom (Dez. 1990) haben sich die Regierungschefs auf einen Einstieg in die 2. Stufe der Währungsunion 1994 festgelegt. Dies aber mit einem Fünf- Punkte-Programm verknüpft: 1. Die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes. 2. Die Ratifizierung eines EG- Vertrages, der die Bedingungen zur Schaffung der Währungs- union umreißt. 3. Die Sicherstellung, dass die Vertreter der nationalen Zentralbanken in der neuen EG-Zentralbank von der politischen Kontrolle der Mitgliedsstaaten frei sind. 4. Keine Finanzierung von Budget-Defiziten einzelner EG-Län- der. Außerdem sollen die Gemeinschaft sowie die einzelnen EG-Staaten das Schuldenmachen eines Mitgliedsstaates nicht mittragen. 5. Sollte der Beitritt der möglichst größten Zahl der Mitgliedsstaaten in den Wechselkursmechanismus des Euro- päischen Währungssystems vollzogen sein.

Wenn man in der Politik in der Sache nicht weiter kommt, pickt man sich unliebsame Personen raus, um diese kaltzu- stellen. Pöhl, der Machtmensch, war für die Europäer immer mehr zur Inkarnation seines Instruments D-Mark geworden. Schon seit Längerem wird er „Mister D-Mark“ bezeichnet. Und wenn die D-Mark nicht so schnell wegzu- schieben ist, dann muss eben Pöhl vom Sockel gestoßen wer- den. In diesem Punkte war Kanzler Kohl anfällig.

Estampas Mexicanas

 

Einmal darf aber noch richtig gefeiert werden. Pöhl, der weltbekannte und weltweit geschätzte Herr des deutschen Geldes holt mexikanische Impressionen in seinen Frankfur- ter Regierungssitz. Mexiko hatte nicht immer einen glänzen- den Namen in der globalen Finanzszene. Der Latino-Staat musste Anfang der 80er-Jahre seinen Schuldendienst an die weltweiten Gläubiger einstellen und löste damit die Weltfi- nanzkrise aus, die zehn Jahre beträchtliche Unruhe in die internationalen Devisen- und Kapitalmärkte gebracht hat. Nur das beherzte und schnelle Handeln des Basler BIZ-Prä- sidenten, Fritz Leutwiler, der sich auch ganz auf den devi- senstarken Bundesbankchef Pöhl stützen konnte, hat einen unkontrollierten Flächenbrand im Weltfinanzsystem verhin- dern können. Mit Schuldenstreckungen und -streichungen kam Mexiko außenwirtschaftlich wieder auf  die  Beine.  Der Banco de México zeigte sich dankbar und schickte eine wunderschöne Kunstsammlung auf Reisen. So können vom Februar bis zum 13. März (1991) im Hause der Bundes- bank „Mexikanische Impressionen“ aufleuchten, festgehalten auf Lithografien und Stichen des vergangenen Jahrhunderts. Zur Vernissage berichtet Lic. Miguel Mancera Aguayo, Gene- raldirektor des Banco de México: „Die mexikanische Zentral- bank besitzt unter ihren Kunstschätzen eine beachtenswerte Sammlung von Stichen und Lithografien, hauptsächlich aus dem 19. Jahrhundert. Sie ist eine der umfassendsten ihrer Art in unserem Lande. Erwähnen sollte man an dieser Stelle auch zwei bedeutende deutsche Namen, nämlich Karl Nebel und Johann Moritz Rugendas. Begeistert vom Werk des Natur- wissenschaftlers Alexander von Humboldt bereisten sie unser Land und hinterließen großartige grafische Arbeiten, von denen hier eine Auswahl zu sehen ist.“ Karl Otto Pöhl stimmt in die traditionelle deutsche Begeisterung für den Azteken- Staat ein: „Mexiko hat wie kaum ein anderes Land der Neuen Welt die Menschen in Europa fasziniert. Seine Kultur und seine Landschaften bewegten ihre Phantasie und weckten Sehnsüchte und Begehrlichkeiten.“ Er erinnerte auch an die „wegweisenden landeskundlichen Studien des deutschen For- schers und Gelehrten Alexander von Humboldts“. Etwas fachlicher wurde die Diskussion durch den Beitrag von Elena Horz de Vía. Sie ist Kulturbeauftragte der mexikanischen Zentralbank und Kuratorin der Ausstellung.

 

„Die hier mit 64 Arbeiten vertretenen mexikanischen und europäischen Künstler schufen große graphische Kunst- werke, ganz gleich, ob sie ihre Bilder eher realistisch oder romantisch zeichneten, ob sie erzieherische, gesellschaftskri- tische Absichten hegten, oder ob sie lediglich ihre Erlebnisse dokumentieren wollten. Sie hinterließen der Nachwelt ein äußerst klares, vielschichtiges und aufschlussreiches Bild vom Mexiko des vergangenen Jahrhunderts.“ Die Mexiko bereisenden Maler fanden in in der alten Gravurtechnik und später in der Lithografie das geeignete Medium, um ihren Anliegen, Gefühlen, Sorgen und auch Träumen Ausdruck zu verleihen. Außerdem erwies sich die Grafik für die mexika- nischen Künstler als hervorragendes Mittel, das Zusammen- wachsen der Nation, auf das Mexiko nach der gerade errun- genen Unabhängigkeit so sehr angewiesen war, zu fördern. Die grafische Darstellung ermöglichte eine umgehende, bil- lige und rasche Verbreitung von Ideen.

Karl Otto Pöhl auf dem Absprung

 

Seit den Zerwürfnissen um die deutsch-deutsche Währungs- union driftete Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl auch im deutschen Regierungslager mehr und mehr ins Abseits. Pöhl:

„Brüssel – Delors – hat die Propaganda-Maschine gegen mich

in Gang gebracht.“ Paul Volcker, ehemaliger Präsident des US- Notenbank-Systems, wird zitiert: „Wenn in meiner Amtszeit der amerikanische Präsident ein Mitglied des Board für einen Sonderauftrag ins Weiße Haus beordert hätte (wie in Bonn mit Tietmeyer geschehen) wäre ich am nächsten Tag zurückgetre- ten. Wenn es intern um die Bundesbank so steht, wie es den äußeren Anschein hat, dann wäre es in der Tat sehr schlimm.“ Obwohl Pöhls Vertrag noch bis einschließlich 1995 lief, sah er sich veranlasst im Frühjahr 1991 die Segel zu streichen. Am 16. Mai 1991 hat der Bundesbankpräsident eine persönliche Erklärung abgegeben, die neun Punkte umfasste und einiges an Freud und Leid in seiner Amtszeit spiegelt:

„Ich habe heute den Zentralbankrat von meinem Wunsch in Kenntnis gesetzt, im Laufe dieses Jahres aus persönlichen Gründen aus dem Amt zu scheiden. Als Zeitpunkt meines Ausscheidens ist, im Einvernehmen mit der Bundesregie- rung, Ende Oktober ins Auge gefasst worden.“

So geht denn die beispiellose Karriere des Karl Otto Pöhl ihrem Ende entgegen. Der britische „Economist“ hatte ihn schon als Karl Otto von Bismarck bezeichnet. Brite Terry Thomas, leitender Direktor der Cooperative Bank und Vor- sitzender der Gewerkschaftsbank Unity Trust, lobte: „Ver- glichen mit Pöhl sind einige EG-Wirtschaftsminister Pyg- mäen.“ Viele Pygmäen sind auch des Riesen Tod.

