Christoph Wehnelt – Börsenplatzgeschichten – Finanzplatzgeschichte

Oh Bankgeschicht‘ –

Oh Krankgeschicht‘

„Oh Bankgeschicht‘ – oh Krankgeschicht‘ und dennoch Gott-sei-Dank-Geschicht.“ So schließt Alt-Bundesbankpräsident, Otmar Emminger, sein Geleitwort zu Wolfs „30 Jahre Nachkriegsentwicklung im deutschen Bankwesen.“ Herbert Wolf, Chefvolkswirt der Commerzbank hat nach eigenen Worten das „Skizzieren und Analysieren von 30 Jahren deutscher Bankgeschichte Freude gemacht.“ Er schuf speziell für ausländische Leser, denen der Aufstieg der deutschen Kreditwirtschaft nach 1945 ein bisher kaum erklärbares Phänomen war, ein leicht fassbares Kompendium mit akribisch erstellten Tabellen. Der Volkswirt und Pressechef der drittgrößten deutschen Geschäftsbank schlägt in seinen Ausführungen einen Bogen vom Morgenthau-Plan (Deutschland muss Agrarstaat werden) bis zur Banken-Strukturkommission (unerträgliche Machtkonzentration bei den Banken in Deutschland). Immer wieder kreuzen die „Flaggschiffe“ (Wolf) des Bankgewerbes, die Deutsche Bank, die Dresdner und Commerzbank, die Abhandlung, die einer ihrer Decksoffiziere aufgezeichnet hat. Wolf legt ein säuberlich geführtes Logbuch der Bankenflotte vor.

Georgetown University: Gaudeamus igitur

 

„Allen hier Anwesenden Grüße und Frieden im Herrn.“ Der Präsident der Georgetown University, Timothy S. Healy, meint es ernst. Er steht der ältesten katholischen Universität der Vereinigten Staaten vor – gegr. 1789. Außerdem ist er Jesuitenpater. Dass er zusätzlich noch als Manager erfolgreich arbeitet, passt gut, denn die Universität im Washingtoner Vorort Georgetown hat seit langem die Rechtsform einer Aktiengesellschaft und diese gehört allein den Jesuiten. Der Erfolg hängt an Gottes Segen, ablesbar an den AG-Gewinnen. Der Umsatz des christlichen Hauses liegt im dreistelligen Millionen-Bereich. Zu den Studiengeldern kommen Auftragsforschung und Spenden, auch aus Deutschland. Von nichts ist nichts.

 

Die Georgetown University gehört zu den berühmtesten Hochschulen des Landes mit geachteten Wissenschaftler-Kapazitäten. Henry Kissinger, der ehemalige US-Außenminister, lehrt dort politische Strategien gemeinsam mit dem Ex-Verteidigungsminister Schlesinger. Beide waren am 28. September 1983 (16 h) in der Gaston Hall der Universität allerdings nicht anwesend, dafür aber der Präsident des amerikanischen Notenbanksystems Fed, Paul A. Volcker, sowie Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, Bankenpräsident Hanns Christian Schroeder-Hohenwarth, deutsche und amerikanische Banker und Professoren.

 

Das nicht sehr große Auditorium von etwa 100 Leuten erlebte zu dieser Stunde die Verleihung des „Doctor of Humane Letters, honoris causa, an Karl Otto Pöhl, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank einschließlich Gebeten, Chorälen und Blasmusik. Auf der robenträchtigen Bühne schmetterte auch Graf Galen aus voller Brust das Gaudeamus igitur. Er gehört zum Verwaltungsrat des heiligen und hohen Hauses. In der sehr würdevollen Feier bereicherte Pöhl die englisch-sprachige Finanzwissenschaft mit dem deutschen Wort „Ersatz:“ „There is no easy ‚Ersatz‘ in any monetary arrangements that we may think of.“ Pöhl meinte, es gebe keinen Ersatz für die eigenen Anstrengungen eines Landes  seine Schuldenkrise zu bewältigen. Eine mutige Aussage, denn Pöhl tadelte damit das Gastland USA.

 

Aber nicht allein wegen der hervorragenden Rede und dieser Wortschöpfung bekam Pöhl den Dr. h.c. sondern: „Die Georgetown Universität ehrt in Karl Otto Pöhl,“ so Healy, „einen hervorragenden Repräsentanten der Generation von Deutschen, die durch hartes Streben, hoher Intelligenz und unerschütterlicher Treue zu den demokratischen Prinzipien das Land seit 1945 aus den Tiefen herausgeführt hat,“ materiell und moralisch. Mit dem Hinweis auf 1945 hat Healy versteckt auf die traditionelle Deutschfreundlichkeit gedeutet. Schon bei Beginn der Naziherrschaft hatten dort zwei emigrierte Professoren Unterschlupf gefunden und ihre Lehrtätigkeit wieder aufnehmen können: Kronstein und Götzbriefs. Seitens der Jesuiten war das generös, ganz abgesehen davon, dass die Wissenschaftler das Universitätsangebot sehr bereichert haben. Geld hatten sie nicht mitgebracht. Das kam erst später ins Spiel und da begann der Ärger.

 

1976 – zum 200-jährigen Bestehen der USA – griff Bundespräsident Walter Scheel ins Füllhorn der Volkswagen-Stiftung und schenkte den Universitäten von New York und Georgetown jeweils einen Lehrstuhl. In Georgetown wurde damit der sozialwissenschaftliche Adenauer Chair begründet. Basis dafür waren die von Scheel dedizierten eine Million D-Mark, damals immerhin 411 000 Dollar wert. Die Jesuiten strichen das Geld ein und legten es größtenteils in Grund und Boden an. Sie setzten auf den künftigen Wertzuwachs. „Die Leute sind sehr geschäftstüchtig,“ urteilt Hannelore Theodor von der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Ihr Referat 613 betreut solche AA-Aktivitäten weltweit.

 

Vom Wertzuwachs des Bodens kann aber kein Professor leben und der Pachtzins ist auch in God’s own country, wie die Amerikaner ihr Land ideologisieren zu niedrig, um einen hungrigen Professor übers Jahr zu alimentieren, jedenfalls bei einer nur mäßig hohen Investition von rund einer halben Million Dollar. „Die verfügbaren Mittel,“ so Prof. Wolfram Engels, „reichten gerade für ein bescheidenes Gehalt und eine halbe Sekretärin.“ Engels muss es wissen, denn er selbst hatte 1979/80 den Adenauer Chair inne. „Es langte nicht fürs Papier.“ Der deutsche Wissenschaftler konnte das akademische Jahr in Georgetown nur mit einem zusätzlichen Fulbright-Stipendium überstehen. Engels: „Mit gewissen Steuererleichterungen kam ich dann schließlich auf mein in Deutschland übliches Gehalt.“

 

Die Geldknappheit des Lehrstuhls konnte also nur durch Spenden ausgeglichen werden. Und das brachte den Frankfurter Bankier Ferdinand Graf von Galen auf den Plan. Seine Profilierungssucht ging dabei eine glückliche Ehe mit dem in der Familie traditionellen Mäzenatentum ein. Aus seinem versteuerten Einkommen leistete er 1978 und 1981 Spenden für Sachmittel von jeweils 20 000 Mark. Auf die Dauer wurde dem Grafen das aber zuviel. Er riet daher den Jesuiten, sie sollten doch beim Auswärtigen Amt eine Aufstockung der Mittel verlangen. Das ging schief. 1982 drehte das Haus Genscher den Spieß um und verlangte die vollständige Anlage der Stiftungsgelder in hochverzinsliche Papiere. Dem wurde stattgegeben, obwohl das der Societas Jesu nicht recht gefiel.

 

Das Geld für den Lehrstuhlinhaber blieb trotzdem knapp. Graf Galen, der sich durch Spenden und Freundlichkeiten bereits in den Verwaltungsrat der Universität hineinmanövriert hatte, gab nicht auf. Dafür hatte er auch gewichtige persönliche Gründe nicht nur

  • die Freundschaft zu Amerika und
  • die Verbundenheit mit der CDU. (Galen: Die Partei muss sich doch für den Adenauer Chair interessieren!)
  • Galen reizte auch die Möglichkeit, mit Ehrendoktorwürden nützliche Freunde zu schaffen (Galen: Ein politisches Instrument) und als
  • Lebensziel ein Denkmal für die eigene Familie zu setzen durch die Stiftung eines Galen-Chairs – Lehrstuhl für Ethik – zu Ehren seines Onkels, des streitbaren Münsteraner Kardinals, der als einer der wenigen Bischöfe gegen die Exzesse der Naziherrschaft Front gemacht hatte.

Kurz: ihm schwebt, abgesehen vom familiären Anliegen, eine Art Georgetown-Gral mit höchsten Wirtschaftskapitänen und Top-Politikern vor, die für ihr Geld nicht nur jesuitischen Segen sondern auch akademische Würden erhalten und vergeben sollten. Um dafür den organisatorischen und finanziellen Unterbau zu schaffen, gründete er mit dem Bundesbankpräsidenten und dem Chef von Robert-Bosch, Hans Merkle, sowie Prof. Wolfram Engels im Spätsommer 1983 den „Verein zur Förderung der Georgetown University.“ Seine Gemeinnützigkeit soll die Spendenfreude von Banken und Industrie noch zusätzlich fördern.

 

Horst-Dieter Esch bastelt an seinem Baumaschinen-Konzern

– und mit Beginn der 80er Jahre am Untergang der Galen-Bank

 

Mit Umsicht und Machtanspruch hat der Mainzer Unternehmer Esch in wenigen Jahren einen der größten Baumaschinen-Konzerne der Welt aufgebaut. Jetzt werden die Konsolidierung des Zahlenwerks und die Kontrolle des Managements dringend. Vorab will er aber noch General Motors die Tochter Terex aus den Zähnen ziehen. Esch muss da richtig baggern.

 

Einfach macht es der Master of Business Administration (MBA) seinen Geschäftspartnern im Board des größten Autokonzerns der Welt, General Motors (GM), wirklich nicht. Esch, Großaktionär und Vorstandsvorsitzender des Mainzer Baumaschinen-Konglomerats IBH Holding AG will nur die für ihn interessanten Stücke der Terex übernehmen, nicht die gesamte GM-Division. Außerdem will er kein Geld dafür aufwenden. „Ich kann nur soviel sagen, dass die Transaktion nach dem Muster der vorhergehenden läuft.“ Aus den geheim gehaltenen Vereinbarungen zwischen Mainz und Michigan  können jetzt aber einzelne Info-Bausteine heraus gebrochen werden. Sie genügen, um den Grundriss der weltweiten Baumaschinen-Kooperation zu erkennen:

–      Esch gründet mit einem Kapital von 20 Millionen Dollar in Ohio die Terex Corp.

  • General Motors bringt dafür das Geld mit.
  • Diese 20 Millionen Dollar entsprechen nämlich der Einlage von 40 Millionen Mark, die

GM zum Erwerb einer Beteiligung an der IBH Holding locker machen muss.

  • Die Terex Corp. wird zu Beginn des nächsten Jahres (1981) die Werksteile und jene

Beschäftigten der GM-Division übernehmen, die Esch für eine optimale Weiterführung

der amerikanischen Baumaschinen-Interessen seines Hauses für notwendig hält.

„Ich übernehme die Mannschaften, die ich brauche.“ Dann wird der Mainzer Unternehmer aus der amerikanischen Manager-Schule (Absolvent der UCLA University of California und Los Angeles) genauer: „In der Verwaltung sitzen 15 Prozent zuviel Mitarbeiter. Wir werden also entsprechend weniger Weißkragen-Leute engagieren. Die Blaumänner brauchen wir überwiegend.“ Die Terex-Division der GM hatte 1972 etwa 6500 Beschäftigte. 1980 sind es noch 5900. Die Terex Corp. wird mit kaum mehr als 5000 Mitarbeitern starten. Dabei bleibt das Sozialplan- und Umsetzungsrisiko der übrigen Mannschaft voll und ganz bei General Motors.

