Die Deutsche Bundesbank feiert Anfang August d. J. ihr 60-jähriges Jubiläum! Das Motto: Seit 1957 sorgt die Notenbank für stabiles Geld in Deutschland und Europa.

www.geldanlagen-nachrichten.de liefert eine ausgedehnte Serie zum Thema deutsches Geld und Geldpolitik von der Nachkriegszeit über die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark 1948 bis zum Euro von Heute.

Von Christoph Wehnelt

Nr. 20

Tietmeyer 65: Westfälische Eichen

wachsen langsam

Seine Vita im Spiegel der Reden von Kollegen, Kanzler Kohl und seiner selbst –
Illustrer Empfang im Gästehaus der Bundesbank, August 1996

 

Vizepräsident Wilhelm Gaddum eröffnet die Geburtstagsrunde wohl gesetzter Reden für den Präsidenten: Dass Geldwertstabilität nicht eine ökonomische Marotte eines Areopags ist, dass die Voraussetzung eine freiheitlichen Ordnung ist, diese These wird selten bestritten. Dass dieses Ziel nicht zum Nulltarif zu haben ist, sondern daran ausgerichtete Geldpolitik erfordert, die bisweilen Unannehmlichkeiten macht, das bedarf immer wieder neuer Überzeugungsarbeit.

Ihre Kollegen im Zentralbankrat, lieber Herr Tietmeyer, sind sehr dankbar, dass es sich bei Ihnen als Ihrem berufenen Sprecher gut aufgehoben wissen können, das rechte Maß zu finden zwischen einerseits der Unabhängigkeit in der Erfüllung unserer Aufgabe und andererseits dem Respekt vor dem Auftrag anderer, zwischen einerseits der Deutlichkeit, bis zur notwendigen Härte andererseits. Manche sprechen dann auch von Sturheit einerseits und der Verbindlichkeit und Courtoisie andererseits in der Zieldarstellung und Flexibilität im Hinblick auf den Weg zum Ziel, das erfordert schon ein Geschick zur Balance von dem aus der Weg zu dem Goetheschen Axiom dann doch gar nicht mehr ganz so weit ist. Aber auch darüber hinaus sind ja die Erwartungen des Zentralbankrates an seinen Präsidenten  nicht gering. Er soll einerseits in der öffentlichen Diskussion Meinungsführung erkennen lassen, ohne dass einzelne Mitglieder sich zur Artikulierung abweichender Meinungen aufgefordert fühlen. Die nicht hierarchische Verfassung unserer Bank in ihren Entscheidungsstrukturen ermuntert zu einem vielfältigen Meinungsspektrum, das dann wiederum der Präsident in den Beratungen zu möglichst einmütigen Beschlüssen führen soll. Und bisweilen geht es anderen sicherlich genauso wie mir, wir bewundern, dass das noch funktioniert.

 

Ihr für uns alle im Zentralbankrat und darüber hinaus in der Bank erkennbares Bemühen, lieber Doktor Tietmeyer, Diskussionen und Meinungsbildungen im Miteinander und nicht im Gegeneinander zu ermöglichen, wird sehr anerkannt und wir sind dankbar dafür. Wir wissen, dass diese Aufgabe im Vorfeld der Währungsunion, die Funktion und Status der Bundesbank ändern wird, nicht leichter macht.

 

Zentralbankrat und alle Mitarbeiter der Bank gratulieren Ihnen sehr herzlich zu diesem Geburtstag mit allen guten Wünschen für eine Zukunft, die Ihnen und uns interessante Aufgaben stellen wird, aber sicherlich auch viele schwierige Entscheidungen abverlangen wird. Aber Zukunft hat immer auch Geschichte und damit bin ich bei dem Geburtstagsgeschenk des Zentralbankrates, das hat etwas mit jüngerer Geschichte zu tun. Seine Entstehung hat Herr Dr. Issing in besonderer Weise begleitet und ich möchte ihn deshalb auch ans Mikrophon bitten.

–          Beifall –

 

 

Dr. Otmar Issing: Herr Bundeskanzler, meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Präsident, lieber Herr Tietmeyer!

 

Herrn Tietmeyers Verdienste, zumal über das hinaus, was hier und heute zu hören ist, würdigen zu wollen, hieße M3 in die Wilhelm-Epstein-Straße tragen, obgleich wir auch unorthodoxe Mittel bei der Kontrolle des Geldmengenwachstums nicht von vornherein verwerfen sollten. Über seinem Wirken im hellen Lichte der Öffentlichkeit, dem der gebührende Respekt längst rund um den Erdball zu Teil wird, gerät eine, wie ich meine, nicht minder wichtige und einflussreiche Tätigkeit in den Hintergrund. Ich spreche von dem Autor, der schon als junger Mann Texte von gedanklicher Tiefe und bemerkenswerter Klarheit geschrieben hat. Wie nach seinem Lebenslauf und – wenn ich so sagen darf – nach seinem Charakter nicht anders zu erwarten, stehen Fragen der Ethik und der Ordnungspolitik nicht nur am Ende. Sie sind bis heute auch hinter dem Text von Aufsätzen zu spüren, die sich mit dem ganzen Spektrum aktueller Probleme beschäftigen. Er weiß um die Wirkung des richtigen Wortes zur richtigen Zeit und noch mehr um die fatalen Folgen unbedachter Äußerungen. Daher seine Mahnung: Wenn in der politischen Diskussion aber einmal der Geist aus der Flasche ist, lässt er sich erfahrungsgemäß nur schwerlich wieder einfangen.

 

Verantwortung und Überzeugung haben ihn freilich auch dazu geführt, manche Flasche zu entkorken. Wiederum nie ohne Einfluss und einmal mit anhaltender Wirkung von historischer Dimension.

 

Ein Thema hat den Autor Hans Tietmeyer seit seinen Anfängen im Bundesministerium für Wirtschaft nie mehr los gelassen: die europäische Integration. Auf steil ansteigenden Stufen der Politik hat er am Bau des europäischen Hauses mitgewirkt. In einer Fülle von Artikeln hat er zur Architektur des Vorhabens beigetragen. Der organische Entwurf wiederum steht im Mittelpunkt, eben die ordnungspolitische Gesamtsicht. Auf die Dauer hat die Gemeinschaft, wenn sie sich selbst nicht in Frage stellen will, keine Alternative als den Weg in die politisch fundierte Wirtschafts- und Währungsunion. Dafür genügen keine verbalen Kompromisse. Dafür sind die tatsächliche Vergemeinschaftung der Politik und die Schaffung entsprechender Institutionen notwendig. Dies schrieb der Beamte im Wirtschaftsministerium im Jahre 1971. Der damalige Oppositionssprecher Franz Josef Strauß meinte dazu im Deutschen Bundestag: ein vorzüglicher Aufsatz, der ausgerechnet die Studie eines Autorenkollektivs der Moskauer Universität zitiert.

–          Heiterkeit –

 

Die Überzeugung vom notwendigen Gleichklang zwischen politischer und wirtschaftlicher Integration, aber auch die Suche nach dem richtigen Mischungsverhältnis durchzieht ein Oeuvre, zu dem der Titel des Professors am Ende die logische Ergänzung ist.

 

Und schließlich das Thema, Leitmotiv fast aller Aufsätze, die Sorge um die Stabilität des Geldes. Im Beitrag zum Symposium der Konferenz der Akademien im Juni dieses Jahres – Sie sehen, Herr Tietmeyer hat uns mit seiner Schaffenskraft auch in dieser Eigenschaft bis zuletzt gefordert – zieht er die vorläufige Summe aus einer über 30jährigen Arbeit. Jeder muss wissen, der Weg in die Währungsunion ist ein Weg ohne Umkehr. Das galt nicht nur im Vorfeld der innerdeutschen Vereinigung, das gilt auch in Europa. Deswegen lohnt es sich, für eine stabile ökonomische und politische Grundlage zu kämpfen. Gerade auch wenn man, wie ich, schon seit langem ein überzeugter Verfechter der europäischen Integration ist.

