Die Deutsche Bundesbank feiert Anfang August d. J. ihr 60-jähriges Jubiläum! Das Motto: Seit 1957 sorgt die Notenbank für stabiles Geld in Deutschland und Europa.
www.geldanlagen-nachrichten.de liefert in den kommenden Monaten eine ausgedehnte Serie zum Thema deutsches Geld und Geldpolitik von der Nachkriegszeit über die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark 1948 bis zum Euro von Heute.
Von Christoph Wehnelt
Nr. 16
Drama der europäischen Geldpolitik III
Macht kaputt, was euch kaputt macht
Am letzten Wochenende des Juli 93 fand die von manchen so euphorisch angegangene europäische Währungsbewegung weitgehend ihr Ende. Das von Giscard d’Estaign und Helmut Schmidt, den damaligen Regierungschef von Frankreich und Deutschland, unter Assistenz des luxemburgischen Finanzministers Pierre Werner etwas zu einfach ausgedachte Fast-Festkurssystem „EWS“ ging in die Brüche. Und das begann mit der Zentralbankratssitzung am Donnerstag, dem 29. Juli. In diesem Tag hat die Bundesbank mit den ihr verfügbaren Mitteln die politischen Verkrampfungen im System gesprengt und die Spekulationsblasen platzen lassen. Das hörte sich dann so an:
Die Bundesbank hat den Lombardsatz um ein halbes Prozent gesenkt und damit mehr angerichtet, als wenn sie gar nichts getan hätte. Alle Welt bis hin zum (französisch besetzten) Internationalen Währungsfonds hatten deutsche Zinssenkungen gefordert und dabei an eine Reduzierung beider Leitzinsen, also des Lombards und des Diskonts gedacht. Es kam allein der Trippelschritt bezogen auf den Lombard, wenn man einmal die kürzlich erfolgte und jetzt stabilisierte Senkung des 3. Leitzinses, des Zinses für Wertpapierpensionsgeschäfte auf 6,95 Prozent vergisst.
Mit ihrer Lombardsatzsenkung hat die deutsche Notenbank der Welt eine gewisse Lektion erteilt, fast vergleichbar der Diskonterhöhung vor einem Jahr. Sie hat der Welt demonstriert, dass sie weiterhin gedenkt, eine insbesondere auch vom Ausland unabhängige Geldpolitik zu betreiben. Der Trippelschritt war aber keine Trotzreaktion sondern die Rückbesinnung auf ihren gesetzlichen Auftrag, Stabilitätspolitik für Deutschland betreiben zu müssen. Das Europäische Währungssystem rangiert im 12. Stock der Bundesbank allemal hinter einer deutschen Antiinflationspolitik, wenn die Zentralbanker im Auftrag Bonns hier schon manches Mal bis an die Grenzen des Zulässigen gehen mussten.
Die Lombardsatzsenkung passt genau in die langfristig angesetzte Zinssenkungslinie der Notenbanker. Kleine Zinsschritte dieser Art werden noch bis Ende dieses Jahres geprobt werden. Sie sollen den deutschen Wirtschaftsaufschwung fördern, genau so wie vor einem Jahr noch mit der Diskonterhöhung eine zusätzliche Bremse zur Abkühlung der Teuerung eingebaut worden war. Damals wie heute folgten Währungsunruhen, die zusätzlich angefacht durch private Spekulanten – um aus dem Auf und Ab der Devisen Milliarden-Gewinne zu ziehen – angenommen haben oder in den nächsten Tagen noch annehmen würden.
Ergebnis: Das Europäische Währungssystem kracht aus allen Fugen. Der Dollar schnellt nach oben. In Europa festigt sich die Ankerwährung „D-Mark“ und andere Währungen brechen ab. Der holländische Gulden noch am wenigsten. Er ist fast so stark wie die Mark und will sich von ihr auch nicht trennen. Aber sonst bleibt nicht mehr viel.
Fast hätte ich den französischen Franc vergessen, der seit einiger Zeit, seit fast zwei Jahren als stabile Währung gehandelt wird. Nicht nur das, er wurde vor kurzem noch über den grünen Klee gelobt. Vor vier Wochen sah Frankreich schon den Franc als europäische Leitwährung, an den die durch innerdeutsche Verschuldung schwache D-Mark die Anbindung suchen müsste. Frankreich spielte mit dem Gedanken einer Währungsunion ohne die D-Mark. Der Franc, der vor einem Jahr nur mit Superinterventionen von über 40 Milliarden Mark aus dem Abwertungsstrudel gerissen werden konnte, wurde heute wieder schwache und wertete bis auf den unteren Interventionspunkt im EWS ab.
Das dürfte jedoch nicht nur den Tücken privater Spekulanten zuzuschreiben sein. Da knirscht es auch strukturell. Frankreich hat schwere Probleme in der Sozialpolitik. Die Arbeitslosenquote übersteigt die zehn Prozent-Marke, nimmt sogar noch zu und die Konjunkturlage sieht schlechter aus als in Deutschland. Da sollte es durchaus im Interesse der französischen Regierung liegen, einer allgemeinen Neufestsetzung der Kurse im Europäischen Währungssystem positiver gegenüber zu stehen, sie sogar durch die Franc-Abwertung zu unterstützen. Auf diese administrative Art wäre im Handumdrehen die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie zu verbessern, wenn auch die Preisprobleme durch eine möglicherweise dann importierte Inflation nicht zu unterschätzen wären. Der europapolitisch schlechtere Fall wäre Frankreichs Ausstieg aus dem EWS.
Wir stehen vor einem neuen Realignment, wodurch die italienische Lira mit einer richtigen Bewertung auch in das System zurückkehren könnte. Auch das Pfund Sterling wäre wieder willkommen, wenn die Briten es wollen. Noch besteht die Chance unter wenigen hektischen Umständen als im vergangenen Jahr die Währungskurse zu ordnen und mit einem vernünftigen Schritt dieser Art die aller nächste Geldzukunft Europas zu gewinnen. So und nicht anders sieht das wirkliche Leben im Europa der Währungen aus. Maastricht ist ein weit entfernter Hoffnungswert. Die Bundesbank aber die Realität.
Journalistisch ein großer Erfolg war das „Frankfurter Gespräch“ mit dem Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Banken, Eberhard Martini. Er stellte am 30. Juli (Aufnahme der Sendung) die Forderung nach einem allgemeinen Realignment, also einer Neuanpassung der Wechselkurse für die europäischen Währungen. Gleichzeitig schlugen an der Börse die Devisenkurse Kapriolen und auf höchster Regierungsebene gab es hektische Betriebsamkeit.
Mein Problem als Journalist war dieses: Bleibt das Martini-Gespräch bis zum Sonntagmittag, dem Zeitpunkt der Ausstrahlung, aktuell, wird es nicht durch die Ereignisse in seinen Aussagen überholt? Schon am Freitagabend habe ich eine komprimierte Meldung über die Martini-Aussagen an die Agenturen gegeben. Somit erschienen die ersten Nachrichten darüber bereits in der Samstagspresse und liefen den ganzen Tag über in den Radio- und Fernsehsendungen. Da sich an diesem Wochenende aber sonst kein Geld-, Währungs- oder Finanzpolitiker zum Thema „Realignment“ ausgelassen hat, beherrschte das „Frankfurter Gespräch“ mit seinen Inhalten zum Währungschaos das ganze Wochenende die Szene bis spät in den Sonntag, denn die eilends zusammengekommenen europäischen Finanzminister und Notenbankgouverneure einigten sich erst in der Nacht zum Montag (um 2 h früh) auf eine erweiterte Bandbreite für die Wechselkurse.