 

Immerhin wird der größte Automobilkonzern auf diese Weise seine Baumaschinen-Aktivitäten los, die zwar eine Menge Umsatz (jährlich rund 500 Millionen Dollar) machen damit aber nur einen minimalen Ertrag (25 Millionen Dollar) erwirtschaften. „Mit der Übernahme werde ich zum drittgrößten Baumaschinenhersteller der Welt.“ Nach der amerikanischen Caterpillar und der japanischen Komatsu folgt damit die Mainzer IBH Holding AG, die im kommenden Jahr 2,3 Milliarden Mark umsetzen will. Esch hat sich sogar zum Ziel gesetzt, die Japaner von Platz 2 zu verdrängen und in absehbarer Zeit direkt hinter Caterpillar zu rangieren. In zwei Punkten will der selbstsichere Esch Caterpillar kopieren: in der Vertriebsorganisation – nur ein Generalvertreter für ein Land – und im Ertrag. Da die Amerikaner aber ganze 7,5 Prozent vom Umsatz (nach Steuern) verdienen, muss sich die IBH kräftig anstrengen. Mit 1,2 Milliarden Mark Umsatz können die Mainzer 1980 nur rund 20 Millionen Mark an Gewinnen einfahren, etwas mehr als anderthalb Prozent vom Umsatz. „Wir werden zufrieden sein,“ korrigiert sich MBA-Esch, „wenn wir sechs oder fünf Prozent nach Steuern vorweisen können.“

 

Der Mann, der in fünfeinhalb Jahren einen Milliarden-Konzern aufgebaut hat, glaubt an sein Glück wie damals. Ende 1973 kaufte er für ersparte 100 000 Mark an der Londoner Börse Aktien seines Arbeitgebers (Blackwood Hodge) zu 145 Cents je Stück. Im Verlauf des Jahres 74 kam es zu einem rasanten Kursverfall bei diesem Papier. „Daraufhin borgte ich mir 300 000 Mark und stieg zu 33 Cents ein.“ Und im Juni 1975 verkaufte er alles für 146 Cents je Aktie. „Damit habe ich meine erste Million verdient und konnte so das Baumaschinenwerk meines früheren Arbeitgebers Duomat kaufen, der Vergleich beantragt hatte.“ Fünf weitere Inlandsfirmen – Hamm, Hanomag, Lanz, Wibau, Zettelmeyer und vier Ausländer, die alleine nicht mehr lebensfähig waren, hat er seitdem im One-Dollar-Verfahren übernommen. Mit Wibau erleichterte Esch seinen Freund Graf Galen von einer schweren Bürde der SMH-Bank.

 

„Täglich werden mir Dutzende weiterer Firmen angeboten. Doch ich nehme nichts.“ Seine Finanzdecke ist, wie er sagt, mit 145 Millionen Mark  – nach der Terex-Akquisition – recht kurz geworden. Esch zählt sich zur kommenden Unternehmergeneration, die viel von unabhängigem Management und wenig von persönlichem Besitz hält. „Ich habe manchem Geschäftsführer meiner Tochtergesellschaften Anteile an diesen Töchtern geschenkt, bis zu 20 Prozent. Wo finden sie das sonst“, fragt der 37-jährige Macher, der in seinem Hause über eine Machtvollkommenheit ohnegleichen verfügt.

 

Der gebürtige Hannoveraner, der nach dem Abitur auswandern wollte, um in den USA sein Glück zu machen, hält nun 20 Prozent des Aktien-Kapitals der IBH. Er hat sich aber 80 Prozent der Stimmrechte gesichert. „Hier kommt kein Aktionär rein, wenn er mir nicht die Stimmrechte überlässt.“ Nur Powell Duffryn Ltd. (20 Prozent Beteiligung) ist die Ausnahme, weil die britischen Gesetze Stimmrechtsverzichte nicht zulässt. „Wenn ich weiter erfolgreich sein will, und das muss ich, brauche ich freie Hand“, rechtfertigt sich Esch. Auch Aufsichtsrat Graf Galen, Mitinhaber der SMH-Bank, die 6,4 Prozent von IBH hält, aber der weitaus größte Kreditgeber des Hauses ist, bleibt gelassen: „Warum sollen wir diesem glänzenden Mann nicht die Stimmrechte überlassen? Wir können auch so das Unternehmen kontrollieren.“

 

Westfalenbank-Vorstand Schmidt, gerade in den IBH-Aufsichtsrat eingezogen, hat ebenso wenig gegen den Stimmrechtspool vorzubringen. Esch: „Schmidt ist ein langjähriger Freund von mir.“ So konnte sich der pfiffige Baumschinen-Bulldozer im IBH-Management eine Zwickmühle aufbauen. Er bestellt nicht nur Vorstände, sondern kann auch Aufsichtsräte feuern. Einen kleinen Schönheitsfehler hat das Ganze für den Supermacher neuerdings: Die Gewerkschaften haben jetzt ihre Steine auf das Mühlebrett von Horst-Dieter Esch gesetzt: Ab sofort hat die IBH einen mitbestimmten Aufsichtsrat. Was soll der aber noch richten?

 

Der Untergang der Galen-Bank

Nach der Rückkehr aus Washington von der Georgetown-Fete Ende September 1983 wurde Ferdinand Graf von Galen bald sehr besinnlich: „Mein Vater hielt zeitlebens Banken für etwas Unmoralisches.“ Wie sehr der alte Herr Recht hatte, demonstrierte der Sohn als Partner der SMH-Bank. Die Bruchlandung des Bankhauses Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. ist nicht nur der Unerfahrenheit des Grafen zuzuschreiben (Galen: Ich bin zweimal im ersten Staatsexamen durchgefallen), sondern ist ein Kabinettsstück verfeinerter Wirtschaftskriminalität. Das wird von Tag zu Tag immer deutlicher. Mitten im SMH-Schlamassel, dieses sogar provozierend, steckt der Mainzer Baumaschinen-Konzern IBH. Der SMH-IBH-Skandal wird Gesetzgeber und Aufsichtsämter, Banken und Gerichte noch lange beschäftigen. Gefängnisstrafen liegen im Bereich des Möglichen. Die Staatsanwaltschaft hat die Akten zur Recherche angefordert.

  • Hintergangen wurde die Bankenaufsicht in Berlin und die Deutsche Bundesbank in Frankfurt. Gesetzlich geforderte Kreditmeldungen waren lückenhaft oder wurden unterlassen. Somit konnte sich die riesige Kreditpyramide bei einem einzelnen Kunden auftürmen. Einige Manager der dadurch begünstigten IBH-Gruppe betrieben regelrechten Bilanzschwindel.
  • Geleimt wurde die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuhand-Vereinigung AG, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ihr Testat unter die Jahresabschlüsse der SMH-Bank gesetzt hatte.
  • Ganz sauber ist auch nicht die 90-Millionen-DM-Subvention für Hanomag in Hannover, die zur IBH-Gruppe gehört. Die Wirtschaftsministerin, Birgit Breuel, stützte so Esch und damit indirekt die Bank von Vater und Bruder Münchmeyer, nämlich die SMH-Bank.
  • Hinters Licht geführt wurde auch Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl, der mit Graf Galen persönlich befreundet war und nichts ahnte. Schlimmer noch, die Ehrendoktorwürde vor dem Bankenkrach sollte die Freundschaft besiegeln. Graf Galen ist nämlich bei der Jesuiten Universität in Georgetown Mitglied des Aufsichtsrats. „Da kann man auch politisch was erreichen,“ ließ er im FAZ-Magazin vor einigen Jahren schon verbreiten. Georgetown sei ihm wichtiger als die Hälfte aller sonstigen Mandate. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, wie lange er den Posten am Potomac noch halten kann. Alle übrigen Ehrenämter diesseits des Atlantiks hat er bereits verloren, insbesondere den Präsidenten bei der Frankfurter Wertpapierbörse, den Vizepräsidenten bei der Industrie- und Handelskammer, den Aufsichtsratsvorsitz bei der Union-Investment und für die Geschäftsführung der neuen SMH-Bank ist er natürlich auch nicht mehr tragbar.

 

Verloren hat Graf Galen gemeinsam mit seinen Partnern Hans Lampert, Hans Hermann Münchmeyer und Wolfgang Stryj vor allem aber die eigene Bank – ein kleiner, einstmals bildschöner Bankkonzern mit etwa drei Milliarden Mark in der Bilanz. Graf Galen trifft das doppelt, weil er die Bankanteile seiner Frau verspielt hat. Sie hat nämlich den Hengst-Anteil in die Ehe mitgebracht und ihren Mann mit dem Management betraut, was schließlich ein Mismanagement wurde. Die Galens sind damit noch keine armen Leute. Er besitzt noch Güter im Münsterland und in  Arizona. Offen ist allerdings, ob er nicht noch regresspflichtig gemacht wird für den riesigen Schuldenberg, den er und seine Partner bei der SMH-Bank hinterlassen haben.

 

Persönlich bleibt es für Galen bitter, das Hengst-Vermögen durchgebracht und die Freundschaft zu Pöhl verspielt zu haben. Und das lag an der Freundschaft zum IBH-Unternehmer Horst Dieter Esch. Galen über Esch: „eine faszinierende Unternehmerpersönlichkeit.“ Am Anfang dieser ruinösen Verbindung stand der Verkauf der Wibau-Mehrheit aus dem SMH-Besitz an Esch und am Ende die Pleite von beiden. Galen hat zuviel auf einmal gewollt, ohne den soliden Bodensatz an fachlicher Qualifikation und moralischer Gestandenheit. Im Fall „Ferdinand“ hat dagegen der Bundesbankpräsident erst seine wirkliche Promotion zum Krisenmanager ersten Ranges bestanden.

Pöhl hat gemeinsam mit Hanns Christian Schröder-Hohenwarth, dem Bankenpräsidenten, und der Präsidentin des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, Inge Lore Bähre, blitzartig die Trümmer des jüngsten Bankenbebens weggeräumt und damit Ordnung geschaffen, wo ein unabsehbares Chaos drohte.

 

Im Oktober ging bei der SMH-Bank im sogenannten Forfaitierungsgeschäft, also bei der Vorfinanzierung von Baumaschinen-Exporten, einiges schief. Zwar ist diese Art der Außenhandelsfinanzierung üblich und wird von allen in diesem Sektor tätigen Banken praktiziert, aber nicht so dilettantisch wie bei der SMH-Bank und schon gar nicht so stereotyp mit einer einzigen Adresse und mit solchen Beträgen, wie sie die SMH-Bank schon geraume Zeit von Frankfurt aus über Luxemburg und der Schweiz mit der IBH abgewickelt hat. Zur Unfähigkeit der SMH-Banker, diese Geschäfte souverän zu managen, kam die Unverfrorenheit der IBH-Manager, über die Forfaitierung für die Konzerntöchter einen Selbstbedienungsladen für Liquidität zu machen.  Sie bedienten sich dabei – gelinde gesagt – unlauterer Praktiken. Im Rechenwerk der Wibau stimmte nichts mehr. Wie aus best informierten Bankkreisen verlautet, sollen von den ausgewiesenen Wibau-Umsätzen nur etwa ein Drittel echte Verkäufe an Endabnehmer gewesen sein. Beim Rest handelte es sich um konzerninterne Geschäfte.

 

Bei der Hin- und Herschieberei entstanden immer neue Exportaufträge, immer neue Forfaitierungen und damit immer neue Finanzierungswünsche. Die SMH-Bank musste ständig neues Geld nachschieben. So wurde Graf Galen zum Zahlemann für Horst Dieter Esch, dem Chef des Mainzer Baumaschinen-Konzerns. Das Forfaitierungsrisiko türmte sich für die SMH-Bank per Ende Oktober auf eine halbe Milliarde Mark auf. Dazu kamen 200 Millionen Kredite an Esch direkt von der SMH-Zentrale in Frankfurt und weitere 200 Millionen von der Luxemburger Bank-Tochter an dieselbe Mainzer Adresse. Zu dieser Misere addierten sich für die SMH-Gruppe 200 Millionen Mark Risiken im Pelzgeschäft. Allein unter dem Bankmantel Koch Lauteren – er gehört der SMH – sollen im Frankfurter Pelzviertel am Hauptbahnhof Felle für 70 Millionen DM eingelagert sein, Ware, die die Galen-Bank aus der Konkursmasse pleite gegangener Händler und als Kreditpfänder übernommen hatte. Der Marktwert der Felle liegt heute bei kaum der Hälfte des Beleihungsbetrages.

