Die Deutsche Bundesbank feiert Anfang August d. J. ihr 60-jähriges Jubiläum! Das Motto: Seit 1957 sorgt die Notenbank für stabiles Geld in Deutschland und Europa.

www.geldanlagen-nachrichten.de liefert in den kommenden Monaten eine ausgedehnte Serie zum Thema deutsches Geld und Geldpolitik von der Nachkriegszeit über die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark 1948 bis zum Euro von Heute.

Von Christoph Wehnelt

 Nr. 15

Edinburger Gipfel bringt Europa ein Stück weiter

 

Nach Aussagen des britischen Premierministers, John Major, hat der EG-Gipfel Anfang Dezember (92) in Edinburg die Gemeinschaft zusammengeführt und Europa wieder auf Kurs gebracht. Kanzler Kohl sprach von einem schwierigen Treffen mit letztlich guten Kompromissen. Dänemark hat sich eine Reihe von Sonderrechten aushandeln können, einen „Ohne-mich-Status“ durchgesetzt: Nein zur Währungsunion. Nein zur Justiz- und Sicherheitspolitik. Nein für eine europäische Staatsbürgerschaft. Nein bei der gemeinsamen Innenpolitik.

 

Die schwülstige und alles umfassende Brüsseler Verwaltung des Jacques Delors hat in Edinburg einiges auf die Finger bekommen. Brüssel darf nicht mehr alles regeln, was irgendwelchen Verwaltungsbeamten einschließt. Von den Eurokraten wird nun mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung gefordert. Im Schloss Holyrood wurde mit der Subsidiarität ernst gemacht. Die einzelnen EG-Staaten, Ihre Länder und Regionen können nun mehr Selbständigkeit bewahren, dürfen ihr Probleme zuerst zu Hause bei sich regeln und sind nicht gleich den Brüsseler Technokraten ausgeliefert.

 

EG-Präsident Delors hat zumindest teilweise sein Finanzpaket durchgesetzt. Es wurde um knapp ein Viertel auf über 160 Milliarden D-Mark (bis 1999) nach oben geschraubt. Bis dahin gehen 1,27 Prozent des Bruttosozialprodukts der EG an die Brüsseler Stellen, meist zur Umverteilung in Europa. Spanien hätte sich mehr gewünscht. Deutschland erreichte, dass die neuen Bundesländer und Ostberlin mit den strukturschwächsten Regionen Europas gleichgestellt wird und auf diese Weise auch kassieren können – 20 bis 28 Milliarden Mark im Zeitraum von 1994 bis 1999. Ungeachtet dessen bleibt Deutschland Nettozahler in der Gemeinschaft.

 

Die Finanzminister haben in der Schotten-Metropole außerdem ein Programm zur Förderung des Wachstums in Europa angestoßen, das schon im nächsten Jahr wirken soll und eine Größenordnung von rund 60 Milliarden Mark hat. Politisch haben die Deutschen auf Holyrood durchgesetzt, dass ihre 18 Europa-Parlamentsabgeordneten den Beobachterstatus verlieren und ordentliche Parlamentarier in Straßburg werden. Die Franzosen konnten für sich die Stabilisierung des Standorts Straßburg für das Europa-Parlament einheimsen. Zwölfmal im Jahr finden dort Plenarsitzungen statt. Zusätzliche Sitzungen gehen nach Brüssel. Das Sekretariat bleibt in Luxemburg. Mit diesen Edinburger Beschlüssen kommt kommt Europa durchaus in die nächste Runde. Maastricht ist damit aber noch längst nicht gerettet.

 

Major hat abermals den Sitz der Euro-Zentralbank für London verlangt, kam damit jedoch nicht durch. Über das Geldhaus soll frühestens Mitte 1993 in Kopenhagen entschieden werden.  Na denn, das ist kein Beinbruch. Es ist auch kein Beinbruch, dass die Dänen der Währungsunion nicht beitreten wollen, gleichzeitig aber brave Mitglieder des EWS bleiben. Damit ist die Dänen-Krone fest an die D-Mark und die Bundesbank angebunden. Die europäische Geldpolitik kann derzeit wirklich nicht anders unter einen Hut gebracht werden als unter der Ägide der Bundesbank.

 

In den zwölf Monaten nach Maastricht konnte die Bundesbank ihre Position tatsächlich festigen, wonach es am Anfang des Jahrs durchaus nicht ausgesehen hatte. Letztlich gestützt auf das Wort des Kanzlers erzwangen die Frankfurter Währungshüter im August/September die Anpassungen der europäischen Währungen auf realistischere Wechselkurse. Sie haben aber auch erreicht, dass die Scheinwährung ECU mehr und mehr abgehalftert wird. Sie ist nicht mehr, was viele noch vor einem Jahr durchsetzen wollten, das Zugpferd für die kontinentale Währungsintegration. Die nordischen Länder – Finnland, Schweden, auch Norwegen – die auf Brüsseler Geheiß hin ihre Währungen an die ECU festgemacht hatten, erlitten damit Schiffbruch und haben diese Verbindung aufgelöst.

 

Die Deutsche Mark ist wieder in. Auf der Index-Währung ECU können zwar weiterhin irgendwelche Finanzspielchen getrieben werden, Anleihen  etc. aber auch nicht mehr. Auch in diesem Zusammenhang muss der Edinburger Beschluss begrüßt werden, schon Anfang nächsten Jahres die Beitrittsverhandlungen mit den nordischen Staaten und Österreich aufzunehmen. Das sind allesamt nun sichere Währungs-Kantonisten – Österreich immer schon. Der Deutsche Industrie- und Handelstag lobt denn auch zu Recht den pragmatischen EG-Gipfel in Schottland. So könne Europa sich zusammenraufen und zusammenwachsen.

 

Instabile Staaten suchen Zuflucht beim Gold

 

Wieder Davos, wieder prachtvoller Winter, wieder Weltwirtschaftforum, wieder monetäre Skurrilitäten.  Im teuren Kurort suchen schwachbrüstige Staaten ihre Zuflucht bei einem ganz besonderen Zauberberg und bauen sich ihre eigene Schatzalp. Während sich der frisch gebackene slowakische Wirtschaftsminister etwas linkisch den Delegierten des Forums präsentiert, spenden wohlmeinende Bürger der neu gegründeten Slowakei Goldschmuck und Goldmünzen, um einen Staatsschatz anzulegen. Damit soll die Basis für die neue, eigiene Währung geschaffen werden. Tschechen und Slowaken wollen sich künftig nicht nur eigene Staaten sondern auch eigens Geld leisten, das in einem gewissen Verbund arbeiten soll.