 

Lieber Herr Tietmeyer, wir haben Ihre aus unserer Sicht wichtigsten Beiträge in einem Band vereint. Die Manuskripte aus Ihrer Feder, die in den Anfängen zunächst unter bekannten Pseudonymen in die Öffentlichkeit geraten sind, standen dafür leider nicht zur Verfügung, aber Mangel an Material war ohnehin nicht das Problem. Als das gemeinsame Geschenk Ihrer Kollegen aus dem Zentralbankrat darf ich Ihnen, verbunden mit allen guten Wünschen, dieses Werk überreichen, für das der Titel leicht zu finden war: „Hans Tietmeyer – Währungsstabilität für Europa“.

–          Beifall –

 

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl

Sehr verehrte, liebe Frau Tietmeyer, lieber Herr Tietmeyer, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren und vor allem ein herzliches Wort des Grußes an die ausländischen Freunde und Gäste am heutigen Tag!

 

Es ist Ihre Stunde, lieber Herr Tietmeyer, und es sind Ihre Gratulanten. Und wer in diese imposante Schar schaut, kann eigentlich die Laudatio sich schon sparen. Denn die, die gekommen sind – natürlich viele auch, um zu gucken, ob die Bundesbank noch so ist wie sie ist, die sind auch da – aber es sind sehr viele da, die im Laufe ihres Lebens, in 65 Lebensjahren, Weggenossen im besten Sinne des Wortes waren, mit Ihnen eine Wegstrecke gegangen sind und die es als selbstverständlich und auch gut empfinden, heute dabei zu sein. Ihnen ein Wort des herzlichen Glückwunsches zu sagen, ein Wort des Glückwunsches, was immer auch zugleich ein Wort des Dankes ist. Da wir in der neumodischen Entwicklung unserer Republik häufig so die Meinung hören, dass Danke sagen altmodisch geworden ist, will ich ganz besonders hier deutlich aussprechen. Ein herzliches Wort des Dankes und als Südwestdeutscher kann man auch dem Westfalen sagen, ein herzliches Vergelt’s Gott für diesen Weg.

–          Beifall –

 

Ich will es tun natürlich in meinem Amt als Bundeskanzler und für die Bundesregierung und wenn Sie so wollen also für das amtliche Deutschland, aber ich will es sehr bewusst natürlich auch und ganz besonders gerne tun als einer, der über viele Wegstationen gemeinsam gegangen ist, der Ihnen viel zu verdanken hat. Manchen klugen Rat, manchen Hinweis vor unvorsichtiger Äußerung, manches Wort in nächtlichen Stunden bei Weltwirtschaftsgipfeln, jetzt müssen wir noch einen draufsetzen, das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, und wie so der Alltag des Lebens geht. Es ist ein weiter Weg in diesen 65 Jahren.

 

Und es sind ja nicht irgendwelche 65 Jahre, sondern das führt eben zurück in das Jahr 1931. Ich denke, es ist ganz wichtig, das gelegentlich einmal zu sagen, weil ja Gott sei Dank eine neue Generation herangewachsen ist. Wenn heute in Deutschland zwei Drittel der heute lebenden Deutschen nach Hitler geboren und aufgewachsen sind, ist es dennoch wichtig, bei einem solchen Anlass daran zu erinnern, dass es noch viele gibt, die diese Lebenserfahrung sehr persönlich gemacht haben, der Nazizeit, des Krieges und der unmittelbaren Aufbaujahre. Es ist ein weiter Weg, der Sie vom Elternhaus in dieses Haus gebracht hat. Der Enkel eines Schmieds, wir haben es gerade noch einmal verstärkt, vielleicht merkt man es noch gelegentlich,

–          Heiterkeit –

 

der Sohn eines Kommunalbeamten, der also sehr genau weiß, was geht und was nicht geht und das Augenmaß mitgelernt hat, einer, der sich das alles erkämpfen musste, der aus einer Familie kam, in der nicht als erstes die Diskussion war, wie hoch ist das Kindergeld, sondern wie viele Kinder waren zu ernähren und ins Leben zu entsenden und ihnen zu helfen, der – ich habe mich noch einmal vergewissert – 40 Kilometer brauchte, um ins Gymnasium nach Münster zu kommen, seinem Gymnasium, auf das er mit Recht stolz ist, dem Paulinum, und das ihn ganz wesentlich auch wie das Elternhaus mit geformt hat als einen, der in Weiten denken kann, der eine humanistische Bildung hat und der nicht arm ist, wenn er außerhalb der Geldpolitik über andere Themen diskutiert, redet und lebt, der dann studiert hat in Münster, in Bonn und in Köln, der eine Diplomarbeit geschrieben hat bei Alfred Müller-Armack, dem Weggenossen von Ludwig Erhard – wir begehen seinen, Erhards Geburtstag, wie ich hoffe in großer Form, und ich wünsche mir, dass viele von Ihnen dabei sind im Februar des kommenden Jahres in Bonn, den 100. – mit einer Arbeit – ich bringe es, glaube ich, nicht mehr genau zusammen – über Ordnungsbegriff der christlichen Soziallehre und des Neoliberalismus, vielleicht können Sie die Arbeit noch einmal auflegen wieder, denn es gibt mir zu viele in Deutschland, die von Marktwirtschaft und zu wenig von sozialer Marktwirtschaft reden, das ist auch ein Teil meines Alltags, wenn wir in der Koalition zusammensitzen

–          leichte Heiterkeit –

 

und deswegen führt der ganze Lebensweg doch zu ganz bestimmten Zielen: Bundesministerium für Wirtschaft, Leiter der legendären Abteilung 1 Wirtschaftspolitik, Verfasser vieler Papiere, die zum Teil unter anderem Namen erschienen sind, auch das gehört zur Realität der Bundesrepublik Deutschland, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen – das liest so einfach: Grundsatzfragen der internationalen Währungs- und Finanzpolitik -, Sherpa für die Vorbereitung von Weltwirtschaftsgipfeln, Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank, des Zentralbankrats, ein verbrauchter Titel einer großen Zeit auch für Hans Tietmeyer, persönlich Beauftragter des Bundeskanzlers für die Verhandlungen mit der DDR über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Vizepräsident und Präsident der Bundesbank. Es ließe sich natürlich noch viel sagen von Ehrendoktorwürden, von Ehrenämtern, Mitglied der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften – das führt ganz direkt ums Kardinalat herum, um das einmal so zu formulieren. Das ist Hans Tietmeyer nach den Titeln, aber es ist natürlich nur das Äußere beschrieben.

 

Mein Freund Wilhelm Gaddum hat ja in der ihm eigenen unnachahmlichen Art die Bundesbank schon angesprochen. Ich komme mit einem Satz noch darauf zurück. Darüber will ich aber jetzt nicht reden.

 

Ich will reden von Hans Tietmeyer, wie ich ihn erlebt habe, wenn Sie so wollen durch meine Brille gesehen, als ein Mann, der steht. Als ein Mann, der geprägt ist von seiner Landschaft, von seinem Elternhaus, seinem familiären Hintergrund. Und warum soll man das nicht hier sagen auch in einer so erlauchten Runde in der Bundesbank: von seiner Glaubensheimat als katholischer Christ, als einer, der weiß, und das hat er von zu Hause mitbekommen und nie verleugnet, dass Prinzipien nicht altmodisch sind, dass Tugenden, die das Land und die Menschen zusammenbringen und halten, nicht Sekundärtugenden sind. Der Heimatliebe hat und das zeigt zugleich die Chance für Weltoffenheit und der natürlich – ich sage es noch einmal – als Westfale ganz stolz ist. Wilhelm Gaddum hat gesagt das im übertragenen Sinne: das nennt man gerne dann stur. Ich empfinde das manchmal übrigens auch so.