Den ganzen Sonntag (1.8.) schob ich im Funkhaus Wache, zunächst um möglicherweise notwendige Operationen am Interview vornehmen, und am Nachmittag, um einen Frühkommentar für Montag schreiben zu können. Ich blieb bis 22 h in der Redaktion. Und weil bis dahin noch nichts vorlag, kam ich am nächsten Morgen um 5.30 h wieder, um der staunenden Öffentlichkeit um 7.05 h die neue Lage in Europa zu erläutern.
Nach über einem Dutzend Jahren haben wir heute wieder Gelegenheit die Währungswirklichkeit, wie sie nun mal in Europa gegeben ist, an den Devisenmärkten zu erkennen. Dies ist nicht nur finanztechnokratisch gemeint sondern auch realwirtschaftlich und europapolitisch. Die Brüsseler Beschlüsse der EG-Finanzminister und Notenbankgouverneure der vergangenen Nacht haben das Europa des Geldes wieder auf seine Füße gestellt. Das war notwendig, denn die Kopfstände, die in den vergangenen Monaten und Jahren gemacht werden mussten, um das EWS am Leben zu erhalten, sind mittlerweile unfinanzierbar geworden.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die internationale Spekulation hat das EWS zur Strecke gebracht, weil die Europa-Politiker nationalistische Strategien verfolgten und nicht das wirtschaftliche Gemeinwohl des alten Kontinents im Auge behalten haben. Das EWS wäre ein taugliches Instrument zur Beruhigung der europäischen Devisenmärkte sowie zur Förderung des Handels und Sicherung der Prosperität gewesen, wenn die offiziellen Geld-Europäer auf ihrer monatlichen Agenda ein Treffen allein zur Überprüfung der Wechselkurse und zur Neufestsetzung der Paritäten eingebaut hätten. Regelmäßige Anpassungen in kleinsten Schritten wären notwendig und hilfreich gewesen.
Dazu waren die sonst so reisefreudigen Finanzminister und Notenbankgouverneure der Zwölfergemeinschaft nicht fähig. Da wurde gezockt und geschummelt, gekittet und gekleistert bis das Gebäude so schräg dastand, dass es nur noch mit Multimilliarden Mark an Interventionen aufrechterhalten werden konnte: Am Donnerstag/Freitag letzter Woche 60 Milliarden Mark, im September letzten Jahres 90 Milliarden Mark und was dazwischen zusätzlich auf dem kleinen Dienstweg zu regulieren war. Die Spekulation freute sich.
Im Mittelpunkt dieses illustren Treibens standen immer die Bundesbank und ihr Kind D-Mark. Die Geldregierung der größten europäischen Volkswirtschaft war dabei nicht zu beneiden. Sie hatte immer den schwarzen Peter, ob sie an der Zinsschraube drehte oder nicht, ob sie intervenierte oder es unterließ. Tatsächlich kann europäische Geldpolitik nur aus einer Hand oder besser aus einem Guss betrieben werden. Wenn die richtige Legierung für den Guss von den Zwölfen aber nicht hergestellt werden kann, zeigen sich bald Risse.
Natürlich haben es unsere Nachbarn mit einem solchen Koloss wie Deutschland in der Mitte auch nicht leicht, umso mehr müsste man sich auf die ökonomischen Tatsachen beschränken und danach pragmatische Regelungen anstreben und durchsetzen. Daran mangelt es oft. So musste eben das Europäische Währungssystem fallen. Nichts Anderes bedeutet die Festlegung der Schwankungsbreiten auf zweimal 15 Prozent oder zusammen von 30 Prozent, abgesehen von Holland, dem treuen Nachbarn, der mit der kleinen Schwankungsbreite von 4,5 Prozent bei der D-Mark bleiben will und davon profitiert. Die D-Mark wertet nun unterschiedlich auf. Das Europa von Maastricht rückt in weite Ferne. Aber in der EG bleiben wir ja alle – gottlob – bei einander. Und so haben wir auch die Chance, wieder alles besser zu machen. Europa kommt langsamer, aber gediegener.
Nach Paris des Friedens willen
3.8.93
Die Deutschen, das muss heute einmal festgestellt werden, haben die hohe Finanzdiplomatie gelernt und nutzen sie auch mit allen gebotenen Machtmittel, wobei die wirtschaftliche Vernunft immer im Vordergrund steht. Das fällt der größten Wirtschaftsnation in Europa natürlich auch leichter als anderen.
Nach dem EWS-Kladderadatsch vom vergangenen Wochenende trifft sich heute in Paris der Deutsch-Französische Finanz- und Wirtschaftsrat, um in Europa brüderlichem Verständnis die neue Lage auf den Devisenmärkten und die Zukunft des Europäischen Währungssystems mit Ausblick auf Maastricht zu erörtern. Die heutige Sitzung sollte eigentlich schon vor zwei Wochen stattgefunden haben. Damals hatten die Deutschen allerdings abgesagt, weil der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Alphandery zu unverblümt und aggressiv eine weitere Leitzinssenkung und den sofortigen Eintritt in die volle Währungsunion verlangt hatte. (Seitdem hat er in Fachkreisen auch den Kosenamen: Elefantenderry) Günther Rexroth, der Bonner Wirtschaftsminister, Finanzminister Theo Waigel und Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger haben sich an die Seine aufgemacht und bringen als Geschenk völlig unverhofft und überraschend eine Senkung des 3. Leitzinses, des Zinssatzes für Wertpapierpensionsgeschäft mit.
Letzte Woche hatte die Bundesbank genau für den jetzt laufenden Tender einen Zinssatz von 6,95 Prozent angekündigt. Heute wurde die Verzinsung aber mit 6,80 Prozent festgesetzt. Die Bundesbank demonstriert damit, wie gut es ihr tut, aus den engen EWS-Fesseln befreit zu sein. Die niedrigeren deutschen Tender-Zinsen sollen eine nicht zynisch gemeinte Morgengabe an die Franzosen sein. Vielleicht gestalten sich damit die Diskussionen unten den ehemaligen Finanz-Achsenmächte Deutschland-Frankreich etwas relaxter und inhaltsreicher.
Die deutsch-französische Währungszusammenarbeit wurde durch das Auffliegen des EWS – vorgestern – durchaus nicht eingestellt. Es wurde nur klar gestellt, dass Deutschland der Schrittmacher zur neuen Währungsordnung ist, und zwar ohne die Behinderung durch einen guten Freund, der den Akteuren stets in den Arm gefallen ist, wenn irgendwelche Maßnahmen anstanden. Wenn es die Franzosen nicht selbst waren, dann heftete sich die Meute der Spekulanten an den französischen Franc, den zu retten dann die Bundesbank wieder antreten musste, wobei jeweils auch ein gutes Stück deutscher Stabilitätspolitik auf der Strecke blieb. Durch die Interventionsverpflichtungen stieg schließlich das Geldmengenwachstum in Deutschland ins Astronomische.
Welche Bedeutung hat aber das jetzt festgesetzte breite Interventionsband von 30 Prozent? In einer solchen Bandbreite kann man fast ein weltweites Währungssystem installieren. Da passt alles hinein. Auf Europa bezogen soll dies auch für die nächste Zeit gelten. Da muss alles eingepasst werden können. Alle Mitglieder des EWS haben jetzt die Chance, ohne Komplikationen den Währungsstandort ihres nationalen Geldes selbst einzupegeln und können mit aller Kraft und auf eigene Faust ihre Paritäten zur D-Mark suchen und zu halten versuchen. Ohne Schwierigkeiten wären da auch neue Währungen, Währungen von Neulingen in der EG einzubauen. Und je enger der Währungsverbund der Teilnehmer wird und aus eigener Kraft zusammenhält. Umso solider wächst die Stabilitätsgemeinschaft des dann immer größer werdenden D-Mark-Blockes zusammen. Klarer noch als bisher wird sich zeigen, dass das EWS ein D-Mark-Block ist und dass man allein mit diesem Anker das europäische Schiff vernünftiger Geldpolitik stabilisieren kann. Die Faxen mit der Kunstwährung ECU (European Currency Unit – eine französische Erfindung) haben ein Ende gefunden. Jetzt hat sogar Ungarn seine ECU-Bindung aufgegeben und auf die D-Mark-Relation umgestellt.