Nach und nach tritt eine der großen Persönlichkeiten der deutschen Hochfinanz in den Hintergrund. Pöhl (Jahrgang 1929) hatte als Journalist begonnen, nachdem er vorher schon beim Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung als Volks- wirt gearbeitet hatte. Erst die Journalistentätigkeit brachte ihm aber die wichtigen Kontakte in Bonn und weitere Kar- riere-Orientierungen. 1958 wechselte Pöhl zum Bundesver- band deutscher Banken, und zwar in die Geschäftsführung. 1970 trat er in den Dienst der Bundesregierung, von 1972 bis 1977 war er als Staatssekretär im Bundesfinanzministe- rium für nationale und internationale Währungspolitik zuständig. Als persönlicher Beauftragter von Bundeskanzler Helmut Schmidt bereitete er die Gipfelkonferenzen in den Jahren 1975 – 77 vor. Sehr bald schaffte er es als „Schmidt- Vertrauter“ zum Vizepräsidenten der Deutschen Bundes- bank, wo er seit Januar 1980 als Präsident agiert.

Hatte er im Auftag der Bonner Regierung Ende der 70er- Jahre das Europäische Währungssystem EWS mitent- wickelt, so fiel ihm in den 80er-Jahren und besonders seit Anfang 1990 die Vorbereitung der Europäischen Währungs- union zu. Dabei hat er einen Zug verpasst, nämlich sich rechtzeitig an die Spitze der deutsch-deutschen Währungs- union zu setzen.

Seit dem 1. 1. 1990 ist Pöhl Vorsitzender des Ausschusses der EG-Notenbank-Gluverneure. In dieser Eigenschaft hat er an hervorragender Stelle das Statut der Europäischen Zentralbank formuliert, das jetzt den Regierungen vorliegt und der europäischen Währungsakte, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll, beigeheftet werden soll. Pöhl ist ein klar denkender politischer Kopf mit großer For- mulierungskunst und ebenso strategischen wie witzigen Gedanken. Einige Zitate von ihm: Zum Tango gehören immer zwei, auch in der Geldpolitik.“

„Es ist für mich ein persönliches Problem, dass manche in meiner Politik deutsches Hegemonialstreben sehen. Das macht mich bei einigen unbeliebt. Es gibt natürlich auch ein- paar Leute, bei denen ich ganz schön beliebt bin. Ich bin das Gegenteil eines Nationalisten.“

„Ich bin ein Karl-Schiller-Sozialist.“

„Geldpolitik muss zentralistisch geführt werden. In die- sem Punkt ist die Bundesbank nicht föderalistisch.“

„Hans-Jochen Vogel hat kritisiert, dass mein Mitgliedsbei- trag bei der SPD zu gering ist.“ 1948 ist Pöhl der SPD beige- treten. „Kommunist wollte ich damals nicht werden, nach dem, was in der Sowjetzone geschah.“

„Soll aber bitte niemand behaupten, dass die deutsche Volkswirtschaft und damit die D-Mark durch meinen Rück- tritt schwächer werden. Vielleicht wird das Kolorit weniger farbig bei den Leuten, die Deutschland repräsentieren.“ An wen auch immer Pöhl dabei gedacht hat, seinen Nachfolger kann er damit nicht gemeint haben. Denn dieser hat noch einmal die Welt der europäischen Geldpolitik nach den kla- ren Strategien und in voller Souveränität der Bundesbank ausgerichtet.

Pöhl hat die Entscheidung der Bundesregierung sehr begrüßt, den bisherigen Vizepräsidenten, Prof. Dr. Helmut Schlesinger, zum Präsidenten und das Mitglied des Direkto- riums, Dr. Hans Tietmeyer, zum Vizepräsidenten der Deut- schen Bundesbank zu bestellen. Damit sei die Kontinuität der Bundesbankpolitik sichergestellt.

Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl hat der Bundesregie- rung gedankt, dass sie die Nachfolgefrage so schnell und überzeugend entschieden hat. Dies habe das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark und in die Unabhängigkeit der Bun- desbank gestärkt.

Hoch klingt das Lied vom braven Mann

 

Schlesinger hatte selbst nicht mehr daran geglaubt, dass er noch an die Spitze des Hauses berufen würde. „Das kam für mich völlig überraschend.“ Aus Bayern schallen Jubelrufe, weil nun einer ihrer Söhne aus dem Voralpenland die oberste Sprossenleiter bei der deutschen Notenbank erklommen hat. Schlesinger wurde am 4. September 1924 in Penzberg gebo- ren als Sohn eines Einzelhandelskaufmanns und Glasermeis- ters. Somit hat er alle guten und schwierigen Merkmale eines Oberbayern im Sternbild der Jungfrau. Ungeheuer zäh und penibel kämpft der von Jugend auf begeisterte Bergsteiger an der Finanzfront für die Geldwertstabilität in Deutschland und Europa und das seit Jahrzehnten. Nach Studium und wissen- schaftlicher Arbeit in München – dazu gehörten Promotion und der erste Arbeitgeber Ifo-Institut, kam Schlesinger schon 1952 in die Bank deutscher Länder, der Vorläuferin der Deutschen Bundesbank.

 

Die Belegschaft zieht starke Motivationen aus dieser Kar- riere, hat es doch einer ihrer Leute vom wissenschaftlichen Angestellten bis an die Spitze gebracht. Für Schlesinger liegt der Vorteil dieser Ochsentour darin, dass ihm keine Höhen und Tiefen, keine Licht- und Schattenseiten der Bundes- bankorganisation unergründlich geblieben sind.

Ab 1964 leitete er die Hauptabteilung „Volkswirtschaft und Statistik“, jenen Bereich, der die gesamtwirtschaftlichen Analysen, Prognosen sowie die national und international so hoch gelobten Monatsberichte erarbeitet. Gerade Letzte- ren widmete Schlesinger immer höchste Aufmerksamkeit bei eigenhändiger Redaktion. Auf diese charmante Weise hatte Schlesinger einen absoluten Wissensvorsprung. Er war stets klüger als alle anderen, insbesondere als seine Chefs, was ihn nicht beliebter machte, weil er oft auch mit Pedanterie seine Vorstellungen durchzusetzen wusste.

Seiner Idée fixe der Geldwertstabilität fiel zum Beispiel auch der interne Bonner Vorschlag für die Herausgabe einer Goldmünze zur Wiedervereinigung Deutschlands zum Opfer. Allerdings hat er sich stets auch gegen die Abschaf- fung der kupfernen Pfennige gewehrt, wie sie in Bonn auch schon mal erörtert worden war. Außerdem hat sein Vater, der Kaufmann, in den schlechten Zeiten des Reiches und der Nachkriegszeit, oft genug den Pfennig mehrfach umdrehen müssen, um mit seinem Laden zurechtzukommen. Sollte dies alles umsonst gewesen sein? Mit diesem Sohn an dieser Stelle nicht.