–          Heiterkeit –

 

Aber es ist doch besser es ist einer stur und hat Stehvermögen, als dass einer den Finger nass macht und die neueste Demoskopie der Wegweisungen empfindet. Deswegen haben viele von uns – und das gilt besonders für mich – Sie in einer besonderen Weise schätzen gelernt. Weltläufigkeit und Heimatverbundenheit – das ist eben kein Gegensatz. Und Sie sind auf Grund Ihrer Überzeugungen, Ihrer Kenntnisse in einer ganz besonderen Weise ein ganz besonders überzeugender und überzeugter Vertreter der für mich auch besten Wirtschaftsordnung, besser gesagt Gesellschaftsordnung, die ich kenne, geworden, nämlich der sozialen Marktwirtschaft; eben im Sinne von Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard, das heißt Wettbewerb, sozialer Ausgleich. Das heißt, dass sich ordnungspolitische Grundsatztreue auf feste Wertvorstellungen – das glaube ich jedenfalls – gründen muss.

 

Ihre berufliche Karriere, ich sagte es schon, war sehr stark von dem, was Sie im Studium empfangen haben und was Sie dann an einer ersten Adresse in Deutschland, nämlich im Bundeswirtschaftsministerium leben und gestalten konnten, geprägt. Später, in Ihrer Amtszeit als Finanzstaatssekretär sind wir uns in einer besonderen Weise näher gekommen, weil wir an vielen Tagen, in vielen Kilometern und in vielen Nächten auch zusammen waren in jetzt beinahe 14 Jahren zurück Weltwirtschaftsgipfeln und auch den unzähligen Veranstaltungen früher der Europäischen Gemeinschaft und dann später der Europäischen Union. Irgendjemand – ich weiß nicht wer – hat den Titel für den Berater auf dem Weltwirtschaftsgipfel – Sherpa erfunden. Ich weiß nicht ganz genau wie es überall definiert wird, aber normalerweise ist das ein Lastträger, der aber gleichzeitig einen Kompass sozusagen im Kopf hat. Und das haben Sie genauso gemacht. Für mich ist immer noch das Bild vorhanden, wie Sie da sitzen mit den anderen Sherpas, mit kritischen Augen diese so genannten Großen der Welt betrachten, die sich da versammelt haben, die Nase hochziehen, wenn Sie feststellen, dass die ihre Papiere nicht gelesen haben.

–          Heiterkeit –

 

Zettel nach vorne schicken, damit das, was da auf Seite 16 steht, für uns wichtig ist, für uns unterstrichen, und dann vielleicht noch einmal ein Hinweis: das Finanzministerium ist hier anderer Meinung als das Wirtschaftsministerium.

–          Heiterkeit –

 

Oder das, was das Kanzleramt dazu sagt, wird weder vom Wirtschafts-, noch vom Finanzministerium akzeptiert.

–          Heiterkeit –

 

Und dann in den frühen Morgenstunden, wenn wir wenigstens ein Stück geschlafen haben, dann aber voller Engagement kommen und sagen, das haben wir durchgesetzt und das haben wir durchgesetzt, das müssen wir aber jetzt akzeptieren – ich sage es jetzt mal, wie Sie es nicht sagen, da sind Sie viel zu erhaben über solche Formulierungen, einem Pfälzer kann man es nachsehen -: das können wir den Franzosen nicht antun.

–          Heiterkeit –

 

So haben wir in vielen Jahren eng zusammengearbeitet. Auch in einer – das sage ich ganz gerne, nicht weil er da ist – sehr engen Gemeinschaft mit dem Bundesfinanzminister, wo es einfach darauf ankam – und auch den anderen Kollegen, die dabei waren, aber ihn hat es meistens besonders bewegt -, in einer Weise, dass wir versuchten, der Sache unseres Landes zu dienen.

 

Ich habe nicht ohne Grund ein Amt neben vielen besonders hervorgehoben und da sind wir uns auch in einer besonderen Weise näher gekommen. Ich habe heute in einem anderen Zusammenhang mit Wolfgang Schäuble darüber gesprochen, weil er und Theo Waigel und Sie die Hauptverhandler waren mit auch anderen, Staatssekretär Ludwig sehe ich hier, ich müsste noch viel mehr nennen, und dann rund um die Uhr verhandelt haben, etwas verhandelt haben, was die meisten für völlig unmöglich gehalten haben. Es gab auch Stunden, wo wir ziemlich allein waren vor der Wirtschafts- und Währungsunion, wo die ganz großen Gurus, die so etwas ganz genau wissen, nicht anzutreffen waren, weil sie sich noch nicht genau festlegen wollten, und Sie haben das getan mit einem ungeheuren Engagement. Aber warum soll ich das nicht auch als eine sehr persönliche Beobachtung sagen, mit einem Engagement, in dem vor allem mitschwang jetzt nicht der Staatssekretär und der Fachmann, sondern ein ganz normaler deutscher Patriot, der gespürt hat, wie man zu sagen pflegt frei nach Bismarck, dass der Mantel der Geschichte vorbei geht und dass es gilt, jetzt ihn festzuhalten.

 

Und so ist die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, des freiheitlichen Rechts- und Verwaltungssystems in Ostdeutschland, die D-Mark, die da kam, als die Leipziger riefen „wenn die D-Mark nicht nach Leipzig kommt, dann gehen die Leipziger zur D-Mark“, dann ist das ein ganz wesentliches persönliches Verdienst von Ihnen und anderen. Aber Sie waren einer der Türme in der Schlacht. Ich will nicht daran erinnern, wie die Prophezeiungen waren, auch von bekannten Professoren, wie die Realität sich dann entwickelt hat später.

 

Heute stehen Sie jetzt seit drei Jahren als Präsident der Bundesbank an der Spitze dieser wichtigen Institut. Und alles was Wilhelm Gaddum gesagt hat, jetzt nicht zum Innenverhältnis, das werde ich mir nicht genehmigen und trauen, das hier als meine Meinung zu sagen, obwohl ich da manchmal auch eine Meinung habe, aber was er gesagt hat zur Institution, kann ich Wort für Wort unterstreichen. Es ist wahr. Es ist nicht immer angenehm für einen Regierungschef, dass das eine völlig unabhängige Institution ist. Aber was ebenso wahr ist, es ist sehr gut, für den Bürger Helmut Kohl als Teil der Bürgerschaft des Landes, dass es so ist. Und wenn man das gelegentlich murrend  erträgt, ist es immer noch viel besser als wenn man sieht, was andernorts geschieht, wenn in dieser ganz zentralen Frage der Geldwertstabilität – und das hat was zu tun mit dem Glauben und dem Zutrauen der Menschen zur Währung ihres Landes, in diesem Fall Deutschlands – keine Zweifel aufkommen.