Im EWS selbst dürften sich die 15-prozentigen Bandbreiten nach oben und unten letztlich wie ein Trichter auswirken, wenn man so will, wie ein Maastrichter. Nur so kann – irgendwann einmal – die Wirtschafts- und Währungsunion im Sinne der Maatrichter Verträge in richtiger Weise erreicht werden. Hollands Notenbankchef Wim Duisenberg hat schon zugesichert, sein Haus verteidige die enge Bindung des Gulden an die D-Mark. Er bleibe bei den 2,25 Prozent. Belgien/Luxemburg wollen sich auch nicht abkoppeln lassen. Der österreichische Schilling hält ohnehin an der Mark fest. Selbst Portugal ließ mitteilen, dass es die zweimal 15 Prozent nicht nötig habe. Dänen und Spanier suchen noch ihren Platz. Italien kann wieder zurückkehren ins EWS (30 Prozent). Die Briten schaffen es ebenso, wenn sie wollen. Auch Frankreich hat die Aufgabe, sich realistisch einzupegeln. Das dürfte das Hauptthema – selbstverständlich diplomatisch sehr verklausuliert – beim heutigen deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrat sein.
Geldpolitik – und wo bleibt da die Ethik?
17.9.93
Bundesbankpräsident, Professor Helmut Schlesinger, plaudert aus dem Nähkästchen. Bei einem Gala-Essen hatte sich eine Dame aus bester Gesellschaft im Gespräch mit ihm ihr entscheidendes Argument bis zum Schluss aufgehoben: „Jetzt haben Sie mir soviel über Geld erzählt,“ sie zog die Augenbraue hoch und fuhr fort: „Wo bleibt da die Ethik?“
Geld und Ethik, das uralte, ewig neue Thema! Jetzt hatte sie die Chance, endlich einmal einem Notenbankchef den Spiegel vorzuhalten, einem Manne, der das Geld selbst macht, um die Ohren zu hauen, wie jämmerlich er dasteht. Natürlich wirft eine solche Attacke einen hart gesottenen Ökonomen ohne Gefühle keineswegs um. (Schlesinger über Schlesinger: Gefühle leiste ich mir in meinem Amt nicht) Er blieb väterlich gütig und entwickelte eigens für die Dame seine ökonomische Ethik, die letztlich mehr hergibt als das landläufige Ethik-Geschwätz, das heutzutage in vielen Gesellschaftskreisen, aber auch Pfarreien und den meisten Parteizirkeln gepflegt wird.
Welche Ethik sollte das sein, wenn Kali-Gruben erhalten werden, die am Markt nicht bestehen können und jedes Pfund Salz mit x-Mark subventioniert wird. Gelder, die erst dem Staat und dann den Bürgern aus der Tasche gezogen werden. Für Schlesinger gehört es zu den größten Fehlern, wenn unrentable Betriebe erhalten werden. Das gilt insbesondere auch für den nicht sanierungsfähigen Teil der Treuhandunternehmen in den neuen Bundesländern. Die Ethik eines Notenbankpräsidenten wie Schlesinger, zielt darauf, den Wohlstand des Volkes zu mehren. Seine Ethik heißt Stabilitätspolitik, die die beste Sozialpolitik ist. Durch Teuerung verarmen die meisten Menschen, insbesondere die Bezieher kleiner Einkommen.
Was die Stabilität der D-Mark nach innen und außen betrifft, kennt Schlesinger daher kein Pardon. Gerade penibel doktert er da herum und scheut auch nicht vor höchst brisanten politischen Aktionen zurück. Der Fundamentalist und Stabilitätspolitiker Schlesinger kennt genau den Punkt, wo es Zeit wird grundsätzlich zu werden, wo er für seine Ethik Farbe bekennen muss.
In den zwei kurzen Jahren seiner Präsidentschaft hat er auf diese Weise die europäische Währungsgeschichte neu formuliert. Schon vorher urteilte der ehemalige amerikanische Finanzminister, James Baker: Schlesinger entdeckt unter jedem Kieselstein eine Inflationsgefahr. Damals war es nicht ohne Dollar-Turbulenzen im Zusammenhang mit deutschen Zinsentscheidungen abgegangen. Zu jener Zeit stand der Dollar im Mittelpunkt des Gezerres. Politisch noch viel gravierenden entwickelten sich die Aktivitäten des Zentralbankrates in den 25 Monaten der Schlesinger Präsidentschaft.
Dabei galt es die von Anfang an schief gewickelten Maastrichter Verträge neu aufzuspulen und den Realitäten im Europa der Währungen anzupassen. Drei Grundsätze waren hier zu berücksichtigen: Geldwertstabilität nach innen, Verantwortung für Europa und Primat der Politik.
Mehr als die Bonner Politiker haben Schlesinger und seine Leute auf die politische Komponente geachtet: Eine Währungsunion kann ohne politische Union nicht funktionieren, ist ihr Credo. Irgendwann fand der französische Staatspräsident Mitterand auch verständnisvolle Worte in Richtung Bundesrepublik: „Sicherlich muss auch Frankreich gewisse Souveränitätsopfer bringen, aber die Deutschen opferten immerhin die stabile D-Mark.“ Für Schlesinger ist klar, dass man Stabilität nicht opfern darf, wenn nichts Gleichwertiges an die Stelle tritt. Letztlich wurde die politisch verhängnisvolle Konstellation des einseitigen Aufbaus einer europäischen Währungsunion zu Lasten von Stabilität und D-Mark abgeblockt – durch die Rückbesinnung des Zentralbankrates auf seine ureigensten Aufgaben der Sicherung der Geldwertstabilität in Deutschland.
Eine Diskonterhöhung im Juli 92 und eine nicht erfolgte Diskontsenkung im Juli 93 wirkten wie Sprengsätze. Erst verließen Italiener und Briten das EWS, dann wurde es durch die weite Bandbreite von zweimal 15 Prozent praktisch außer Kraft. Die Briten rückten in diesem Zusammenhang Schlesinger in die Nähe der alten deutschen Wehrmacht. Andere sprachen von Rambo-Methoden. Dabei ging es im nichts anderes als um Stabilitätspolitik gepaart mit dem Machtwillen, diese auch durchzusetzen.
In dem silber-schwarz-golden gehaltenen Vasareli-Saal im 13. Stock der Bundesbank sagte Schlesinger: „Wir sind keine Regierung, auch keine Gegenregierung. Wir arbeiten mit Bonn eng zusammen.“ Der große alte Herr verabschiedet sich Ende September in den Ruhestand. Er hinterlässt ein geldpolitisches Terrain, das wieder vernünftig beackert werden kann.
Bei dem Mittagessen, das Schlesinger zum Abschied gegeben hat, saß ich mit dem Rücken zur Fensterfront. Ich hatte genügend Muße mir den von Viktor Vasareli, dem französischen Maler und Grafiker, gestalteten Raum genauer zu betrachten. Rechts und links der silbern glänzenden Doppeltür hat der Künstler großflächige Rauten auf der Textil bespannten ockerfarbenen Wand platziert. Die Rauten sind zusammengesetzt aus jeweils 25 Alu-Tellern mit einem Durchmesse von je 25 cm. Diese flachen Silberscheiben wollen wohl an Münzgeld erinnern, an Rohlinge, die erst noch durch eine Prägung ihres Wertes harren.