Als der amerikanische Außenminister, James Baker, noch Finanzminister war, soll er die Vermutung geäußert haben, dass Schlesinger unter jedem Kieselstein die Inflation vermute. Schlesinger ließ sich auch nicht beirren, als ihn Baker im November 1987 persönlich für die angeblich übertriebene antiinflationäre Politik und damit auch für den weltweiten Börsenkrach im Oktober des Jahres verantwortlich machte. Schlesinger reagierte damals mit einem nüchternen Hinweis auf die Pflicht der Bundesbank, für Preisstabilität zu sorgen und verwahrte sich entschieden gegen den Vorwurf, eine unangemessen restriktive Geldpolitik zu betreiben und wies darauf hin, dass zwei Jahre hintereinander eine das Wachstum der Produktionskapazitäten bei Weitem überschreitende Expansion der Geldmenge zugelassen worden sei. –

Zum 1. Oktober 1990 gab Schlesinger seine Funktionen als Chefvolkswirt an den Würzburger Volkswirtschaftler Otmar Issing ab und übernahm anstelle des ausscheidenden Claus Köhler die Hauptabteilung K (Kredit). Damit ist er insbesondere zuständig für die laufende Geldmarktsteue- rung und die Refinanzierung der Kreditinstitute bei der Notenbank sowie für alle Kapitalmarktfragen.

In der heftigen Diskussion um die Finanzierung der deut- schen Einheit überraschte Schlesinger im Oktober mit dem unkonventionellen Vorschlag, in größerem Maße auch in den alten Bundesländern staatliche Beteiligungen zu privati- sieren, um eine zu hohe Staatsverschuldung und die umstrit- tenen Steuererhöhungen zu vermeiden. Nach seinen Berech- nungen hätten auf diese Weise bis zu 370 Milliarden


D-Mark in die Bundeskasse fließen können. Der Denkan- stoß erhielt den Beifall des Bundes der Steuerzahler, fand aber erwartungsgemäß wenig Widerhall bei Regierung und Opposition, was Schlesinger damit begründete, dass „viele dieser Gesellschaften von den Politikern gern im öffentli- chen Besitz gesehen werden, weil es da Verwaltungs- und Vorstandsposten gibt, die sich gut für personalpolitische Anliegen eignen.“

Prof. Dr. mult. Helmut Schlesinger hat jetzt einen Zwei- jahresvertrag für seine Präsidentschaft erhalten und wird dann 69-jährig in den Ruhestand gehen. Mit der Berufung Tietmeyers zum Vize hat Bundeskanzler Kohl seinen Ver- trauten, seinen Sherpa, zunächst an die 2. Stelle der Bundes- bank gehoben. Kohl weiß jetzt ganz sicher, dass seine Kon- zeption für die Europäische Währungsunion weiter ent- wickelt und durchgesetzt wird.

Der knapp 60-jährige Tietmeyer gilt als treuer Diener die- ses Herrn, ohne dass man dabei befürchten müsste, dass die so wichtige Unabhängikeit der Bundesbank in absehbarer Zeit auf der Strecke bliebe. In diesem Punkte lassen weder Schlesinger noch der ehemalige Staatssekretär im Bundesfi- nanzministerium, Tietmeyer, mit sich handeln geschweige denn spaßen. Tietmeyer und Schlesinger sind ein gutes Gespann an der Spitze der deutschen Notenbank in einer Zeit, in der es darum geht, die Europäische Zentralbank nach dem Muster der deutschen Bundesbank aufzubauen und dies, wenn irgendmöglich in Frankfurt.

Alte Kameraden: Weltwirtschaftsgipfel in London 1991

18. 7. 1991

Am Pariser Weltwirtschaftsgipfel vor zwei Jahren wurde zuvörderst die 200. Wiederkehr der französischen Revolu- tion gefeiert. Aber Gorbatschow und die Russen machten von sich reden. Der sowjetische Präsident hatte einen hoch- offiziellen Brief an Mitterrand und die großen Sieben geschickt. Der Houstoner Gipfel 1990 stand unter dem Zei- chen der glorreichen deutschen Revolution und die Vereini- gung Deutschlands machte die Behandlung der osteuropä- ischen Themen auf höchster Ebene immer dringlicher. Bundeskanzler Kohl versuchte schon von Texas aus, umfas- sende Hilfsaktionen für den Osten seitens der Industrie- nationen anzukurbeln. Er erreichte vielfach nur ein Achsel- zucken. Deutschland solle sich anstrengen, schließlich sei die Bundesrepublik der Hauptnutznießer der großen Wende.

Nun haben Kohl und Mitterrand in den ersten Monaten 1991 diplomatisch durchgesetzt, dass die Sowjets zu einer Art Nachgipfel in London eingeladen wurden. Somit beherrschte schon seit längerem und besonders in den Gip- feltagen vom 15. – 17. Juli der Gipfelstürmer Gorbi die Schlagzeilen der Welt. Die tatsächlichen Erfolge des Sowjet- präsidenten – politisch und wirtschaftlich – standen aber in keinem angemessenen Verhältnis zu dem medialen Ereignis an der Themse. Die Deutschen setzten sich abermals für eine großzügige Wirtschaftshilfe für den Osten ein, mit dem Zusatz, nun seien die anderen gefordert. Deutschland habe gegeben, was es konnte: 40 Prozent der gesamten Osthilfe des Westens, ohne die Milliarden für die Gebiete der ehema- ligen DDR.

Mit dem sogenannten Start-Abkommen einigten sich Gor- batschow und US-Präsident George Bush über die Begren- zung der Strategischen Waffen. Ansonsten ging der Russe leer aus in London, wenn da nicht doch noch der Konsens zustande gekommen wäre, die Sowjetunion an IWF- und Weltbank anzubinden, zu assoziieren, wenn das möglich wäre. Zumindest können die Sowjets jetzt an die Beratungs- kapazitäten dieser Welt-Geldhäuser heran. Politisch ebenso wichtig, vielleicht sogar noch bedeutsamer ist die Verpflich- tung der G 7, dass die jeweils federführende Regierung die Russen auf ihrem langen Weg zurück in die arbeitsteilige Weltwirtschaft politisch begleitet.

Deshalb wird der britische Premier Major dieses Jahr noch einmal zu Konsultationen nach Moskau reisen. Nächs- tes Jahr sind die Deutschen dran, die Sowjets an die Hand zu nehmen.

Der Weltwirtschaftsgipfel in München wird 1992 einen weiteren Meilenstein in den west-östlichen Wirtschaftsbezie- hungen setzen. Die Deutschen werden für eine weitere Auf- wertung des Sowjetreiches im Kreise der Industrienationen sorgen. Neben der Erledigung des Arbeitsprogramms wird da zünftig gefeiert mit Blasmusik und Gebirgsschützen, mit Rahmenprogrammen in der Residenz und in Nymphenburg. So ein Gipfel wie der in London hatte natürlich auch seine gesellschaftlich amüsanten oder skurrilen Seiten. Am 2. Tag des G-7-Treffs fand im Buckingham-Palast auf Einladung der Königin ein festliches Abendessen statt, zu dem allerdings nur die Regierungsdelegationen zugelassen waren. Doch an- schließend wurde der Kreis der Gäste erweitert z. B. um mich, der die Musik- und Lasershow im Innenhof des Palastes (die Briten sagen „quadrangle“ dazu) mitgenießen konnte.