 

Gleichzeitig propagieren die Russen im schön verschneiten Graubünden ihre Währungspläne. Der Rubel soll stabiler werden. Die Teuerung von 2000 Prozent – wie im vergangenen Jahr – führe in die Katastrophe. Der russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin hat sein Volk nicht zur Goldspende aufgerufen, um den Staatsschatz zugunsten der eigenen Währung aufzupäppeln. Seine Landsleute hätten ihn auch ausgelacht. Lenin und Stalin haben über Jahrzehnte ihre eigenen Leute auf jedes Gramm Edelmetall hin ausgequetscht. Wer von den Bürgern dort noch einen Goldrubel haben sollte, beißt zu Weihnachten selbst gerne einmal darauf, ob er noch hält, was er verspricht.

 

Unter Ulbricht hatte auch die DDR schon Staatsschatz-Zwangsspenden ihren Bürgern diktiert, dennoch ist aus der DDR-Mark nichts geworden, denn das System stimmte nicht.

 

Nun hat wohl auch der russische Premier erkannt, was der DDR unter Ulbricht (und der Sowjetunion unter Stalin ebenso), dass eine stabile Währung, ein stabiler Rubel nur von einer unabhängigen Zentralbank entwickelt und gemanagt werden kann. Dazu bedarf es aber auch einer leistungsfähigen Exportwirtschaft, denn Devisenreserven resultieren meist und überwiegend aus Exportüberschüssen. Sie sind nichts anderes als Forderungen ans Ausland, Nicht zuletzt auch um notwendige Importe bezahlen zu können. Gold kann dann nur eine Rolle spielen, wenn es in großen Tonnagen zur Verfügung steht und marktfähig ist.

 

Eine ganze Reihe westlicher Zentralbanken haben teilweise enorme Goldvorräte und hier herrscht neuerdings der Trend vor, Gold zu verkaufen. Viele Zentralbanker sind der Meinung, Gold habe seine Währungsqualität verloren. Die Demonetisierung des Edelmetalls sei im Übrigen schon seit Jahren angezeigt. Tatsache ist, dass die meisten Länder und damit Zentralbanken der Welt an chronischem Devisenmangel leiden und durchaus darüber nachdenken müssen, wie sie ihren früher einmal günstig eingekauften Goldschatz versilbern können.

 

Die Krise im europäischen Währungssystem vom vergangenen Herbst, die übrigens bis heute nicht beigelegt ist, hatte ihre verheerenden Auswirkungen zum Beispiel auf England und Frankreich, weil diese Länder alleine nicht mehr in der Lage waren, ihre Interventionen zur Kursstabilisierung ihrer Währungen aus er eigenen Kasse zu bezahlen. Weil sie D-Mark brauchten, mussten sie sich in Deutschland mit jeweils hohen Milliarden-Beträgen verschulden, was nicht zu knappe Kreditkosten verursachte.

 

Die europäische Währungskrise – und das wurde in Davos intensiv diskutiert – hatte eine politische und eine doppelte wirtschaftliche Seite: Devisenmangen und gesamtwirtschaftliche Instabilität in den betroffenen Ländern. Die politische Seite galt dem Währungs-Prestigedenken („gegen jede Abwertung“) und dem aggressiv vorgetragenen Wunsch nach einer vorschnellen Etablierung der Europäischen Währungsunion à la Maastricht.

 

Die Bundesbank hat die Schlacht auf den Währungsmärkten deshalb immer gewonnen, weil sie neben den Devisenreserven, weil sie neben hohen Devisenreserven und einer klar formulierten Stabilitätspolitik über Jahrzehnte in der Welt ein Vertrauenskapital aufgebaut hat, dem gegenwärtig auch der französische Franc nicht beikommen kann, obwohl die fundamentalen Wirtschaftsdaten derzeit besser sind als in Deutschland. Aber es fehlt Paris eine unabhängige Zentralbank und damit ein Aktivum für das Vertrauen.

 

Dem Vertrauenskapital der Bundesbank muss auch der Dollar immer wieder seinen Tribut entrichten, obwohl dort eine einigermaßen unabhängige Zentralbank existiert. Doch die Weltmacht schert sich um vieles nicht (the dollar is our currency but your problem). Zwar zeigt sich die US-Währung in diesen Wochen von ihrer starken Seite, weil sich Präsident Clinton – und sei es mit den Mitteln des Protektionismus – um die US-Wirtschaft kümmert. Aber es wird nicht lange dauern, dann geht es wieder rapide abwärts. Die Märkte vertrauen einer hochverschuldeten US-Administration nur wenig, den Demokraten tendenziell noch weniger, weil sie vom Ansatz her noch weniger an geordnete Staatsfinanzen denken. Dazu kommt das Außenwirtschaftsdefizit. Dieses doppelte Defizit ist die Krankheit des Dollars.

 

In Davos wurde die bekannte Lenin-Doktrin ganz klar umgedreht: Vertrauen ist gut, Kontrolle viel schlechter. So müssen auch die jungen Demokratien im Osten lernen, dass zu einer stabilen Währung, die auch noch konvertibel sein soll, ein Währungsschatz, Devisenreserven insbesondere und etwas Gold als Bodensatz gehören, aber auch ein funktionierender Staat sowie Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen.

 

Ein gänzlich neues Instrument: Die Bulis

 

Der Druck auf die Bundesbank ist in den letzten Wochen wieder mal so stark angewachsen, dass die Zentralbankräte nicht mehr anders konnten, als kreditpolitische Beschlüsse zu fassen, die die Verkrampfungen auf den Märkten lösen und der Welt signalisieren: Deutschland ist auf den Zinssenkungstrip eingeschwenkt. Tatsächlich stellt das Bündel der Maßnahmen, die Schlesinger angekündigt hat, einen gewissen Schritt in diese Richtung dar, wenn die einzelnen Elemente auch nicht so gewaltig erscheinen, dass man sagen müsste, die Bundesbank hätte ihr Politik geändert. Doch müssen die Beschlüsse der Geldräte vom 4. Februar 93 etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei ist schon auf die Reihenfolge der Maßnahmen, so wie sie bekanntgegeben wurden, zu achten. Sie hat ihre Bedeutung.

Der Punkt, der am lautesten von den Rundfunkanstalten, vom Fernsehen und den Zeitungen hinausposaunt wurde, die Senkung der Leitzinsen – Diskontsatz von 8,25 Prozent auf 8 Prozent, Lombard von 9,5 Prozent auf neun Prozent – rangiert erst an dritter Stelle, hatte damit nicht absolute Priorität. Die Leitzinssätze entsprachen ohnehin nicht mehr den Marktgegebenheiten und konnten, ohne die Ziele der hehren Stabilitätspolitik aufgeben zu müssen, herabgesetzt werden.