Auch die Seitenwände sind mit diesen Scheiben bepflastert, allerdings nicht in Alu natur sondern bemalt. Rechts von mir ist die untergrundige Wandfläche in Metallikgold gehalten, auf der anderen Seite in Metalliksilber. Die Scheiben schweben wie auch die Rauten wenige Zentimeter vor der Wand, gehalten von einem Dorn. Über dem silbernen Hintergrund tanzen die Teller in Gelbgold bis Tiefschwarz: 25 x 10 Teller mit einer goldenen Achse. Dieses Tellerspiel wiederholt sich rechts von mir auf goldenem Grund mit silberner Achse und bis ins Anthrazitgraue changierende Scheiben. Gold und Silber symbolisieren die Währungsmetalle. Schwarz und Grau gelten als Kontrast, vielleicht Schwarzgeld und Grauzonen der Geldpolitik?
Washington, 28.9.93
Wieder in Washington zur Weltwährungstagung von IWF und Weltbank. Es liegt viel Segen darin, über viele Jahre hinweg solche Veranstaltungen besuchen zu können. Ich bin abermals Gast in der Luftwaffenmaschine des Finanzministers. Höhepunkte bilden in diesen Tagen das Abendessen in der Phillips-Collektion und der Empfang im Museum of American Art/Renwick Gallerie sowie die Schlesinger Ehrung in der US-Zentralbank Fed.
Die Renwick-Gallerie (nach ihrem Erbauer benannt) liegt an der Ecke Pennsylvania Ave/17. Straße, ein repräsentatives Gebäude im Stil der Neo-Renaissance oder besser des 2. französischen Empire. Überzeugend das Entrée und das stolze Treppenhaus, eine lange schöne Stiege bis in die Repräsentationsräume im Obergeschoß, Beletage comme il faut. Natürlich hat unten ein Schwarzer die blank geputzte Messing-Glas-Tür aufgehalten. Hübsche Blondinen erbitten ein Autogramm und die Hinterlegung der Visitenkarte in einer ausladenden Silberschale. Auf jeder der drei Dutzend Stufen (oder mehr) aufwärts stehen rechts und links Partyleuchter, Glasschalen mit schwimmenden Flammen. Es macht Eindruck, die Marmortreppe über einen schweren blauen Teppich hinauf zu schreiten, begleitet von dem Kerzenschein.
Die Balustraden oben sind mit üppigen Blumengebinden geschmückt. Im Zenith ein Renaissance-Himmel im Golddekor. Der große Saal, den ich nach einigem Händeschütteln betrete (ich bin Gast bei der in einem Weltverband – Unico – zusammen geschlossenen Gruppe der Kreditgenossenschaften), hat wunderschöne, geradezu erhabene Ausmaße. Um die reichlich beladenen Büffettische drängeln Menschentrauben. – Der Wein ist schlecht.
Wegen seiner optischen Wirkung fällt mir der Dessert-Tisch auf: erlesene süße Sachen und große Silberkörbe mit riesigen Brombeeren, ausgesuchten Erdbeeren, prallen Blaubeeren und herrlichen Himbeeren.
Der sehr hohe Saal ist ringsherum, von unten bis oben mit größeren und kleineren Ölgemälden voll gehängt: American Art des 19. Jahrhunderts. Zum größeren Teil unmögliche Schinken ohne jeden künstlerischen Wert. Von den mehr oder weniger nackten Frauen geht eine nur wenig anheimelnde Schwüle aus. Aus den Porträts und Familienbildern spricht die brutale, reiche aber seelisch arme Enge der wohlhabenden amerikanischen Gesellschaft des vergangenen Jahrhunderts. Ein Gemälde reizt mich, eine sehr schöne Landschaft mit Gebirge. In den Nebenräumen wird modernes Kunsthandwerk ausgestellt. Extravagante Holzbänke, ein Schaukelstuhl für Zwei, Schmuck, überwiegend sehr gute Arbeiten.
Bei der Weltfinanztagung präsentieren sich die Deutschen abermals stark. Wenn manches dabei nicht immer gelingt, schadet dies dem Gesamteindruck nicht. Deutschland und sein Geld haben in Washington einen gewissen Sexappeal. Hier wird nicht nur mit der Weltwährung D-Mark aufgewartet, sondern Deutschland gehört auch zu den potentesten Zahlern für die Weltorganisationen IWF und Weltbank. Die Deutschen wollen nach Möglichkeit auch ein gehöriges Kuchenstück aus dem weltweiten Finanzgeschäft herausschneiden, das in Washington auf vielen Etagen angeboten wird. Sie sind natürlich ehr-geizig, predigen oftmals vom Katheder und immer machtbewusster werden sie auch.
Als die Luftwaffenmaschine mit Finanzminister Waigel dieser Tage in der amerikanischen Hauptstadt landete, nahm ein deutscher Oberst die Delegation in Empfang und begrüßte im Namen des „Bundeswehr-Kommandos USA-Kanada“. So nennen sich jetzt unsere Grauröcke in Nordamerika. Ganz in diesen Kontext passt dann auch die Frage eines alten amerikanischen Journalisten auf der Pressekonferenz der Commerzbank im traditionsreichen Adams Hotel unweit des Weißen Hauses. Die Pressekonferenz wurde in Englisch abgehalten, das jeder deutschen Unterprima Ehre gemacht hätte. Dieser alte Journalist sprach amerikanisch. Nur ein Wort kam deutsch: Reichskanzler. „Ob denn Reichskanzler Kohl mit dieser und jener Entwicklung einverstanden sei?“ Merkliche Irritationen beim Bankenchef, Martin Kohlhaussen, und Verbesserung auf Kanzleramt.
Bald darauf bewegten sich die Eingeweihten der Washingtoner Finanzgemeinde, Deutsche und Amerikaner, Briten und Japaner, Juden und Christen zum Federal Reserve Board, der kurz „Fed“ genannten amerikanischen Zentralbank: 20ste / Ecke C-Straße. Das Magazin „The International Economy“ hat sich in den Kopf gesetzt, den deutschen Notenbanker, Helmut Schlesinger, zum Amtsabschied zu feiern. An diesem Wochenende kam es öfters vor, dass Schlesinger in internationaler Runde mit Lobeshymnen bedacht wurde. Der amerikanische Finanzminister, Lloyd Bentsen, hat sich da für G 7 ebenso in verbale Gala geworfen, wie später – Bentsen – als Vorsitzender der G 10. Am Sonntag dann die Fete in der Fed.
Das zentrale Treppenhaus eignet sich für solche Ereignisse vorzüglich. In strenger klassischer Architektur: rechts ne Treppe, links ne Treppe, oben eine Balustrade, in der Mitte eine geräumige Piazza und hinten auf der Empore stämmige Säulen, dorisch. Dort in der mittleren Öffnung hatte ein Streichquartett Platz genommen – vielleicht war es auch nur ein Trio – und spielte mit kräftigen Strichen Mozart und andere Klassik.
Alan Greenspan, der Hausherr, murmelte Verständnisvolles über die deutsche Geldpolitik und gebar das Bonmot: „Mr. Schlesinger is centralbankers centralbanker.“ Wim Duisenberg, Notenbankchef aus Amsterdam, lobte die wichtige Rolle der deutschen Zentralbank in und für Europa. Der scheidende Bundesbankpräsident fühlte sich sichtlich wohl. Mit Stolz dachte er an die Zeit zurück, wie er als kleiner Abteilungsleiter die Fed schon besucht habe und damals in Washington mit der herablassenden Distanz der Welt-Geldregierung behandelt worden war und wie dann später genau jene Leute in Frankfurt bei ihm antichambrierten. So ändern sich die Zeiten. Er kam auf die Amtsübergabe an seinen Nachfolger, Hans Tietmeyer, zu sprechen. Im amerikanischen Sprachgebrauch wird dies mit einer Helmübergabe symbolisiert. Der Punkt war erreicht. Helm ab ….
In den drei Tagen bis zu diesem Augenblick galt für Schlesinger eher die Devise: Bart ab, denn der Internationale Währungsfonds unter der Leitung des Franzosen Michel Camdessus will nichts mehr von Geldmengen- und Anti-Inflationspolitik wissen. Sie werden neuerdings in den IWF-Berichten tot geschwiegen. Allein der Wirtschaftsankurbelung mit allen Mitteln nur nicht der Stabilität wird das Wort geredet. Für deutsche Monetaristen ein großer Sündenfall.