Nebst typisch britischer Militärmusik wurden an die Fas- saden des Schlosses per Lichtkanonen mehr oder weniger typische Symbole der sieben Gipfelländer projiziert oder das, was sich die knochigen Briten als typisch vorstellt. Pein- lichkeiten gab es da genug.

Die Schau begann mit dem Einzug eines berittenen Musik- corps durch den zentralen Torbogen um 20 nach 10 (natür- lich abends). Es gab ein Medley britischer Folksongs zum Besten und erfreute damit die 1000 Gäste. Ein Laserstrahl zeichnete den Turm von Big Ben auf das Buckingham- Gemäuer gegenüber der Königsloge. Ich saß darunter und konnte über diverse Spiegelungen die spannende Prinzessin Diana sehen. Die Uhr auf dem gelaserten Big Ben zeigte exakt 10 und schlug auch zehn, war damit 20 Minuten ver- spätet. Das Essen der hohen Herrschaften hatte sich verzö- gert. Die Elektroniker sahen sich nicht im Stande, die neue Lage einzukalkulieren. Im Laserzeitalter durchaus eine Panne.

 

Rechts und links tauchte das Symbol des Gipfels auf, der Erdball in der unteren Kurve eines S, das für „Summit“ (Gipfel) stehen sollte. Im Hof unten marschierten martia- lisch Musikcorps durch die Rundbögen: Rot befrackte Leib- garde, Irish- und Coldstream-Garde, zwei Bands der kgl. Marine, zwei Bands der Luftwaffe, außerdem Pfeifer und Trommler der Schottischen Garde. Gemeinsam und laut- stark boten sie leicht aufgepoppte Militärmusik mit 340 Trommeln, Trompeten, Hörnern, Pfeifen und Dudelsäcken. Dabei erschienen wie komprimierte Menetekel grelle Lichtzeichen auf der königlichen Fassade, die symbolhaft die einzelnen Länder darstellten. Für Kanada warb das Ahornblatt. Was denn sonst? Das Vereinte Europa wurde durch den Sternenkranz symbolisiert. Dabei ertönte die Europa-Hymne, Beethovens/Schillers Ode an die Freude. Alle Länder der G 7 wurden mit Musik, Landeswappen und geografischen Umrissen vorgestellt. So erschien das verei- nigte Deutschland auf dem grauen Buckingham-Putz mit dem Brandenburger Tor als Gütezeichen für die friedliche Republik östlich des Rheins. Das klassische Tor mit seiner Quadriga wurde lässig im Kreise drehend gelasert, mal Kopf stehend, mal richtig rum. Wahrscheinlich sollte mit der beflügelten Bewegung der Bundesadler nachempfunden werden, den als Wappen auf der Königin Palast zu projizie- ren die Veranstalter sich offenbar nicht getraut haben. In der Begleitmusik wurde dafür ein bieder-nationaler Ausgleich geschaffen. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen: Die Bri- ten spielten als deutsche Erkennungsmusik den Traditions- marsch „Alte Kameraden“. In dem Potpourri mischte er sich unter „Frère Jacques, Frère Jacques“, „Chor der Gefange- nen“, „Tulpen aus Amsterdam“(wegen der holländischen EG-Präsidentschaft), „God bless America“ zu Ehren des großen Bruders jenseits des Atlantiks und Sukiyaki für das Land der aufgehenden Sonne. „Land of Hope and Glory“ hatte sich der britische Premier John Major gewünscht.

Bei der Silhouette der britischen Inseln fiel auf, dass das Vereinigte Königreich ohne Nordirland erschien und Japan ohne die von den Sowjets annektierten Kurilen auskommen musste. Nach den Ideen der Showmaster rangen – typisch für Japan – fette Sumo-Kämpfer und es winkte natürlich der Fujiyama. Insgesamt hätten die Regierungschefs der Sieben auch kulturreichsten Nationen Besseres verdient.

Peinlich wurde die Lichtshow der „Definitive Laser Com- pany“, als die Symbole der sieben Währungen am Palast auf- und abzutanzen begannen, und schließlich in den Sum- mit-Globus hineinschlüpften, letztlich die ganze Erde mit ihrem Geldwert überdeckend und darin verschwindend: Geld verdeckt, bedeckt die Welt, eine dumme Geschmacklo- sigkeit.

Irgendwann zogen die alten Kameraden Britanniens wie- der ab durch die drei Torbögen des Quadrangle in Richtung Mall, angeführt von dem in London hoch geschätzten Flötisten James Galway. Galway strahlte für die Weltwirt- schaftsgipfelstürmer der sieben reichsten Nationen mit den etwas flachen Musicaltupfern „Wenn ich einmal reich bin“

und „Money, Money, Money“. Das Buckingham-Puzzle wurde durch ein imposantes Brillantfeuerwerk, unterlegt mit Händels Feuerwerksmusik abgeschlossen. Am Ende sollte Gott die Königin schützen. So war es am Dienstag- abend, dem 16. Juli 1991, in London auf dem Geldwirt- schaftsgipfel, den am Mittwoch auch noch der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow besteigen durfte. Von Anfang an hatten sie ihn nicht zugelassen. In München wird Russland bei G 7 voll anerkannt werden.

Abkehr vom Geist von Maastricht

 

Am 7. Februar (92) unterzeichnen die EG-Außenminister in Maastricht die Abkommen zur Wirtschafts- und Währungs- union bzw. zur Politischen Union, wie sie die europäischen Regierungschefs Anfang Dezember dort verabschiedet haben. Der exakte Vertragstext liegt noch nicht vor, aber die Inhalte sind weitestgehend bekannt. Man weiß auch, was nicht drinsteht, aber drinstehen sollte, nämlich wo die geplante europäische Zentralbank ihren Sitz haben soll. Da muss noch im laufenden Jahr manches vereinbart werden. Ein riesiger Kuhhandel steht ins Haus.

Wie schwer hier eine Entscheidung zu finden sein wird, deutete sich schon im Dezember an. Lange Zeit galt es als abgemachte Sache, dass die EG-Zentralbank nach Frankfurt kommt und Frankreich im Gegenzug das europäische Parla- ment beherbergen wird. Straßburg sollte alleiniger Sitz sein. Das Fait accompli von Mitterrand und Kohl scheiterte aber aus zweierlei Gründen. Die in Maastricht den Vorsitz führenden Niederlande forderten auf sehr unkonventionelle Weise, die EG-Zentralbank in Amsterdam zu errichten und boten den Franzosen, wie es die Deutschen auch schon getan hatten, den vollen Sitz des Euro-Parlaments an. Der teure Wanderzirkus von Brüssel über Luxemburg nach Straßburg sollte ein Ende haben.

Die lautstarke Forderung der Niederlande, die Zentral- bank auf Kosten Brüssels nach Amsterdam zu holen, hat die Belgier genauso vergrätzt, weil auch die Rechnung zu ihren Lasten aufgemacht wurde. Brüssel will nicht auf das Europa-Parlament verzichten. Es soll am Sitz der EG-Kom- mission verbleiben. Die Lösung um die hohen EG-Behörden und Amtssitze wird nicht einfacher dadurch, dass Luxem- burg schon im ersten EWG-Vertrag (50er-Jahre) zugesichert worden war, dass die europäischen Finanzinstitutionen im Großherzogtum angesiedelt werden sollen. Damit sitzen bei den Verhandlungen über das Domizil der Euro-Zentralbank Paris, Bonn, Amsterdam, Luxemburg und Brüssel mit eige- nen politischen Interessen am Tisch und natürlich wollen die anderen EG-Mitglieder ein Wörtchen mitreden.