 

Die Sicherheiten des Horst-Dieter Esch sind allerdings noch weniger wert. Aus seinen Verbriefungen über 1,2 Milliarden DM sind bestenfalls 300 Millionen DM realisierbar. Das Szenario der heiß gewordenen Bankkrise skizziert Hanns Christian Schroeder-Hohenwarth: „Die Geschäftsinhaber der SMH-Bank zeigten am Allerheiligentag, etwa 10 h, die akute Gefahr für die Bank der Bundesbank an. Der Präsident informierte die Präsidentin des Bundesaufsichtsamtes, die, aus der Kur zurückkehrend, die Sanierung am Nachmittag einleitete. Ich wurde gegen 11 h vormittags unterrichtet. Zunächst waren nur die Banken angesprochen, die mit mehr als 10 Millionen DM engagiert waren. Ich nahm als Bankenverbandspräsident wegen des etwaigen Eingreifens durch den Einlagensicherungsfonds an der Nachtsitzung teil.“  Das Berliner Amt mutmaßte zunächst nur – es hatte noch keine ausreichenden Belege – dass die SMH-Bank beim Einzelrisiko „IBH-Holding“ bereits über die höchst zulässige Kreditgrenze von 75 Prozent des Eigenkapitals (110 Millionen DM) hinausgegangen war. Die Bankpolitesse, Inge Lore Bähre, hielt die rote Kelle hoch und stellte dann nach und nach das Desaster in seinen Umrissen fest.

 

Damit war die Schließung des ehemals ehrwürdigen Privatbankhauses Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co zum 1. November (1983) in der Sache unumgänglich geworden. So war im Ansatz der gleiche Fehler des Aufsichtsamtes programmiert wie bei der Herstatt-Krise 1974. Aber: Bundesbank und Kredit-Aufsichtsamt stellten die Ampeln nicht auf Rot, denn Karl Otto Pöhl ist nicht Karl Klasen, der als damaliger Bundesbankpräsident Herstatt mitexekutiert hat. Und Bankenverbandspräsident Schroeder-Hohenwarth überragt seinen Vorgänger Alwin Münchmeyer (!) nicht nur an körperlicher Größe. Während also der vormalige Präsident des Berliner Bundesaufsichtsamtes sowie Klasen und Alwin Münchmeyer die Herstatt-Bank plumpsen ließen, wollten Pöhl, Schroeder-Hohenwarth und Frau Bähre diese Dummheit nicht wiederholen.

 

Dabei hatte weder Pöhl im Sinn, Graf Galen aus dem Schlamm zu ziehen, noch hatte der jetzige Bankenverbandspräsident die Absicht seinem Vorgänger Münchmeyer einen Gefallen zu tun. Es entbehrt aber nicht einer gewissen Pikanterie, dass Alwin Münchmeyer, der Herstatt fallen ließ, Anfang November selbst ein Objekt der Galen-Rettungsaktion wurde, und zwar als Senior-Teilhaber der SMH-Bank. Die äußerst diffizile SMH-Rettung wurde in der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen durchgezogen, im Hause der Deutschen Bundesbank. Das Krisenmanagement war perfekt, die Diskretion unübertroffen bis endlich morgens um 3 h die SMH-Kuh vom Eis und damit keine Kettenreaktion im gesamten Gewerbe zu erwarten war. Verräterisch waren zur nächtlichen Stunde nur die weithin sichtbaren, hell erleuchteten oberen Etagen bei der Bundesbank. Wenn in diesem Beamtensilo zu später Stunde die Lichter noch brennen, gehen sie meist zur gleichen Zeit irgendwo anders aus oder die Währungsszene wackelt.

 

In dem zehnstündigen Gerangel, in dem Pöhl die Bankenaufsicht in Schach und Schroeder- Hohenwarth die Emissäre von 20 Kreditinstituten in Zugzwang hielt, machten nach Aussagen des Bankenpräsidenten drei Dinge Eindruck:

 

– die persönliche Beichte des Grafen Galen, –

– die sich immer höher auftürmenden Risiken und schließlich                                                                     – das Einverständnis der Kreditinstitute, die kürzlich erst zugesagten Liquiditätslinien    über 450 Millionen Mark als Eigenkapital einzubringen.

 

Dabei musste auch die Bundesbank eine Kröte schlucken. Denn die Kreditinstitute wollten nur das zugestehen, was der Bundesbank in der Eigenkapitaldiskussion immer als obsolet galt: nachrangiges Eigenkapital. Besser, so dachte der Pragmatiker Pöhl, eine Figur im Spiel der reinen Lehre verlieren als durch eine riesigen Pleite das Gesicht der deutschen Banken in der Welt. Der Einlagensicherungsfonds (150 Millionen DM), die Liko-Bank (150 Millionen) und die Bundesbank (Sonderlinien) taten ein Übriges. Die Geschäftsinhaber der SMH-Bank mussten aus dem Privatvermögen vorab auch noch 50 Millionen einschießen.

 

Die so bereitgestellten 900 Millionen Mark sollten die Bank retten und Schaden vom deutschen Kreditwesen abwenden. Beides ist nicht recht geglückt. Da, wo früher die angesehene SMH-Bank residierte, ist heute nur noch eine Attrappe erkennbar, obwohl die Schalter stets geöffnet blieben. Aus der Galen-Bank war eine ungeliebte Tochter der Großbanken geworden. Die Statthalter der Geldgeber sind eingezogen und die Kunden laufen davon. Das Ansehen des deutschen Kreditgewerbes hat gelitten, obwohl ein einzigartig geschicktes Management die große Krise abgewendet hat. Das Ausland schätzt das deutsche Risiko neuerdings schlechter ein als vorher und der sonst sehr liberale Karl Otto Pöhl ruft nach einer Verschärfung des Kreditwesengesetzes, die schleunigst verabschiedet werden soll. Pöhl: „Der Fall SMH muss Konsequenzen haben.“

 

Vordringlich ist die Konsolidierung der Bankbilanzen für den Konzern einschließlich aller Mehrheitsbeteiligungen. Dazu muss die Quotenkonsolidierung in möglichst kurzen Übergangsfristen erreicht werden. Außerdem setzt sich mehr und mehr die Meinung durch, dass die Höchstkreditgrenze von 75 Prozent des Eigenkapitals der Bank an einen einzigen Kreditnehmer bei weitem zu hoch ist. 50 Prozent, besser weniger, sei anzustreben. Die Bankenaufsicht muss lückenloser werden und auf Gentlemen‘s Agreements will niemand mehr etwas geben, weil die Gentlemen offenbar rar geworden sind, zu rar um mit ihnen branchendeckende Abkommen zu schließen.

 

Vor Jahren hatten nämlich die deutschen Banken mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und der Deutschen Bundesbank ein Übereinkommen getroffen, dass sie die in Deutschland geltenden Gesetze bezüglich der Kreditmeldepflicht voll auf die Luxemburger Tochtergesellschaften anwenden wollen. Wenn dies geschehen wäre, wenn sich die Gentlemen der SMH-Bank daran gehalten hätten, wäre das Desaster zu vermeiden gewesen. Zumindest wäre es nicht dermaßen brutal ausgefallen. Die SMH-Bombe hätte auch früher entschärft werden können, wenn die Privatbankiers ein kluges und zupackendes Aufsichtsgremium im eigenen Hause gehabt hätten. Es war wirklich zum Piepen, was sich da als Beirat oberhalb der Geschäftsleitung präsentierte: zwei Tote und vier Greise, die am liebsten auch nicht den Untergang der eigenen Bank miterlebt hätten. Exakter Rat und straffe Kontrolle war hier nicht drin. – Noch zu seinen guten Zeiten erzählte mir Graf Galen, was ihm sein Vater während des Studiums geraten hatte: „Ferdinand bleib‘ bei uns auf dem Hof.“ So aber wurden Haus und Hof verspielt.

 

Streiflichter auf schillernde Details der Pleite

 

Halbzeit im Fall SMH-Bank. Zumindest ist dieser Punkt am Tag der Übernahme durch die britische Lloyds Bank mit Wirkung vom 1. Januar 1984 erreicht worden. Seitdem ist SMH ausgeschlachtet und in zwei etwa gleich große Hälften geteilt, von denen sich die Briten die bessere für einen knappen dreistelligen Millionen-Betrag einverleibten. Sie übernahmen das Wertpapiergeschäft, die Einlagen und die werthaltigen Kredite, während den deutschen Banken der Trümmerhaufen der IBH-Risiken, der SMH-Luxemburg und des faulen Pelzgeschäfts verbleibt. „Und der muss möglichst schnell und leise aufgeräumt werden,“ raunt ein Vorstandsmitglied der Bank für Gemeinwirtschaft. Das kann aber nur für den bilanztechnischen Teil gelten.

 

Die Gläubiger-Banken werden den Milliarden-Verlust mit einem Federstrich in der Bilanz 1983 abschreiben. Damit hat sich der Fall zunächst erledigt. Die Betrugsaffären, die sich im Bereich der Wibau, der IBH und der SMH-Bank abgespielt haben, werden die Gerichte in der 2. Halbzeit der Aufarbeitung des Falls Galen weit über 1984 hinaus beschäftigen. Hier liegt noch manches im Dunkeln, wenn auch vieles immer klarer erscheint.

 

Heiß war der Fall schon am Montagmorgen, dem 31. Oktober, geworden. Am Reformationsfest läutete Graf Galen das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Robert Ehret an, und bettelte um 200 bis 300 Millionen Mark. Ehret schaltete Thomas Wegscheider, den Chef der BfG ein, auch Manfred Meier-Preschany, Vorstand der Dresdner Bank, wurde ins Vertrauen gezogen. Es kam zu einem schnellen Treffen, bei dem Galen, noch nicht ganz entmutigt, den Einschuss von 300 Millionen DM forderte. Gleichzeitig schöpften Galens-Geldhändler unverfroren die gerade erst vereinbarten Geldhandelslinien bei den Banken voll aus. Sie räumten ab, wo immer es ging. Bei der Bayerischen Vereinsbank z. B. riefen sie flugs 25 Millionen DM ab und machten damit die Linie von 35 Millionen DM und das Maß voll. „Wir fühlen uns betrogen“, jammerte im nachhinein Vorstandssprecher Maximilian Hackl.

 

In Frankfurt war dagegen die BHF-Bank schneller und besser informiert. Keine Mark mehr an SMH verfügte der Chef des Geldhandels. So konnte Geschäftsinhaber Hanns Christian Schroeder-Hohenwarth auch bald strahlend erklären. „Wir sind bei SMH nicht dabei.“ Es hätte allerdings nicht viel gefehlt und in den SMH-Abgrund wäre auch die BHF-Bank gefallen. In seiner ersten Sanierer-Begeisterung hatte Schroeder-Hohenwarth ein Blanco-Angebot ausgesprochen: „Wir übernehmen die SMH-Bank.“ Die Großbanken fühlten sich überrumpelt und zögerten. Das war ihr Pech und Schroeders groteskes Glück.

 

Nach der Galen-Forderung von 300 Millionen DM hatte Wegscheider im 36. Stock seines Frankfurter Hochhauses schon am Montag die Verluste bei SMH auf etwa 500 Millionen DM taxiert. Die richtige Zahl lag schließlich fast doppelt so hoch. Das kam überschlagsweise aber erst in der berühmten Nachtsitzung vom 1. auf den 2. November heraus. Aber erst in den folgenden Wochen wurde klar, dass es nicht nur den „Geldhandelsbetrug“ gab, sondern vier weitere Betrugszirkel existierten, um deren Aufklärung sich die Staatsanwaltschaft jetzt kümmert: Die Luftgeschäfte bei Wibau, die Luftgeschäfte im übrigen IBH-Bereich, die Finanzierung der Luftgeschäfte durch die SMH-Bank und die Täuschung der Aufsichtsbehörden über die vorhandenen Kreditrisiken.

 

Baumaschinen der IBH-Tochter Zettelmeyer wurden an den arabischen IBH-Aktionär Dallah proforma verkauft und eingemottet. SMH finanzierte das Geschäft. Patronatserklärungen für andere Luftumsätze machten den Bilanzwust noch undurchsichtiger. Bei Wibau und Hanomag lief es nicht anders. Nach Aufdeckung der Machenschaften lagen bei Wibau schließlich die Verluste höher als der Umsatz. Der angestrebte Vergleich hatte keine Basis mehr. Der Konkurs war programmiert. Wie Wibau entpuppte sich auch IBH als solches Windei. Die Frage nach der Schuld für das Debakel kann bisher nur IBH-Chef, Horst Dieter Esch, bündig beantworten: „Die Großbanken haben mich reinrasseln lassen.“

 

Die Gläubiger kassieren das Privatvermögen

 

Kaum hatte Ferdinand Graf von Galen am 1. November 1983 die Generalbeichte über sein verpfuschtes Bankerleben abgelegt, war ihm im Haus der Deutschen Bundesbank klar gemacht worden, dass seine SMH-Bank futsch war. Fünf Wochen später war dann auch noch sein gesamtes Privatvermögen verspielt. Die Banken haben es eingesackt. Am 5. Dezember 1983 trafen sich in Frankfurt, Niedenau 52, der Notar Arnulf Weigel und die Syndici der DG-Bank, Hans-Joachim Holtzendorff und Hellmuth Bock, mit dem Grafen. Thema war die persönliche Haftung des Pleitebankiers, ihre buchmäßige Darstellung und die Überschreibung auf die Banken. Im Auftrag des SMH-Konsortiums hatte die DG-Bank die Treuhänderfunktion des „Oberkassieres“ übernommen. Graf Galen gegenüber war sie nun Sicherungsnehmerin.