So dozierte der Bundesbanker am Potomac denn auch immer wieder streng: Wer die Zusammenhänge von Geldmengen-Entwicklung, Sozialpolitik und Preise nicht zur Kenntnis nimmt, hat nichts begriffen. Letztmalig wird Schlesinger den Vertretern aus 180 Staaten der Welt diese Zusammenhänge bei seiner heutigen Rede als deutscher IWF-Gouverneur vortragen, ans Herz legen, ins Stammbuch schreiben.
Wunden lecken und Kräfte sammeln
Nachdem es vor sechs Wochen nicht gelungen war, die D-Mark zu einer Abwertung im EWS zu zwingen, konnten George Soros und seine Artgenossen das Währungssystem immerhin über die Franc-Spekulation knacken. Zwar hatten sich die Franzosen eher ausgemalt, mit Hilfe der Spekulaten die D-Mark aus dem EWS zu werfen. Das aber ging schief. In einem beispiellosen Befreiungsschlag, wie es Finanzminister Theo Waigel ausdrückte, kam es dann am 1. August zur Festlegung der nun geltenden 30-prozentigen Bandbreiten und damit zur tatsächlichen Außerkraftsetzung des EWS, insbesondere seines Interventionsmechanismus.
Da Spekulanten ihr Geld aber partout durch Spekulation verdienen wollen, suchen sie sich immer neue Opfer. Ins Visier geriet der österreichische Schilling, der seit Jahrzehnten als treuestes und erstes Mitglied des D-Mark-Blockes an die deutsche Währung fest angebunden ist. Sieben Schilling für eine Mark ist seit den 50er Jahren ein festes Datum für Urlauber und den Güterverkehr. Das wird auch so bleiben. Die Österreichische Nationalbank und die Bundesbank standen die Spekulationsspringflut durch. Ein Angriff auf den niederländischen Gulden, der seine feste Bindung an die Mark kürzlich als einzige EWS-Währung nicht aufgegeben hat, könnte als Nächste anvisiert werden. Aber auch der Schulterschluss der Amsterdamer Notenbank mit der Bundesbank ist fest und in sich konsistent. Dies umso mehr als der Holländer Wim Duisenberg am 1. August durch eine geschickte Aktion während der nächtlichen Währungsverhandlungen in Brüssel den Rahmen des EWS gerettet und französische Hackentricks zum Hinauswurf der Deutschen vereitelt hat.
Seit Beginn dieses Monats lecken die Geldbpolitikter ihre Wunden. Neubesinnung ist aber gefordert. Für das Währungseuropa ist ebenso eine Neuformulierung der Politik angesagt, wie sie Bundesaußenminister Kinkel jetzt für die gesamte deutsche Außenpolitik in Aussicht gestellt hat. Man muss mit dem Bau von Europa in Richtung einer Währungsunion und einer politischen Union ganz von neuem beginnen.
Die Ecksteine müssen und können nun nvon vorne herein richtiger gesetzt werden als bisher. Es darf nicht mehr eine zwergwüchsige politische Union einem tönernem Riesen der Währungsunion gegenüberstehen. Zwar wird Maastricht allenthalben noch beschworen, aber niemand glaubt mehr an die Verwirklichung der Verträge. Selbst der Europäer aus Leidenschaft, Helmut Kohl, spricht unüberhörbar von einer Verschiebung der Währungsunion um einige Jahre, auf bessere Zeiten hin. Der italienische Ministerpräsident, Carlo Ciampi, er war vor noch gar nicht langer Zeit Notenbank-Gouverneur in Rom, will zwar noch auf die alte Tour weitermachen. In einem Schreiben an Kohl setzt er sich für eine gemeinsame Verantwortung der europäischen Partnerländer für die EG-Währungen und die notwendigen Interventionen ein.
Der EG-Sondergipfel im Herbst sollte neue Vorschläge und Mechanismen für die Währungsunion erarbeiten. Das ist der alte Dreh, dass man ohne große eigene Anstrengungen wieder die Geldsouveränität der Bundesbank einbinden, paralysieren will. Das glauben selbst die Franzosen nicht mehr, hier auf die schnelle Tour verlorengegangenes Terrain wieder gutmachen zu können. Der französische Ministerpräsident Edouard Balladur wird sich Ende August mit Kohl eingehend darüber unterhalten, wie die Zukunft angegangen werden sollte. Auch Balladur winkt ab, wenn das Thema Maastricht genannt wird. Viel schlimmer ist aber das tiefgreifende Missverständnis, das sich zwischen Deutschland und Frankreich – im gegenseitigen Verhältnis – eingenistet hat.
Deutsche und Franzosen verstehen einander nicht mehr, weil die Deutschen einer verträumten Europa-Ideologie nichts mehr opfern wollen und die Franzosen für Europa noch nie etwas opfern wollten. Dazu kommen eine tiefgreifende Rezession und wachsende Arbeitslosigkeit in beiden Großstaaten der Gemeinschaft, nicht nur da, sondern überall in der Staaten-Familie. Das könnte die europäischen Nachbarn dazu verleiten, in einen Abwertungswettlauf zu treten, um den Export aufzumöbeln. Die Stabilität bliebe allerdings auf der Strecke un die Währungsgemeinschaft würde noch töter getötet.
Dänische Exporteure verlangen bereits eine Kronen-Abwertung und in Frankreich liegen die Dinge ähnlich. Wie soll dabei eine europäische Währungskooperation wieder zustande kommen, eine Kooperation, die den Namen verdient und Stabilität meint? Deutschland bleibt nichts anderes übrig, als seinen Augias-Stall der Finanzen in Ordnung zu bringen und eine klare Stabilitätspolitik zu betreiben. Da kann sich dann, wer will wie Österreich oder die Niederlande ganz bieder und ernst gemeint anschließen. Das Weltgeld in Europa heißt immer noch D-Mark.
Nun raffen sich wenigstens die Bonner Koalitionspolitiker auf, das hinzubiegen, was der Regierungschef in Maastricht vor fast zwei Jahren versäumt hat. Noch voll des Glücks der Wiedervereinigung und in lauterer Europa-Euphorie hatte Kanzler Kohl beim EG-Gipfeltreffen in Maastricht die Realpolitik vernachlässigt und nicht mit aller Macht darauf gedrängt, dass von Anfang an Frankfurt als Sitz der Europäischen Zentralbank in die Verträge der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hinein geschrieben. Mancher Währungsärger wäre auch dann nicht erspart geblieben, aber ausgehend von Maastricht und im ehrlichen europäischen Bemühen, für die EG alles richtig in die Wege zu leiten, hätten die Deutschen vom Start weg mit der Währungsunion ernst gemacht. Europa hätte viel gewonnen.
So aber folgten dem Maastrichter Treffen Jahre interner Machtkämpfe und offener Streitereien, die einerseits den deutschen Anspruch auf die EG-Zentralbank untermauern sollten und andererseits klarstellten, dass die Nachbarn durchaus nicht gewillte sind, die für die europäische Zukunft so wichtige Notenbank nach Deutschland zu vergeben. Die Briten sagten das jetzt ganz laut. Die Franzosen sekundierten etwas leiser.
Zwischenzeitlich hat sich die Devisenspekulation in Europa gesund gestoßen. Die Bundesbank intervenierte mit dreistelligen Mark-Beträgen zugunsten von Pfund Sterling, Franc, Lira und andere. Und schleißlich wurde das EWS mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. In eine 30-prozentige Bandbreite für die Devisenkurse kann ein ganzes Weltwährungssystem einschließlich Dollar und Yen gesteckt werden. Das EWS hat damit seinen Sinn als Quasi-Festkurs-System verloren.