In diesem politischen Interessenspiel hat Paris alle Karten in der Hand. Bis auf Brüssel macht den Franzosen niemand das Europäische Parlament streitig. Frankreich kann also damit rechnen, das Parlament uneingeschränkt nach Straß- burg zu bekommen. Außerdem kann Frankreich eine mehr


als mitbestimmende Rolle bei der Sitzfestsetzung für die Zentralbank spielen. Paris kann für Bonn votieren oder auch für Amsterdam, ohne Gefahr zu laufen bei Straßburg etwas zu verlieren. Bonn muss also in Paris nachfragen, wie die Stimmung ist, ob sich Frankreich mit Freundlichkeit herab- und Frankfurt zulässt.

Derzeit scheinen die Franzosen dazu aber wenig Neigung zu haben. Kürzlich hat François Mitterrand, der französi- sche Staatschef, schon die Bonner Abkehr vom Geist von Maastricht beklagt. Dies zeige sich nicht nur in der Aner- kennung von Slowenien und Kroatien durch die Deutschen sondern insbesondere auch durch die harte Hochzinspolitik der Bundesbank, die auch Zins treibende Rückwirkungen auf Frankreich zeigt.

Auch wenn es die Bundesbankspitze nicht wahrhaben will, die Franzosen bemäkeln die deutsche Geldpolitik. Paris wird seine Konsequenzen daraus ziehen, übrigens ohne Gefahr für die europäische Währungsunion, denn in Maast- richt wurde den Deutschen bereits die Geldsouveränität per Ende des Jahrzehnts abgeknöpft. Um es kurz zu sagen, zur- zeit steht es schlecht um das Anliegen Frankfurts, die EG- Zentralbank hierher zu bekommen. Bonn hat nichts mehr zu bieten, um den Europäern Frankfurt schmackhaft zu machen.

In gewisser Weise wirft die Bundesbank schon die Flinte ins Korn. Das Direktorium hat am 14. Januar (92) entschieden, die Planung für einen Erweiterungsbau auf dem Bundesbank- gelände in Frankfurt nicht weiter zu verfolgen. Die Begrün- dung: Angesichts der Entwicklung zu einem Europäischen Zentralbanksystem, in dem Aufgaben der nationalen Noten- banken neu geordnet werden, hält das Direktorium es derzeit nicht für vertretbar, umfassende Neubaumaßnahmen mit erheblichen Aufwendungen durchzuführen. Ferner sei nicht überschaubar, wie die anstehende Änderung des Bundesbank- gesetzes die Struktur der Bank verändern wird. Bei der Ent- scheidung des Direktoriums hat auch die bisherige und abseh- bare Kostenentwicklung eine wichtige Rolle gespielt, wird mitgeteilt. Als Schlussfolgerung kann daraus nur gezogen werden: Die Bundesbank weiß nicht, wie sie sich inhaltlich wieder findet, wenn die Europäische Zentralbank kommt – wo auch immer in Europa. Außerdem ist der Bundesbank (die selbst das Geld macht!) das Bauen zu teuer geworden. Ihre Zinsen sind zu hoch!

Das waren noch Zeiten, als der damalige Bundesbankprä- sident, Pöhl, schlicht anmerkte: Da tauschen wir in der Wil- helm-Epstein-Straße nur die Schilder aus und haben flugs die EG-Zentralbank.

D-Mark – Opfer auf dem Altar Europas

 

Mit goldenem Federhalter haben heute (7. 2. 92) die europäischen Außenminister die Verträge zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sowie der Politischen Union unterzeichnet. Bei den in Maastricht ausgehandelten Vertragsswerken handelt es sich im Wesentlichen um die Währungsgemeinschaft, weil die Politische Union in den Verhandlungen nicht strukturiert werden konnte, also keine große Einigung stattfand.

Diese Währungsunion wird neuerdings in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend diskutiert, weil sie letztlich auf das Opfer der D-Mark auf dem Altar Europas hinausläuft. Mehr und mehr zeichnet sich ab, das die Bundesbürger das Opfer nicht bringen wollen und dass das Opfer im gegebe- nen politischen Umfeld als ziemlich sinnlos angesehen wer- den muss, weil eine gut funktionierende Währungsunion von einer ebenso gut funktionierenden politischen Union begleitet werden muss und daran hapert es eben.

In einer eilends angesetzten Pressekonferenz hat die Bun- desbank denn auch darauf hingewiesen: „Die weitere Ent- wicklung im Bereich der politischen Union wird für den dauerhaften Erfolg der Währungsunion von zentraler Bedeutung sein.“ Schlesinger und sein Vize Tietmeyer gaben sich alle Mühe, das Maastrichter Vertragswerk seitens der Bundesbank zu erläutern, ohne direkten politischen Druck auf Bonn ausüben zu wollen. Dennoch standen die Chefs der Zentralbank nicht an, auf die Gefahren hinzuweisen, die mit einer so einseitig aufgezogenen Währungsunion zusam- menhängen. Insbesondere wies Tietmeyer darauf hin, dass sich die Bundesregierung nicht wegen bestimmter Zeitvor- gaben unter Druck setzen lassen sollte. Bei den Bundesban- kern kam ganz eindeutig zum Ausdruck, dass man mit der rechtlichen Ausgestaltung, z. B. dem Statut für das künftige europäische Zentralbanksystem durchaus zufrieden sein kann. Aber es hake überall da, wo es zur politischen Umset- zung komme.

So sehen die Verträge für die 2. Phase der Währungs- union, die mit der Errichtung eines Europäischen Wäh- rungsinstituts 1994 ihren Start nimmt, ganz klar vor, dass auch in dieser 2. Phase, die Geldpolitik in nationaler Verant- wortung bleibt, dass also der Bundesbank in den nächsten Jahren zumindest bis 1997 nicht ins Handwerk gepfuscht werden darf in ihrer Geldmengen- und Zinspolitik. Flotte Europäer haben aber in das Maastrichter Vertragswerk zusätzlich hineingeschrieben: „Das Europäische Währungs- institut soll von Beginn an – 1994 – berechtigt sein, sich von den existierenden europäischen Zentralbanken, die es wün- schen, Währungsreserven übertragen zu lassen. Damit wäre die volle Zentralbank da.

Außerdem soll das Währungsinstitut, das erst der Vorläu- fer der künftigen Zentralbank sein soll, beauftragt werden, die Verwendung des derzeitigen Kunstgeldes „ECU“ zu erleichtern und deren Entwicklung zu überwachen. Das hieße nichts anderes als ECU geht vor D-Mark. Aus der Sicht der Bundesbank muss sichergestellt werden, dass sich diese Aktivitäten nicht verselbstständigen und die Kunst- währung ECU, auch Korb-ECU genannt, nicht gegenüber den Nationalwährungen insbesondere der D-Mark privile- giert wird. Und dann holt die Bundesbank den Knüppel aus dem Schrank und stellt ihn vorsorglich neben den Schreibtisch, wenn sie sagt, andernfalls könnte es, entgegen der im Vertrag vorgesehenen Regelung, zu Konflikten mit der Geld- politik in den Mitgliedsstaaten kommen. Hier will die Bun- desbank durchaus nicht alles mit sich machen lassen.