 

Und die DG-Bank-Emissäre nahmen alles, was sie sicherstellen konnten: Die silberne Manschettenknopfdose, eine silberne Zigarettendose (signiert), zwei Silbertöpfe tibetanisch (alt), zwei Doppelbüchsen, vier Doppelflinten, zwei Empire Marmor-Vasen (zusammen 30 000 DM), zwei Ölgemälde (Noland und Stella) zu je 150 000 DM, zwei Stühle Louis XV (zusammen 50 000 DM), 50 Eßzimmerstühle (Grüner Salon alt). Im beweglichen Vermögen befanden sich außerdem drei Automobile: Toyota Tercel (1983), Bentley (1974) und Jeep Wagoneer (1979/80). Die Sicherumgsnehmerin ramschte obendrein Aktienpakete, Aufsichtsratstantiemen, Investmentanteile, riesige Ländereien, eine Villa in Frankfurt und ein Schloß im Münsterland. Mit roten Ohren saßen die DG-Banker da und scheffelten die vermeintlichen Schätze.

 

Jetzt aber nach Monaten vergeblichen Bemühens, das Eingesackte wieder loszuschlagen, kehrt Katzenjammer bei den Bankgläubigern ein. „Die Autos sind verkauft, wer nimmt aber schon die tibetanischen Pinkeltöpfe,“ meckert ein Banker, der mit der Verwertung zu tun hat. „Und das Gemälde von Stella ist auch nicht so gut wie sein Wertansatz.“ Nach neuesten Schätzungen ist es nur 11 000 Dollar wert. Der Noland ging jetzt zur Versteigerung nach New York – Taxe 60 000 Dollar. Wer will außerdem des Grafen Zigarettenetui oder dessen Manschettenknopfdose?

 

Für solche Fälle, dazu gehört besonders auch das Landgut Assen im Münsterland, hat Notar Weigel allerdings vorgesorgt. Im Punkt V der Vereinbarung zwischen der DG-Bank und Galen heißt es: Die Sicherungsnehmerin räumt Graf von Galen bei Gegenständen, für die er ein besonderes Affektationsinteresse bekundet, ein Optionsrecht  zum Kauf durch ein von ihm zu benennendes Familienmitglied zum jeweiligen Marktwert ein.“ Gräfin Galen kann also wieder erwerben, was ihrem Mann genommen wurde. Die Preise werden günstig sein, nämlich: was heißt Marktwert, wenn kein Markt vorhanden? Galens mobiles Vermögen brachte den Banken also nicht viel. Mehr Honig saugen konnten sie aus seinen „Forderungen und Ansprüchen“ sowie aus den „Geschäftsanteilen.“

 

Bei der Deutschen Bank hatte der Graf am 5. Dezember letzten Jahres ein Guthaben von 10 000 Mark und bei der schweizerischen Bank Hentsch & Cie eines von 1500 Schweizer Franken (Schweizer Nummernkonten konnten nicht berücksichtigt werden, weil niemand ihre Existenz kennt.)

Außerdem fielen den Sicherungsnehmern Aufsichtsratsvergütungen (1983) für Galens Tätigkeit bei Ymos (11 000 DM), Union Investment (32.250 DM), MAN Roland (15.000 DM), Löhr und Bromkamp (7.500 DM) und Lehndorff Vermögensverwaltung (50.000 DM) zu. Die DG-Bank wollte auch nicht auf Steuererstattungsansprüche verzichten und selbstverständlich mussten alle Gesellschaftsanteile des Grafen an der SMH-Bank abgegeben werden. Ein kleines Banken- und Industriekonglomerat ist der DG-Bank bei dieser Gelegenheit in die Hände gefallen:

  • Galen Industrie KG, Frankfurt, Holding für SMH-Bank,

Vermögensverwaltung Hengst (Ges. bürgerlichen Rechts) und

Burghotel Dinklage GmbH.

  • Galen Verwaltungsges.mbH, Offenbach.
  • Westphalian American Ass. Mit Beteiligungen an Bisping Capital Investment Co. sowie an der Bangor Punta Corp.
  • Lehndorff-Beteiligungen: USA Fonds I, USA Fonds II und Canada Grundstücksentwicklungen.

Die DG-Bank konnte als Treuhänderin die Bankguthaben und die Aufsichtsratsvergütungen sofort vereinnahmen. Auf mögliche Steuerrückzahlungen muss sie noch warten, bis das Finanzamt so weit ist. Auch konnten die Lehndorff-Beteiligungen schnell an den Mann gebracht werden. Zum 30. April (84) wurden ebenso die Galen-Anteile an der Westphalian American verkauft. In dieser Holding, die allerdings dem Grafen nicht alleine gehörte, waren 20 Prozent der Aktien des Mischkonzern Bangor Punta zusammengefasst, der einen Umsatz von 1,5 Milliarden Mark aufweist, einschließlich dessen Beteiligung an der Flugzeugfirma Piper und der Waffenfabrik Smith & Wesson. Hierfür gab es klare Bewertungsmaßstäbe. Hier flossen harte Dollars. Ein sehr viel schwierigeres Unterfangen ist es, die Galen-Anteile an der SMH-Bank, bzw. die gesamte Bank richtig zu bewerten. Die Übertragung dieser Geschäftsanteile muss schließlich auch ordnungsgemäß abgerechnet werden.

 

Sie fielen zunächst einmal den Gläubigerbanken zu, die – ob sie wollten oder nicht – ihre Forderungen zum Stichtag 31. Oktober 1983 in nachrangiges Haftkapital umwandeln mussten. Ganz wertlos war die SMH-Bank aber zu dieser Stunde Null nicht. Für die bessere Hälfte der Bank wird Lloyds, die das Institut per Ende 1983 übernommen hat, noch einen dreistelligen Millionen-Betrag zahlen müssen. Drei Gutachter sitzen an der Bewertung. Außerdem steckt immer noch ein reeller Wert in den Pelzlägern, die die SMH-Bank im Laufe der Zeit übernommen hatte, und in den Forderungen an den Esch-Konzern, der zwar die Bank in den Abgrund gerissen hat, bei dessen Restverwertung aber noch einige Millionen zu holen sein werden.

 

„Wenn wir eine Zwischenbilanz ziehen würden“ sagte ein Frankfurter Banker, „so müsste die Rechnung wie folgt aussehen: auf der einen Seite stehen die Bankenleistungen für SMH von 830 Millionen Mark plus 25 Millionen Mark Forderungen der DG-Bank plus sieben Millionen Forderungen von Sal. Oppenheim Cie. und einige Kleckerbeträge von dreieinhalb Millionen weiterer Gläubiger.“ Auf der anderen Seite stehen als Hauptposten maximal 150 Millionen DM von Lloyds sowie ein kleinerer Millionen-Betrag aus den Verkäufen der Lehndorff-Anteile, der Westphalian American und von Teilen des Galen-Privatvermögens wie den Autos, Tantiemen und Bankguthaben.

 

Den Forderungen der Banken an die ehemaligen SMH-Gesellschafter von rund 865 Millionen DM stehen bisher also Realisierungen von maximal 165 Millionen DM gegenüber. Sollte es schon geglückt sein, das Privatvermögen der Münchmeyers – fünf Millionen DM sind angesetzt (bei den anderen persönlich haftenden SMH-Gesellschaftern ist nichts zu holen ) zu versilbern, hätten die Gläubiger-Banken heute eine SMH-Quote von knapp 20 Prozent erreicht. „Schon das ist reichlich geschätzt,“ so der Insider. Nun versucht die Hema Verwaltungsgesellschaft, Frankfurt, in die die schlechtere Hälfte der SMH-Bank eingebracht wurde, die Quote aufzubessern und hat dafür als Faustpfänder die Esch- und Pelzforderungen sowie das reichliche Grundstücksvermögen des Grafen Galen in Händen:

  • das Haus am Lerchesberg in Frankfurt, taxiert auf 6,3 Millionen Mark.
  • Ein Schloß im Münsterland, Haus Assen, mit 3,5 ha Park, taxiert auf 25 Millionen DM.
  • 324 ha landwirtschaftlich genutzter Boden mit Gut bei Lippborg; Buchwert 13,8 Millionen DM.
  • 802 ha Waldungen bei Lippborg zum Buchwert von rund 16 Millionen Mark.

„Das Haus am Lerchesberg hat aber ebenso seine Macken wie das Haus Assen,“ weiß ein Immobilienhändler. In die Frankfurter Nobelvilla will niemand einziehen, weil sie auf die persönlichsten Verhältnisse des Grafen zugeschnitten ist. Ein Neuerwerber müsste nochmals zwei Millionen für den Umbau investieren.

 

Auch bei dem bildschönen Wasserschloß, Haus Assen, muss der Erwerber zusätzlich zum Kaufpreis Gelder für die Renovierung mitbringen. Das wird nicht billig, denn das Schloß hat den technischen Stand von 1935 und damit einen Verschleiß von fast 50 Jahren auf dem Buckel. Zudem lebt dort die Familie des Vaters Galen, was das Objekt nicht fungibler macht. Dem alten Herrn gegenüber wollen sich die Banken zudem nicht gerade unritterlich verhalten. So hat Notar Weigel mit Zustimmung des DG-Bank-Syndikus, Holtzendorff, auch notieren dürfen: „Die Sicherungsnehmerin wird dafür Sorge tragen, dass Galen sen. ein angemessenes Wohnrecht und ein angemessener Lebensunterhalt verbleiben.“ Das macht das Schloß vollends unverkäuflich. Auch für die Ländereien und Waldungen des Grafen gibt es derzeit praktisch keinen Käufer.

 

Nur die Nonnen von Burg Dinklage haben Interesse an einem Streifen Wald mit Kapelle und Friedhof von zusammen 0,7 ha. Diese Waldecke soll diesmal voll bezahlt werden. Vor genau einem Jahr hatte es der Graf noch gratis gemacht. Damals schenkte er 20 ha Wald an die Vereinigung der St. Hildegard Schwesternschaft e.V. in Dinklage. „Diese Schenkung,“ so der Notar, der die katholische Affinität der Galens kennt, „wird nicht angefochten.“ Sie wird als weiterhin rechtskräftig bestätigt. Damit haben die Hildigardis Schwestern der Galen-Gattin vieles voraus. Gräfin Anita von Galen hatte ihrem Mann kurz vor dem Zusammenbruch der Bank noch für 30 Millionen Mark SMH-Anteile verkauft, damit, wenn alle Stricke reißen, wenigstens das Geld im Hause bleibt.

 

Das Geschäft musste rückgängig gemacht werden. Die Gräfin wurde dadurch zwar keine arme Frau. Ihr Vermögen wird immer noch auf 50 Millionen Mark geschätzt. Ihr Mann aber, Graf Ferdinand von Galen, besitzt jetzt ganz offiziell nichts mehr. Er hat aber von den Banken die Chance eingeräumt bekommen, bei Null wieder anfangen zu können. Seine künftigen Einkommen werden durch den SMH-Fall nicht mehr belastet, allerdings mit einer Ausnahme: Erbschaften. Wenn solche Vermögenszuwächse in den nächsten zehn Jahren eintreffen, so wandern sie sofort in den Nikolaus-Sack der Banken. Fazit: Die Gräfin hat den Grafen enterbt.