 

Ich will gerne die Gelegenheit wahrnehmen, all denen zu danken, Sie stehen ja in einer stolzen Reihe der Präsidenten der Deutschen Bundesbank, der Mitarbeiter, der Gremien der Bundesbank in diesen Jahrzehnten, die dieses Werk geschaffen haben. Ich kann nur sagen, die Deutschen sind klug beraten, jetzt auch an der Schwelle des 21. Jahrhunderts, diese wichtige Erfahrung – es ist ein Stück Schatz unseres Landes in diesen Jahrzehnten geworden – ins nächste Jahrhundert zu tragen. Und es ist auch vielleicht gut in dieser Stunde einmal ein Wort zu sagen, weil viele ausländische Gäste da sind, dass wir verstehen müssen, dass dies nicht irgendein Thema ist für die Deutschen. Und dass wir – und jeder weiß das von mir im Besonderen – leidenschaftlich am Haus Europa bauen. Dass wir wissen, dass der Euro kommen muss und kommen wird unter den Bedingungen, die Hans Tietmeyer und wir alle sagen, die nicht verwässert werden dürfen aus Gründen der Tagespolitik, weil sie was mit Vertrauen der Menschen zu tun haben. Aber dass die, die von draußen uns anschauen, uns nicht verrückt halten oder leicht hysterisch in Währungsfragen, sondern schlicht daran denken, welchen Weg die Deutschen in diesem Jahrhundert, und es leben noch viele aus der älteren Generation, die es ganz konkret noch erfahren haben, aus der ganz alten Generation, die  zwei Inflationen und den Verlust der Vermögenswerte ganzer Schichten unseres Volkes erlebt haben. Hitler hat ganz gewiss viele Gründe, und es gibt keine Entschuldigung für uns als Deutsche dafür, aber wahr ist, dass der Verlust der Vermögenssubstanz nach dem ersten Weltkrieg für breite Schichten unserer Bevölkerung entscheidend zu dem Elend der Zeit beigetragen hat und dem, was dann kam und der Zeit danach.

 

Meine Kollegen sind immer etwas erstaunt, wenn ich ihnen bei solchen Diskussionen sage, ihr dürft halt nicht vergessen, als die D-Mark 1948 kam, war das sozusagen für viele ein Kretin, ein Besatzungsgeld, niemand hat viel erwartet, dass das was wird. Daraus ist etwas ganz anderes geworden, eine der großen wichtigen Währungen der Welt. Und bevor unsere Nationalhymne, bevor unsere Flagge und bevor der erste wenigstens teildeutsche Staat der Bundesrepublik entstand, war die D-Mark da. Deswegen ist es wichtig – und das nehme ich gerne hier als Gelegenheit wahr, das zu Ihnen zu sagen und zu Ihren Kollegen bei der Bundesbank, aber all denen, die damit zu tun haben -, dass wir auf diesem Weg Europas nicht faule Kompromisse machen. Wir tragen in uns ein großes Vertrauenskapital auf diesem Weg für die Menschen in unserem Land. Übrigens nicht zuletzt derer, die vor wenigen Jahren neu im wiedervereinten Deutschland dazugekommen sind.

 

Wenn wir also sagen, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist nur als Stabilitätsgemeinschaft möglich, nicht nur bei der Geburt, sondern auch dann in der Folge der Jahre, dann ist das für uns nicht irgendeine tagespolitische Aussage und schon gar nicht der Versuch, andere am deutschen Wesen genesen zu lassen. Es ist für mich eine große Freunde, und Sie haben großen Anteil daran, lieber Herr Tietmeyer, dass doch in vielen Ländern Europas sich das Verständnis für unsere Position, dass wir hier nicht andere majorisieren wollen oder traktieren wollen, sondern dass es einen ganz entscheidenden Sachgrund gibt beim Bau des Hauses Europa, das Thema der Stabilität und der Qualität so nach vorne zu stellen, dass dies für alle eine gute Sache ist.

 

Ich habe zu Beginn gesagt, wir haben Ihnen zu danken für einen Dienst, den Sie geleistet haben und hoffentlich noch Jahre leisten werden, der was zu tun hat mit Pflicht. Ich habe vorhin von den Tugenden gesprochen. Und zu den Tugenden gehört – und das weiß gerade Hans Tietmeyer gut und er zeigt es ohne viele darüber zu reden – Pflichterfüllung. Und in diesen 65 Lebensjahren, die Ihnen geschenkt wurden, haben Sie versucht, Ihre Pflicht zu erfüllen. Und Sie haben in wichtigen Teilen unserem Land gedient mit Ihrer Lebensaufgabe. Und dafür danke ich Ihnen ganz, ganz besonders herzlich! So wünsche ich Ihnen noch viele gute, gottgesegnete Jahre im Kreis Ihrer Familie. Ich bedanke mich auch vor allem bei Ihnen, verehrte gnädige Frau, dass Sie das alles mitgetragen haben. Denn wenn man diesen Mann – ich sage es mal auf pfälzisch: dieses Mannsbild – betrachtet, dann kann man sich vorstellen, wie unkompliziert er ist, wenn er nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt.

–          Heiterkeit –

 

Die Männer werden bei solcher Gelegenheit immer gerühmt, aber die Frauen ertragen es oder erleiden es, wie man es immer will.

 

Sie haben einen wesentlichen Anteil gemeinsam mit Ihrer Familie an diesem Weg und deswegen auch zu Ihnen ein besonders herzliches Wort des Dankes.

 

Ich habe nun eine besonders angenehme Aufgabe, ich habe Ihnen, lieber Herr Tietmeyer, im Auftrag des Herrn Bundespräsidenten eine hohe Auszeichnung zu überreichen –

 

–          Beifall –

 

Hans Tietmeyer

Herr Bundeskanzler, Herr Ministerpräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, nach all den großen Worten soll ich eigentlich jetzt gar nichts mehr sagen, denn Charles de Gaulle hat einmal gesagt: nichts steigert die Autorität mehr als das Schweigen.

–          Heiterkeit –

 

Würden es doch einige Mitglieder des Zentralbankrates auch einmal so tun!

–          Heiterkeit –

 

Meine Damen und Herren, das erste Wort, das ich sagen will, ist ein Wort des Dankes. Ein Wort des Dankes an alle, die gekommen sind, an viele, die geschrieben haben und ich beziehe ganz besonders auch meinen unmittelbaren Vorgänger ein, der sehr um Verständnis bittet, dass er heute, weil er ganz draußen in der Welt ist, nicht hier sein kann. Er hat mich aber dringend gebeten, dieses auch mitzuteilen.

 

Aber ich möchte ein besonderes Wort des Dankes heute dem Bundeskanzler sagen dafür, dass er hier hergekommen ist, dass er sich die Zeit genommen hat und dass er so persönliche Worte gesprochen hat und dabei auch noch einige politische Aussagen gemacht hat, die mich besonders gefreut haben. Ich fühle mich durch die heutige Veranstaltung und insbesondere durch die Worte, die Sie Herr Bundeskanzler, aber auch durch die Worte von Herrn Gaddum und Herrn Issing, sehr geehrt und ich will ein Wort aufgreifen, das Präsident Johnson einmal gesagt hat nach einer solchen Veranstaltung, er hat nämlich gesagt, das hätte meinen Vater stolz gemacht und meine Mutter hätte es sogar geglaubt.

–          Heiterkeit –

 

Also, ich bin da skeptischer in diesem Punkt des Glaubens, zu anderen will ich jetzt nicht Stellung nehmen. Aber ich denke, ich sollte doch mit ein paar Worten zu meinem eigenen Rückblick kommen. Herr Bundeskanzler, Sie haben schon an das Jahr 1931 erinnert. Ich habe daran keine Erinnerung. Aber ich habe darüber natürlich viel gelesen. Laut meiner Mutter bin ich um 6 Uhr früh morgens zur Welt gekommen: übrigens meine Mutter, die heute 93 Jahre alt ist und ich bin glücklich, dass ich sie noch hin und wieder besuchen kann. Dieses Jahr 1931 war ein unruhiges Jahr, es war auch kein gutes Weinjahr, aber das war nicht das entscheidende. Ich will aber so viel sagen, dass ich in bescheidenen dörflichen Verhältnissen nicht nur geboren, sondern aufgewachsen bin. Der Bundeskanzler hat erinnert, mein Vater war Gemeindebeamter. Ich hatte zehn Geschwister und wir sind in einer Familie mit elf Kindern aufgewachsen und das mit dem Gehalt eines Amtsinspektors. Da ging es nicht materiell so üppig zu, das will ich mal so formulieren.