Gefahren liegen auch in den in Aussicht genommenen Kohäsionsfonds, das sind bestimmte Finanzhilfen der Gemeinschaft, die der Eigenverantwortung der Mitglieds- länder nicht entzogen werden dürfen. Hier geht es um zusätzliche Staatsverschuldung. Schließlich appelliert die Bundesbank an die Bonner Regierung: Lasst uns künftig in der Geldpolitik nicht alleine, wenn es um die Stabilität der Währung geht. Wir wären überfordert.

Wie geht es nun weiter? Die Bundesregierung ist drauf und dran, das D-Mark-Opfer für Europa zu bringen, um gewissen Isolationsgefahren in der Europäischen Gemein- schaft ausweichen zu können, Isolationsgefahren aufgrund des Misstrauens der übrigen Europäer gegenüber dem als zu mächtig dargestellten Deutschland. Gutes Europäertum muss allerdings nicht mit unangemessenen Opfern bewiesen werden, weil dadurch das Unbehagen im eigenen Volk wächst.

Nun haben die europäischen Parlamente das Sagen – ins- besondere auch das deutsche – die die europäischen Geld- verträge ratifizieren müssen, und zwar alle zwölf Parla- mente. Steigt ein Staat aus, ist „Maastricht“ dahin. In Deutschland gibt es allerdings auch Überlegungen, auf die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion über eine Verfassungsklage einzuwirken.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zwei Tage nach

„Maastricht“ wollte Tietmeyer nicht von sich reden  machen, jedenfalls nicht auf die schnelle Tour. Vor dem internationalen Publikum sprach er selbstredend über die Europäische Währungsunion und den Maastrichter Gipfel. Er machte ganz deutlich, welche Opfer Deutschland für Europa bringt und wie das neue Geld bis zur Jahrtausend- wende in die Taschen der Europäer gelangt. Franzosen, Amerikaner und Briten im Auditorium wollten wissen, warum Deutschland das D-Mark-Opfer überhaupt bringt? Tietmeyer wörtlich: „Das ist Sache der Bonner Politik.“ Die Ausländer unisono: Wenn wir Deutsche wären, würden wir nicht exekutieren.

Zu den Renommier-Exemplaren der Deutschen, interna- tional und damit auch in Davos – gehört immer wieder Karl Otto Pöhl, der Altbundesbankpräsident und neuerlicher Pri- vatbanker bei den Kölner Oppenheims. Mit großem welt- wirtschaftlichem Wissen, mit Witz und perfektem Englisch leitete er Podiumsdiskussionen und Plenarsitzungen. Mit sei- nen Wortspielen amüsierte er ein mitunter gelangweiltes Publikum.

Als Deutscher vom Scheitel bis zur Sohle muss der schwä- belnde Klaus Schwab bezeichnet werden, der sich zu Recht als Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums bezeichnet. „Founder und President“, wie er stets betont. Er liebt das Englische. Er hat das Forum auch von A bis Z eng- lisch durchgestylt. Das ist die Amtssprache, wenn auch die meisten Teilnehmer Deutsche bzw. deutschsprachig sind und Davos auch nicht gerade in Devonshire oder Dakota liegt. Dennoch hat es eine kleine Sprach-Revolution gegeben, dies- mal nach über 20 Jahren der Forumsgeschichte. Beim World Economic Brainstorming, bei der allgemeinen Weltwirt- schafts-Grübelei am vergangenen Freitag, war ein ganzer Saal für Leute reserviert, die sich gerne der deutschen Sprache bedienen. Da ließ es sich auch Nato-Generalsekretär, Man- fred Wörner, nicht einfallen, seine Amtssprache – Englisch – zu nutzen. (Walter Hallstein, Präs. der EWG hätte auch besser daran getan, in Brüssel eine Doktrin zugunsten der deutschen Sprache zu erlassen, anstatt in saumseliger Internationalität das Englische zu forcieren. Da haben die Franzosen mal wie- der besser aufgepasst.) Wörner plauderte deutsch und offen- barte in den kleinen Zirkeln der Achter-Tische höchst interes- sante Gedanken über künftige Nato-Strategien. Für die GUS-Länder sei der Nato-Kooperationsrat geschaffen wor- den. Gegen nukleare Überraschungsangriffe von Extremisten- Staaten werde ein SDI-Raketenabwehrprogramm angedacht. Ein Ausblick auf den „Krieg der Sterne“.

Der Bonner Finanzstaatssekretär, Horst Köhler, disku- tierte die weltwirtschaftlichen Probleme, insbesondere die US-amerikanische Rezession, deren Ende noch nicht abzuse- hen sei. Und: Wenn die Uruguay-Runde (Welthandelsge- spräche) scheitere, sei dies ein Beweis dafür, dass der Westen mit seinen ureigensten Problemen nicht fertig werde.

Von der Großindustrie her machten in Davos Leute wie Carl Hahn, ehem. Chef des Volkswagenwerks, Lothar Späth, erst Ministerpräsident in Stuttgart dann Chef von Jen- optik/Carl Zeiss, und Birgit Breuel, Chefin der Treuhandan- stalt, Furore. Hahn ließ sich über Mega-Wettbewerb in der Autobranche aus und stellte nüchtern fest, dass das Bundes- kartellamt bis heute nicht die Zusammenhänge von Weltwirt- schaft und nationaler Volkswirtschaft begriffen hätte. Außer- dem moderierte Hahn Birgit Breuel, die sich in einem Spezialseminar über das Thema ausließ: Können die Erfah- rungen der Privatisierung der Treuhand in Ostdeutschland auch auf andere Länder (im Osten) angewandt werden?

Nicht weit davon war das Thema von Lothar Späth ange- siedelt: Unter welchen Bedingungen können ehemalige DDR-Betriebe wettbewerbsfähig sein – sollen sich ausländi- sche Unternehmen engagieren? Das Cleverle bei unterneh- merischer Basisarbeit.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diep- gen warb – nicht ohne lautstarken Widerspruch aus jüdi- schen Kreisen – für Deutschlands Hauptstadt und Olympia 2000 an der Spree. Sprachprobleme habe er nicht: „Ich bleibe bei Deutsch“, sagte er nicht ohne Hinweis auf sein mageres Schul-Englisch (was auch typisch deutsch ist).

Edgar Meister schlägt Mainz als EZB-Sitz vor

 

Am Abend des 25. Mai (92) war ich mit dem Präsidenten der französischen Nationalbank, Jacques Delarosière, bei einem herrlichen Abendessen im Grand Hotel de L’Opéra in Toulouse zusammen gesessen. Die rege Diskussion führte natürlich auf den Punkt des Zentralbanksitzes. Delarosière sagte mir da: Briten und Franzosen könnten Frankfurt nicht akzeptieren, weil sonst Paris und London als Finanzplätze ins Hintertreffen gerieten. Die EZB müsse also in die Pro- vinz, allenfalls sei Bonn akzeptabel, mit bestimmten Abtei- lungen, nicht einmal zur Gänze.