Und nachdem fast alles Geschirr zerschlagen ist, zertöppert Finanzminister Theo Waigel (CSU) den Rest und Außenminister Kinkel (FDP) trägt das Seine dazu bei. Waigel wörtlich: „Entweder die Europäische Zentralbank kommt nach Frankfurt oder aus der ganzen Veranstaltung wird nichts.“ Dieses Spiel wird schon seit Maastricht gespielt. Die Frage heißt nur, warum poltert Waigel auf diese laute Weise zu einer Zeit, wo das politische Umfeld nach dem Kladderadatsch so weit befriedet erschien, dass man annehmen durfte, die EG-Freunde hätten die normative Kraft des Faktischen akzeptiert, dass Frankfurt der Mittelpunkt der europäischen Geldpolitik ist. Außerdem hätten es die Deutschen verdient. Und ganz gewiss ziehe Europa Nutzen daraus.
Erst vor wenigen Wochen hatte Waigel in Brüssel doch lautstart verkündet, er habe für den EZB-Sitz Frankfurt die Zustimmung aller seiner EG-Finanzminister-Kollegen. „Pustekuchen“ konterten sofort die Briten. So wurde schon damals offensichtlich, dass Waigel nicht die notwendigen 12 Stimmen für die Sitzfestlegung hatte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an hätte klar werden müssen, dass deutscherseits eine Doppelstrategie gefahren werden muss, die sogar noch eine dritte Dimension hat. Erstens: Deutschland besteht auf den Sitz der EZB. Wenn er aber nicht zu haben ist, muss – zweitens – der Schuldige klar ausgemacht werden. Drittens kann es Deutschland ganz recht sein, wenn aus der ganzen Veranstaltung – Europäische Währungsunion – nichts wird, denn die Bundesbank kann das Geschäft alleine betreiben. Im Sinne der Stabilitätspolitik für Deutschland und Europa sogar noch besser, wenn ihr nicht elf andere Staaten mit falschen Wirtschafts- und Finanzpolitiken sowie egomanen geldpolitischen Vorstellungen in Geschäfts pfuschen. Wenn die Einzelstaaten ihre Währungen nach den eigenen Bedürfnissen
(oder auch zur Ausbügelung einer falschen Geldpolitik) auf- und abwerten können, bietet dies zusätzliche wirtschaftspolitische Chancen und bringt somit große Vorteile für die Einzelstaaten.
Die Bundesbank stellt im Europa des Geldes die stärkste Kraft dar. Sie kann als Schöpferin der zweitwichtigsten Reserve-Währung der Welt – nach dem Dollar und vor dem Yen – weitgehend nach ihren rationalen Strategien schalten und walten. Fast automatisch müssen sich die anderen europäischen Währungen der D-Mark und ihren Zinsen zuordnen. Deutschland ist politisch in einer komfortablen Lage. Wir brauchen die EG-Zentralbank nicht.
Derzeit läuft in Europa ein unglaublich harter Machtkampf ab, der in anderen Zeiten der europäischen Geschichte durchaus in eine heiße Phase hätte treten können. Anfang August wollte Frankreich Deutschland aus dem EWS hinaustrixen, um argumentieren zu können: Mit den Deutschen ist keine Währungsunion und kein Europa zu machen, auf lange Zeit jedenfalls nicht. Waigel und Schlesinger haben den Braten gerochen und mit Hilfe der Niederlande das EWS plakativ erhalten.
Der Kampf geht in die nächste Runde. Europa wächst unter Schmerzen, aber es wächst. Man darf sich nur nicht aus der Ruhe bringen lassen, immer versuchen die besseren Karten zu haben, gleichzeitig aber auch eine europäische Idee umsetzen wollen.
Schlesinger geht – Tietmeyer rückt auf
Wechsel an der Spitze der Bundesbank. Wechsel von konservativ zu konservativ, von schwarz zu schwarz mit einem roten Spritzer. Heute, am 30. September 1993, hat Professor Helmut Schlesinger seinen letzten Arbeitstag. Ab Morgen regiert Prof. Hans Tietmeyer in der Deutschen Bundesbank zu Frankfurt. Über Nacht wächst er vom Vizepräsidenten in die Schuhe des Präsidenten hinein. Vizepräsident wird Johann Wilhelm Gaddum. Und so sehr sich die beiden im Amt neuen Leute menschlich und intellektuell auch unterscheiden, sie sind beide CDU-Mitglieder und enge Vertraute von Kanzler Kohl. Außerdem vertragen sie sich.
Für den ausscheidenden konservativen Schlesinger, der keiner Partei angehört, rückt der bisherige rheinland-pfälzische Finanzminister Edgar Meister ins Direktorium nach. Meister gehört der SPD an und Zählt zum engsten Berater- und Freundeskreis des Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping. Im siebenköpfigen Direktorium der Bundesbank hält er als einziger die blassrote Fahne der SPD hoch. Das wird aber die in ihrer Unabhängigkeit komfortabel eingerichteten deutschen Zentralbanker
kaum irritieren, weder den einen noch die anderen, denn vor der politischen Kungelei hat in der Bundesbank der Sachverstand das Sagen.
Schlesinger war immer die graue Eminenz in der Frankfurter Geldschaltzentrale, auch weil er als Chef der Bereiche Volkswirtschaft und Statistik Einfluss hohe Kompetenz hatte. Seine politische Bedeutung hat er erst durch das Präsidentenamt erhalten. In den sehr schwierigen zwei Jahren seiner Regentschaft hat er die durch Inflation und Außenpolitik gefährdete D-Mark wieder knackig frisch und in jeder Weise gesund gemacht.
Tietmeyer musste nicht auf das Amt warten, das ihm Morgen übetragen wird, um politische Bedeutung zu erlangen. Er wird allerdings Gelegenheit haben, da noch einiges draufzusetzen. Seine historische Bedeutung hat Tietmeyer in die deutsche Geschichte geschrieben durch Entwurf und Aushandlung der deutsch-deutschen Wirtschafts- und Währungsunion. Er war kaum ein Vierteljahr Mitglied des Direktoriums der Bundesbank als Kohl seinen ehemaligen Sherpa für die Weltwirtschaftsgipfel und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wieder nach Bonn holte und nach Berlin schickte, um die Vereinigung Deutschlands über die D-Mark vertraglich zu bewerkstelligen. Der Zentralbankrat hat seinen damaligen Neuling gerne und einstimmig für diese Aufgabe wieder frei gestellt. Mit großer Bravour unter höchstem Zeitdruck hat Tietmeyer das Geforderte geleistet. Zum 1. Juli 1990 konnte die deutsch-deutsche Wirtschaft-, Währungs- und Sozialunion in Kraft treten.
Als Tietmeyer seine Geld-Vereinigung gestemmt hatte, übernahm sein Vizepräsident von Morgen, also Gaddum, die Exekution. Von Anfang an hat er das Geldsystem in den neuen Bundesländern umgestellt, die Organisation der Bundesbank in der ehemaligen DDR aufgebaut, das Geldwesen dort auf westlichen Standard gebracht. Damals wurde auch die Formel für das längerfristig konzipierte gesamtdeutsche Bundesbank-Management entwickelt. Für Kohl war der SPD-Mann Karl Otto Pöhl zu zögerlich in der Vereinigungsfrage. Pöhl war dagegen. Kohl deshalb gegen Pöhl. Der politisch sichere Tietmeyer sollte belohnt werden. Pöhl ging. Schlesinger rückte nach. Tietmeyer wurde Vize und hat für die Zukunft Gaddum an sich gebunden.
Tietmeyer – Jahrgang 1931 – kommt aus Münster in Westfalen, hat zunächst Theologie, dann Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert, versuchte es erst in der Verwaltung katholischer Stiftungswerke, wechselte aber bald in Wirtschaftsministerium, später ins Finanzministerium. Zu seinen Lieblingsblumen gehören Rosen, sein Lieblingsvogel ist der Adler (!), zu seinen größten Untugenden gehört die Ungeduld. So urteilt Tietmeyer über sich selbst.