 

Aber – und das ist glaube ich wichtig – damals war natürlich dieser Ort weit weg von der großen Politik, von all dem, was in Deutschland und in der Umwelt passierte. Dennoch, und das will ich doch mal nennen, in der „Münsterschen Zeitung“, die mir jetzt zugeschickt worden ist aus dem Jahre 1931, am 18.8., habe ich gelesen, dass der Diskontsatz damals von 15 au 12 reduziert worden ist. Er war in den Wochen zuvor bei 15 und er wurde auf 12 reduziert und das wurde als eine wesentliche Erleichterung empfunden. Am 19., am ersten Tag meines Lebens, ist etwas passiert, in Basel hat damals der BIZ-Rat, der Rat der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, zusammengesessen und man hat damals einen Stillhaltevertrag gegen den Abzug kurzfristiger Kredite geschaffen. Ich gestehe, dass ich das alles nicht zur Kenntnis genommen habe damals. Aber es ist damals passiert.

 

Meine Familie und mein Aufwachsen im Münsterland, in der münsterländischen Heimat, das alles hat mich sehr geprägt. Ich will nur drei Grundorientierungen, die mir mit auf den Weg gegeben worden sind, nennen, die ich nicht gerne in die Rubrik der Sekundärtugenden einordne. Das ist erstens die Erkenntnis, dass eigene Arbeit und eigene Leistung am Beginn zu stehen hat. Und dass Selbstverantwortung Grundlage jeglicher Solidarität ist. Und das ist zweitens die Mitverantwortung, die man als einzelner für die anderen, für die Familie und für die Gemeinschaft zu tragen hat. Und das ist drittens die Erziehung zur Selbständigkeit und zu einem eigenständigen Urteil. Zu einem eigenständigen Urteil nicht im Sinne des vorschnellen Urteils, wohl aber des Prüfens aller Umstände und dann zu einer eigenen selbständigen Entscheidung zu kommen. Dies sind die Grundwerte, die mir mitgegeben worden sind und die ich gelernt habe. Als ich mal vor einiger Zeit gefragt wurde in einem Fragebogen, was ist ihre Devise, da habe ich so spontan gesagt: tue recht und scheue niemand. Und an diesem Satz halte ich im Grunde auch heute fest.

 

Tue recht nach deinem eigenen Urteil und scheue niemanden, wer auch immer die Autorität sei. Ich kann das natürlich auch lateinisch formulieren, Herr Bundeskanzler, denn Sie wissen ja, ich stamme aus einem humanistischen Gymnasium. Lateinisch heißt das so, wie es der spätere Kardinal Graf Galen zu seinem Wahlspruch gemacht hat, nämlich: nec laudibus nec timore, weder durch Lobsprüche, noch durch irgendeine Furcht lass dich von deinem Weg abbringen. Das ist, wenn Sie so wollen, mein westfälisches Erbe. Das können Sie als Sturheit bezeichnen, das weiß ich nicht. Aber das ist mein westfälisches Erbe und das kann ich nicht verleugnen. Übrigens Bismarck hat mal gesagt, und zwar doppeldeutig meinte er das natürlich: ein Westfale bleibt immer ein Westfale. Das können Sie so oder so nehmen, das weiß ich wohl. Aber er bleibt es dennoch.

 

Ich habe dann mein Studium, meinen Beruf gesucht, 1952 Abitur, Herr Bundeskanzler, Sie haben es nicht gesagt, aber an der ältesten Schule Deutschlands gemacht.

–          Heiterkeit –

 

Nein, eindeutig die älteste – da kommt der Einspruch von Osnabrück. Sie müssen wissen, es ist richtig, das Karolinum ist drei Jahre vorher gegründet worden aber hat keine ununterbrochene Sukzession und deswegen gilt das nicht.

–          Heiterkeit –

 

Ich habe dann mein Studium, wie Sie angesprochen haben, in Münster begonnen, zwei Semester Philosophie, bin dann zur härteren, oder wenn Sie so wollen, handfesteren Ökonomie nach Köln gegangen. Sie haben schon darauf hingewiesen, Herr Bundeskanzler, dass ich dort eine Reihe von Lehrern hatte und einer meiner besonderen Lehrer war Müller-Armack. Bei ihm bin ich zum ersten mal auch in Kontakt mit politischen Gestaltungsfragen gekommen und zwar in doppelter Hinsicht. Alfred Müller-Armack war damals Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik, jener Abteilung, die ich dann später übernehmen durfte, und er brachte uns in einem Donnerstag morgens Seminar immer die neuen aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen mit und wir haben sie diskutiert. Aber ich bin in dieser Zeit auch zum ersten Mal mit der Europapolitik in Kontakt gekommen. Denn Alfred Müller-Armack war – dies sei denen gesagt, die sich dessen nicht erinnern – der deutsche Chefverhändler in der damaligen EG. Da habe ich bspw. Etwas gelernt übers Bananen-Protokoll, ein Vorgang, der mir noch heute, natürlich sehr bekannt ist. Aber viele, viele andere Dinge. Insofern war das ganz nützlich. Aber ich bin auch in anderer Weise mit der Politik in Kontakt gekommen, nämlich ich habe ein Seminar bei Wilfried Schreiber gemacht. Wilfried Schreiber war – das sei denen gesagt, die das nicht wissen – der, wenn man so will, geistige Vater der dynamischen Rente. Wir haben damals die Dinge diskutiert schon, die heute Gegenstand sind, nämlich: ob man einen Generationenvertrag eigentlich machen kann, wenn diese Generationen in ihrem Alter auseinander driften, d.h. wenn die Generationen nicht mehr in gleicher Weise zueinander gehören. Dies haben wir damals im Jahre 1956/57 in Köln schon diskutiert. Ich sage das deswegen, dass ich also schon relativ früh auch mit politischen Fragen der Ökonomie in Kontakt gekommen bin.

 

Na ja, über meine Studenten-Funktionärszeit will ich nichts sagen. Leider gehört eines zu den Ergebnissen, das mir nicht immer ganz gut zu sein scheint, das ist die Frage des Honnefer Modells, daraus ist dann später das Bafög geworden. Ich gestehe, dass das, was wir im Honnef Modell angedacht haben, eigentlich nicht so ganz richtig ausgedrückt war später im Bafög. Aber ich will darauf nicht eingehen.

 

Über mein Stipendium, das ich dann bekommen habe vom Cusanus-Werk ist schon heute, habe ich gesehen in der Financial Times berichtet worden. Dass die Financial Times sich mit dem Cusanus-Werk beschäftigt, ist schon was besonderes. Aber ich habe dann auch noch eine Zeit lang dort als Geschäftsführer gearbeitet und bin der Institution noch heute verbunden, weil ich nicht nur materielle Hilfe, sondern auch viele Anregungen bekommen habe, die für mich von großer Bedeutung sind. 1962 dann der Schritt ins Bundesministerium für Wirtschaft. Sechs Minister habe ich gehabt, bei Ludwig Erhard angefangen, Kurt Schmücker, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorff. Sechs Ministern habe ich gedient. Es wäre wirklich verführerisch, dazu etwas jetzt zu sagen. Aber das will ich mir verkneifen. Es war jedenfalls eine interessante Zeit, bis ich im Jahre 1983 ins Bundesministerium der Finanzen – übrigens das Genitivministerium, das Bundesministerium für Wirtschaft ist natürlich ein neueres Ministerium, Bundesministerium der Finanzen ein klassisches Ministerium kam. Ich freue mich ganz besonders, dass meine beide Minister, nämlich Gerhard Stoltenberg – ich weiß jetzt nicht, wo er ist, aber hier ist – und ich freue mich, dass Theo Waigel hier heute unter uns ist. Ich glaube, dass diese Zeit eine insgesamt jedenfalls für mich nicht nur herausfordernde, sondern auch gute Zeit war.

