Ernst & Young: Weltwirtschaft findet ihren Optimismus wieder – aber deutsche Konzerne verlieren ihren Übernahmeappetit


Stuttgart (24.11.17) – Deutsche Großunternehmen haben ihren Optimismus wiederentdeckt – dürften sich aber in den kommenden Monaten mangels geeigneter Kandidaten auf dem Übernahmemarkt zurückhalten. Sieben von zehn Unternehmen gehen davon aus, dass sich die Konjunktur hierzulande in den nächsten Monaten verbessern wird. Noch vor einem halben Jahr erwarteten fast alle befragten Unternehmen lediglich eine Stagnation auf dem Heimatmarkt.

Auch in Bezug auf die Weltwirtschaft sind die deutschen Unternehmen mehrheitlich guter Stimmung. 55 Prozent erwarten eine Verbesserung in den kommenden Monaten. Das ist zwar etwas weniger als im weltweiten Vergleich, wo 64 Prozent der Unternehmen mit einer besseren Konjunktur rechnen. Doch noch vor einem halben Jahr glaubte lediglich ein Prozent der deutschen Unternehmen daran.

 

Trotz der guten Konjunkturerwartungen dürften sich die deutschen Unternehmen auf dem M&A-Markt zunächst zurückhalten: Nur 33 Prozent geben an, dass sie in den kommenden zwölf Monaten zukaufen wollen – das ist der niedrigste Stand seit zwei Jahren und bedeutet fast eine Halbierung gegenüber dem bisher höchsten Wert im Oktober 2016, als 61 Prozent Übernahmen einplanten. Weltweit blieb der Übernahmeappetit dagegen nahezu stabil und sank im Halbjahresvergleich nur um einen Prozentpunkt auf 56 Prozent.

 

Hauptgrund für die Zurückhaltung der deutschen Unternehmen dürfte die große Konkurrenz und ein relativ leergefegter Markt sein: So sagen inzwischen 46 Prozent der deutschen Unternehmen, dass die Zahl der Akquisitionsmöglichkeiten abnimmt. 29 Prozent erwarten, dass die Qualität der Zielunternehmen zurückgeht.

 

Das sind Ergebnisse des aktuellen „Capital Confidence Barometer“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Basis der Studie ist eine Umfrage unter 2.300 Managern in Großunternehmen weltweit, davon 138 in Deutschland.

 

Alexander Kron, Partner und Leiter des Bereichs Transaction Advisory Services bei EY in Deutschland, Österreich und der Schweiz, kommentiert: „Die Stimmung in den Großunternehmen ist derzeit trotz der schwierigen politischen Großwetterlage ausgesprochen gut: Der europäische Markt entwickelt sich stabil, das USA-Geschäft dürfte durch den gesunkenen Eurokurs angekurbelt werden, China wuchs im ersten Quartal besser als erwartet. Angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklungen sind die Manager in den Führungsetagen der deutschen Großunternehmen deshalb optimistisch für den weiteren Jahresverlauf.“

 

Auch wenn es zunächst widersprüchlich klinge, wirke sich die positive wirtschaftliche Entwicklung aber offenbar auch bremsend auf die Übernahmeaktivitäten der deutschen Konzerne aus: „In den vergangenen Monaten haben die Unternehmen gut verdient und ihre Finanzkraft für Übernahmen gesteigert. Gleichzeitig haben auch mögliche Übernahmekandidaten ihren Wert steigern können. Das treibt zum einen den Preis für Unternehmen beziehungsweise Unternehmensteile. Zum anderen hat die Konkurrenz zugenommen – gerade auch aus China. Attraktive Kandidaten geraten so schnell ins Visier von Kaufinteressenten weltweit. Übrig bleiben verhältnismäßig teure und weniger attraktive Unternehmen. Gleichzeitig hat sich die Due Diligence – also die genau Überprüfung von möglichen Deals – in deutschen Großunternehmen deutlich verbessert. Gekauft wird nur, wenn es wirklich passt“, erklärt Kron.

 

 

Deal-Pipeline geht zurück – Unternehmen in der Vergangenheit sehr aktiv

Hinzu komme, dass die deutschen Konzerne in der Vergangenheit sehr aktiv waren und derzeit offenbar nicht mehr so viel Bedarf sehen. So war die Deal-Pipeline in Deutschland vor einem halben Jahr noch auf einem Spitzenwert von durchschnittlich 2,7 Transaktionen. Diese ist inzwischen auf 1,3 geplante Transaktionen je Konzern gefallen. Auch weltweit ist die Pipeline kleiner geworden – von 2,0 auf 1,5 Deals im Durchschnitt. „Zahlreiche Unternehmen haben bereits ihre Hausaufgaben gemacht und sich durch Käufe und Verkäufe neu aufgestellt. Die rege M&A-Tätigkeit in den vergangenen Monaten lässt das derzeitige Interesse etwas nach unten gehen“, sagt Kron.

 

Trotz der Zurückhaltung insgesamt trauen sich vereinzelte Unternehmen wieder besonders große Übernahmen zu. Vier Prozent planen, Deals mit einem Volumen von über einer Milliarde US-Dollar. Vor einem Jahr hatte kein deutsches Unternehmen einen so großen Deal in der Pipeline. Auch weltweit ist der Anteil mit zwei Prozent geringer.

 

USA und Großbritannien steigen in der Gunst der Investoren

Weltweit sind die USA mit 44 Prozent das beliebteste Investitionsziel, weit vor den Zweit- und Drittplatzierten China und Großbritannien. Damit steigt die Attraktivität der USA, die vor einem halben Jahr von 26 Prozent als beliebtestes Investitionsziel genannt wurden. Großbritannien landet wieder in den Top Fünf, nachdem es in der Oktoberbefragung nicht unter den beliebtesten Investitionszielen auftauchte. Deutschland wird als viertbeliebtestes Investitionsziel genannt. Sieben Prozent der Unternehmen planen Zukäufe in Deutschland.

 

„Der Wahlausgang in den USA hat anders als zuvor von vielen befürchtet der amerikanischen Wirtschaft bislang nicht geschadet. Zahlreiche Ankündigungen der neuen Regierung wie Steuersenkungen oder das Ankurbeln der heimischen Wirtschaft sorgten sogar für bessere Stimmung unter den Unternehmern. Auch der Brexit hat aus Sicht der Unternehmen offenbar an Schrecken verloren. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien werden jedenfalls wieder mehr Transaktionen geplant als noch vor einem halben Jahr“, so Kron.

 

So glauben 42 Prozent der deutschen und 41 Prozent der Unternehmen weltweit, dass die jüngsten Ankündigungen der US-Administration die M&A-Möglichkeiten begünstigen. 33 beziehungsweise 24 Prozent gehen von weniger Möglichkeiten aus. Damit rechnen mehr Unternehmen mit besseren M&A-Bedingungen als mit schlechteren.

Zwiegespalten stehen die Unternehmen dem Brexit gegenüber. Immerhin hat sich für 41 Prozent der deutschen und 23 Prozent der Unternehmen weltweit mit der zunehmenden Klarheit über den Verlauf des Ausstiegs aus der Europäischen Union die Wahrscheinlichkeit erhöht, in Großbritannien zu investieren. Für 39 Prozent der deutschen Unternehmen und 29 Prozent weltweit ist die Wahrscheinlichkeit hingegen zurückgegangen.