Natixis: Europäische Aktien zwischen Hammer der Parlamentswahlen und Amboss Wall Street – Welche Auswirkungen hätte Wahlsieg der Front National?

 

Paris/Frankfurt (21.4.17) – Die in den letzten Tagen veröffentlichten Umfragen gehen weiterhin davon aus, dass die Kandidatin der Front National, Marine Le Pen, hinter der sich die europaskeptischen Kräfte versammelt haben, den zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen erreichen wird, dort allerdings geringe Siegchancen gegen Emmanuel Macron oder François Fillon hätte Sollte Marine Le Pen dennoch gewinnen, dürfte an den Märkten sofort zweierlei zu beobachten sein:

 

1) Der Renditeaufschlag zwischen französischen und deutschen Staatsanleihen („Spread“) würde signifikant ansteigen und ebenso die Volatilität der Aktienindizes. Dabei ist zu beachten, dass sich Aktien und Anleihen zuletzt sehr unterschiedlich entwickelt haben. Aktien haben – vor allem aufgrund der Käufe internationaler Anleger – von einem Rückgang der Risikoprämie profitiert, während der Rentenmarkt schwächelt und der Renditeaufschlag der französischen gegenüber den deutschen Anleihen im Laufe der letzten Monate entsprechend von 30-40 Basispunkten auf 65-70 Basispunkte angestiegen ist.

2) Der Euro würde gegenüber den anderen Leitwährungen deutlich abwerten und auf Dollar-Parität oder noch tiefer fallen. In diesem Szenario müssten die Anleger französische Aktien eine Zeit lang meiden, insbesondere falls sich die in den letzten Tagen begonnene Rallye im Vorfeld der Wahlen fortsetzen sollte.

 

Wie würde sich dieses Szenario auf die unterschiedlichen Branchen auswirken?

 

Besonders betroffen wären Unternehmen, die anfällig gegenüber Zinsschwankungen sind, also Banken, die Immobilienbranche, Konzessionsnehmer und allgemein Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad. Auch Firmen mit einer großen Abhängigkeit von der Binnenkonjunktur und von Importen könnten in Schwierigkeiten geraten.

 

Dahingegen dürften sich Exportunternehmen bzw. Firmen mit geringerer Abhängigkeit vom Frankreich-Geschäft, insbesondere Luxuswaren und alkoholische Getränke, die Verteidigungsindustrie, der Ölsektor und die Gesundheitsbranche zu einem sicheren Hafen für Aktienanleger entwickeln.

 

Wie sähe das positive Szenario aus?

 

Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, dass der Ausgang der Wahlen an den Märkten einen Aufschwung auslöst. Die Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni sind ebenfalls von großer Bedeutung, lassen sich aber momentan noch nicht analysieren, da sie vom Ausgang der Präsidentschaftswahl abhängen. Insbesondere ausländische Kommentatoren halten dies für wahrscheinlich, sofern Emmanuel Macron oder François Fillon die Wahl gewinnen. Von ihnen erwartet man sich substanzielle Reformen: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Überarbeitung des Steuersystems, Reduzierung der Staatsausgaben, Reform der Beziehungen zu den Sozialpartnern, Rentenreform sowie eine unternehmens- und europafreundliche Wirtschaftspolitik. Angesichts einer demografischen Entwicklung, die in Frankreich günstiger ist als in den anderen großen OECD-Ländern, könnten Strukturreformen, die zu einer höheren Produktivität führen, die Wachstumsperspektiven für das Land deutlich verbessern. Natürlich bräuchte es dafür zunächst einen möglichst breiten nationalen Konsens und schließlich eine stabile politische Mehrheit sowie eine Regierung, die ihre Versprechen wahr macht und diese Reformen dieses Mal wirklich umsetzt. Die Aktienmärkte haben vielleicht bereits begonnen, dieses Szenario einzupreisen, so robust, wie sie sich Anfang April zeigen. Doch hier drohen Enttäuschungen. Die deutlichsten positiven Auswirkungen hätte dieses Szenario auf den Finanzsektor, insbesondere Banken, sowie auf Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad, die anfällig gegenüber Zinsschwankungen sind. Allgemein gesprochen dürften sich Aktien mit einem hohen Beta-Faktor – also Aktien, die stärker schwanken als der Gesamtmarkt – überdurchschnittlich gut entwickeln. Zyklische Werte von „geringerer Qualität“ wären also die Sieger. Geografisch würden Aktien der peripheren Märkte (Spanien, Portugal und vor allem Italien), deren absolute Gewinne immer noch weit unter dem letzten zyklischen Hoch von 2007/2008 liegen, am meisten profitieren.