 

Im Punkt 2 liegt dagegen schon wesentlich mehr Musik. Er regelt die Senkung der Mindestreserve, die vom 1. März an gilt. Bisher waren die Banken gehalten, auf Spar- und Termineinlagen einen Anteil von vier bis fünf Prozent bei der Bundesbank zinslos zu hinterlegen. Mit der Zeit ist aus kleinen Prozentzahlen ein starker Betrag von über 50 Milliarden Mark geworden, auf dem die Bundesbank sitzt, ohne dass das Kreditgewerbe irgendeinen Nutzen daraus hätte ziehen können. Das bracht Wettbewerbsverzerrungen gegenüber ausländischen Banken z. B. in Luxemburg, die dort keinen Mindestreserven unterworfen waren und sind.

 

Durch die Senkung der Mindestreserven auf zwei Prozent der Einlagen, werden für das Kreditgewerbe 32 Milliarden Mark frei. Das hat einen doppelten Effekt: Erstens, dass die kleinen  Kreditgenossen und Sparkassen – sie waren davon am meisten betroffen – entlastet werde und zweitens, dass die großen Banken nicht unbedingt genötigt sind, sich im Ausland kostengünstiger als in Deutschland zu refinanzieren. Die Bundesbank setzte damit das Signal: Bleibe im Lande und finanziere dich redlich.

 

Parallel zur Halbierung der Mindestreserve beginnen die Frankfurter Währungshüter mit dem Verkauf von Bundesbank-Liquiditätstiteln, die kurzerhand Bulis genannt werden. Mit den marktgerecht verzinsten Bulis kann die Bundesbank jene Milliarden wieder einfangen, die ihr durch die Mindestreserve-Reduzierung abschwirren.

 

Das neue Bundesbankgesetz gibt der Zentralbank das Recht, Bulis im Umfang von 50 Milliarden Mark zu emittieren. Schlesinger und seine Leute beginnen zunächst mit 25 Milliarden Mark. Diese Bundesbank-Liquiditätstitel sind, so kann man fast sagen, eine neue Wunderwaffe im Arsenal der Währungshüter, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Stabilität der Mark zu erhalten, aber auch die Wettbewerbsposition des Finanzplatzes Deutschland zu verbesser und ihre Stellung in der Abwehr immer größer werdender Devisen-Springfluten zu optimieren.

 

Das aktuelle Paket der Bundesbankbeschlüsse beruht auf Strukturüberlegungen der Währungshüter, die Geldströme in Europa besser regulieren zu können. Aus Deutschland soll nicht mehr soviel Kapital abfließen und nach Deutschland sollen nicht mehr so hohe Devisenmassen hineinströmen und wenn, dann möglichst geregelt. Die Bulis mit ihrer Stückelung von mindestens 100 000 Mark gegen der Bundesbank tatsächlich ein interessantes neues Instrument in die Hand. Die Bulis sind die Köder der ausländischen Spekulanten, die unbedingt in die D-Mark drängen. Die Bulis sind aber auch die Schnappwurst für deutsche Banken und Großanleger für den Einkauf von Geldmarkttiteln allererster Adresse.

 

Daraus lassen sich sogar Geldmarktfonds stricken, wonach deutsche Anleger immer wieder lechzen. Bulis zusammen mit der deutlich reduzierten Mindestreservepflicht machen den Inlandsmarkt für kurzfristige Titel attraktiver, entlasten Termingelder sowie Sparanlagen und belassen der Bundesbank dennoch die Möglichkeit, überall da, wo es notwendig erscheint, fristgerecht mit geldpolitischen – zinspolitischen – Maßnahmen einzugreifen. Um es salopp zu sagen, anderen Finanzplätzen wie etwa Luxemburg, wird das Wasser aus Deutschland etwas abgegraben und die Devisenströme nach Deutschland haben ein neues Auffangbecken. Diese wurde speziell installiert für die ausländischen Nichtbanken, für die stinkreichen Spekulanten und geldflexiblen, Milliarden schweren Unternehmen, die mit ihren D-Mark-Dispositionen die Devisenmärkte immer wieder durcheinander bringen. Sie können künftig Bulis kaufen und die Bundesbank hat eine Option mehr, die Märkte zu regulieren. Alles in allem: Der Finanzplatz Deutschland hat gewonnen.

 

Franc leidet unter historischer Schwäche

 

Sparkassenpräsident Helmut Geiger hat sich mit allem Nachdruck hinter die Politik der Deutschen Bundesbank gestellt, zu der es keine Alternative gebe. Diese Feststellung war notwendig geworden, weil der designierte Nachfolger von Geiger – er geht Mitte des Jahres in den Ruhestand – in einem Magazininterview eine äußerst kritische bis negative Haltung gegenüber der Zentralbank ausdrückte. Dabei handelt es sich pikanterweise auch noch um den Finanzstaatssekretär Horst Köhler, der sich qua Amt und Bundesregierung eigentlich vor die deutsche Notenbank stellen müsste.

 

Köhler wird im Juli (93) als Nachfolger Geigers Chef des mächtigen Deutschen Sparkassenverbandes DSGV. Man kann gespannt sein, wie Köhler dann die Kurve auf die Linie der Bundesbank-Politik kriegt oder ob es auf Dauer einen Dissens zwischen der Sparkassen-Organisation, die 50 Prozent des Bankmarktes beherrscht, und der Bundesbank geben wird. Für diesen Fall wage ich die Vorhersage, dass Köhler nicht auf Dauer den Präsidentenstuhl des größten Verbandes im deutschen Kreditgewerbe verteidigen kann.

 

Geiger stellte klar und rückte damit Köhler zurecht, dass nicht die hohen Zinsen die gegenwärtige Nachfrage drosseln, sondern der Kostenanstieg der vergangenen Jahre deutsche Produkte zu stark verteuerten. Die Lohnstückkosten sind nach Geiger in den letzten zwei Jahren stärker gestiegen als in den gesamten 80er Jahren. Zweitens aber liegen die für Investitionen wichtigen Langfristzinsen wieder auf dem niedrigen Niveau der Zeit vor der Wiedervereinigung. Die Umlaufrendite von etwa 7 Prozent und der Hypothekenzins von rund 8 Prozent mit sinkender Tendenz entsprechen fast dem langjährigen Durchschnitt: Geiger: „Deshalb liegt die Hochzinsphase eindeutig hinter uns.