 

Nun, mein Schritt in die Bundesbank im Jahre 1990 habe ich der Bundesregierung zu verdanken, denn selbst kann man darüber ja nicht entscheiden, sondern man wird vorgeschlagen und beschlossen und dann tritt man an. Ich gebe aber zu, dass ich gerne angetreten bin. Der Währungspolitik war ich nicht ganz fremd, das gestehe ich. Im Jahre 1967 habe ich nämlich das erste Mal mich intensiv mit Währungspolitik beschäftigt, als ich als junger Adlatus für Karl Schiller damals in vielen internationalen Währungsgesprächen nicht nur dabei war, sondern dafür arbeitete und dann ja auch später in der Werner-Gruppe arbeitete; aber ich komme gleich noch mal darauf.

 

Wichtig war für mich die Stabilitätsorientierung, die Sie, Herr Bundeskanzler, soeben in, wie ich glaube, sehr treffenden Worten, nämlich in ihrer politischen Dimension auch angesprochen haben. Ich will so viel sagen, Jakob Fränkel, der israelische Notenbankgouverneur, früher IMF-Chef-Ökonom hat einmal in einem Gespräch, als er mich präsentierte den Herren Rabin und Peres, gesagt, er war schon immer ein Centralbanker; d.h. er wurde es nicht erst als er in die Bundesbank kam, sondern er war es schon zuvor.

 

Das Wort Europa, Herr Bundeskanzler, haben Sie zurecht aufgegriffen und ich habe mich gefreut, Herr Issing, dass Sie mir heute im Namen des Zentralbankrates dieses Buch, dieses Kompendium – ich bin gespannt, was ich alles geschrieben habe – übergeben haben. Ich bin überzeugt, dass da auch das eine oder andere drin ist, was nicht so ganz up to date ist. Aber wie auch immer: ich stehe zu dem, was ich geschrieben habe und ich bin sehr gespannt, ob ich die kontinuierliche Linie wieder finden kann.

 

Nur, meine Damen und Herren, meine Europa-Position ist nicht neu. Da sie bisweilen in der Öffentlichkeit auch mal angesprochen wird, habe ich – und das ist wirklich ein Zufall – ein Dokument gefunden. Im Jahre 1952 nach unserer Abiturfeier hatten wir ein Liederbuch und da haben meine ganzen Lehrer alle irgendwas reingeschrieben an dem Abend, wie man das so macht nach der Feier, da wird dann was reingeschrieben. Und ich wollte nur eine besondere Eintragung Ihnen nicht vorenthalten. Da steht nämlich drin: Dem Vorkämpfer für die Montanunion und ein neues Europa alles Gute für die Fahrt ins Leben. Franz Josef Kresing – das war mein Erdkundelehrer, und ich hatte eine Arbeit geschrieben über dieses Thema.

–          Beifall – leichte Heiterkeit –

 

Also, Sie sehen, meine Damen und Herren, ich war schon Europäer, als andere noch Atlantiker waren. Aber wie dem auch sei, ich bin auch heute noch ein voll überzeugter Europäer was das Ziel und den Fortschritt der Integration angeht. Aber – und dieses aber kann und will ich nicht unterdrücken – das ökonomische Fundament muss dauerhaft tragfähig sein. Deswegen, Herr Bundeskanzler, bin ich Ihnen so dankbar, dass Sie auch im Hinblick auf die Kriterien heute ein so deutliches Wort gesagt haben. Es ist nicht nur so, dass das Bundesverfassungsgericht und das deutsche Parlament gesagt haben, es kommt auf eine strikte und enge Auslegung an, sondern Sie haben zurecht darauf hingewiesen, es geht hier um die Glaubwürdigkeit, es geht um die Kreditibilität nicht nur der Märkte, sondern um die Glaubwürdigkeit der Menschen. Und dies ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Punkt.

 

Was die Dauerhaftigkeit dieser stabilitätspolitischen Konvergenz angeht, so hoffe ich mit großem Nachdruck, dass der Vorschlag von Herrn Waigel, der so genannte Stabilitätspakt, wirklich Grundlage der Entscheidung wird. Ich hoffe, dass bspw. Die Tarifpartner sich bewusst sind, dass in einer Währungsunion lohn- und arbeitsmarktpolitische Flexibilität umso wichtiger ist. Und ich hoffe und wünsche, dass der Europäische Zentralbankrat seine Geldpolitik so formulieren und entscheiden wird, dass es tatsächlich zu einer dauerhaften Stabilität kommt.

 

Ich will aber dazu sagen, das ökonomische Fundament ist wichtig und unerlässlich. Aber es gehört auch dazu – und ich weiß, dass das nicht alle in Europa ganz gerne hören, aber ich halte es für wichtig und notwendig –  die politische Bereitschaft zum Souveränitätsverzicht, wenn man in eine dauerhafte Union geht. Währungsunion ist kein nur technischer Vorgang, es ist auch ein technischer Vorgang. Er ist ein zutiefst politischer Vorgang. Der Zentralbankrat hatte, glaube ich, recht, als er die Währungsunion einmal als eine stabilitätspolitische Solidargemeinschaft auf Gedeih und Verderb angesprochen hat.

 

In den nächsten Jahren liegen wichtige Entscheidungen vor den politischen Entscheidungsträgern, aber auch in der Arbeit im Europäischen Währungsinstitut. Unser Ziel, das gemeinsame Ziel muss es sein, dass es ein stabiler Euro wird. Ein stabiler Euro, der, wie ich meine, wichtig ist für die Zukunft Europas. Der, wie ich meine, wichtig ist für die ökonomische Wohlfahrt in Europa und ich füge das hinzu, der auch wichtig ist für die soziale Gerechtigkeit. Wir sollten dieses Element nicht unterschätzen. Die deutschen Erfahrungen, und daran haben Sie angeknüpft, Herr Bundeskanzler, mit einer stabilen D-Mark sollten wir nicht vergessen. Ich hoffe, dass es gelingt, diese Erfahrungen nach Europa hin zu tragen. Stabilität kommt aber nicht von selbst. Dafür muss noch einiges getan werden. Aber ich meine, es lohnt sich für einen stabilen Euro zu kämpfen und zwar ob gelegen oder ungelegen. Dabei ist es wichtig, dass ein nüchterner Realismus auf der einen Seite und eine Bodenhaftung herrscht. Visionen sind wichtig und auch notwendig. Aber Illusionen sind gefährlich. Deswegen werde ich mich zusammen mit den Mitgliedern des Zentralbankrates und den anderen Mitgliedern im Europäischen Währungsinstitut – ich freue mich, dass Alexander Lamfalussy heute unter uns ist – hart an der Sache arbeiten, um die dauerhaften Grundlagen für eine tragfähige Währungsunion zu schaffen.

 

Meine Damen und Herren, westfälische Eichen wachsen langsam. Aber sie halten dann meist auch den Stürmen stand, aus welcher Richtung diese Stürme immer kommen.

 

Ich möchte Ihnen noch einmal sehr herzlich dafür danken, dass Sie heute hierhergekommen sind, dass Sie mir so viele freundliche Worte gesagt haben. Ich hoffe noch auf einige gute Gespräche, jedenfalls darf ich Sie einladen, jetzt hier die Fazilitäten, die die Bundesbank anbietet, auszunutzen.