Einen Monat später, am Freitag, dem 26. Juni 92 waren meine Frau und ich, wie schon manches Jahr, zum Garten- fest bei Rosens eingeladen. Rüdiger von Rosen ist zurzeit Sprecher des Vorstandes der Frankfurter Wertpapierbörse. Vor Jahren leitete er als persönlicher Referent das Präsidiumsüro K. O. Pöhl. Entsprechend setzte sich der Kreis der Gäste zusammen, wenn die Rosens auch darauf achten, dass die Runde bunt gemischt bleibt. Chefärzte, Künstler, Industrieleute und Journalisten hocken da friedlich mit Poli- tikern, Finanziers und Börsianern zusammen. Sparkassen- chef (1822) Klaus Wächter amüsierte sich ebenso im Garten an der Frankfurter Eichendorffstraße wie Gustav Adolf Schaeling, der Sektchef von Schloss Vaux, auch  Manager  der Dresdner und allerlei Deutsch- und Commerzbanker.

Das Wetter zeigt sich an diesem Abend von seiner präch- tigsten Seite, hochsommerlich warm aber nicht zu heiß. Die Stimmung lässt ebenfalls nichts zu wünschen übrig, denn Deutschland steht im Endspiel der Fussball-Europameister- schaft gegen Dänemark. Vier Fernsehapparate schütten ihre Bilder, Worte und das Geschrei aus dem Stadion über uns. Davor knäulen sich die meisten Gäste, denn Deutschland liegt bereits 0:1 im Rückstand. Ich halte mich da etwas im Hintergrund und pflege Gespräche.

Edgar Meister, den ich seit vielen Jahren, damals noch  als Vorstand der Deutschen Pfandbrief-Anstalt kenne, gesellt sich zu mir. Ich erzähle ihm, was ich gerade gehört habe. Günter Storch, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, hatte diskret verbreitet, „dass heute Abend in Lissabon beim EG-Gipfel 16 europäische Institu- tionen, darunter der Sitz der künftigen Europäischen Zent- ralbank unter den Mitgliedsländern aufgeteilt werden und dass die Notenbank nach Bonn kommen soll. Meister und ich mäkeln an der Bonn-Entscheidung herum. Auch Wäch- ter beteiligt sich an der Kritik. Es kommt zu einem „Rütli- Schwur“ der besonderen Art, geleistet von Meister und mir.

Ganz utopisch vereinbaren wir, die EZB nach Mainz zu holen, wenn heute nicht endgültig Bonn als Sitz festgelegt wird. Eigentlich war gar nicht daran zu zweifeln, dass der Beschluss „Bonn“ gefasst wird, denn der immer gut infor- mierte Bundesbank-Storch, weiß wirklich, was da in Lis- sabon unter der EG-Präsidentschaft Portugals abgeht. Mit dem Vorschlag „Mainz“ soll aber das wichtige Institut für den Rhein-Main-Raum gerettet werden, wenn die lieben EG-Brüder wie Franzosen und Briten, sich partout nicht mit Frankfurt abfinden wollen.

Zur selben Minute als die Dänen mit dem zweiten Treffer die deutsche Niederlage in Göteborg besiegeln, schmettert der britische Premierminister, John Major, den portugiesi- schen Vorschlag „Bonn“ mit den Worten ab: London hält seine Bewerbung für den Sitz der EZB aufrecht. Gleichzeitig schwören Meister und Wehnelt bei Rosens im Garten auf Mainz. Tatsächlich sickerte die Meldung erst am folgenden Tag durch, dass mit dem Briten-Votum alles wieder offen sei, und am Sonntag fasse ich mir ein Herz, Meister, den rheinland-pfälzischen Finanzminister, an den Rütli-Schwur zu erinnern.

Am Autotelefon auf der Fahrt nach St. Goar zeigt sich Meister recht unlustig. Er müsse die Sache erst mit Minister- präsidenten Scharping und FDP-Wirtschaftsminister Brü- derle besprechen. Mein Übermut ist gedämpft. Ohne „har- tes“ Meister-Interview kann im Funk und den Medien nichts laufen. – Das Blatt wendet sich. Stunden später interviewe ich ihn telefonisch (aus Stuttgart) und verbreite das Ergebnis sofort über den Sender. Folgende Pressemeldung habe ich dazu verfasst:

Mainz bewirbt sich um Sitz der Europäischen Zentralbank

 

Frankfurt am Main, 29. 6. 92 (HR) Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat jetzt die Bewerbung für den Sitz der Europäischen Zentralbank bekannt gegeben. Wie Finanzmi- nister Edgar Meister im Hessischen Rundfunk sagte, sei Mainz die ideale Lösung, wenn Frankfurt keine Chance haben sollte, weil die europäischen Nachbarn dadurch eine nicht akzeptable Verzerrung des Wettbewerbs unter den europäischen Finanzzentren sähen. Meister beharrt darauf, dass die EZB auf jeden Fall nach Deutschland kommt. Der Staatsminister nannte vier Punkte, die für Mainz als Zent- ralbanksitz sprechen:

1.   Die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz verfüge über die notwendige Infrastruktur, um eine solche wichtige internationale Behörde zu beherbergen. Die Nähe zum Rhein-Main-Flughafen gehöre ebenso dazu wie die Auto- bahnanbindungen und die Eisenbahn-Verbindungen an der Rheinschiene. Zur Infrastruktur gehöre auch die hoch entwickelte Kommunikationsindustrie wie der Sitz des ZDF, von SAT 1 und die Nähe des Hessischen Rundfunks und des Südwestfunks sowie national und international angesehener Printmedien in der Region. Zu dieser Infra- struktur gehöre auch der eminent wichtige Finanzplatz Frankfurt.

2.   Mainz ist kein Wettbewerber für die Finanzzentren Paris, London und Amsterdam.

3.   Die neue EG-Zentralbank sollte nicht an einen Regierungs- sitz gehen, wie es Bonn ist und auf Jahre noch bleibt.

4.   Mit Mainz kann auch Bundeskanzler Helmut Kohl sein Versprechen einlösen, die EG-Zentralbank in den Rhein- Main-Raum zu bringen. (Diese Meldung ist überall in den Nachrichten gelaufen – Rundfunk, Fernsehen und Druck- medien.)

Am 3. Juli moderierte ich eine Stundensendung, zu der ich als Diskutanten Rüdiger von Rosen, Ingrid Matthäus-Maier, finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Her- mann Otto Solms, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und Karl Thomas, Präsident der Landeszentralbank in Hessen, eingeladen hatte. Das Thema hieß: Von Gipfel zu Gipfel. Gemeint waren der EG-Gipfel in Lissabon (26. 6.) und der Weltwirtschaftsgipfel in München (6. 7.). Thomas setzte sich dabei ganz energisch für Frankfurt ein. Seine These:

Wer Bonn als EZB-Sitz zulässt, erhält London

 

Zwischen der Sitzfrage für die geplante Europäische Zentral- bank und der Art der Geldpolitik, die dort geführt wird, besteht nach Meinung von Karl Thomas ein enger Zusam- menhang. Dieser Zusammenhang sei in den bisherigen Dis- kussionen überhaupt nicht gesehen worden. So sei man auf die für Thomas sehr kurios erscheinende Idee ‚Bonn‘ gekommen. Im HR (am 3. 7. 92) sagte Thomas, der Mitglied des Zentral- bankrates der Deutschen Bundesbank ist: „Ich betone ganz klar: Wenn man Bonn sagt, oder irgendeinen anderen Neben- platz in Europa, der für einen Sitz dann ausgewählt würde, käme eine starke Tendenz Richtung London dabei heraus.“