 

In dem Zinsrückgang, den die Bundesbank aufgrund ihrer klaren Politik auf den Märkten erreicht habe, drücke sich das Vertrauen der in- und ausländischen Anleger in die Stabilität der D-Mark aus. Wichtigste Aufgabe der Bundesbank bleibt deswegen die Wahrung der Kaufkraft der Mark. Eine laxe Geldpolitik würde als Negativsignal für das Vertrauen in die Mark als stabile Anlagewährung verstanden werden und könnte damit den Zinsrückgang am Kapitalmarkt stoppen.

 

Dann wurde der Sparkassen-Präsident grundsätzlich. „Eine Währung lebt von ihrem Ruf“, sagte er. „Diese Erfahrung machen gerade unsere Nachbarn. Trotz gegenwärtig besserer gesamtwirtschaftlicher Zahlen als in der Bundesrepublik wird der Franc immer wieder von der Spekulation attackiert.“ Die Zinsen könnten in Frankreich trotz der besseren fundamentalen Daten nicht gesenkt werden, weil in der Vergangenheit der Franc als tendenziell schwächere Währung eingestuft wurde.

Der Franzosen-Franc kann sich winden und wenden, wie er will. Er bleibt vorläufig und dies voraussichtlich noch über Jahre in seiner historischen Schwäche verstrickt. Die Bundesbank ist also nicht an allem Schuld – in Europa.

 

Damit die Bundesbank ihre Zügel lockern kann, sind zuerst ein langsameres Wachstum der Geldmenge, eine Verminderung des Preisauftriebs, eine klare Konsolidierungspolitik von Bund und Ländern sowie maßvolle Lohnabschlüsse notwendig. Nur dann wird eine geldpolitische Lockerung nicht als preistreibende Konjunkturspritze missverstanden. Geiger gehörte immer schon zu den treuen Soldaten der Bundesbank.

 

Tietmeyer liest Regierung und Bürgern die Leviten

 

Der Verein zur Förderung der Versicherungswirtschaft bot auf seiner Jahrestagung (25.2.93) in Hamburg für den Bundesbankvizepräsidenten  das adäquate Forum um sich eine Rückversicherung für die Politik seines Hauses einzuholen. Tietmeyer las Bürgern und Bonn ebenso die Leviten wie den widerspenstigen Partnern im EWS und rückte damit  die deutschen und europäischen Verhältnisse in der Finanz- und Währungspolitik aus er Sicht der Bundesbank zurecht.

 

Viele Menschen, so Tietmeyer, vor allem die Bundesbürger hier im Westen, haben offenbar noch nicht registriert, dass im wiedervereinigten Deutschland das Bruttosozialprodukt pro Kopf um rund 15 Prozent unter dem Niveau liegt, das heute in Westdeutschland ohne die Vereinigung zu verzeichnen wäre. Er mahnte: „Die deutsche Demokratie und der deutsche Föderalismus stehen in den nächsten Wochen vor einer entscheidenen Bewährungsprobe, deren Ausgang für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung sein könnte. Über alle partei- und wahltaktischen Überlegungen hinweg, wird es hoffentlich in den nächsten Wochen zu einer tragfähigen Solidarpakt-Entscheidung kommen.“ Das beinhalte auch mehr Geld für den Osten, „aber bitteschön“ nicht zur laufenden Subventionierung der Einkommen dort sondern für zukunftsträchtige Investitionen. „Im Osten darf keine Mezzogiorno-Situation permanenter Bedürftigkeit herangezogen werden.“ Und dann nahm sich Tietmeyer die Bonner Finanzpolitik vor.

 

Das von Bundesfinanzminister vorgeschlagene Einsparvolumen sollte auf keinen Fall unterschritten werden. Es liege ohnehin an der Untergrenze des Notwendigen und der zusätzliche Spielraum bei der Abgabenquote sei gering. „Der Anstieg der letzten Jahre hat die Bundesrepublik bereits 1992 mit fast 44 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts in die Gruppe jener Länder gebracht, die im internationalen Vergleich die höchste Abgabenquote haben.

 

Eine weitere kräftige Anhebung dieser Quote durch Steuer- on der sonstige Abgabenerhöhungen könnte die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft auf Dauer gefährden. Die Entwicklung der Preise und der Lohnstückkosten lasse ebenfalls nichts Gutes zu erwarten. 3,5 Prozent Inflation für 1993 ist nach Tietmeyer ein Wert, der von einem Zustand auch nur annähernder Geldwertstabilität noch weit entfernt ist. Die Bundesbank peilt nach wie vor eine jährliche Preisrate von maximal zwei Prozent an.

 

Die gesamtwirtschaftliche Lage verschärft sich dadurch, dass „leider“ so manches Unternehmen es versäumt hat, in den guten Jahren die notwendigen Adjustierungen der Kosten- und Produktionsstrukturen vorzubereiten un d durchzuziehen. Tietmeyer hat abermals deutlich gemacht, dass die Bundesbank ihre Aufgabe nicht darin sehe, die gemachten Fehler in der Finanz-, Lohn- und Unternehmenspolitik durch eine willfährige Geldpolitik auszugleichen. Solidarpaket ja, aber bitte wachstumsorientiert und ohne Einbindung der Geldpolitik. Gottlob sei die Bundesbank nur für die Stabilitäts- und nicht für die gesamte Wirtschaftspolitik zuständig.

 

Sie will sich auch nicht durch das Fehlverhalten des einen oder anderen Partners im EWS zu einer verkrampften oder gar längerfristig krummen Politik verleiten lassen. Tietmeyer im Klartext: Wir können nicht so weit gehen, den aus binnenwirtschaftlichen Gründen erforderlichen Kurs mit Rücksicht auf die Außenwirkungen im EWS aufzuweichen, gerade auch im längerfristigen  Interesse Europas. Schließlich wurde der deutsche Währungshüter in Richtung Europa und EWS ganz massiv: Allen beteiligten Ländern muss unmissverständlich klar sein, dass bei einer Verwässerung der Konvergenzkriterien dem Maastrichter Vertrag die Geschäftsgrundlage entzogen wird.

 

Alles in allem: Die Bundesbank bleibt auf ihrem von innen und außen oftmals angegriffenen Währungshüterposten. Sie hat auch das Ohr beständig am Markt. Zum Beispiel will sie genau wissen, wie demnächst ihre neuen Liquiditätspapiere – Bulis genannt – ankommen. Wenn sich hier ein Zinstrend nach unten abzeichnet, kann bei der allgemein günstigen Geldmengenentwicklung und weiterhin richtigen Signalen von der Lohnfront demnächst eine Leitzinssenkung möglich sein.