Sein Vize Gaddum – Jahrgang 1930 – kann viel Geduld aufbringen und hat vielleicht keinen Lieblingsvogel. Er hat aber eine Handelslehre absolviert und dann Wirtschaftswissenschaften studiert. In Rheinland-Pfalz wurde er CDU-Fraktionsvorsitzender und finanzminister. Zum Ministerpräsidenten hat es dann nicht mehr gebracht. Die Karriere in der Bundesbank brachte aber keineswegs weniger Einfluss. Tietmeyer und Gaddum werden viele geldpolitische Kämpfe in Europa und der Welt zu bestehen haben. Die Europäische Währungsunion muss richtig organisiert werden. Da wartet ein Jahrhundertwerk auf beide und den gesamten Zentralbankrat.
Feierliche Amtsübergabe im Palmengarten
Keine deutsche Obsession
- Oktober 1993
Prof. Helmut Schlesinger (Auszüge aus seiner Rede): Heute, da ich von meiner beruflichen Wirkungsstätte, der Deutschen Bundesbank, Abschied nehme, habe ich vor allem das Bedürfnis zu danken, zuerst allen, die diesem Wechsel im Amte des Bundesbankpräsidenten und Bundesbankvizepräsidenten in den Palmengarten der Stadt Frankfurt gekommen sind, ein Platz, an dem diese Stadt schon vor 100 Jahren und mehr schöne Feste gefeiert hat. Die Anwesenheit des Regierungschefs Deutschlands in diesen Räumen ist für uns eine besondere Ehre, Herr Bundeskanzler. Ein solch hoher Besuch in diesen Räumen ist freilich nicht ganz ohne Präjudiz, auch die Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II waren hier – verständlicherweise. Sie mussten ja versuchen, bei den nicht lange zuvor zwangsweise zu Preußen gemachten Frankfurtern einen guten Eindurck zu machen.
Herr Bundeskanzler, Sie sind vorhin auf die Lage der Nation eingegangen, die Bewältigung der historischen Aufgabe, Deutschland wieder zu vereinen, und gleichzeitig – wie es in der Präambel unseres Grundgesetzes heißt – „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.
Die Bundesbank ist an diesem historischen Prozess in jenem Teilbereich engagiert, der ihr kraft ihres Auftrages zukommt. In den letzten drei Jahren hierß das: Erstens, Schaffung der Währungsunion mit der DDR und alsbald eines einheitlichen Währungsraumes für das wiedervereinigte Deutschland. Und zweitens, die Fortsetzung der monetären Integration in der EG mit der Zielsetzung einer späteren Währungsunion gemäß dem vom Gesetzgeber ratifizierten Vertrag von Maastricht.
Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich bekenne, dass beide Aufgaben zusammen zu lösen nicht frei von Konflikten sein konnte und vielleicht noch länger sein kann. Wofür ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, im Rückblick auf meine Amtszeit nun besonders danken möchte, ist, dass Sie in dieser Zeit, gerade auch in der Zeit, als Spannungen im Europäischen Währungssystem aufkamen, die Bundesbank voll unterstützt haben. Im Herbst letzten Jahres und im Sommer dieses Jahres sind Sie, zusammen mit dem Bundesfinanzminister, auf unsere Bitte eingegangen, durch Verhandlungen mit unseren Partnern die Bundesbank von weitergehenden, mit der Stabilität unserer Währung nicht mehr verträglichen zwangsweisen Devisenankäufen zu befreien mit Maßnahmen, die von unseren Partner akzeptiert wurden. ……
In dieser Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesbank habe ich in gleicher Weise dem Herrn Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel, zu danken. Der erste Präsident des Direktoriums der Bank deutscher Länder, Herr Geheimrat Dr. W. Vocke, hat an den damaligen Bundesfinanzminister, Herrn Fritz Schäffer, geschrieben: „Die Schicksalsfrage der Währung ist die Unabhängigkeit der Notenbank … und eine der wesentlichen Garantien zum Schutz der Währung“. Dies Ihnen zu schreiben, lieber Herr Dr. Waigel, oder zu erklären, wäre nicht nur unnötig, es wäre deplatziert gewesen. Sie haben stets so gehandelt.
Ich habe – noch als Vizepräsident – mit Ihnen und es haben die Mitarbeiter unserer Häuser jenen Teil der deutsch-deutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zusammen ausgearbeitet, der die Bundesbank speziell betrifft, nämlich die Währungsunion. Das zwischen beiden deutschen Regierungen vereinbarte generelle Umstellungsverhältnis für Guthaben und Verbindlichkeiten von 2:1 geht auf den Vorschlag des Zentralbankrats der Bundesbank zurück; er ist im Grundsätzlichen von der Bundesregierung akzeptiert worden; die soziale Komponente – bei der Umstellung von Bankguthaben der Privatpersonen je nach Alter begrenzte Beträge 1:1 umzustellen – haben die Bundesregierung und die Regierung der DDR abweichend vereinbart, so dass hieraus global eine Umstellung 1,8:1 wurde, aber nicht 1:1, wie man jetzt immer liest. …..
Es ist heute nicht mehr an mir, für die Bundesbank, für die Geld- und Währungspolitik in Deutchland in die Zukunft zu blicken. Ich will auch nicht versuchen, ein Fazit aus meinen Jahren in der deutschen Notenbank zu ziehen. Manche haben schon geschrieben, das Ende meiner Dienstzeit sehe nicht so besonders gut aus. Gewiss, die Preissteigerungsrate liegt im Westen Deutschlands bei 4 Prozent; das ist unbefriedigend. In den Monaten von März bis September ist sie, auf Jahresrate umgerechnet, auf 2,7 Prozent gesunken. Das ist noch nicht voll befriedigend, aber ein Lichtblick. Wenn ich auf die 42 Jahre meiner Arbeit in der Notenbank zurückblicke, dann war die durchschnittliche Preissteigerung knapp 3 Prozent und damit weniger als in allen Industrieländern; nur die Schweiz hat ein fast ebenso gutes Ergebnis.
Mit der in über vier Jahrzehnten erreichten Glaubwürdigkeit für die D-Mark hängt es auch zusammen, dass der Außenwert der D-Mark in den letzten Jahren unbeschädigt blieb trotz aller inneren Probleme: Der Wiedervereinigung, den zu hohen Lohnsteigerungen 1991 und 1992, im Osten auch 1993, der Ausweitung des Defizits des gesamten staatlichen Sektors und der zeitweilig zu starken Ausweitung der Geldmenge. Die D-Mark hat in dieser schwierigen Periode gegenüber allen wichtigen Währungen nicht abgewertet, sogar leicht aufgewerte. Und die Rolle als Ankerwährung im EWS hat sie – trotz einiger voreiliger Grabreden – behalten. ….
Die europapolitische Komponente spielt seit der Gründung des EWS eine zentrale Rolle in den Entscheidungen des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank, immer freilich auch im Hinblick auf unser primäres Ziel der Geldwertstabilität, denn die Bundesrepublik ist ein gebranntes Kind im Hinblick auf ein Festkurssystem und die damit verbundene Ankaufspflicht für andere Währungen; kein Land hat das so erlebt wie wir im Bretton-Woods-System und dann im EWS. Gleichwohl ging unsere Loyalität gegenüber dem 1979 geschafenen EWS-System mit Zwangsankäufen von Devisen bis zu 60 Mrd. Dm in wenigen Tagen wirklich an die Grenzen des Vertretbaren. Diese Grenzen liegen in der Verantwortung für die Stabilität unserer Währung, und das ist mehr als eine wirtschaftliche Zielsetzung oder nur eine deutsche Obsession. Es ist auch ein Garant für politische und gesellschaftliche Stabilität, ein Unterpfand für persönliche Freiheit und Gerechtigkeit, ein Band, das Ost und West unseres Vaterlandes mehr verbindet als manchens andere, wenn ich das richtig sehe.