 

Galens größte Demütigung: Preungesheim

Für Ferdinand Graf von Galen war die Verhaftung weit schlimmer als der Verlust seines gesamten Vermögens durch den Zusammenbruch der SMH-Bank Anfang November vergangenen Jahres. Hatte er es schon nicht geschafft, das väterliche Erbe zu vermehren oder zumindest zu erhalten, so wollte er doch weingstens die Ehre der Familie retten. Schließlich stehen da einige hundert Jahre auf dem Spiel. Aber das ist nun auch perdu. Seit Mitte Dezember 1984 sitzt der Graf in Frankfurt-Preungesheim ein. Um Vermögen und Ehre kann sich nun alleine seine Frau Anita Gräfin von Galen kümmern. Sie hat sich beides erhalten, wie ich mich bei einem Treffen mit ihr im Hotel Interconti überzeugen konnte. Ihr Management war immer schon besser gewesen als das ihres Mannes.

 

„Mein Mann ist kein Verbrecher,“ beteuerte sie. „Bei ihm ist nichts mehr zu holen. Wir waren stets bereit, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren.“ Daher sei die Verhaftung unnötig gewesen. „Lachhaft,“ ihm Prospekthaftung bei der Wibau anlasten zu wollen. „Was hatte er als Börsenpräsident damit zu schaffen,“ fragte sie? Von den anderen ihm angelasteten Delikten habe er nichts gewußt oder nie den rechten Durchblick gehabt. Galen und den Mitgesellschaftern der SMH-Bank, Hans Lampert und Wolfgang Stryj, wird Veruntreuung zum Nachteil der Kommanditisten vorgeworfen: Schaden 40 Millionen DM. – Veruntreuungen im Zusammenhang mit Factoring- und anderen Refinanzierungsbanken – Volumen 500 Millionen Mark.

 

„Für Betrügereien,“ so die Gräfin, „war er wirklich nie zu haben.“ Das zu prüfen ist allerdings Angelegenheit der Gerichte. Die Galen-Verteidigung hat zunächst der Frankfurter Rechtsanwalt, Rainer Hamm, übernommen. Aber auch die Gräfin selbst steht vor dem Kadi. Sie prozessiert mit dem Bundesverband deutscher Banken wegen der Verkäufe ihrer letzten SMH-Anteile an ihren Mann ein halbes Jahr vor dem SMH-Krach. „Mein Vater,“ so die Gräfin, „war Nutznießer der Anteile bis zu seinem Tod am 13. Juli 82.“ Erst danach konnte die Transaktion vollzogen werden. „Wir sind ehrliche Leute.“

 

Rückblende

Am 16. Dezember 1984 ist Graf Galen an der Ecke Giulettestraße/Niedenau verhaftet worden. Seine Frau war dabei. Mindestens drei Wagen des Bundeskriminalamtes waren aufgeboten, um Galen dingfest zu machen. Ein Auto stoppte hart vor den Galens, ein BKA-Beamter sprang heraus, zückte seine Plakette, hielt sie den beiden vor die Nase und sagte zum Grafen: „Kommen Sie mit.“ Auch die Gräfin bestieg das Auto – hinten. Sie ließ sich dorthin fahren, wo beide hingehen wollten, nämlich zur Kanzlei des Rechtsanwalts Riesenkampff, Niedenau. Keine lange Strecke, nur wenige Meter. Etwa 10 Minuten musste sie aber dann im Wagen warten. Der Beamte sagte: „Sie können jetzt noch nicht aussteigen,“ erklärte aber nicht warum.

Die Gräfin, die mir das alles zwei Tage später in ihrem Hotelzimmer 2004 im Interconti erzählte, hatte das Gefühl, dass die Nötigung sitzen bleiben zu müssen, mit einem besonderen Sicherheitssystem zu tun haben musste. Wenn sie ausgestiegen wäre, hätte es zu einer krisenhaften Situation kommen können. Dann hätten die Sicherheitsbeamten der anderen Fahrzeuge eingegriffen. Die Gräfin war bei unserem Treffen im 20. Stockwerk des Interconti sehr aufgebracht gewesen über die Staatsanwaltschaft. Man hätte ihren Mann nicht festzunehmen brauchen, meinte sie. Er und sie seien überhaupt erst am Wochenende nach Frankfurt zurückgekehrt, um vor der Staatsanwaltschaft auszusagen. Sie hätten immer betont, dass sie dazu beitragen wollten, alle Hintergründe der Bankpleite aufdecken zu helfen. „Wir haben nie an Flucht gedacht,“ beteuerte sie mir gegenüber. „Wir haben uns auch nie in die Nähe von Ländern begeben, die keinen Auslieferungsvertrag mit der Bundesrepublik abgeschlossen hatten.“

 

Größtes Strafverfahren bundesdeutscher Wirtschaftsgeschichte

 

Kaum hatte Erich Nold, Darmstadt, am 9. November 1983 seine Strafanzeige gegen Galen und andere eingereicht, setzte der Hauptversammlungsschreck vergangener Jahrzehnte eine Prozesslawine in Gang, von der er selbst überrascht war. Mit dem Nold-Papier, die Verteidigung spricht von „Querulantenanzeige“, beginnt (Anfang 1986) unter der Nr. 1001 die Aktensammlung für das bisher größte Strafverfahren in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte. Ein Stapel von 26 000 Blatt gerichtsnotorischer Akten wurde zusammengetragen. Der persönlich haftende Gesellschafter Ferdinand Graf von Galen sitzt seit Ende 1984. Seine Kompagnons, Hans Lampert und Wolfgang Stryj  waren zwischenzeitlich ebenfalls acht Monate in U-Haft gewesen. Die nach Ansicht der Staatsanwaltschaft kleineren Fische, Hans-Hermann Münchmeyer und der Sekretariatsleiter Ralph-René Lucius blieben zwar auf freiem Fuß. Aber auch ihnen wird der Prozess gemacht, wenn auch ein kurzer.

 

Die Staatsanwaltschaft hofft sogar, die beiden Letzteren mit der Zeit als Kronzeugen umfunktionieren zu können. Nach Teilgeständnissen wurde ihr Verfahren abgetrennt. Und da sich auch Stryj über Nacht zur Beichte bekannte, wurde er ebenfalls auf die etwas bequemere Münchmeyer-Lucius-Bank gesetzt. Diese drei, so ihre fast identische gerichtliche Aussage, haben „billigend in Kauf genommen,“ dass andere Banken durch eine mögliche SMH-Insolvenz geschädigt werden könnten. „Untreue“ weisen sie aber weit von sich. „Untreue und Betrug“ will Oberstaatsanwalt Scheu aber unter allen Umständen dem Grafen nachweisen. Vielleicht, so kalkuliert Scheu, schafft er es mit den Zeugen Münchmeyer, Lucius und Stryj. Mehr und mehr wurden Galen und Lampert von den übrigen isoliert und da nur noch Galen inhaftiert ist, spricht die Verteidigung ganz offen von Klassenjustiz.

 

Der Strafrechtslehrer und Galen-Verteidiger, Prof. Peter Cramer, Gießen, hat sich dagegen zum Ziel gesetzt, die Staatsanwaltschaft aufs Kreuz zu legen. Der Galen-Prozess wird, so sehen es Frankfurter Banker, ein Fall Peter Cramer gegen Udo Scheu. Der Gießener Professor hat Unterstützung von Rechtsanwalt Rückel (Münchener Institut für Strafrecht), vom Karlsruher Revisionsfachmann Widmaier und dem Frankfurter Rechtsanwalt Alexander Riesenkampff. Die teure Riege wird von der Multimillionärin Anita Galen bezahlt, denn der Angeklagte hat schließlich den letzten Pfennig bei der SMH-Pleite verloren, insgesamt rund 85 Millionen Mark, und lebt zur Zeit auf Staatskosten im Gefängnis Frankfurt-Preungesheim.

 

„Unser erstes Ziel wird sein“, so Cramer, „Galen aus diesen unwürdigen Verhältnissen zu befreien.“ Wenn der Hauptangeklagte zur Sache vernommen worden ist, kommt er frei, meint die Verteidigung – Ende Februar etwa. Die Chancen dafür stehen wirklich nicht schlecht, denn dann wird das Oberlandesgericht, wie schon einmal passiert, der zuständigen 2. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts nicht mehr ins Handwerk pfuschen. Richter Bokelmann wollte Galen schon im Oktober 1985 freilassen. Das Oberlandesgericht verfügte aber die Fortdauer der Haft wegen Fluchtgefahr. „Das ist alles Unsinn,“ so Cramer, „wir haben es, recht besehen, mit einem Unschuldigen zu tun.“ Unschuldige hätten nicht nötig zu fliehen. Außerdem wolle Galen, das habe er immer bekundet, mit den Justizbehörden kooperieren, um jeden Winkel der SMH-Pleite gerichtlich ausleuchten zu lassen.

 

Schuld ja oder nein, wird das Gericht herausfinden müssen. Zumindest haben die SMH-Manager durch die Pleite ihrer Bank einen Schaden von über einer Milliarden Mark verursacht. Über 900 Millionen DM Kredite waren allein in die marode IBH-Holding des schon verurteilten Horst-Dieter Esch gesteckt worden. Nach Abzug der von den persönlich haftenden Gesellschaftern eingebrachten Werte und der Veräußerung von Bank-Restwerten verbleibt immerhin noch ein Schaden von 750 Millionen DM. Dies hatte der Geschäftsführer der SMH-Nachfolgegesellschaft, Hema, Schütz, am 29. Mai 1985 vor der Staatsanwaltschaft ausgesagt.

 

„Eine Begebenheit mag belegen,“ so der Strafverteidiger, „wie wenig der Beschuldigte Graf Galen im Sommer 1983 mit einer ebenso dramatischen wie unglücklichen Entwicklung bei SMH, wie sie im Spätherbst eintrat, gerechnet hat.“ Und dann erzählt der Staranwalt eine rührende Galen-Pöhl-Geschichte. Am 25. Juni 1983 fand die Erstkommunion des Sohnes des Beschuldigten im Schloß Assen, dem Wohnsitz der Familie Galen in Westfalen, statt. Der Einladung hierzu war unter anderen auch Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl gefolgt. Bei einer Rundfahrt, die der Beschuldigte mit dem Bundesbankpräsidenten an diesem Tag unternahm und bei der er diesem Größe und Anlage des Besitzes Assen erläuterte, fragte Pöhl den Beschuldigten Galen, ob dieser Jahrhunderte lang von der Familie gehaltene Besitz auch von der persönlichen Haftung des Privatbankiers Ferdinand Graf von Galen erfasst sei? Der Beschuldigte, Graf Galen, bejahte die Frage lächelnd und fügte hinzu, dass das rein theoretische Risiko einer Inanspruchnahme die Schwierigkeiten nicht rechtfertigen könne, die durch Übertragung auf seinen minderjährigen Sohn (im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, insbesondere die fortwährende Notwendigkeit der Einholung vormundschaftsgerichtlicher Genehmigungen) entstehen würden. – Das war vier Monate vor der SMH-Pleite.