Und so wie London sich zeigt, wie in London Geldpolitik gemacht wird, „hätten wir denn am Ende ein hoch zentralis- tisches System der Geldpolitik und damit genau das Gegen- teil dessen, was heute immer beteuert wird, nämlich dass wir ein dezentrales System wollen, das auch den nationalen Notenbanken gewisse Lebensrechte lässt, während sie bei dem absolut zentralen System zu Filialen mit vielleicht Zah- lungsverkehrsfunktionen absinken würden.“

Wenn Europa die Währungsunion will und Währungs- union als ein effizientes System der Geldpolitik, so Thomas im HR, dann muss ein Ort gewählt werden, der auch als Finanzplatz anerkannt wird und der auch eine gewisse Gewähr dafür bietet, dass die großen Prinzipien, die jetzt so stark betont werden, nämlich der dezentralen Ausführung und der sogenannten Subsidiarität gewahrt bleiben. Thomas wörtlich: „Das muss natürlich erst einmal gesichert werden und das kann eben auch unter Beachtung der geldpoliti- schen Bedingungen besprochen und letztlich entschieden werden.“

Thomas wies darauf hin, dass die Bundesbank immer ganz deutlich gemacht habe, dass die politische Union noch fehle als Parallele zur Währungsunion. Insofern geht die Währungsunion der politischen Union weit voraus. Es werde sich nun zeigen müssen, ob das auf die Dauer so durchgehalten werden kann, besonders, wenn wichtige poli- tische Entscheidungen als Nebenbedingungen für eine erfolgreiche Geldpolitik gebraucht werden.

Die Briten haben die Bewerbung Londons als Sitz der EZB auch auf dem EG-Gipfel in Edinburg aufrechterhalten, obwohl das Pfund Sterling schon im September aus dem Europäischen Währungssystem hinausgeflogen ist. In Edin- burg war für Frankfurt nichts zu holen. Seit den Währungs- turbulenzen  im  August/September  macht  die  Bundesbank ohnehin in deutschem und europäischem Auftrag Geldpoli- tik alleine, wenn es auch vielen nicht passt.

Wie sehr Briten und Franzosen von Anfang an gegen Frankfurt als EZB-Sitz eingestellt waren, besagt eine Notiz von Claus Köhler: „Wir erfüllen Ihnen gerne jeden Wunsch, aber nicht den, dass die EZB nach Frankfurt an den Sitz der Bundesbank kommt. Das sagte zu mir Peter Cook, der Chef der britischen Bankenaufsicht. Auch M. David, Banque de France, war derselben Meinung. Ich hatte einen engen Kon- takt zu diesem Kreis, denn ich war von 1979 bis 1982 Vor- sitzender der Beratenden Bankenkommission bei der Kom- mission der Europäischen Gemeinschaften. Dort genoss ich das Vertrauen der Mitglieder. Ich nutzte das auch, um für den Sitz der EZB in Frankfurt zu werben.“

…hatte einen Kameraden, einen bessern findst du nicht!

 

Meine sehr intensive Berichterstattung und Kommentierung zum Thema „Maastricht“, Europäische  Währungsunion  und deutsche Geldpolitik hat zu einer außerordentlichen Aufmerksamkeit bei der Hörerschaft geführt. Es gab Briefe, in denen ich unglaublich gelobt wurde. Andere Schreiber waren kritischer. Ein „Politologe“ sorgte sich gar „wegen unverhohlen vorgetragenen D-Mark-Nationalismus‘“ und machte mit dieser Behauptung Chefredakteur, Programmdi- rektor und Rundfunkratsvorsitzenden (Ignatz Bubis, Vors. des Zentralrates der Juden in Deutschland) verrückt. Doch auch dieser Hörer hatte einigen Respekt vor der Arbeit. Er forderte nämlich von den HR-Chefs, dass sie einen Redak- teur einstellen, „der sich in HR-Sendungen ebenso gut und ebenso oft ‚für die Maastrichter-Verträge‘ einsetzt, wie CW dagegen argumentiert.“

Der Politologe hat die Sorge geäußert: Wenn in Deutsch- land – wie in Dänemark – ein Referendum über die Maa- strichter Verträge abgehalten würde, hätte ich das Zünglein an der Waage spielen können. Ich hätte bestimmt 20 000 Wähler gegen Maastricht umgedreht und genau diese Anzahl von 20 000 Leuten hätte in Dänemark genügt, um die Verträge abzulehnen. So könnte es auch in Deutschland passieren.

Der Politologe hat Recht. Die Stimmung in der Bevölke- rung war und ist gegen Maastricht. Ein Referendum hätte dies schnell gezeigt. Deshalb haben Regierung und Opposi- tion auch kein Referendum zugelassen oder beantragt. Das Votum dagegen wäre weit über die  mir zugeschriebenen 20 000 Stimmen hinausgegangen. Parteien und Politiker haben das Volk für unmündig erklärt.

Währungsunion auf coole Tour erzwingen

 

Zu meinen tatsächlich geträumten politischen Träumen gehört dieser: Ich befand mich in einer Hochgebirgslandschaft am Rande eines hochgelegenen Tales. Die Berge ringsherum könn- ten 3000er gewesen sein. Einer von ihnen reckte sich beson- ders hoch auf. Er war offensichtlich aus Sand aufgeschüttet, eine ansehnliche Sandpyramide. Genau von dieser löste sich eine Lawine, die sich mit hoher Geschwindigkeit ins Tal ergoss und durch das Tal fegte. Ich stehe etwas abseits.

Klar ist, dass es sich um einen politischen Traum handelte, klar auch, dass in der Asyl- und Ausländerpolitik (erster Deutungsversuch) vieles falsch gemacht und versäumt wurde, sich dadurch ein Berg von Problemen aufgehäuft hat, der ins Rutschen geraten kann und schon ist.

Meine politisch-redaktionelle Arbeit bezieht sich aber auf Geldpolitik und nicht auf die Ausländerpolitik. Und in der Geld- und Währungspolitik geht es derzeit drunter und drü- ber. Maastricht ist seit Februar unterzeichnet. Heute läuft in Frankreich das dazu gehörige Referendum. Schon im Vor- feld wurde in den vergangenen Tagen das Europäische Währungssystem – EWS – faktisch weggefegt. Fünfeinhalb Jahre haben sich die europäischen Nachbarn geweigert, in diesem EWS die Wechselkurse den wirtschaftlichen Gege- benheiten in ihren jeweiligen Ländern (Wachstum, Inflation, Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit) anzupassen. Dann aber wollten sie auf die coole Tour die Währungsunion erzwingen. Doch irgendwann schlagen die Realitäten zu Buche. Jetzt wurde eine drastische Abwertung von italieni- scher Lira, dem britischen Pfund Sterling und der spanischen Peseta erzwungen. Die Abwertung des Franzosen-Francs konnte nur mit Interventionen der Bundesbank im Gesamt- betrag von 40 Milliarden D-Mark zugunsten des Franc gerade noch verhindert werden. Dabei haben die Franzosen ihr gesamtes Gold verpfändet. Der Sandberg riesiger Men- gen spekulativen Geldes kam ins Rutschen.