 

  Mitreißende Währungsschaukel von Tokio bis London

 

Die gegenwärtigen Währungsturbulenzen schwirrten ganz unerwartet aus der Tiefe des Raums über den Ozean des Geldes. Um die eigene wirtschaftspolitische Unfähigkeit zu vertuschen, mäkelte die neue US-Administration lautstark über die japanischen Außenhandelsüberschüsse. Die darauf folgende japanische Beschwichtigungspolitik bescherte den Amerikanern eine Dollar-Abwertung gegenüber dem Yen oder anders herum ausgedrückt eine Yen-Aufwertung gegenüber dem US-Dollar. Solche bilateralen Währungsvereinbarungen haben – auch wenn sie im hintersten pazifischen Raum geknüpft werden – multilaterale Auswirkungen. Die D-Mark ist sofort betroffen.

 

Das Resultat ist nichts anderes als die Neubewertung der Weltwährungen insgesamt. Das labile Gleichgewicht zwischen Dollar, Yen und D-Mark muss sich neu einpendeln. Der höher bewertete Yen zieht die D-Mark mit nach oben. Wenn aber von außen so etwa anbrandet, erinnern sich die Märkte auch gleich wieder der wirtschaftlichen und politischen Ungereimtheiten in den EG-Staaten und im Europäischen Währungssystem. Die Italiener laborieren an ihrer Staatskrise. Die Franzosen bereiten Wahlen und einen Regierungswechsel vor. Portugiesen und Spanier kämpfen mit ihrer Wirtschaftsflaute. Andere leiden unter dem europäisch-amerikanischen Handelskrieg und dem Zwist über die Welthandelsrunde (GATT). Das Ganze führt zu einem vehementen Kleinkrieg untern den Euro-Währungen mit der täglich neu gestellten Frage: Wen erwischt es heute? Escudo, Peseta, Lira, Iren-Punt, Schweden- und Dänen-Krone, Pfund Sterling, am Ende auch noch den Franzosen-Franc.

 

Kühle Geld-Technokraten raten bei einem solchen Währungsdurcheinander zum Laissez-Faire, am besten zum freien Floaten, bis sich die Spekulanten ausgetobt und sich die einzelnen Länder auf ihre Stärken besonnen haben. Die Franzosen sind an diesem Punkte bereits angelangt. Bei einem Regierungswechsel ist eine Franc-Freigabe und –Abwertung vorprogrammiert. Das dient der Zinssenkung und hilft dem Export, meint auf einmal auch Paris. Da drängt sich zwar die Frage auf, warum Deutsche und Franzosen im vergangenen Herbst mit Multimilliarden-Interventionen den Franc vor der drohenden Abwertung bewahrt haben?

 

Nun meldet sich Kanzler Kohl selbst aus dem fernen Asien und fordert den kräftigen Weiterbau am Haus Europa. Und wenn da Briten und Dänen nicht mitmachen wollten, würden die übrigen Zehn noch schneller in die Wirtschafts- und Währungsunion stürmen, als ohnehin schon geplant, donnerte der Kanzler.

 

Bei solchen Tönen fühlen sich sogar die Griechen aufgefordert, die wegen der Schwäche ihrer Drachme nicht einmal am EWS teilnehmen, einen eigenen Plan über den Weg zu einer einheitlichen europäischen Währungs vorzulegen. Mitte März soll der Griechenplan von den EG-Finanzministern behandelt werden. Aber aus Athen wird voraussichtlich die neue Euro-Währungsweisheit nicht kommen können.

 

Bis Mai (1993) muss der Währungsausschuss auch noch einen Bericht über die Funktionsweisen des EWS vorlegen, in dem letztendlich die Währungsturbulenzen vom vergangenen Herbst durchleuchtet, bzw. auf gearbeitet werden sollen. In der europäischen Währungsszene wird bei solchen Gelegenheiten immer wieder Gullivers Reisen nachgespielt, wo die Zwerge den Riesen fesseln wollen, der in diesem Falle Bundesbank heißt. Deutschland wird allerdings bis Ende Juni, bis zum EG-Ministerrat in Kopenhagen keine Zugeständnisse machen. In Kopenhagen soll nun endlich der Sitz der EG-Zentralbank festgelegt werden. Es geht da abermals um Frankfurt.

 

Es ist unbestritten: In der hohen Finanzdiplomatie und dem finsteren Poker zur Durchsetzung der eigenen geldpolitischen Interessen hat Deutschland in den vergangenen Jahren jede Menge dazugelernt. Pünktlich nach dem Londoner Treffen   der Finanzminister und Notenbankgouverneure der G 7 (USA, Japan, Deutschland, England, Frankreich, Kanada und Italien)  Ende Februar (93) geht in der Bundesrepublik der Zinszug nach unten ab, ohne dass die Bundesbank vom Pfad der Tugend abweichen würde. Teilnehmer Schlesinger freut sich: „Man kann damit rechnen, dass durch den künftigen Wettbewerb bei kurzfristigen Anlagen und Termineinlagen der Kreditinstitute – allein ausgelöst durch die Mindestreservesenkung – weitere leichte Zinsreduzierungen kommen werden.“

 

Deutschland befindet sich tatsächlich schon seit einem halben Jahr in der Zinsabschwungsphase, die im langfristigen Bereich bereits Tiefstände von 6,5 Prozent zeitigt. Auch die Zinsen für Tagesgeld sind nach anfangs 9,5 Prozent auf etwa 8,5 Prozent abgesackt und die Leitzinsen wurden erst kürzlich auf neun Prozent beim Lombard und acht Prozent beim Diskont gedrückt. Es ist nicht ausgeschlossen, sogar sehr wahrscheinlich, dass die Bundesbank im laufenden Jahr die Zinsfahrt rasant fortsetzt, wenn die Finanzpolitiker in Bonn sparsam wirtschaften und die Tarifparteien weiter kluge Abschlüsse liefern. Die Geldmenge spielt bereits mit. Vier Prozent Diskont und viereinhalb Prozent Lombard müssen per Ende 1993 nicht unbedingt utopisch sein.

Das wird kaum dazu führen, dass die europäischen Nachbarn und die G 7 – Partner künftig alles herrlich finden, was in der deutschen Finanz- und Geldpolitik passiert. Der Grund dafür wird eher wieder in weltpolitischen Eifersüchteleien liegen, die dies hochgespielt mit dem Ziel, vom eigenen Unvermögen abzulenken. In der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik ist wie in allen anderen Disziplinen auch alles relativ. Wenn die Deutschen z. B. eine relativ gute Politik betreiben – mehr ist es sicherlich nicht – andere aber eine relativ schlechtere Politik zu Hause nur durchsetzen können, entstehen sehr schnell wieder relative Spannungen, z. B. im Währungssystem, die wiederum relativ ruppige Auseinandersetzungen – wie im vergangenen Herbst – zur Folge haben können.