 

Die Bundesbank ist nie notleidend, denn sie würde dann, wenn sie notleidend wäre, eindeutig dem Finanzminister zur Last fallen. Das wird sie aber nicht tun, sondern sie wird zusammen mit dem Finanzminister für eine stabilitätsorientierte und das heißt auch ertragreiche Politik arbeiten.

Vielen Dank.

–          Beifall –

 

 

Weltökonom hadert mit Weltgeld-Regierung

Altkanzler Schmidt polemisiert gegen Tietmeyer / Eine offene alte Rechnung

 

Wer schreibt, bleibt, ist eine alte Weisheit und als Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ kann Altbundeskanzler Helmut Schmidt viel schreiben und tut es insbesondere, wenn noch alte Rechnungen zu begleichen sind. Das aber trifft für Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer doppelt zu, erstens, weil er damals (1982) an entscheidender Stelle mithalf, Schmidt zu entmachten und zweitens, weil der Giscard-Freund Schmidt in Tietmeyer einen Widersacher Frankreichs sieht. Als dritter Knackpunkt könnte noch angeführt werden, dass Schmidt die Europäische Währungsunion, die er mit dem Franzosen angestoßen hat, am liebsten auch selbst vollendet hätte. Darüber hinaus sonnte sich der Altbundeskanzler immer gerne in dem (selbst geschaffenen Ruf), ein Weltökonom zu sein. Da musste ihm wiederum der Alte Kontinent manches Mal zu provinziell erscheinen, denn Schmidt sah sich als Atlantiker vom Rhein bis zum Potomac.

 

Als Hans Tietmeyer noch kleiner Abteilungsleiter im Bonner Wirtschaftsministerium war und wegen einer Währungsvorlage mit Minister Schmidt zusammen kam, hänselte jener ihn: „Mein lieber Tietmeyer, Sie sind ein unverbesserlicher Europäer.“ Als solcher wollte sich Bundesbankpräsident Tietmeyer auch 1996 in Erinnerung bringen, und zwar in einer Entgegnung (v.3.April 96) auf einen Zeit-Artikel hin.

 

Sehr geehrter Herr Altbundeskanzler Schmidt,

soeben habe ich mit Interesse Ihren Artikel „Der zweite Anlauf, die letzte Chance“ in der neuen Ausgabe von „Die  Zeit“ gelesen.

 

Ohne zu Ihren – meines Erachtens größtenteils nicht zutreffenden – Bewertungen der Position der Deutschen Bundesbank im Einzelnen Stellung nehmen zu wollen, möchte ich nur drei kurze Anmerkungen machen:

 

Die Entscheidung über die Bandbreitenerweitertung im Europäischen Währungssystem ist im Sommer 1993 getroffen worden, bevor ich Präsident der Bundesbank wurde. Ich habe im Übrigen in den vorausgegangenen Verhandlungen stets für deutlich engere Bandbreiten als die derzeitigen, von französischer Seite vorgeschlagenen +/- 15 % votiert.
Ich habe niemals eine europäische „Gesamtregierung“ als Voraussetzung für den Eintritt in die Währungsunion verlangt. Wie ich Ihnen auch in meinem Brief vom 13. Januar 1995 mitgeteilt habe, habe ich „stets deutschlich gemacht, dass es sich bei der Entwicklung der politischen Union um einen längerfristigen Prozess handelt, der voraussichtlich nicht in einem großen Schritt erreicht werden kann.“
Entgegen Ihrer Feststellung bin ich kein „Gegner“ eine Währungsunion in Europa, sondern schon seit meiner Tätigkeit in der so genannten Werner-Gruppe a, Jahre 1970 ein nachhaltiger Befürworter. Ich werde mich auch weiterhin für den Weg in eine dauerhaft stabile Währungsunion einsetzen, wobei ich allerdings die Schaffung eines tragfährigen ökonomischen und politischen Fundamentes für unerlässlich halte.
Ich stelle Ihnen anheim, diesen Brief im vollen Wortlaut in „Die Zeit“ zu veröffentlichen. Mit freundlichen Grüßen  – Ihr Hans Tietmeyer

 

Der Altkanzler scheut aber auch weiterhin keinen Zeitaufwand, um sich an der Deutschen Bundesbank und deren Präsidenten zu reiben. Es ist auch nicht alles hieb- und stichfest, was Schmidt Anfang November 1996 zu Papier bringt, enthält aber wesentliche Elemente dessen, wie kontrovers (teilweise auch falsch) in der deutschen Öffentlichkeit bis in die ersten Kreise der Nation über die Währungsunion und ihre Hintergründe gedacht und gesprochen wird und wie wenig wichtige Persönlichkeiten und maßgebliche politische Zirkel hinter den aktiven Männern des Staates stehen und die wirklichen deutschen Interessen weder wahrnehmen noch verteidigen. Schmidt wirft Tietmeyer „Mangel an strategischer Einsicht vor“. Da liegt er nun wirklich falsch.

 

Ganz Europa ärgert sich über die Bundesbank. Unsere

Nachbarn wollen nicht nach der Pfeife der deutschen Währungshüter tanzen, nach deren Maßstäben nicht einmal

Deutschland dem Euro-Club beitreten dürfte. Helmut Schmidt

fährt den Frankfurter DM-Ideologen in die Parade.

 

Die Bundesbank – kein Staat im Staate

Offener Brief von Helmut Schmidt an Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer

 

Im Frühjahr dieses Jahres haben Sie mir einen Brief geschrieben (in der „Zeit“ vom 26. April 96 veröffentlicht), in welchem Sie feststellten, Sie seien kein Gegner der Europäischen Währungsunion, sondern ein nachhaltiger Befürworter. Sie fügten jedoch hinzu, wesentlich einschränkend: „…wobei ich allerdings die Schaffung eines tragfähigen ökonomischen und politischen Fundamentes für unerlässlich halte.“ Deshalb habe ich Ihnen geantwortet: „Ich werde Sie auch weiterhin als den wichtigsten Gegner der Währungsunion ansehen – was übrigens in meinen Augen nicht ehrenrührig ist, wohl aber von einem Mangel an strategischer Einsicht zeugt.“

 

Inzwischen haben Sie in öffentlichen Reden – zweimal habe ich Ihnen zugehört – und in Interviews viele Male ihre oben zitierte Einschränkung nicht nur unterstrichen, sondern noch zugespitzt. Offenbar halten Sie weder die heute vorhandenen politischen Fundamente für ausreichend noch die im Maastrichter Vertrag festgelegten ökonomischen Fundamente.

 

Sie pochen auf „strikte Einhaltung“ der fünf im Maastrichter Vertrag enthaltenen Maßstäbe, an denen die ökonomische Einigung eines Staates gemessen werden soll, sich an der zukünftigen gemeinsamen Währung zu beteiligen. (Tietmeyer: Keine Erfindung von mir. Schmidt sollte sich da des Bundesverfassungsgerichts und der Beschlüsse im Bundestag erinnern!)

 

Den durch den Maastrichter Vertrag neu in den EG-Vertrag eingefügten Artikel 104 c und den darin enthaltenen weitgehenden Entscheidungsspielraum des Europäischen Rates – jenseits aller Kriterien – verschweigen Sie dagegen regelmäßig. Vielmehr erwecken Sie penetrant den unzutreffenden Eindruck, als ob die in den Protokollen zum Maastrichter Vertrag enthaltenen Kriterien absolut bindend seien.

 

Tatsächlich steht aber seit Maastricht im EG-Vertrag: Erfüllt ein Mitgliedsstaat „keines oder nur eines dieser Kriterien, so sollen alle sonstigen einschlägigen Faktoren berücksichtigt werden, einschließlich der mittelfristigen Wirtschafts- und Haushaltslage eines Mitgliedsstaates“.