 

Wenn in München Bossi die einzige Hoffnung für Kapitalverbrecher ist, so spielt diese Rolle für Finanzdelinquenten in Frankfurt Cramer. Er ist Kommentator einschlägiger Gesetzeswerke, hat aber auch eine ebenso reiche Praxis als Streifverteidiger. Ihm ist ziemlich egal, ob der Bundesbankpräsident durch solche Stories im Galen-Prozess mehr und mehr zwischen Baum und Borke gerät. Schließlich hat ihn auch die Staatsanwaltschaft als Zeugen für den kommenden Mammutprozess benannt und bereits am 18. Mai 1984 vorab befragt. Cramer will auf den Zeugen Pöhl ebenfalls zurückgreifen, um zu beweisen, wie arglos und freundschaftlich sein Mandant war, bis hin zur Verschaffung der Ehrendoktorwürde an Pöhl in Georgetown. Als Entlastungszeugen führt Cramer auch den Vorstandssprecher der Deutschen Bank an. „Friedrich Wilhelm Christians,“ so Cramer, „spricht in einem Aufsatz zur KWG-Novelle im Hinblick auf die Schuldfrage im Fall SMH von einer ‚leichtfertigen‘ Risikobeurteilung durch die Geschäftsleitung.“ Christians schätze die subjektiven Gegebenheiten, die hier den Verantwortlichen der SMH vorlagen, aus seiner großen Erfahrung im Bankenbereich richtig ein, meint Cramer. „Leichtfertigkeit,“ so der Verteidiger, „reicht aber für Par. 266 Strafgesetzbuch – Untreue – nicht aus.“

 

Die Staatsanwaltschaft sieht dagegen ein riesiges Verschleierungswerk des SMH-Managements mit dem Ziel, eine einzige Adresse – die IBH-Gruppe, Mainz – direkt und indirekt unerlaubt mit viel zu hohen Krediten aufzupumpen. Und dann macht selbst die inzwischen im Ruhestand lebende Präsidentin des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, Inge-Lore Bähre, in Cramers Sinne Aussagen: „Aus dem Gentlemen’s Agreement,“ so Frau Bähre sinngemäß vor dem Staatsanwalt, „das die Banken zur Meldung der Kredite ihrer Luxemburger Töchter verpflichtete, können keine unmittelbaren Rechtsfolgen hergeleitet werden.“ Der Banker, der sich an solche – im Bankgeschäft üblichen – Abmachungen nicht hält, ist zwar kein Gentleman, aber im üblichen Sinne auch kein Betrüger. Cramers Verteidiger-Kollege Riesenkampff formuliert drastisch: „Galen ist vielleicht ein Esel aber kein Schwein.“

 

Und weil das so ist, zimmert die Crew der Verteidiger Eselsbrücken, um Galen aus der Haft zu holen und schließlich den Prozess des Jahres zu gewinnen. Ihre Hauptargumente: Galen war kein Kreditfachmann. Er war auch nicht für das Kreditgeschäft der SMH-Bank zuständig sondern Kollege Lampert. Und Galen gehöre auch nicht zu den Selbstmordkandidaten, die aus Lust am Betrug das eigene Vermögen bis auf den letzten Pfennig verpulvern wollen. Zudem hätten es seine reichlichen Ehrenämter  und Auslandsreisen unmöglich gemacht, die einzelnen Kreditengagements zu überprüfen. Galen sei schließlich der einzige gewesen, der überhaupt bei der SMH-Bank dafür gesorgt habe, dass Geld verdient werde. Das Investmentbanking, für das Galen verantwortlich war, hätte schließlich die SMH-Bank zu der guten Adresse im deutschen Bankgewerbe werden lassen, die sie einmal war. Riesenkampff: „Hier wird geschäftlicher Misserfolg kriminalisiert.“

 

In ihrer über 100-seitigen Anklageschrift versucht die Staatsanwaltschaft Galen in vielen Einzelheiten, sehr akribisch Untreue und Betrug nachzuweisen:

  • Untreue zum Nachteil der Kommanditisten,
  • Untreue zum Nachteil der Konsortialbanken,
  • Betrug zum Nachteil der Poolbanken,
  • Betrug zum Nachteil der refinanzierenden Banken,

Besonders die Beleihungsschiebereien – gemeinsam mit Esch – über die Finanzholding Finzac, U. A. Baumaschinenbeteiligungen, Roxlo und Malark lassen auf Detailarbeit schließen, um Behörden und Refinanzierungsbanken hinters Licht zu führen. Dabei holte sich die SMH-Bank nur Risiken ins Haus. Von Bereicherung kann weder persönlich noch institutionell (Bank) gesprochen werden.

 

Der Punkt, wo die Bereicherung der Galens beginnen könnte, nämlich die Veräußerung der SMH-Anteile von der Gräfin an den Grafen im April 1983 ist in dem anstehenden Verfahren überhaupt nicht die Rede. Theoretisch könnte man hier konstruieren: Galen habe schon so frühzeitig die SMH-Pleite erkannt und mit der Übernahme der SMH-Anteile seine Frau und damit seine Familie weitgehend aus dem Risiko gezogen. Das aber ist ein 2. Prozess, der an anderer Stelle läuft und wo die Gräfin als Nutznießerin dran ist. Einstweilen nimmt sie aber ihren Mann ebenso drastisch wie treffend in Schutz: „Er mag ein Trottel sein, aber kein Verbrecher.“ Und weil das so ist, rechnet sich Starverteidiger Cramer die besten Chancen aus, den Grafen rauspauken zu können. Dann aber dürfte der Fall Cramer gegen Scheu dem deutschen Steuerzahler einiges Geld kosten für Haft-Entschädigungen des Grafen.

 

Soweit hat es Richter Bokelmann aber nicht kommen lassen. Anfang Juli 1986 wird Galen wegen Untreue in einem besonders schweren Fall zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht empfahl, ihm die Vergünstigungen des offenen Vollzugs und der Halbhaft zu gewähren. Danach hätte er am 14. Juni 1987 entlassen werden können. Das war nicht so ganz umsetzbar. Ein Gnadenerweis  des Leitenden Oberstaatsanwalts Christoph Schaefer machte die vorzeitige Entlassung des 51-jährigen Galen zum 1. Oktober 1987 möglich. Da er noch 20 Tage Urlaub beanspruchen konnte, kam der Graf schon am 11. September frei.

 

Unterdessen kämpfte Anita Gräfin von Galen von Paris aus (weil sie in Deutschland Arrest fürchtete) um den Erhalt ihres Vermögens. In einem Zivilprozess mit dem Bundesverband deutscher Banken, ging es wegen des zwielichtigen SMH-Anteilsverkaufs an ihren Mann um 19,91 Millionen Mark. Die Gräfin hat niemals zu erkennen gegeben, diese oder irgendeine Summe an den Bankenverband (der die Gläubigerbanken vertrat) zu zahlen. Letztlich kam es zu einem Vergleich, der, wie der Bankenverband mitteilte, „von beiden Seiten eingehalten wurde.“ Wahrscheinlich sind zehn Prozent der ursprünglich verlangten Summe tatsächlich gezahlt worden. Hierzu schweigen sich die Parteien aus – bis heute.

 

 

Jacques Delors geht aufs Ganze und bringt die ECU

 

Das geschickte Krisenmanagement von Bundesbank, Bundesaufsichtsamt und Bankenverband hat den Finanzplatz Deutschland eher gestärkt als geschwächt und die D-Mark litt keinen Tag darunter. Tagtäglich herrscht  auf den Devisenmärkten dasselbe Bild: Dollar, Yen und D-Mark beherrschen die Szene. Die europäischen Währungen müssen sich auf den Märkten brav hinter der D-Mark einordnen. Das EWS will es so und für seine Mitglieder ist noch kein Kraut gegen das erfolgreiche Produkt aus Frankfurt gewachsen. Politisch aber ist Paris stets eine Nase voraus, zumindest sehr einfallsreich und rigoros genug, seine Interessen wenn auch immer möglich durchzusetzen, zumindest anzuschieben – bei aller kontrahierten deutsch-französischen Freundschaft. Instrumente dafür gibt es immer wieder genug, entweder über den französisch geleiteten Internationalen Währungsfonds oder entsprechende Posten in Brüssel. Oftmals hilft auch die romanische Solidarität der Weichwährungsländer, um Deutschland zu irgendwelchen – marktabstrusen – geld- und währungspolitischen. Politische Metamorphosen ganz über Nacht gehören dazu. Für Willy Brand, Bundeskanzler, Friedensnobelpreisträger und SPD-Politker waren die Franzosen immer „schwierige Freunde“.

 

Wie ein Phoenix aus der Asche seiner finanzpolitischen Vergangenheit erhob sich Anfang 1985  der neue EG-Präsident, Jacques Delors, als er von Paris nach Brüssel wechselte. War er als Finanzminister an der Seine noch ängstlich bedacht, die französischen Kapitalverkehrskontrollen möglichst wasserdicht zu halten, so setzt er sich nun – 1985 – in Brüssel für eine liberalisierte europäische Währung ein. Die frankophone Kreation ECU soll nach seinen Vorstellungen möglichst bald allgemeines Zahlungsmittel für die Europäer werden. Der Name passt. Er hat seit dem 13. Jahrhundert französische Goldwährungstradition. Selbst die englische Aufschlüsselung der drei Buchstaben – European Currency Unit – ist für französische Mentalität erträglich. Es schadet dabei nicht, dass die Briten im Europäischen Währungssystem (EWS) gar nicht mitarbeiten. Ein anderer Umstand ist für die ECU nicht weniger akzeptabel, dass nämlich die deutsche Währung für die Werthaltigkeit der ECU steht, DM aber nirgends zu erkennen ist.

 

Einen besonderen Spaß macht dem ehemaligen französischen Finanzminister seine neue Position auch deshalb, weil Delors in Paris wegen der Kapitalverkehrskontrollen immer der gescholtene Anti-Europäer war. Von Brüssel aus stellt er nun die Deutschen in diese Ecke: Die Bundesbank hintertreibe die Weiterentwicklung des EWS und ließe die ECU nicht zur Vollform einer internationalen Währung auflaufen, meinte er.

 

Brüsseler Hierarchen können ohne jeden wirtschaftlichen Hintergrund derartiges behaupten und lautstark eine Gemeinschaftswährung fordern. Das irritiert die mittlerweile hart gesottenen Bundesbanker kaum und schon gar nicht ihre Politik. Ihre Position zum Thema ECU haben jetzt Präsident Pöhl und sein Außenminister, Leonhard Gleske, eindeutig markiert und zwar so:

 

Hinter der ECU steht keine Institution, die für ihre Wertstabilität verantwortlich wäre. Sie leitet sich nur von der sehr unterschiedlichen Stabilität und Qualität der im ECU-Korb befindlichen Währungen ab. Deshalb ist auch die Ausgabe von ECU-Banknoten und ECU-Münzen und deren Anerkennung als Zahlungsmittel nicht ohne weiteres vorstellbar.

 

Dennoch verfährt die Bundesbank mit der ECU weit liberaler als dies in anderen europäischen Ländern der Fall ist. Denn dort, wo die ECU als Devise behandelt wird, ist sie den jeweiligen Devisenbeschränkungen unterworfen. Ihr Nutzung wird dadurch weit mehr behindert als etwa in der Bundesrepublik, wo lediglich das Eingehen von Verbindlichkeiten in ECU bisher nicht zugelassen wird. Dagegen ist der Erwerb von ECU-Forderungen uneingeschränkt gestattet.

 

Der Stand der De-facto-Liberalisierung ist heute in Europa eher niedriger als Beginn der 60er Jahre. Vor allem Frankreich und Italien glauben nach wie vor auf weitgehende Beschränkungen des Kapitalverkehrs nicht verzichten zu können. Für eine Fortentwicklung des EWS wären die Liberalisierung und Komplettierung des Wechselkurssystems von weit größerer Bedeutung als eine verstärkte Verwendung der ECU im offiziellen wie im privaten Bereich.

 

Die offizielle ECU ist bisher weder konvertibel noch wird sie marktgerecht verzinst. Daher ist die Bedeutung sogar zurückgegangen. Keine europäische Notenbank hält ECU in größerem Umfange freiwillig in ihren Reserven, dafür umso höhere DM-Beträge.

 

Aber auch bei marktgerechter Verzinsung – eine Voraussetzung für die Andienung der ECU an andere Notenbanken – dürfte kaum hohe Nachfrage bestehen, weil ECU’s nur begrenzt verwertbar sind.

 

An der Erkenntnis, dass ein gemeinsamer Währungsraum mit festen Wechselkursrelationen letztlich nur durch hinlängliche Stabilität und Konvergenz der Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftpolitikern entstehen kann, geht kein Weg vorbei.

 

Außerdem fehlt die verantwortliche europäische Notenbank. Hier ist noch völlig unklar, welchen Grad der Autonomie, welche Aufgaben und welche Stellung gegen über nationalen Regierungen diese Institution haben soll. Auf jeden Fall werde – und hier besteht Einigkeit zwischen Bundesregierung und Bundesbank – die Übertragung von Notenbankfunktionen und die endgültige Übertragung von Währungsreserven auf eine supranationale Institution eine Änderung des EWG-Vertrages oder einen ratifizierungsbedürftigen völkerrechtlichen Vertrag erfordern.

 

Die Schaffung einer solchen Gemeinschaftsinstitution hätte aber weit reichende Konsequenzen für die Geldpolitik und die Geldverfassungen in den Gemeinschaftsländern. Das kann man im Rahmen eines weit gespannten Integrationskonzepts politisch durchaus wollen. Dann sollte man aber die Implikationen einer solchen politischen Entscheidung genau bedenken. Die ECU kann jedenfalls nicht Basis einer solchen Entwicklung sein, und sie sollte in der politischen Diskussion über die Währungsintegration auch nicht als Vorwand für die Durchsetzung solcher Ziele dienen.