 

Die britische und amerikanische Kritik in London an der deutschen Geldpolitik – Hochzinspolitik – kommt relativ zu spät. Etwa zu früh wurden dagegen die Lorbeeren für die Reduzierung des US-Haushaltsdefizits verteilt. Schön wär’s, wenn die Regierung Clinton das wirklich durchhielte, was Finanzminister Lloyd Bentsen an der Themse versprochen hat. Etwas hässlich standen in der Briten-Metropole am Wochenende allerdings die Japaner da. Sie wollten sich einen manipulierten, langfristig hohen Yen-Kurs nicht abhandeln lassen und konnten keine zusätzlichen Maßnahmen zur Wirtschaftsankurbelung zusagen.

 

Franzosen und Amerikaner beschworen den Geist der Kooperation unter den G 7-Staaten, wobei die USA an die Führungsrolle und die Frankreich an die Einbindung der Deutschen dachten. Dann muss allerdings ein Bundesbanker dem französischen Finanzminister Michel Sapin ein Redemanuskript untergeschoben haben. Er sagte nämlich: „Die Wiederbelebung der Kooperation bedeute nicht, dass alle G 7 – Länder dieselbe Wirtschaftpolitik betreiben. Vielmehr sollten alle sieben Nationen gemeinsam das Ziel eines inflationsfreien Wachstums verfolgen.“ Na endlich!

 

Ein Korb mit Äpfeln und Birnen: ECU

 

Die  Währungsszene hat sich, wie längst klar geworden ist, seit Mitte 1992 ganz gewaltig verschoben. Wurde bis dahin die sogenannte Europa-Währung ECU noch als Renner für die Zukunft angesehen, so hat sich das seitdem total geändert. Der Renner kam es Stolpern und krabbelt nun auf Krücken. Eine Korbwährung ist eben noch kein echtes Geld und ein Index genau so wenig eine Stabilitätsgarantie. Verschiedene Währungen außerhalb des EWS, sind im vergangenen Jahr mit der ECU regelrecht baden gegangen. Die Spekulation hat sie fertig gemacht. Das kostete Milliarden. Schweden war so ein Fall.

 

Jetzt hat der schwedische Notenbankchef, Bengt Dennis, eine erneute Anbindung der Schweden-Krone an die ECU ausgeschlossen. Diese Korbwährung habe sich als zu instabil erwiesen Schweden habe jetzt zwei Alternativen, entweder die Krone an die D-Mark zu binden oder zu warten, bis Schweden als neu aufgenommenes EG-Mitglied auch am Wechselkursmechanismus des EWS teilnehmen kann. Das ist gehupft wie gesprungen. Schweden, Norwegen und Finnland hoffen auf einen gemeinsamen EG-Beitritt 1995. Da sind noch zwei Jahre hin, eine zu lange Zeit, um die Währung flattern zu lassen, denn die Schweden Krone floatet schon seit dem 19. November 92. Umes anders auszudrücken: Die Schweden-Krone steht vor der Anbindung an die D-Mark. Auch eine EWS-Mitgliedschaft bedeutet nicht anders.

 

Staaten können ihre Währungspolitik so ändern und tun dies auch, wenn sie aufgrund der Marktverhältnisse dazu gezwungen werden. Die private Anleihekundschaft sollte da aufpassen und sich auf die neue Währungslage einstellen.

 

In den vergangenen Jahren hat es eine muntere Emissionstätigkeit bei ECU-Anleihen gegeben, weil viele Banken sich und ihren Kunden eingeredet hatten, an der ECU als Europa-Währung käme niemand vorbei. Der Niemand kam aber vorbei und hatte den Namen Deutsche Bundesbank. Die Analysten der Privatbanken müssen nun schauen, wie sie aus dieser Klemme heraus kommen.

 

Die Leute von der Deutschen Bank legen jetzt eine Ausarbeitung über die Perspektiven des ECU-Anleihe marktes vor. Die Herren Währungsforscher in den Doppeltürmen unterzogen sich der Mühe, vier Szenarien zu entwickeln. Die erste Frage heißt dabei: Die Maastrichter Verträge werden ratifiziert oder werden nicht ratifiziert. Diese beiden Richtungen werden nochmals untergliedert in „Ratifiziert – ja/ EWS  überlebt ja oder nein“. Maastricht wird „Nicht ratifiziert/EWS überlebt ja oder nein“.  Hier soll jetzt nicht jedes Szenario nachgezeichnet werden. Die wesentlichen Aussagen genügen.

 

Das beginnt schon ganz vorne. Da heißt es im 1. Satz der Ausarbeitung: Die Zukunft des ECU-Anleihemarktes ist ungewiss. Bis vor kurzem glauben nur wenige Marktteilnehmer, dass sich die starke Zunahme des Emissionsvolumens und die lebhaften Handelsaktivitäten am Sekundärmarkt der letzten fünf Jahre nicht fortsetzen würden. Das dänische Nein zu Maastricht führte jedoch zu erheblichen Kursverlusten bei ECU-Anleihen. Mit der Ausweitung der Währungskrise trat sogar eine noch weitere Verschlechterung ein. Die Deutsch-Banker schreiben: „Im Augenblick hat sich die Situation am ECU-Anleihemarkt etwas verbessert, doch ist der Markt weit vom Normalzustand entfernt und noch weiter von den Verhältnissen vor dem dänischen Referendum.“ Der Markt schwebt also weiter zwischen Hoffen und Bangen im Hinblick auf die Maastrichter Verträge und auf den drohenden Zusammenbruch des EWS.

 

Wie auch immer, schreibt Larry Anderson von der Deutschen Bank London: „Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass die Straße in Richtung Ratifizierung aus wirtschaftlichen und politischen Gründen sehr steinig sein wird. So gesehen kann der ECU-Anleihemarkt dem unvermeidlichen Auf und AB dieses Prozesse nicht ausweichen. Das ganze kann natürlich noch viel einfacher erklärt werden. Früher glaubten die ECU-Anleihe-Spezialisten, mit diesen Anleihen hätten sie die Stabilität der D-Mark und die Kursmusik der Lira eingefangen. Das ist natürlich auf die Dauer unmöglich. Nach der neuen Währungsernüchterung kann Europa sehr wohl unterscheiden zwischen D-Mark-Stabilität und Weichwährungsrisiko. Im ECU-Korb sind eben knackige Äpfel und weiche Birnen enthalten.