Centralbankers Bollwerk der Stabilität
Prof. Hans Tietmeyer (Auszüge aus seiner Rede): Sie, lieber Herr Schlesinger, stehen heute im Mittelpunkt dieser feierlichen Amtsübergabe. In unterschiedlichen Funktionen und Positionen – davon über zwanzig Jahre im Direktorium und zum Höhepunkt dieser Laufbahn als Präsident – haben Sie die Arbeit der Bank seit den 50er Jahren konzeptionell wesentlich mitgestaltet und geprägt. Ich meine, es ist keine Übertreibung und auch keine Verkennung der Leistungen anderer (die zum Teil hier anwesend sind), wenn ich sage: Ohne Ihre Arbeit und auch ohne Ihre Beharrlichkeit wäre die Bundesbank nicht das, was sie auch in den Augen der kritischen Finanzmärkte heute ist: Ein Bollwerk der Stabilität.
Dass dabei gelegentlich auch Kritik nicht ausgeblieben ist, ist nur zu verständlich. Aber Hartnäckigkeit in der Sache und Überzeugungskraft in der Argumentation dürfen nicht mit dogmatischer Engstirnigkeit verwechselt werden. Nicht zu Unrecht hat Fed-Chairman Alan Greenspan Sie beim Abschiedsempfang in Washington „The Centralbankers Centralbanker“ genannt. Ich bin überzeugt: Sie, lieber Herr Schlesinger, haben durch Ihre Arbeit in der Deutschen Bundesbank und durch ihre unbeugsame Haltung entscheidend zur Stabilität und zum Aufstieg der D-Mark zur zweitgrößten Anlage- und Reservewährung der Welt beigetragen. Und da die Attraktivität der D-Mark ohne Zweifel auch den Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands beschleunigt hat, haben Sie sich – der Bundeskanzler wird das sicherlich ebenso sehen – auch hierfür historische Verdienste erworben, von Ihrem unmittelbaren Anteil an den Verhandlungen über die innerdeutsche Währungsunion ganz zu schweigen. …..
Schon heute denken wir in der Bundesbank sehr wohl europäisch. Wir könen aber nicht eine Zentralbank für Europa sein. Dem Auftrag des Gesetzes nach muss die Bundesbank vor allem für die Stabilität unserer eigenen Wärhung sorgen. Wir sind und bleiben aber bestrebt, die internationalen und europäischen Rückwirkungen jeweils sorgfältig zu beachten. Herr Duisenberg hat in Washington zu Recht betont, dass die Politik der Bundesbank stets von Kontinuität, Stabilität und Integrität geprägt war und dies nach seiner Überzeugung auch in Zukunft der Fall sein wird.
Sie alle können versichert sein: Wir werden uns auch weiterhin mit ruhiger Hand um Stetigkeit und Verlässlichkeit bemühen. Für mich persönlich füge ich hinzu: Westfälische Eichen sind bekanntlich nicht nur fest verwurzelt, sie können erfahrungsgemäß auch Stürmen standhalten.
Verfassungsrichter: Weniger wilde Männer als milde Weise
Mit Sicherheit hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) mit seinem heutigen (12.10.93) Urteil nicht den wilden Mann in Europa gespielt. Eher die Rolle des Liberos wollte der 2. Senat des BVG in Karlsruhe übernehmen, des Liberos, der mit Argus-Augen darauf achtet, dass mit der Demokratie ganz allgemein in Europa nicht allzu viel schief läuft. Entscheidend sein, dass bei fortschreitender Integration innerhalb der Mitgliedstaaten eine lebendige Demokratie erhalten bleibe, heiß es da. Die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union und die Rechte der Europaparlaments müssten mit der Integration Schritt hatlen. Generalermächtigungen darf es an die Brüsseler Adressen nicht geben. Brüssel darf in keinem Falle der Überstaat werden. Und dann legen die Karlsruher Verfassungsrichter die Hand auf die Kasse: Der Maastrichter Vertrag ermächtige die Europische Union nicht, sich aus eigener Machtvollkommenheit Finanzmittel zu verschaffen. Insbesondere unterwerfe sich die Bundesregierung durch Maastricht nicht einem unsteuerbaren Automatismus für die Währungsunion.
Exakt, in unsere Sprache übersetzt, heißt dies: Es darf keine eigenen Brüsseler Steuern für die Europäische Union geben und wenn solche Ansätze bestehen, sollen sie schleunigst wieder verschwinden. Die EU und ihre Kommission bleiben die Kostgänger der europäischen Nationen und die Staaten werden sich verstärkt darum kümmern und kümmern müssen, dass der EU-Finanzmoloch, der sich da und dort schon überdeutlich bemerkbar gemacht hat, wieder beschnitten wird.
Nun das Thema Währungsunion: Die Karlsruher Richter haben unter dem Vorsitz von Ernst Gottfried Mahrenholz ganz klar festgestellt: Die Bundesregierung unterwerfe sich durch Maastricht nicht einem unsteuerbaren Automatismus für eine Währungsunion. Das verschaft jenen Bonner Politikern wieder Freiräume, die bisher geglaubt hatten, die deutsche Geldpolitik müsse möglichst schnell und unreflektiert Groß-Europa geopfert werden.
Mit diesem Einwurf haben die Richter die ungleichen Zwillinge Politische Union und Währungsunion nicht nur gleicher gemacht, sondern in ihrem politischen Gewicht vergleichbarer gemacht. Bisher ging Deutschland davon aus, die Politische Union müsse besser ausstaffiert, vervollkammnet werden. Der Vertrag zur Politischen Union müsse inhaltlich genauso schwer daher kommen, wie die Währungsunion bereits auformuliert ist. Nur so könne ein Gleichgewicht auch zwischen Geben und Nehmen der Völker hergestellt werden, die gemeinsam das europäische Haus bauen wollen.
Das Verfassungsgericht ist einen anderen Weg gegangen. Es hat die Währungsunion beziehungsweise die diesbezüglichen Verträge, genau so flau gemacht wie die Politische Union. Durch dieses BVG-Urteil ist für uns Deutsche Europa auf allen Ebenen wieder offener geworden. Die D-Mark bleibt, wo sie ist und was sie ist: gemanagt von der Bundesbank, Anker-Währung für Europa, zweitwichtigste Reservewährung für die Welt. Hier sei daran erinnert, dass die Weltbank gerade in diesen Tagen eine D-Mark-Globalanleihe auflegt. Das hatte es bisher noch nicht gegeben.
Wo stehen wir also jetzt mit unserer europäischen Geldweisheit? Das Verfassungsgericht hat keine neuen Breschen geschlagen. Die Herren mit und um Mahrenholz haben zusätzlich zur Exegese der Vertragstexte die Realpolitik der vergangenen zwei Jahre, seit Maastricht berücksichtigt. Sie haben also auch nicht den Fehler gemacht, eine Währungsunion da aufzupfropfen, wo sie politisch längst weggefegt war. In Karlsruhe sitzen weise Männer.
Wie sieht es jetzt mit dem europäischen Geld aus? Es kann etwas länger dauern, bis ein einheitliches Europa-Geld in Umlauf kommt. Ende Oktober wird der Sitz der Europäischen Zentralbank, bzw. des Vorgängers „Europäisches Währungsinstitut“ festgelegt. Der Sitz wird Frankfurt sein. Das Währungsinstitut nimmt am 1. Januar in der Mainmetropole die Arbeit auf.
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Wehnelts Privatbücherei:
10 Jahre Euro – Wie er wurde, was er ist
Hoechst – Untergang des deutschen Weltkonzerns
Der PreußenClan (Familiensaga)