 

Damit ist die Position der Bundesbanker klar abgesteckt. Ex-Kanzler Helmut Schmidt, gemeinsam mit Giscard d’Estaign Vater der ECU, hatte dafür kürzlich in Washington allerdings nur beißenden Spott: „Wenn es nach der Bundesbank geht, brauchen wir Europa überhaupt nicht zu bauen. Dass wir wirtschaftlich und verteidigungsmäßig von den anderen abhängen, interessiert die gar nicht.“ (Es würde auch sehr verwundern, wenn Paris Berlin verteidigen wollte.) Schmidt ist zwar auch Ziehvater von Bundesbankpräsident Pöhl. Dieser hat sich aber noch weniger nach seinen Erwartungen entwickelt als die ECU.

 

 

Otmar Emminger: Ein Blücher im Kampf um die Geldwertstabilität

 

Auch mit seinen 75 Jahren (1986) ist Altbundesbankpräsident Otmar Emminger ein streitbarer Herr geblieben. Den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie maßregelte er vor dem so genannten Hessischen Kreis der Arbeitgeber: „Sie meinen, die deutschen Unternehmer wissen nicht, worum es bei der Änderung des Paragraphen 116 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geht? Dieses Armutszeugnis stellen ich diesen Leuten nicht aus.“ Der große alte Mann der Bundesbank kann sich auch diese Bemerkung leisten: „Es ist nur in unserem überdrehten Rechtsstaat, wo sogar die Schulnoten anfechtbar sind, möglich, dass eine Bankengruppe die Bundesbank vor den Richter bringt, nur weil ihr die neue Mindestreservestruktur nicht gefällt.“

 

Sein wacher Verstand und die hohe Sachkenntnis, mit der Emminger in Diskussionen und Vorträge hineingeht, qualifizieren ihn bis heute zu einem begehrten Berater in Wirtschaft und Politik, diesseits und jenseits der Grenzen.

Weltpolitische Themen diskutiert Emminger regelmäßig mit dem ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger, der Anfang der 70er Jahre das kommunistische China für den Westen geöffnet hat. Beide Grandseigneurs sitzen im Beirat der hochfeinen Investmentbank Goldman, Sachs & Co. und treffen sich dort jährlich drei- bis viermal. In der Bundesrepublik hat sich die Deutsche Pfandbriefanstalt. Sie machte den Zentralbanker  zu ihrem Präsidenten des Verwaltungsrates.

 

Hauptamtlich schreibt der Altbundesbankpräsident aber Memoiren, und zwar in einem bescheidenen Büro unterm Henninger Turm, das ihm der ehemalige Henninger-Bräu-Besitzer, Konsul Schubert, gratis zur Verfügung stellt. Eine Graphik des spanischen Malers Joan Miró dekoriert den etwas düsteren Raum. Sein Kunstleidenschaft gilt allerdings den Expressionisten, die er von früher Jugend an mit gutem Gespür und umso geringerem Kapitaleinsatz sammelt.

 

Emmingers zentrales Thema in Politik und Wissenschaft ist die Inflationsbekämpfung, bei der er als langjähriger „Außenminister“ der Bundesbank meist die außenwirtschaftliche Front abgesichert hat. „Wer mit der Inflation flirtet, wird von ihr geheiratet“, warnt der Geldwertmoralist unablässig.

 

In „D-Mark, Dollar, Währungskrisen – Erinnerungen eines ehemaligen Bundesbankpräsidenten“ beschreibt Emminger die bundesdeutsche Geldgeschichte der Nachkriegszeit ebenso, wie er Geschichte der Geldpolitik gemacht hat. Um den von ihm für richtig erkannten Stabilitätskurs durchzupauken, hetzt er seinen Chef, den ehemaligen Präsidenten, Wilhelm Vocke, gegen Adenauer auf. Mit Helmut Schmidt legte er sich persönlich an.

 

Emminger hat als Bundesbankpräsident (1977-1979) mit seiner Geldpolitik den Grundstein für die Preisstabilität bis hin zur Null-Inflation in den 80er Jahren gelegt. Er schuf die Voraussetzung dafür, dass die Teuerung, wie es Superminister Karl Schiller einmal ausgedrückt hat, so tot wie ein rostiger Nagel ist. „Die eigentliche Wende in der Geldpolitik begann am 14. Dezember 1978“, schreibt Emminger in seinen Memoiren. Dass zusammen mit dem Geldmengenziel damals Restriktionsmaßnahmen beschlossen wurden, sollte nach außen demonstrieren, dass die Bundesbank auch im (politisch erzwungenen) europäischen Währungssystem (EWS) die Stabilitätspolitik fortzusetzen gedenkt.

 

Zum offenen Konflikt mit der Bundesregierung wegen der straffen Geldmengensteuerung über knappes Geld kam es am 18. Januar 1979. Während der Pressekonferenz nach der Zentralbankratssitzung zog Staatssekretär Lahnstein offen gegen die Notenbanker vom Leder: Weder er noch sein Minister hätten einen Handlungszwang für die Erhöhung von Lombardsatz und Mindestreserven gesehen. Die Lahnstein-Demarche war verglichen mit dem Auftreten Adenauers gegenüber Frankfurt allerdings harmlos. Kanzler Konrad Adenauer hatte im Oktober 1950 eine Erhöhung der Leitzinsen schlicht verboten, was ihm aber wenig half: Der Zentralbankrat setzte sich um zwei Prozentpunkte herauf und ließ sich seitdem von der Regierung nicht mehr hineinreden. Fünf Jahre später hat Adenauer nach einer Leitzinserhöhung in der berüchtigten Gürzenich-Rede nur noch geschimpft, ohne irgendetwas ausrichten zu können. Der deutschen Konjunktur sei ein schwerer Schlag versetzt worden. Auf der Strecke würden die Kleinen bleiben, die kleinen Industrien, die Handwerker und Landwirte. „Das Fallbeil trifft die kleinen Leute und deswegen bin ich sehr betrübt.

 

Nach der Diskont- und Lombardsatzerhöhung vom 12. Juli 1979 protestierte lautstark das Ausland. In den USA sprach man vom Zinskrieg. Der Vorsitzende des Sachverständigen-Ausschusses des Kongresses, Schultz, wetterte: „Die Politik der Federal Reserve wird heute wahrscheinlich mehr in Frankfurt als in Washington gemacht.“ Hinter all diesen Aktionen stand der zähe Emminger mit seinem pragmatischen Monetarismus. Vom Theoretiker Milton Friedman hat er sich nur die Aggregate ausgeliehen. Eine Menge realistischer Wirtschafts- und Finanzpolitik kam dazu und etwas Glück. Heraus kam die härteste Währung der Welt. Eigentlich hätten die Bundesbank und Emminger ebenso wie Friedman den Nobelpreis erhalten müssen, insinuiert mir der drahtige Geldakrobat.

 

Die Bundesbank ist faktisch die einzige Zentralbank, die heute noch zur Inflationszügelung Geldmengensteuerung betreibt, pragmatisch und erfolgreich von Anfang an. Der Mann mit dem richtigen Kompass war stets Emminger. Selbst seine Kollegen und Vorgänger-Präsidenten musste er wiederholt vom falschen Kurs weglotsen und in die richtige Fahrrinne setzen.

 

Nach der Währungsreform hat Emminger jahrelang an die Kollegen im Zentralbankrat hinreden müssen, bis auch sie von der Notwendigkeit einer D-Mark-Aufwertung überzeugt waren. „Nur Ludwig Erhard und ich“, so  der Altbundesbankpräsident, „waren anfangs dafür gewesen“. Und Erhard fiel immer wieder um, wenn es darum ging , die notwendige Mark-Aufwertung in seiner Regierung durchzusetzen. „Wir brauchen sie aber“, wurde Emminger nicht müde zu argumentieren, „um die interne Stabilitätspolitik abzusichern.“

 

Im Frühjahr 1961 waren schließlich der damalige Bundesbankpräsident, Karl Blessing, sowie der Zentralbankrat überzeugt und Erhard soweit festgenagelt, dass er zur Sache stand und im Kabinett die nötigen Beschlüsse durchsetzte. Emminger hatte aber noch eine weitere Hürde zu nehmen. Als er in Washington beim Internationalen Währungsfonds die D-Mark-Aufwertung persönlich ankündigte, fuhr ihn der damalige Präsident, Per Jacobsson an: „Was haben Sie Schurke gemacht?“

In das Weltbild des IWF-Präsidenten passte es damals durchaus nicht, dass sich der Kriegsverlierer Deutschland klamm heimlich daran macht, das eherne Bretton- Woods-System anzusägen.

 

Schurkisches wurde Emminger schon früher einmal nachgesagt. Als sich der junge Gerichtsreferendar und Nationalökonom bei Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin bewarb, schaltete dessen Präsident, Professor  Wagemann einen Graphologen ein. Das Ergebnis war vernichtend. Er, Emminger, sein ein aufmüpfiger, revolutionärer Geist, war aus der Schrift zu lesen. So einer könnte seinem Institut mehr schaden als nützen. Emminger war abgelehnt.

 

Tatsächlich hatte Wagemann Probleme mit einem Nazi- und einem liberalen Flügel unter seinen Wissenschaftlern. Der Professor, der gleichzeitig Präsident des Statistischen Reichsamtes war, wollte das mühsam erreichte Gleichgewicht nicht durch einen jungen Revoluzzer stören lassen. Erst als Eduard Wolf, der Chefvolkswirt des Instituts, mit dem eigenen Ausscheiden drohte, wenn Emminger nicht eingestellt würde, wurde Wagemann weich. Die drei Wirtschaftswissenschaftler verband bald eine persönliche Freundschaft, die für Emminger nach dem Krieg noch einmal sehr nützlich werden sollte, als ihn Wolf in die Bank deutscher Länder nachzog.

 

Im Wagemann-Institut zeigte der Revoluzzer bald seine ganz Aufmüpfigkeit. Der Adolf-Weber-Schüler gehörte in den 30er Jahren zu den wenigen Währungsexperten des Reiches. Er hatte über das Thema „Diskontpolitik oder gleitende Währung als Mittel des Zahlungsbilanzausgleichs“ am Beispiel Englands promoviert. Als damals alle Experten des Reiches den starren Wechselkurs der Mark wie ein Gralsheiligtum hüteten, verfasste er am Institut ein Memorandum zur Abschaffung der rund drei Dutzend verschiedenen Wechselkurse, anhand derer der Wirtschaftsverkehr mit dem Ausland abgewickelt wurde. Seine Conclusio hieß: Die Reichsmark um 20 Prozent abwerten, dann haben wir, was wir brauchen, nämlich einen realistischen und einheitlichen Außenwert der Mark mit allen Vorzügen für Ex-und Import.

 

Wagemann warf das „Pamphlet“ in den Papierkorb. Dennoch hielt sich Otmar Emminger für schlau  und akzeptiert genug, sich bei der Reichsbank zu bewerben. Die Herren im Hause von Hjalmar Schacht lehnten mit drei Zeilen und deutschem Gruß ab. Otmar Emminger, dessen Vater 1923/24 in Berlin Reichsjustizminister gewesen war, hatte mit der braunen Riege nie ein sonderlich gutes Verhältnis. 1933 kam er aus London, wo er studierte, in seine Heimatstadt Augsburg eiligst angereist, um seiner Familie beizustehen, denn sein Vater wurde gleich nach der Machtergreifung Hitlers für ein Dutzend Monate eingesperrt.

 

Fünf Jahr später hatte der Jura-Absolvent Mühe, die Zulassung zum Assessor-Examen zu erhalten. Schließlich riet ihm sein Vater, doch in die NSDAP einzutreten, wie es verlangt war. Er tat’s und wurde Volljurist. Seines revolutionären Geistes wegen flog er bald wieder aus den braunen Reihen. „Die besten Jahre meines Lebens,“ so der Altbundesbankpräsident heute, „habe ich dann bei der Wehrmacht verbringen müssen.“ Sechs Jahre waren perdu, aber die besten sollten erst kommen. Von 1949 bis 1979 war Emminger die beherrschende Persönlichkeit der deutschen Währungsszene, als Chefvolkswirt der Notenbank, im Direktorium und dann Präsident. Neben dem Bundesbank-Management und seinen Verpflichtungen beim Internationalen Währungsfonds, bei der BIZ Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, beim Zehner-Club. Er hat für „Die Verteidigung der D-Mark“ (Emminger-Buchtitel) gekämpft.

 

Otmar Emminger kontra James Tobin

 

Es war immer wieder eine Freude, Otmar Emminger unterm Henninger Turm bei seiner Spurensuche in der Vergangenheit zuzuhören. Im Herbst vergangenen Jahres hat er den Oberen in Rotchina, Grundkenntnisse der Geldpolitik zu vermitteln versucht. Wer freie Unternehmerschaft will, braucht eine straffe Geldpolitik, hat er im Reich der Mitte Parteikadern gepredigt, die weder das eine noch das andere kannten.