 

Verbands-Europäer suchen eigene Währungsharmonie

 

Wenn bei der Deutschen Bank in Frankfurt Englisch gesprochen wird, ist entweder das ganz große internationale Geschäft in der Mache oder man versucht linguistisch die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit zu schönen. Nur gut, dass bei diesem Anlass Hilmar Kopper, Sprecher des Vorstands des größten deutschen Kreditinstituts, meist brav geschwiegen hat. Das Thema war problematisch genug. Letztlich ging es bei der Jahrestagung der Association unfriended Monetary Union of Europe, um die Europäische Währungsunion, um das einheitliche Geld für Europa. Da war es doppelt gut, dass Kopper die meiste Zeit mucksmäuschenstill neben dem Präsidenten der Association, Etienne Davignon, gesessen hat und sich beim Thema „Währungsunion“ nicht sonderlich alterierte.

 

Nur ganz zum Schluss, als schon fast alles vorbei war, musste er sich noch vor seine Gäste stellen. Eine italienische Journalistin fragte nach der Bedeutung der Deutschen Mark als Anker in dem Europäischen Währungssystem und wollte dabei ausloten, wie die großen alten Herren der europäischen Wirtschaft, und darum handelt es sich samt und sonders bei den AMUE-Mitgliedern, was diese Leute, die nach ihren Worten nichts mehr herbei sehen als einheitliches europäisches Geld, im jetzigen Stadium des EWS von der Schwerpunkt-Währung D-Mark hielten. Kopper wollte seinen romanischen Gästen aus Belgien, Frankreich und Italien aus der Patsche helfen, wollte nicht als hässlicher Deutsche mit dem dicken Geld dastehen, auch nicht die Mark gegenüber den anderen europäischen Währungen heraus streichen oder schlicht ihr Bedeutung darstellen.

 

Kopper sagte: „Das System, das Europäische Währungssystem“, steht für sich. Die deutsch-französische Zusammenarbeit, Deutschland und Frankreich sind die Garanten des EWS.“ Und dann tönte es in Deutsch und treudeutsch: „Das kosten dann jährlich Interventionen zur Stützung des Franc von 50 Milliarden Mark.“ Gemeint waren die Interventionen zur Stützung des Franc, wie sie im Herbst vergangenen Jahren vorgenommen werden mussten, um den Franc in seinem Außenwert gegenüber der D-Mark zu halten. Mit diesem Einwurf war der ganze Charme der Veranstaltung (v. 5.4.93) ziemlich perdu.

 

Wie schon festgehalten liegt der Assoziation für die Europäische Währungsunion einheitliches Geld am Herzen. Der Verband wurde 1987 auf Anregung von Helmut Schmidt und Valery Giscard d’Estaign auf die Schiene gesetzt, als ein Zusammenschluss europäischer Firmen gegründet mit der Zielsetzung das EWS zu stärken und die Einführung einer starken gemeinsamen Währung für einen erfolgreichen europäischen Markt zu fördern. Dem Club gehören über 250 aktive Firmenmitglieder an, die mehr als sechs Millionen Beschäftigte haben: Bosch, Thyssen, VW, die Großbanken, Fiat usw.

 

Vom Europa-Parlament erhielt die Assoziation kürzlich den Auftrag eine Studie zu erstellen, die sich mit der Rolle des EWS und der Übergangsphase zur Europäischen Währungsunion befasst, praktisch die Währungsturbulenzen vom Herbst 1992 aufarbeiten soll. Die Studie soll am 15. Juli vorgelegt werden. Man darf gespannt sein, was da alles drinstehen wird. Nachdem was der Präsident der Vereinigung, Etienne Davignon, und sein Vize, Francois-Xavier Ortoli, in Frankfurt von sich gegeben haben, kann die Studie nicht sehr erhellend werden.

 

Davignon glaubt tatsächlich, dass die fünf Jahre vor dem Währungskrach 1992 eine glänzende Zeit der Währungsruhe in Europa gewesen sei. Dabei wurden hier nur lange Zeit die Probleme einfach unter den Teppich gekehrt, bis das EWS aufgrund der Marktkräfte gesprengt, zumindest Wechselkursanpassungen erzwungen wurden.

Davignon betete geradezu die Glaubwürdigkeit des EWS herbei, wie sie zu Zeiten von Maastricht bestanden habe. Dabei war Maastricht genau der Anfang vom Ende der Harmonie.

Derzeit ist Europa mit der klaren Zuordnung auf die D-Mark  der Währungsehrlichkeit viel näher als früher. Und dies kann nur der Einstieg in die 2. Phase der in Maastricht festgeschriebenen Währungsunion sein, die am 1. Januar 1994 starten soll – vielleicht? Eines haben Davignon, Ortoli und die anderen Assoziierten gelernt: Die, die früher bei solchen Gelegenheiten stets vom ECU als ihrer Euro-Währung gesprochen hatten, kannten das Wort jetzt nicht mehr. ECU ist out. Die Apologeten versenkten ihre Schimäre.

 

In Basel sind die Räte ratlos

 

Auf der Jahresversammlung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Mitte Juni 93 in Basel stattfand, diskutierten die Notenbankchefs der 32 angeschlossenen europäischen und überseeischen Zentralbanken ganz intensiv die Währungslage in der Welt. Nach Möglichkeit sollten Konsequenzen aus den Turbulenzen gezogen werden, die im Spätsommer 1992 begonnen und die sich bis ins Frühjahr 1993 hingezogen hatten. Der Schwede Bengt Denis, Präsident der BIZ, der als Chef der schwedischen Zentralbank selbst in die Turbulenzen eingebunden war und mit enorm hohen Zinsen bis zu 500 Prozent die Spekulation gegen die Schwedenkrone abzuwehren versuchte, lieferte den Kollegen eine treffende Analyse. Sie dürfte die Basis für anstehende Entscheidungen sein, wodurch die Notenbanker wieder mehr Ordnung in die Märkte bringen wollen. Die Lehren aus den letzten zehn Monaten fasst Bengt Denis so zusammen:

  • Erstens müssen solide gesamtwirtschaftliche Eckdaten gegeben sein, nicht nur wohlgemeinte Absichten, wenn sich quasi feste Wechselkursbindungen als dauerhaft erweisen sollen.
  • Zweitens kann selbst bei stimmigen Eckdaten nicht ausgeschlossen werden, dass es zu spekulativen Angriffen auf eine Währung kommt.
  • Drittens ließen die wirtschaftlichen Gegebenheiten einigen Ländern keine andere Wahl als die Freigabe des Wechselkurses ihrer Währungen.
  • Gleichwohl sollte eine wirtschaftliche Notwendigkeit nicht als politische Tugend interpretiert werden.