 

Außerdem haben Sie öffentlich wiederholt zum Ausdruck gebracht, ohne eine noch nicht hergestellte politische Union Europas bliebe die gemeinsame Währung in ihrer Funktionstüchtigkeit gefährdet. Der deutsche Zuhörer und Leser hat Ihre Bemerkungen und die gleichgerichteten Einlassungen einiger Ihrer Kollegen in der Bundesbank dahin verstehen müssen, dass es Ihnen unter den heutigen Umständen lieber wäre, die gemeinsame Eurowährung käme nicht zustande. Wie immer positiv Ihre theoretische Vorstellung vom europäischen Integrationsprozess auch sein mag – Ihre tatsächliche Wirkung auf die deutsche öffentliche Meinung ist negativ.

 

Ihre Wirkung im europäischen Ausland liegt auf anderer Ebene Weil Sie in den ausländischen Zeitungen deutlich häufiger und deutlicher akzentuiert vorkommen als zum Beispiel Außenminister Kinkel, gewinnt man din Frankreich, Italien, England und anderswo den Eindruck, Sie seien der Herr des europäischen Verfahrens. Und die Insistenz und Penetranz Ihrer Reden machen nicht nur Sie selbst unbeliebt – was Sie ertragen können – sondern machen auch Deutschland insgesamt unbeliebt – was wir nicht verdient haben und nur schlecht ertragen können. Vielen unserer Nachbarn erschein das von Ihnen vertretene Deutschland als herrschsüchtig und als mächtig.

 

Wenn die Eurowährung zum 1. Januar 1999 nicht zustande käme, so käme sie wahrscheinlich nie mehr zustande; denn inzwischen würden überall erhebliche Teile der Völker gegen die dem Maastrichter Vertrag und den Deutschen angelasteten Haushaltskürzungen aufbegehren. Die schwerste Krise des europäischen Integrationsprozesses – möglicherweise sein Ende! – wäre die Folge. Und Deutschland stünde isoliert da – genau das Gegenteil jener Einbettung, die von Adenauer bis Kohl alle Bundeskanzler als überragendes Ziel verfolgt haben, im vitalen deutschen Interesse.

 

Die alte Rechnung wird aufgemacht: Machtwechsel

 

Sehr geehrter Herr Tietmeyer, Sie haben sich auch früher schon bisweilen ökonomisch und politische geirrt. Irren ist menschlich; niemand, der keine Irrtümer begangen hätte. Immerhin sollten drei Ihrer Irrtümer Sie zur Überprüfung Ihrer Positionen anregen:

 

Erstens: Sie haben 1982 das so genannte Lambsdorff-Papier entworfen, das den Zweck hatte, über eine zugespitzte ökonomische Kontroverse innerhalb der regierenden Koalition (SPD/FDP mit Schmidt als Kanzler) diese zu beenden und die CDU/CSU (mit FDP) an die Regierung zu bringen. (Tietmeyer: Dass sich da jemand

getroffen fühlt, kann ich verstehen.) Tatsächlich ist seither die öffentliche Gesamtverschuldung auf das Vierfache gestiegen, die Steuer- und Abgabenlast ist höher als jemals zuvor, vor allem hat die Arbeitslosigkeit ein unerhörtes Maß erreicht – lediglich die Inflationsrate ist geringer als 1982, als sie infolge der beiden  Opec-Ölpreisexplosionen vorübergehend höher war. Müssten Sie nicht zugeben, dass Ihre und Lambsdorffs Erwartungen keineswegs eingetroffen sind?

 

Zweitens: Sie trugen im Frühjahr 1990 als persönlicher Berater des Kanzlers für Fragen der Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft mit der DDR hohe Mitverantwortung für schwere Fehler und utopische Versprechungen. Müssten Sie nicht heute zugeben, dass die mehr als hundertprozentige Aufwertung der Mark Ost eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der alten DDR-Industrie war? (Tietmeyer: Von Anfang an haben sich Schlesinger und ich dagegen gewehrt. Wir sind bis zu letzten Sekunde dagegen eingetreten. Es kam auch nicht zu einer generellen Umstellung von 1:1, sondern genau durchgerechnet von 1,8:1. Ein Kompromiss. Die Bundesbank wollte 2:1.)

 

Oder das Versprechen, keinerlei Steuererhöhungen würden nötig werden, bodenloser Unfug war? Und ebenso die Verheißungen „blühender Landschaften“ und westdeutscher Löhne im Osten binnen vier Jahren? (Tietmeyer: Das war Sache der Regierung.)

 

Drittens: Sie waren führend beteiligt an Zinserhöhungen der Bundesbank, die nach 1990 den Geldmengenstoß wieder einfangen sollten. Sie waren beteiligt an der regelwidrigen Verweigerung einer dadurch notwendig gewordenen Anhebung der D-Mark-Wechselkurse innerhalb des Europäischen Währungssystems (EWS), an dessen totaler Verwässerung, in dem die zulässigen Bandbreiten für Wechselkursschwankungen auf das mehr als Sechsfache erweitert wurden. Damit waren Sie zugleich beteiligt daran, dass dem Maastrichter Kriterium „Einhaltung der normalen Bandbreiten des EWS“, gerade erst beschlossen, die Grundlage entzogen wurde. Müssen Sie nicht heute zugeben, dass damit der Ecu de facto abgeschafft wurde, welcher an den Finanzmärkten der Welt gut eingeführt und für die Währungsunion hervorragend geeignet war? Ein böser Fehler. (Tietmeyer: Die (!) Ecu war immer eine Kunstwährung und von Deutschland als solche niemals akzeptiert.)

 

Die Bundesbank, deren Direktorium Sie seit Anfang 1990 zugehören, hat die Formulierungen der Mastrichter Konvergenzkriterien stark beeinflusst. Aber weder die Bundesbank noch das Finanzministerium hat jemals öffentlich begründet, warum die Gesamtschuld eines Teilnehmerstaates nicht höher sein soll als sechzig Prozent seines laufenden Sozialproduktes. Wieso funktioniert denn aber bereits seit den frühen 20er Jahren die Währungsunion zwischen Belgien und Luxemburg die Währungsunion zwischen Belgien und Luxemburg, und wieso ist der Wechselkurs des belgischen Francs relativ stabil gegenüber der Welt, obschon Belgiens Gesamtverschuldung heute bei dem doppelten und diejenige Luxemburgs bei nur einem Zehntel des Kriteriums liegt?

 

Ebenso ist das andere schuldenrelevante Kriterium ökonomisch nicht begründet, nach dem sie jährliche Kreditaufnahme eines Teilnehmerstaates nicht höher sein soll als drei Prozent seines Sozialproduktes. Wenn ein Staatsvolk viel spart, dann kann der Staat durchaus höhere Kredite aufnehmen, ohne damit die Finanzierung privatwirtschaftlicher Investitionen zu behindern; wenn aber ein Volk wenig oder gar überhaupt nichts spart, dann sind drei Prozent als Grenze staatlicher Kreditaufnahme viel zu hoch. Die amerikanische private Sparquote liegt bei vier Prozent, die deutsche bei elf Prozent, die japanische bei über sechzehn Prozent – trotzdem könnte sogar Japan heute wegen des Drei-Prozent-Kriteriums theoretisch nicht als Teilnehmerstaat für den Euro in Betracht kommen. Das Drei-Prozent-Kriterium kann bei guter Konjunktur leicht unterschritten werden, in einer Rezession dagegen liegt die Schwelle zu hoch. Die Flexibilität des Artikels 104c ist also notwendig.

 

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Wehnelts Privatbücherei:

10 Jahre Euro – Wie er wurde, was er ist

Hoechst – Untergang des deutschen Weltkonzerns

Der PreußenClan (Familiensaga)