 

Steuern die US-Märkte auf eine Korrektur zu?

 

Im Spannungsfeld zwischen der Hoffnung, dass die Wahlen positiv ausgehen und die Wahlversprechen erfüllt werden, und dem Risiko entsprechender Enttäuschungen wird die Entwicklung der europäischen Aktien in nächster Zeit wohl eher einer Achterbahnfahrt gleichen. Doch wir haben bereits darauf hingewiesen, dass trotz dieser Unsicherheiten verschiedene Gründe dafür sprechen, optimistisch zu bleiben. Die verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen in der Eurozone, auch in Frankreich, sowie die Aussicht auf steigende Gewinne bei den börsennotierten Unternehmen (durchaus glaubwürdig, was 2017 angeht, wobei die Zahlen im Durchschnitt immer noch fast 25 % unter den Spitzenwerten des letzten Zyklus liegen) vertreiben langsam die dunklen Wolken, die nun fast zehn Jahre lang über der Wirtschaft und den Finanzmärkten Europas gelegen haben.

 

Eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür, dass sich in den kommenden Monaten kein negatives Szenario entfaltet, ist zudem, dass der Ausblick für die US-Finanzmärkte einigermaßen stabil bleibt.

 

Entgegen allen Erwartungen haben die Anleger die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten als Rechtfertigung für höhere US-Aktienkurse verstanden. Bisher ist dies nicht von Fakten gedeckt, sondern beruht allein auf Vertrauen („Reflation trade“). Aktuell werden die Unternehmen im S&P500 mit dem 3,2-Fachen ihres Buchwerts und dem 18-Fachen ihrer erwarteten Gewinne für 2017 bewertet (sogar mit dem 27-Fachen, wenn man die Gewinne um zyklische Effekte bereinigt). Diese Zahlen liegen in der Nähe oder sogar über den historischen Hochs aus den Zeiten kurz vor dem Platzen einer Blase (z. B. 1987, 1999-2000). Zum Vergleich: Das Kurs-Buchwert-Verhältnis der europäischen Aktien ist etwa halb so hoch, und das prognostizierte KGV liegt bei ca. 15. Zugegebenermaßen weisen US-Firmen traditionell höhere Gewinnzuwächse auf, doch die Dynamik bei den Ertragskorrekturen hat sich gewandelt und spricht jetzt eher für Europa. Die Akteure an den amerikanischen Aktienmärkten hegen weiterhin die Hoffnung, dass sich Aktienrückkaufprogramme und insbesondere die von Trump versprochenen Steuersenkungen positiv auswirken werden. Vor diesem Hintergrund und angesichts der langen Phase einer lockeren Geldpolitik scheint die Fed nun zu rascheren Zinserhöhungen bereit, um der Sorglosigkeit der Märkte etwas entgegenzusetzen. Janet Yellen wird nur noch ein knappes Jahr an der Spitze der Notenbank stehen – möglicherweise ein Grund für sie, die Normalisierung der Geldpolitik zu beschleunigen. Es besteht also die Gefahr, dass die Finanzmärkte zu realistischeren Bewertungen zurückkehren und gleichzeitig die Notenbank eine aggressivere Politik verfolgt. Diese beiden Faktoren könnten für eine Korrektur auf den US-Märkten sorgen.

 

In diesem Bericht haben wir einige spezifische Aspekte beleuchtet, die die politische Landschaft in Europa 2017 prägen werden. Wenn wir diese Aspekte isolieren und zugleich die chancenreichen Felder im europäischen Kontext sowie die Risikofaktoren für die US-Märkte einbeziehen, dann spricht diese breitere Analyse für unsere Erwartung, dass Europa besser abschneiden dürfte als die USA. Selbst wenn die europäischen Märkte der Wall Street nach unten folgen sollten, dürfte die Korrektur in Europa schwächer ausfallen.

 

Hoffen wir, dass der alte Spruch, „Wenn die Wall Street hustet, bekommt der Rest der Welt eine Erkältung“, sich dieses Mal nicht bewahrheitet. –

Kommentar von Yves Maillot, Leiter europäische Aktieninvestments bei Natixis Asset Management