 

Die jüngste Erfahrung habe eindeutig gezeigt, dass durch die beispiellose Ausweitung der Kapitalmobilität die Aufrechterhaltung jeglichen Wechselkursregimes schwieriger geworden ist. Die größere Kapitalmobilität ist teilweise die Folge des Aufbaus von Wertpapiervermögen mit verschiedene Währungen und – damit zusammenhängend – das Entstehen einer aktiven Handelspraxis. Sie spiegelt aber auch den Abbau von Devisenkontrollen wider. Mit deren Abschaffung sollte der Kapitalverkehr liberalisiert werden, um die langfristige Ressourcen-Allokation über nationale Grenzen hinweg zu verbessern.

 

Die jüngste Erfahrung lässt außerdem die Frage aufkommen, ob die Devisenmärkte zeitweise zu vorrangig spekulativen Märkten werden können, an denen die gesamtwirtschaftlichen Eckdaten – sollten sie auch zu 100 Prozent stimmen – von geringerer Bedeutung sind als die Wetteinsätze, die die privaten Anleger zu leisten im Stande sind.

 

Eine Kooperation von Zentralbanken kann sehr wirksam sein, meinte Denis, was der Erfolg der konzertierten Aktion der Bundesbank und der Banque de France zur Verteidigung der Franc bewiesen hat. Aber eine solche Solidarität muss fast zwangsläufig scheitern, wenn sie nicht durch das Vorhandensein der entsprechenden wirtschaftlichen Bedingungen gestützt wird.

 

Der Notenbanker aus Stockholm lavierte in seiner Devisenmarkt-Analyse immer wieder zwischen Vor- und Nachteilen von Festkurssystemen bzw. freien Wechselkursen hin und her. Er erinnerte auch an die frühen spekulativen Attacken zu Zeiten des Goldstandards und des Breton-Woods-Systems. Das sei alles nicht neu. Neu seien vielmehr das potentielle Ausmaß und das Tempo dieser Attacken infolge der finanziellen Liberalisierung und der technologischen Fortschritte. Das erschwert natürlich die Verteidigung einer Wechselkurspariträt ganz erheblich.

 

Die grenzen von Interventionen werden rascher auf die Probe gestellt, und zwar sowohl in den Weichwährungsländern, wo zur Eindämmung des Abgabedrucks ein enormer Bedarf an Devisen entsteht, als auch in den Hartwährungsländern, wo es sich als schwierig erweisen könnte, den expansiven Effekt auf die Liquidität im Inland – Geldmengenentwicklung – zu neutralisieren. Dadurch müssen Zinsanpassungen eine größere Rolle übernehmen, forderte der BIZ-Präsident. Achselzuckend bemerkte Bengt Denis vor seinen Notenbanker-Kollegen: „Einen festen Wechselkurs aufrechtzuerhalten ist heutzutage auf jeden Fall viel schwieriger als früher.“ Und dann riet er ihnen: „Bei der Formulierung und Durchführung der Geld- und Währungspolitik werden zunehmend die Erwartungen der Märkte berücksichtigt werden müssen.

 

In Basel wurde auf immer wieder die Frage gestellt, ob sich die D-Mark als Ankerwährung des EWS halten könne. Am Ende würde der Franzosen Franc Leitwährung im Alten Europa, weil Frankreich gute Erfolge in der Inflationsbekämpfung vorweisen könne, bessere als die Deutschen in letzter Zeit. Das britische Pfund Sterling hat seine Anwartschaft auf die europäische Leitwährung auch noch nicht aufgegeben. Die Briten hatten das ja mal geschafft zwischen den Kriegen und auch kurz in den frühen 50-er Jahren.

 

Dann aber setzte sich unverdrossen die Deutsche Mark an die erste Stelle, spätestens ab 1973, als das Bretton Woods-System geknackt wurde. Schwierigkeiten in diesem Punkte werden erst in jüngster Zeit diskutiert, wegen der horrenden Verschuldung unseres Staates im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der sonst auch hausgemachten Teuerungswelle, die uns jetzt wieder mit 4,2 Prozent drastisch vor Augen geführt wurde.

 

Im Wettstreit unter den Völkern spielt der innere und äußere Wert einer Währung durchaus eine wichtige Rolle, insbesondere auch dann, wenn von dieser Währung Rückwirkungen auf die Zinsen in anderen Ländern ausgehen. Man kennt das Theater mit der Zinsknechtschaft, die in den vergangenen Jahren angeblich oder tatsächlich von Deutschland ausgegangen und über die europäischen Nachbarn hereingebrochen ist. Diese absolute Zinsführerschaft der Deutschen wurde in den vergangenen Monaten nicht nur gemildert sondern sogar gänzlich abgebaut. Andere Länder wie Frankreich haben wieder mehr Bewegungsfreiheit. Sie können ihre Zinsen senken, auch unabhängig von der Bundesbank, wie dies jetzt wieder Frankreich getan hat.

 

Kaum aber ist die oftmals gescholtene Zinsknechtschaft der Deutschen – zumindest zwischenzeitlich – erledigt, heißt es, die D-Mark sei in ihrer Funktion als Ankerwährung erschüttert. Erst vor wenigen Tagen hat sich da der britische Superspekulant George Soros einen Namen gemacht. Nachdem er – die D-Mark im Rücken – einige europäische Währungen, insbesondere auch das Briten-Pfund geknackt und zu deftigen Abwertungen gezwungen hat, versucht er es jetzt mit einer Diffamierungskampagne gegen die Mark, bisher allerdings mit einem Null-Erfolg.

 

BIZ-Generaldirektor Alexandre Lamfalussy hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die D-Mark Ankerwährung bleibt und bleiben muss. Er setzte sein volles Vertrauen in die Bundesbankpolitik. Sie werde in der Lage sein, die deutsche Teuerung wieder auf zwei Prozent zu drücken. Auch Otma Issing, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, sieht die Inflationstrends in Deutschland in die richtige Richtung laufen, nämlich nach unten, wenn auch nicht so schnell, wie es wünschenswert wäre. Die Ankerwährung „Mark“ sei auch vom volkswirtschaftlichen Potenzial der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung her gesehen nicht gefährdet. Damit bleibt es beim bisherigen Kräftespiel der Währungen. Die D-Mark schwimmt im Kurs auf und ab, und zwar gegenüber den beiden Weltwährungen Yen und Dollar und die europäischen Währungen schwimmen im Rahmen des EWS mit der D-Mark mit.

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