 

Während in Peking mehrere tausend Funktionäre mit Pomp und Palaver den neuen Fünfjahresplan verabschiedeten, schipperte eine elitäre Schar von internationalen Wissenschaftlern und heimischen Volkswirten den Yangtse hinunter. Die Gruppen hier wie dort, so unterschiedlich sie auch waren, hatten fast identische Ziele: die mittelfristige Wirtschaftslenkung in China.

 

In Peking wurden die Pläne verabschiedet und auf dem Luxusdampfer rund 2000 km weiter südlich intensiv über die Rahmenbedingungen dafür diskutiert. Zu beiden Veranstaltungen hatte Ministerpräsident Zhao Ziyang geladen, der selbst zu den fähigsten Wirtschaftsexperten des riesigen Staates gehört. Seine Leute, so wollte es Zhao, sollten die Kniffe der Marktwirtschaft erlernen. Also hatte er die Weltbank aufgefordert, auch Experten aus Europa und den USA zu sich ins Reich der Mitte zu schicken, um marktwirtschaftliche Aufklärung zu leisten.

 

So kamen Emminger und der amerikanische Nobelpreisträger James Tobin auf die Nobeldschunke im Yangtse. Nach Zhaos Vorstellungen  sollten aber auch Experten aus osteuropäischen Ländern nicht fehlen, die ähnliche Probleme zu bewältigen hätten wie China selbst: Raus aus der Planwirtschaft und rein in die Marktwirtschaft. Außerdem musste ein Japaner dabei sein, denn Zhao hatte erst wenige Monate vorher eine Untersuchung in Auftrag gegeben mit dem Thema: Sind japanische und deutsche Erfahrungen beim Wirtschaftsaufbau nach 1945 auf die heutige Lage in China zu übertragen. Hier könne er aus erster Hand erfahren, so die Überlegungen des Ministerpräsidenten, ob die Entwicklungen in Japan und Deutschland beispielhaft seien.

 

Hier konnte Emminger einhaken: „Die beiden Kriegsverliererstaaten“, so der Altbundesbankpräsident damals im Gespräch mit Zhao, „sind mit dem China der 80er Jahre nicht vergleichbar“. Deutschland habe zwar eine Zwangswirtschaft gehabt, kriegsbedingt, verfügte damals aber immerhin schon über einbrauchbares Bankensystem und nach der Währungsreform über eine Geldwirtschaft, auf die man schnell eine freie Marktwirtschaft aufbauen konnte. Außerdem gab es schon eine traditionsreiche Unternehmerschaft. „Wir mussten nur die Regeln etwas ändern.“ Zhao sinnierte: „Da haben Sie recht. Wir müssen dies alles erst aufbauen.“ Und dann vertraute Emminger dem Gastgeber seine ganze Weisheit an, die zum Kern die Inflationsbekämpfung hat: „Wer aus der Planwirtschaft heraus, Unternehmern mehr Freiheit geben, die Wirtschaft liberalisieren will, muss gleichzeitig eine straffe Geld-, Finanz- und Wirtschaftspolitik einführen, sonst galoppiert die Teuerung.“ „Darauf trinken wir, gampei!“ Der hat’s kapiert freute sich der Deutsche. „Zhao war einer der ganz wenigen.“

 

Nach den großen Erfolgen vor fünf Jahren bei der Privatisierung in der Landwirtschaft hat China zunehmend Probleme bei der Liberalisierung der Industriewirtschaft in den Städten. Die Teuerung nahm stark zu und die Devisenreserven schmolzen dahin. Jetzt soll eine marktorientierte Wirtschaftsreform die Industrieproduktion in 20 Jahren vervierfachen.

 

Die meisten der anwesenden Chinesen hatten von Anfang an Verständnisprobleme und die Uneinigkeit der westlichen Berater machte es ihnen nicht leichter, die Grundzüge von Globalsteuerung und Geldpolitik zu begreifen.

 

„Gestatten, ich bin Keynesianer“, so pfuschte Nobelpreisträger Tobin dem redlich argumentierenden Altbundesbankpräsidenten in die Diskussion: „Sie, Herr Emminger unterstellen“, so repitiert der Deutsche die Rede Tobins, „dass aus kräftigen Lohnerhöhungen gleich Übernachfrage, also eine Lohninflation entsteht.“ Das müsse doch im Einzelnen erst untersucht werden, meinte der preisgekrönte Theoretiker zur unrechten Zeit. Auch für Emminger sind Keynes und seine Gefolgschaft mit ihren theoretischen Ergüssen kein Neuland. Nur passten die Tobin-Thesen nicht in den Nachmittag, wo den Chinesen die Grundfragen der Inflationsentstehung und die Bekämpfung der Teuerung beigebracht werden sollten.

Auch von den Osteuropäern kamen kaum nützliche Vorschläge. Die Experten aus Jugoslawien, Ungarn und Polen entpuppten sich auf dem chinesischen Schicksalsstrom als Dissidenten ihrer heimatlichen Ideologien. Sie schimpften auf die Entwicklung zu Hause und rieten den Kompagnons im Kommunismus, sofort die marktwirtschaftlichen Schleusen zu öffnen und der zentralen Verwaltungswirtschaft restlos den Garaus zu machen. Dreiviertel der ungarischen Volkswirtschaft seien noch staatskontrolliert, erst 25 Prozent liberalisiert. Und für dieses schwache Ergebnis hätte das ganze Land 15 Jahre gearbeitet. Schnell alles über Bord sei das Beste, war der übereilte Rat des Magyaren.

 

Nach Aussagen Emmingers war Brauchbares nur vom Deutschen zu erfahren. „Wer Unternehmen sich frei entfalten lassen will, muss eine straffe Geld-, Finanz- und Wirtschaftpolitik verfolgend, trommelte der Altbundesbankpräsident schon nach dem Frühstück morgens um acht und abends beim Diner mit 25 Gängen immer noch. Aber auch bei der Peking-Ente konnte der drahtige Deutsche den Chinesen die Schoße nicht immer schmackhaft machen. Einige verstanden kein Englisch, andere war so in ihrem traditionellen Denken verhaftet, dass Emminger an deren Gesichtern ablesen konnte, dass seine Lehre ihre geistige Leere nicht ausfüllen konnte.

 

Selbst der Notenbank-Vize, der im März 1985 schon mit ansehen musste, dass sein damaliger Che Li Peijan wegen Unfähigkeit gegen die klevere Dame Chen Muhua ausgetauscht worden war, horchte eher nach innen als auf die Heilsbotschaft aus dem Westen. „Das Beste ist“, so fasste Emminger am Ende der Wasserfahrt zusammen, „Sie schicken einige Leute zur Bundesbank, um das nötige Rüstzeug zu lernen.“ Gesagt getan.  (Aktiv mit einem Entwicklungshilfeprogramm befasst, ist Otmar Emminger am 3. August 1986 überraschend in Manila gestorben.)

 

 

Ausländer im Bundesanleihekonsortium

 

Für den Vorstandsvorsitzenden der gewerkschaftseigenen BfG Bank für Gemeinwirtschaft liegen die Dinge klar auf der Hand: Mit der Öffnung des Bundesanleihekonsortiums für Ausländer ist die Bundesbank über das Ziel hinausgeschossen. „Dafür habe ich kein Verständnis“, rüffelte Thomas Wegscheider am 19. Juni 86 vom 36. Stockwerk seiner Konzernzentrale in der Frankfurter Kaiserstraße auf die hinter dem Grüneburg Park verschanzte Bundesbank.

 

„Wir hätten für die BfG eine Aufstockung der Quoten erwartet, jetzt ist das Gegenteil der Fall.“ Jede fünfte Anleihe-Mark der Bundes-Emissionen von Bund, Post und Bahn geht künftig sofort in die Portefeuilles von Auslandsbanken, die in Frankfurt Tochtergesellschaften unterhalten.

 

Das gute alte Anleihe-Konsortium von 1952 ist tot. Mit der sechsprozentigen Postanleihe über zwei Milliarden Mark vom 24. Juni hat es seinen Geist aufgegeben. Direktoriumsmitglied Claus Köhler hat es nicht anders gewollt und steht damit im Einvernehmen mit dem Zentralbankrat. Nach seinen Vorstellungen  kann offenbar die Restliberalisierung des deutschen Kapitalmarktes vom Mai 1985 nur dauerhaft und überzeugend sein, wenn Auslandsbanken bis ins Allerheiligste der öffentlichen Schuldenmaschinerie hereingelassen werden und dann noch mit diesen fetten Quoten.

 

Denn zu den 20 Prozent, die mit der nächsten Bundesanleihe über vier Milliarden Mark im Juli den Ausländern zugestanden werden, kommen noch die Anteile deutscher Banken, die bisher schon mehrheitlich im Auslandsbesitz waren, wie Trinkaus in Düsseldorf oder die Deutsche Länderbank in Frankfurt, die neuerdings, die neuerdings Schweizerische Bankgesellschaft Deutschland AG heißt. Bis zu 30 Prozent spielen also künftig die Ausländer bim konsortialen Schuldenmanagement des Bundes und seiner Sondervermögen mit. Nicht genug damit. Wie bisher schon Trinkaus wird demnächst  noch eine weitere Auslandsbank sogar im engeren Ausschuss des Bundesanleihekonsortiums sitzen, dessen Führung seit Jahr und Tag in Händen der Bundesbank liegt.

 

Claus Köhler, der im Direktorium der Deutschen Bundesbank das Dezernat II Geld und Kredit leitet, ist allerdings nicht aus allzu weichem Holz geschnitzt. Er will durchaus nicht vorschnell die Interessen seines Hauses oder der deutschen Banken-Gemeinde verspielen. Er verlangt Reziprozität der Geschäftsmöglichkeiten deutschen Banken in den Partnerländern. Außerdem hat er Sicherungen bei der neuen Quotenaufteilung eingebaut.

 

Köhler liegt viel an einer dauerhaften Unterbringung einer Anleihe am Markt und dafür sind seines Erachtens vier Säulen notwendig:

 

Das Konsortium muss die Anleihen dauerhaft, d. h. mindestens für ein Jahr übernehmen und unterbringen.

 

Dafür erhalten seine Mitglieder eine Bonifikation.

 

Sollte die Anleihe vor Jahresfrist wieder auf den Markt kommen, muss der größte Teil der Bonifikation wieder zurückgegeben werden.

 

Schließlich rundet das System ein Interventionsmechanismus ab. Die Bundesbank will den Markt wie bisher mit leichter Hand regulieren. Es soll gewährleistet sein, dass möglichst Bezahlt-Kurse zustande kommen.

 

Nichts überlässt Claus Köhler gerne dem Zufall. Wenn er die Ausländer mit ins Boot holt, werden ihnen nicht nur dieselben Auflagen wie den Inländern unterbreitet. Sie sollen sich darüber hinaus gemeinsam mit der Bundesbank Gedanken über die Reservewährung D-Mark machen, die es in Krisenzeiten auch einmal zu schützen gilt. Nicht das Schön-Wetter-Konsortium hat Köhler im Sinn. Er will sich ein allwettertaugliches Instrument schaffen, frei nach der Bundesbahnwerbung: alle Wetter – die Mark.

 

Seine Devise heißt: Nicht nur den Absatz für Bundespapiere sichern sondern möglichst gleichzeitig ein sicheres Auffangbecken für die D-Mark schaffen. Kanäle einziehen für die wachsenden Milliarden-Ströme, damit in turbulenten Währungszeiten die Deutsche Mark nicht wie verendete Fische vor der Bundesbank in Frankfurt abgeladen werden. Die Strategie leuchtet ein: Erst die Banken aus der Schweiz, aus den USA, Japan und dem Rest der Welt nach Deutschland holen. Sie hier Tochtergesellschaften nach deutschem Recht gründen lassen, damit einbinden in das Steuerungssystem der Zentralbank und ihnen zusätzliche Aufgaben für Marktregulierungen im Ausland unterschieben.

 

So könnte ein tragfähiges Gerüst für den D-Mark-Block geschaffen werden, der nur in Teilbereichen mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) deckungsgleich ist. Diese Art hintergründiger Strategie ihrer Notenbank wollen die deutschen Geschäftsbanken nicht gerade mit Enthusiasmus fördern.